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Minni sitzt auf der Treppe

Am nächsten Morgen erfuhr Christine, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Sie lachte und zog die Dackel an den Ohren. Da gab es gleich wieder ein Zetergeschrei; Bello aber merkte, daß es Gelächter war. Darüber wunderte er sich, denn er selbst nahm immer alles gleich erschrecklich übel. Als Christine ihn nur ein bißchen streicheln wollte, knurrte er gleich und fletschte ganz böse die Zähne.

»Du mußt ihn nicht anfassen, das kann er nicht vertragen, er ist nicht so grob geartet wie eure Hunde im Forsthause«, sagte Tante Laura.

Christine dachte bei sich, daß der Mops ein unausstehlicher Köter sei, ihre Forsthaushunde gefielen ihr viel besser.

»Jetzt haben die Dackel die gute Teewurst gestohlen!« rief Tante Laura empört.

»Die Dackel waren gar nicht am Tisch.«

»Wer soll es denn sonst gewesen sein?« fragte die Tante spitz.

»Der Mops.«

»Der tut so etwas nie.« Die Tante sah sich nach ihrem Liebling um; da sah sie ihn unter ihrem Stuhl sitzen und an der Wurst kauen.

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Sie war sprachlos.

Christine aber jagte dem Räuber die Wurst wieder ab, worüber der tief entrüstet war. Er knurrte ganz böse und schnappte nach Christine, die erwischte dabei die Wurst. Nun erhob Bello ein so klägliches Gejaule, daß Tante Laura vor Mitleid fast verging. Sie gebot: »Laß ihm doch die Wurst, er hat Hunger.«

»Er frißt zu viel, er ist ja schon zu dick.«

Tante Laura wollte gerade diese Rede gefühllos schelten, als Anna in das Zimmer trat. Sie hatte Christines letzte Worte gehört und sagte: »Zu dick wird er freilich, aber heute mag er schon Hunger haben. Minni hat ihm gestern die Bratwurst weggenommen.«

Christine wollte eben fragen, wer Minni sei, als Tante Laura schalt: »Die alte greuliche Katze!«

Anna klirrte laut mit dem Geschirr und sagte vorsichtig: »Greulich war Minni nun nicht, sondern sehr niedlich, greulich war nur der Bello, und ich glaube immer, der Näscher war Bello.«

»Das ist Verleumdung, Bello nascht nie!« Tante Laura sah so böse aus, daß Christine gleich hinter Anna drein aus dem Zimmer lief. Draußen erfuhr sie von Anna näheres über Minni. Minni war eine Zeitlang der Liebling von Tante Laura gewesen. Aber da war Bello eifersüchtig geworden, er hatte immer Streit mit Minni angefangen, und die beiden waren wirklich wie Feinde zusammen gewesen. Da hatte sich Minni auf einmal das Naschen angewöhnt. Bello tat wenigstens, als ob es Minni gewesen wäre, er hatte immer gebellt und hatte gezeigt, daß etwas auf dem Tisch fehlte, und immer waren es der Tante Lieblingsbissen gewesen. Da hatte die einmal, als eine ganze Gänseleber fehlte, Minni fürchterlich geschlagen und zur Wohnung hinausgeworfen. Just waren Eckarts Kinder vorbeigekommen, und die hatten das arme Kätzchen aufgenommen. Tante Laura hatte gerufen: »Ihr könnt die schreckliche Katze behalten.« Und Eckarts behielten Minni. Darüber ärgerte sich die Tante jeden Tag, denn sie hätte Minni gern wieder gehabt, aber Minni kam nicht wieder, sie blieb bei Eckarts. »Und wenn sie mit Bello zusammentrifft, geht der Spektakel los«, schloß Anna ihre Erzählung.

Da rief im Zimmer die Tante.

Christine eilte hinein, denn die Tante wollte mit ihr ausgehen, sie sollte sich zu den Stunden anmelden.

