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Christine war in ihr ärmliches Stübchen gelaufen. Dort weinte sie. Da kam ihr Tante Laura nach, und wie die Tante in dem dürftigen Zimmer stand, schämte sie sich. Ihre eigene Nichte wohnte schlechter als der Mops, das ging doch nicht. Sie sagte auf einmal ganz freundlich: »Weine nicht, Christine, du sollst ein anderes Zimmer bekommen.«
Christine sah die Tante an, sie gefiel ihr jetzt ganz gut, denn eigentlich hatte sie ein freundliches Gesicht, und sie dachte: die Tante möchte ich schon, wenn nur der schreckliche Mops nicht wäre, der wird Unfrieden stiften.
Der Mops saß unterdessen auf seinem rotsamtnen Stuhl und dachte lauter böse Dinge. Es gefiel ihm nämlich gar nicht, daß Christine und die Dackel im Hause waren, er dachte: wie bringe ich sie hinaus? Anna kam in die Stube, sah den Mops sitzen und sagte: »Na, du alter Faulpelz.«
»Wau-wau!« Bello sprang auf und zerriß Anna die Schürze. Anna lief damit zu ihrer Herrin und verklagte Bello.
Tante Laura meinte, Anna sei gewiß selbst daran schuld, sie habe Bello gewiß gereizt, und sie ging selbst, um Bello zum Spaziergang zurecht zu machen. Aber der Mops hatte nun mal schlechte Laune. Als seine Herrin kam, knurrte er sie an, als wäre sie Minni, das Kätzchen. Das ging Tante Laura doch über die Hutschnur. Sie schalt mit Bello, und der saß da wie ein aufgegangener Pfannkuchen und fletschte die Zähne. Da wurde Tante Laura sehr böse, und zu Lumps und Schlingels großer Freude wurde Bello in die Strafkammer gesperrt und mußte zu Hause bleiben.
Die Dackel freuten sich auf den Spaziergang. Wenn es im Forsthaus hieß spazieren gehen, dann ging es in den Wald, und die vier Dackel hatten herumtollen dürfen. So, dachten sie, würde es nun auch werden. Aber die Enttäuschung! Erstens nahm Tante Laura zwei lange Lederleinen, an jede kam ein Dackel, und Tante Laura sagte: »Jede führt einen.«
Das ging bis in den Hausflur. Da wollte Lump Schlingel etwas sagen, und Schlingel wollte mit Lump spielen, also mußten sie ihrer Meinung nach unbedingt zueinander; einer sprang rechts herum, der andere sprang links herum. Da stolperte erst Tante Laura, und Christine sagte: »Hoppla!« Dann stolperte Christine, Tante Laura aber sagte nicht hoppla, sie war zu böse auf die Dackel, sie schalt heftig auf beide. »Wir müssen sie an eine Leine nehmen, dann werde ich sie führen, komm, wir gehen in das Haus hier.«
Und sie gingen, wie Tante Laura gesagt hatte, in ein Haus.
Es war ein ganz fremdes Haus, und Christine blickte sich ängstlich um. Auf einmal sah sie ein Schild, und sie rief erschrocken: »Tante, hier wohnt ja der Graf Bibinell.«
»Meinetwegen der Graf Bibifax!« rief die Tante unwirsch. »Wer ist es denn, kennst du ihn?«
»Seinen Neffen«, stammelte Christine und wurde sehr rot.
»Kannst auch seine Nichte kennen, das ist mir gleich, hilf mir lieber die Dackel anmachen.«
»Vielleicht sind Bürschel und Waldel auch da, denn –«
»Von wem redest du da?« unterbrach Tante Laura die Nichte.
Christine lachte. »Von den Brüdern unserer Dackel; der junge Graf wollte sie hierher bringen.«
»Bewahre mich, noch mehr Dackel, zwei von diesen Wildlingen sind gerade genug!« rief die Tante entsetzt. »Komm rasch hinaus, damit die andern unsere nicht sehen, sonst gibt es einen Höllenlärm.«
Die Dackel fingen aber den Lärm schon so an, sie hatten nämlich ihre Brüder gerochen, die an diesem Morgen angelangt waren.
Tante Laura erschrak, als die Dackel so laut zu kläffen anfingen. Wenn das der Graf hörte. »Seid doch still!« gebot sie.
Aber die Dackel waren nicht still, die kläfften immer lauter und lauter. Da öffnete sich auf einmal eine Türe, und eine grämliche Stimme sagte: »Nun machen Sie mal, daß Sie aus dem Hause kommen, vorwärts!«
Tante Laura war noch nie hinausgeworfen worden, und sie war ganz starr vor Verwunderung, daß jemand das wagte. Sie, die stolze Tante Laura, mußte sich aus dem Hause weisen lassen um der Dackel willen. Entrüstet warf sie ihren ganzen Zorn auf die schwarzbraunen Schelme. »Lump! Schlingel!« rief sie böse.
»Na, wenn Sie schimpfen, dann werfe ich Sie mit 'nem Wuppdich zum Hause hinaus.«
Der Mann war böse, und Tante Laura wollte ihm die Namen erklären. Sie begann: »Lump und Schlingel heißen –«
»Na, hörense«, unterbrach der Mann sie aufgeregt, »das ist aber von so'ner alten Dame nicht schön, zu schimpfen wie 'n Gassenjunge.«
Gassenjunge war Tante Laura auch noch nie genannt worden. Sie rief entrüstet: »Ich bin kein Gassenjunge!«
»Aussehen tunse freilich nicht so, aber benehmen tun Sie sich wie einer. Und nun machense, daß Sie aus dem Hause kommen!«
Weil Tante Laura vor Zorn nicht mehr schnaufen konnte, erklärte Christine das Mißverständnis. »Die Dackel heißen so«, sagte sie einfach.
»Komische Namen, aber warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
Tante Laura konnte vor Ärger nicht mehr antworten, und da sie inzwischen die beiden Schelme angeseilt hatte, ging sie stumm aus dem Hause. Draußen ging es eine Weile gut, die Dackel machten Augen wie Schokoladetassen, so viel gab es zu sehen.
Was war das für ein Lärm und Getriebe, und wie komisch, immer dachten sie, nun kommt der Wald, aber der Wald kam nicht, statt dessen kamen immer mehr Menschen, Radler und Wagen aller Art. Lump und Schlingel waren gewohnt, jeden Wagen anzubellen, hier gaben sie das Bellen aber auf, denn kaum bellten sie nach der einen Seite, so kamen von der anderen Seite drei, vier Wagen angefahren, und ein Getöse war, daß einer den anderen nicht verstand.
Stehenbleiben ging doch auch nicht. Tante Laura zerrte und zog, und die beiden Schelme mußten folgen. Sie hätten sich gern mal das angesehen, es gab aber keine Rast, kaum daß sie dazu kamen, ordentlich den Weg zu beschnuppern. Endlich sagte Tante Laura zu Christine: »Geh mal in den Hutladen und frage, ob mein Hut fertig ist, ich bleibe mit den Dackeln draußen.«
Christine ging. Die Dackel aber hatten Zeit, sich umzusehen. Doch was sie sahen, gefiel ihnen nicht sonderlich. Eine laute lärmvolle Straße, himmelhohe Häuser, sehr viele Menschen und alle möglichen Geschäfte, in denen es Wundersachen zu kaufen gab, aber eines fehlte auf der Straße: Hunde. Es war nirgends ein Hund zu erblicken.
Auf und ab schauten die beiden, kein Hundeschwanz nahte. Sie dachten schon, in der Stadt wären überhaupt keine Hunde, als ein Foxel um die Ecke bog. Den sehen und ihm nachrennen war eins.
Tante Laura fühlte plötzlich einen heftigen Ruck an der Leine, und heidi, da rannten ihre Dackel davon.
Tante Laura wollte nachrennen, aber da waren auf einmal ein Müllwagen, ein Herr mit einer Glasvase und ein Schutzmann; das kam alles durcheinander, und plötzlich saß Tante Laura auf dem Mülleimer, die Glasvase lag zerbrochen am Boden, der Herr zankte und der Schutzmann schrieb auf, er sagte, an allem wäre Tante Laura schuld.
»Lump und Schlingel waren es!« rief Tante Laura.
»Schimpfen Sie nicht, Madamchen, sonst werdense eingesperrt.«
Das war zu viel. Die arme Tante Laura fing an zu weinen, und unter Tränen wollte sie erzählen, wer Lump und Schlingel seien, als Christine aus dem Laden kam. Die rief gleich verwundert: »Lump und Schlingel?«
»Nu schimpft die Junge auch noch«, brummte der Schutzmann.
»Ich schimpfe doch nicht.« Christine mußte lachen, und ihr Lachen klang so heiter, daß selbst der Mann, dem die Glasvase gehörte, vergnügter dreinsah. Nun klärte sich alles auf, und Tante Laura wollte zwar noch immer weinen, aber der Schutzmann riet ihr, das zu unterlassen, davon kämen die Dackel nicht wieder.
»Was ist denn mit Dackeln?« fragte ein Lehrjunge, der gerade vorbeiging. – »Unsere sind ausgerissen«, erklärte ihm Christine.