Tante Laura war noch immer schlechter Laune und Christine dachte, daß es gar nicht hübsch wäre, so lange üble Stimmung zu haben. Sie war froh, daß sie auf die Straße kommen sollte. Es gefiel ihr gar nicht, immer im Zimmer zu sitzen. Die Tante gebot: »Geh einstweilen mit den Hunden in den Vorgarten, da können sie herumspringen, ehe wir sie an die Leine nehmen. Du kannst heute Bello nehmen, ich werde die Dackel führen, weil sie erzogen werden müssen.«

Lump und Schlingel an der Leine! Christine grauste es ein bißchen, wenn sie daran dachte. Wie würde das enden!

Die Hunde folgten ihr gleich in den Hausflur, die Dackel schossen so eifrig voran, daß sie das zierliche Kätzchen nicht sahen, das auf der Treppe saß; es war eine sehr hübsche, kleine Katze. Grau gestreift, mit einem schneeweißen Brustfleck und ebenso weißen Pfötchen, und sehr großen, bald grün, bald grau schimmernden Augen.

Als Bello das kleine Tier sah, knurrte er böse, aber Minni blieb ruhig sitzen. Die Dackel erschienen ihr ungefährlich, und mit dem dicken Bello nahm sie den Kampf auf. Der knurrte nochmal, das sollte heißen: »Minni, ich komme.«

Ob sie wohl ausreißt? dachte Christine, die bereit war, Minni zu verteidigen. Minni riß nicht aus, die blieb sitzen, wo sie war, und ließ Bello knurren, so viel es ihm behagte.

Bald kam Bello brummend näher, und Minni blieb ruhig auf der Treppe sitzen.

»Bläff, bläff«, sagte Bello.

»Miä, miä«, machte Minni. Sie schrie wie ein kleines Kind.

Da setzte sich auf einmal der Mops in Bewegung, er wollte Minni beißen, aber Minni war flinker als er. Eins, zwei hatte Bello ein paar Ohrfeigen weg, daß er laut aufheulte, denn Minni hatte ihre scharfen Krallchen ausgestreckt.

Das tat weh, und Bello heulte laut. Lump und Schlingel hörten das Heulen, und eilig kamen sie herbei, denn sie wollten sehen, warum der Mops so jammerte. Minni hielt die beiden krummbeinigen Gesellen für gar keine echten Hunde, sie traute ihnen darum nichts Böses zu. Aber Minni hatte sich geirrt. Wuppdiwupp saß ihr Schlingel im Nacken, und wenn nicht Christine zugesprungen wäre, dann wäre es um Minni geschehen gewesen. Christine packte Schlingel und zog ihn fort, hob Minni auf und trug das Kätzchen, das ängstlich miaute, die Treppe hinauf.

Lump und Schlingel sprangen bellend hinterdrein, und Christine mußte das arme kleine Tierchen ganz hoch halten, sonst hätten sie es erreicht und gebissen. Bello, der das Hinterherlaufen sah, dachte: was die können, kann ich auch, und er setzte sich langsam in Bewegung. Pustend stieg er die Treppe hinauf. Als das die Dackel sahen, dünkte es sie kurzweiliger, Bello zu necken, anstatt Minni zu ängstigen. Sie ließen also plötzlich von ihrer Verfolgung ab, drehten sich um und kläfften Bello an.

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Der erschrak. Einen Kampf mit zwei Dackeln hatte er noch nie gekämpft. Was seiner Herrin nur eingefallen war, ihm zwei solche Gefährten zu geben! Er fühlte sich aber als Herr im Hause, und hier auf der Treppe, in Gegenwart von Minni, mußte er einmal seine Stärke zeigen, damit auch das Katzentier vor ihm Angst bekam. Er knurrte darum heftig und fletschte seine Zähne.

Aber auf die beiden Schelme machten diese Mätzchen gar keinen Eindruck. »Kläff, kläff« – sprangen sie Bello entgegen.

Den ärgerte das, er nahm allen Mut zusammen und rüstete sich auch zum Sprunge. Aber ehe er springen konnte, sprang Lump ihn an. Da biß Bello zu und biß Lump ins Ohr.

Mit lautem Wehschrei flüchtete der Kleine. Christine sah mit Entsetzen, daß er blutete. Sie konnte aber nicht Minni im Stich lassen, denn wenn sie jetzt die Katze losließ, fielen die Hunde gemeinsam über sie her, und der armen Minni wäre es wohl schlecht ergangen.

Christine flüchtete also die Treppe hinauf und oben kam ihr schon Frau Eckart entgegen, die den Lärm vernommen hatte.

»Unsere Minni«, rief sie ängstlich, »was ist mit ihr?«

»Ich wollte sie vor unseren Dackeln schützen«, erklärte Christine.

»Wie gut von Ihnen!« rief Frau Eckart.

Christine sah der freundlichen Frau in das liebe Gesicht und dachte: der könnte ich gut sein.

In dem Augenblick ertönte lautes Jammern der Dackel und zorniges Geknurre von Bello zu ihr herauf.

»Ich muß hinunter, der böse Bello beißt sonst die armen Dackel tot«, rief Christine sehr besorgt.

»Ach, der feige Kerl«, tönte es ihr nach.

Aber feige war Bello in dem Augenblick gar nicht, sondern eher zu mutig. Er sah nämlich, daß sich die beiden Schelme rüsteten, ihm entgegenzuspringen.

Weil Bello eben ein eingebildeter Kerl war, dachte er wieder, was die können, kann ich auch. Und diesmal sprang Bello. Er konnte aber nicht springen, denn er hatte keine Übung. Er machte also nur ein ganz kurzes Sätzchen, verlor das Gleichgewicht, und gerade, als oben Christine die Treppe herabkam, rollte der Mops die Treppe abwärts. Christine sprang hinzu und wollte den rollenden Bello auffangen, doch ehe sie bei ihm war, kam unten aus der Türe Tante Laura.

Sie sah ihren Liebling die Treppe herunterrollen, und weil Christine gleich hinterdrein kam, dachte sie, Christine hätte den Mops die Treppe herabgekollert.

Und noch ehe Christine den Mund auftun konnte, fing die Tante zu schelten an. Herzlos sei Christine und heimtückisch.

»Potzhundert, das ist sie nicht!« Onkel Potzhundert hatte an seiner Türe gestanden und das Gepurzle mit angesehen. Nur was Christine oben gewollt hatte, wußte er nicht. Er sagte darum: »Christine hat sich das Haus angesehen.«

Da war die Tante stille.

Wenn nun Christine die Tante bei dem falschen Glauben gelassen hätte, wäre der Lärm zu Ende gewesen, aber dazu war Christine zu ehrlich, sie mußte immer die Wahrheit sagen. So erklärte sie auch jetzt: »Ich habe nur das Kätzchen hinaufgetragen.«

»Was geht dich die Katze an?«

»Sie wurde von den Hunden verfolgt.«

»Geschieht ihr schon recht, warum sitzt sie immer auf der Treppe.«

Christine fand die Tante so ungerecht, daß sie zu weinen anfing, und als Onkel Potzhundert das hörte, fing er nun vor lauter Mitgefühl an zu schelten. Tante Laura bekam Schelte, als wäre sie ein kleines Schulmädchen. Weil das selten vorkam, fing sie auch an zu weinen, und sie weinte erst recht, als Christine rief: »Oh, wäre ich doch wieder daheim!«

»Ihr gefällt es nicht bei mir«, klagte die Tante traurig, die im Grunde ein gutes Herz hatte, nur etwas wunderlich geworden war.

»Wie Minni«, sagte Onkel Potzhundert.

Das hätte er nicht sagen müssen, denn die Tante hing mehr an der kleinen Katze, als sie eingestehen konnte, und sie schämte sich im Herzen, daß sie das Tier aus dem Hause gejagt hatte. Sie weinte darum noch heftiger, und Onkel Potzhundert schrie: »Potzhundert, nun hört auf zu weinen, sonst setzt ihr noch das Haus unter Wasser.«

»Du bist schuld«, warf ihm die Tante vor.

»Potzhundert, ich bin nicht schuld, Minni ist an dem ganzen Lärm schuld, warum sitzt sie auf der Treppe.«

Ja, Minni war schuld, warum hatte sie auf der Treppe gesessen. Das fanden nicht Onkel und Tante allein, sondern auch die drei Hunde, nur Christine gab Minni keine Schuld, sie dachte, so ein kleines Tier darf doch auf der Treppe sitzen.

Aber sie schwieg still und ging in ihr kleines, häßliches Zimmer.

.

... Auf einem roten Samtstuhl lag faul und dick Bello ...


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