»Eben hat der Hundemaxe zwei schwarzbraune kleine Dackel mitgenommen.« – Hundemaxe war nämlich ein ganz Gefährlicher – und ein rechter Galgenvogel dazu! Früher war er einmal Clown in einem Wanderzirkus gewesen und hatte dressierte Hunde vorgeführt. Nun konnte er von seiner alten Beschäftigung nicht lassen und machte sich unnütz, indem er auf den Straßen mit arger List Hunde an sich lockte und sie mit nach Hause nahm, wo er sie zu allerhand Kunststückchen abrichtete, wie er es noch von seiner Zirkuszeit her gewohnt war.
»Lump und Schlingel!« rief die Tante erschrocken.
»Werdense nicht grob, meine Dame«, sagte der Lehrjunge.
Da mußte der Schutzmann so lachen, daß ihm beinahe sein Bauch wackelte, und sehr vergnügt belehrte er den Lehrjungen über seinen Irrtum. Der Bursche mußte auch lachen, und allerlei Leute blieben stehen, um zu sehen, was es da zu lachen gäbe.
»Wohl weil die alte Dame auf dem Mülleimer sitzt?« fragte ein Mann. Da fiel es Tante Laura erst ein, daß sie noch immer auf dem Mülleimer saß, und daß das kein Platz für eine alte Dame war. Sie sprang auf und sagte entrüstet: »Daran sind die Dackel schuld.«
»Sie sind ihr nämlich ausgerissen«, erklärte der Schutzmann.
»Da rennt 'n Herr mit zwei Dackeln, ganz klein und schwarzbraun.«
Der Mann hatte noch kaum ausgesprochen, da rannte Tante Laura schon mit dem Rufe: »Meine Dackel!« die Straße entlang.
Christine lief hinterher.
Da ging wirklich ein Herr mit zwei schwarzbraunen Dackeln. Tante Laura stürzte auf ihn zu und rief eifrig: »Mein Herr, das sind meine Dackel!«
Der Herr hörte gar nicht, er ging ruhig weiter.
Da zupfte ihn Tante Laura am Ärmel. »Herr Hundemaxe, das sind meine Dackel.«
Hui, blitzte der Herr sie an. »Meine Dackel sind's.«
»Meine Dackel sind es, Lump und Schlingel.«
»Nun schimpft die einfältige Person auch noch.« Der Herr strich sich über die Stirn, als wollte er sagen: »Tante Laura, bei dir scheint etwas nicht zu stimmen.«
Das brachte Tante Laura aber auf. Sie rief wütend: »Schutzmann!«
Es kam auch einer. Ein bißchen langsam zwar, aber er kam doch.
Gerade da zupfte Christine ihre Tante am Ärmel. »Sei doch still, das sind ja Waldel und Bürschel.«
»Ganz recht«, antwortete der Herr ziemlich höflich, »so heißen meine Dackel, und ich bin der Graf Bibinell.«
»Oh«, stöhnte Tante Laura erschrocken.
»Und was soll ich?« fragte der Schutzmann mißmutig.
»Die Dame aufschreiben, sie hat mich Hundemaxe, Lump und Schlingel genannt.«
»Das ist 'n bißchen viel«, meinte der Schutzmann.
»Oh«, stöhnte Tante Laura nur, sie sah ganz käsig aus.
Christine aber erzählte so fix, wie sie konnte, die Erlebnisse mit den Dackeln. Der Graf tat etwas, das Christine für das Vernünftigste hielt, er lachte. Das ärgerte die Tante, denn ausgelacht wollte sie nicht werden. Sie rannte auf einmal davon, und der Graf sah ihr lächelnd nach. »Die Mopstante ist aber böse!« sagte er heiter.
»Die Mopstante?« Christine blieb vor Erstaunen der Mund offen.
Der Graf lachte, und dann berichtete er, daß in der ganzen Gegend, in der sie wohnten, die Geschwister allgemein Mopstante und Onkel Potzhundert genannt wurden. Die Tante hätte ihren Namen von dem abscheulichen Mops, der die Gewohnheit habe, alle Leute, die in das Haus kämen, in die Waden zu zwicken, und der Mops würde gewiß die Dackel aus dem Hause ärgern.
»Ach, die Dackel und die Tante!« rief Christine erschrocken. Es war ihr eingefallen, daß die Tante sie vermissen würde, und sie rannte schnell nach. Gewiß würde die Tante recht böse sein. – Das war sie auch, sie schalt auf Christine, als sei die an allem Unheil schuld, und die arme Christine dachte traurig: sie ist wirklich eine Mopstante, so böse wie der schlimme Bello.