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Weit droben im Hochgebirge von Norwegen liegt das ferne, einsame Kirchspiel Li.
Ich wünschte, ich könnte sagen: »Komm und folge mir dahin auf raschen Flügeln, mit dem blitzschnellen Flug des Schneehuhns!« Ein Flügelrauschen, und wir wären da!
Denn sonst wirst du am Ende umkehren wollen, ehe der halbe Weg zurückgelegt ist.
Zuerst müssen wir nach Trondhjem. Und von da geht es »in aller Herrgottsfrühe« hinaus und hinein in die Fjorde, mehrere Stunden lang, hinauf, aber auch hinab. Denn der kleine Dampfer schwankt wie ein Betrunkener auf den schäumenden Wogen dahin, bis er endlich in Stenkjer anlegt.
Das enge Städtchen inmitten einer großartig schönen Umgebung überspringen wir und fahren sogleich mit dem Postwagen in nördlicher Richtung weiter und weiter, bis wir endlich in den langen Abendschatten das Wasser der Snaasenbucht zu unseren Füßen durch die Tannen schimmern sehen. Dann geht es wieder an Bord eines noch kleineren Dampfers als am Morgen und nun auf den friedlichen Wellen des Gebirgsees weiter bis zum späten Abend.
Während der Fahrt drängen sich plötzlich die wenigen Reisenden auf dem Verdeck zusammen. »Ein Elentier! Ein Elentier!« Draußen, mitten auf dem Wasser schwimmt ein großes Elentier, das sein riesiges graues Maul mit weitaufgeblasenen, schnaubenden Nüstern hoch über die Wogen erhebt.
Bei Sonnenuntergang taucht am Ende des Wassers weiß und ruhig der Wegsethof auf.
Wir gehen ans Land; und während der kleine Dampfer sich entfernt, indem er das letzte Rauschen des Weltlärms weit, weit mit sich wegführt, ist hier ein großartiges, merkwürdig stilles Naturreich, das uns umschließt.
Wir übernachten auf dem Hof, und am nächsten Tage ziehen wir weiter mit dem Skjuts (sprich Schüts), dem norwegischen zweirädrigen Postwagen.
Durch Tannenwälder geht es, hohen Felswänden entlang, wo kletternde Lineen und St. Olafslichter wachsbleich und schön unter glänzenden Tautropfen duften.
Der Morgen verwandelt sich in einen heißen, strahlenden Mittag – und noch immer rollt unser Wagen durch diese stumme, wie traumbefangene Schönheit dahin, wo wir nicht einem einzigen Menschen begegnen. Nur weiße »Bergfrauen« winken uns aus jeder Felsenspalte, wo nur immer sie Fuß zu fassen vermocht hatten.
Höchstens alle vier Stunden taucht ein einzelner Hof zwischen den Tannen auf, eine menschliche Oase mitten in der Wüste der Einsamkeit, wo unserer warten – nicht Dattelpalmen und Quellwasser, sondern Rauchfleisch, Fladenbrot und dicke Milch, mit der wir kaum fertig werden, bis wir wieder weiter müssen.
Sie sagen alle »du« zu uns, – ich meine, die Bewohner der Höfe und unser Postillon; sonst sehen wir niemand.
Gegen den Nachmittag wird unser Postknecht redselig. Den ganzen Morgen ist er wortkarg gewesen; aber nun scheint es, als ob ein gewisses lauerndes Mißtrauen gegen unsere Fragen von ihm gewichen sei, und wir erfahren vielerlei, das wir uns allmählich klar zu machen suchen.
Ola heißt er, – Ola Klövigaarden.
Wir fragen ihn, ob sich keine Elfen oder Kobolde in dieser Gegend aufhalten. Wir sagen, es komme uns hier so vor, als könne es allerhand Erscheinungen geben.
Zuerst will er nichts davon wissen. Dann aber deutet er plötzlich auf einen großen Felsblock, der sich hoch oben über einen einsamen Hof hinausbeugt, und sagt, daß da drin das Elfenvolk sein Schloß habe. Wenn man oben auf dem Felsen stehe, könne man in ein tiefes Loch hinabsehen. Das sei der Eingang. Und wenn man etwas da hinunterwerfe, ein Tuch oder sonst etwas, so werde es einem gleich wieder zurückgeschleudert. Aber niemand solle ihm weismachen wollen, daß das vom Luftzug komme. Und wer könnte es denn sein, der dann gleichzeitig da unten lache?
Und seine Großmutter, die sich auf den Hof dort verheiratet habe, sei einmal als junge Frau ganz allein zu Hause gewesen. Da sei plötzlich unter der Tür des Vorratshauses, wo sie eben Mehl holen wollte, einer gestanden und habe gesagt, daß die Waldfrau drinnen im Felsen in Kindsnöten liege.
Die Großmutter habe sich gefürchtet, nein zu sagen, aber eben so große Angst habe sie vor dem Mitgehen gehabt. Da sei ihr eingefallen, daß es Christenpflicht sei, zu helfen. Und da sei sie mitgegangen, hinunter durch das schwarze Loch in den Felsen hinein. Da drinnen habe die Ärmste gelegen, und die Großmutter habe ihr geholfen aus schwerer Not. Aber als sie dann durch die Felsenkuppe wieder herauskam, habe neben ihr eine scheckige Kuh gestanden, die ihr nach dem Hofe gefolgt sei. Das sei der Dank der Waldleute gewesen. Und bis auf den heutigen Tag gebe es scheckige Kühe auf dem Hof. Jeder könne hingehen und es sehen.
Wir fragten ihn, ob er nicht noch mehr wisse. Nein, sagte er, sonst wisse er nichts mehr.
Kurz nachher aber begann er wieder: Doch ja; damals, als sein Vater da droben »gehütet« habe, da habe er, ohne an etwas Böses zu denken, plötzlich ein graues Männchen mitten unter den Ziegen stehen sehen, und als er hinging und es fragte, woher es komme, – da sei es plötzlich »weg« gewesen. Aber den ganzen Tag habe man den Ziegen nicht nahe kommen dürfen, so verscheucht seien sie gewesen. – – –
Der Abend bricht an, und da halten wir vor dem Nynäshof. Dieser liegt dicht am Weg an den Felsen angelehnt. Und jenseits des Wegs zieht der Fluß rauschend dahin. Dann ragen wieder Felswände auf – mitten aus dem brausenden Strom heraus. Denn eng ist das Tal und düster durch die überhängenden Tannen, die auf den zu beiden Seiten aufragenden Felswänden wachsen.
Die meisten der Bewohner des Hofs sind »aus«, auf der Alm mit den Kühen, wie Ola erklärt. Nur die Frau und ein junger Bursche sind zufälligerweise daheim und können uns eine Lagerstätte anweisen.
Die Gastbetten – vier an der Zahl – stehen in einem Raum neben der großen Spinnstube, die im Sommer öde und verlassen ist.
Gebrauchte Bettücher, Elentierfelle als Decken, und Türen, die man nicht verriegeln kann, – weder die von der Stube nach der Treppe, noch die von der Treppe ins Freie, – drohen im ersten Augenblick, uns den Schlaf zu verscheuchen. Aber die Müdigkeit nach dem vielstündigen Rütteln im Postwagen über Stock und Stein bekommt die Oberhand.
Um Mitternacht kehrt das Bewußtsein plötzlich zurück mit dem Gefühl, daß alle Spinnrädchen in der Spinnstube nebenan anfangen zu schnurren – – – schnurren – – –
Und es ist einem, als ob man hinter den schwirrenden Rädchen alle verstorbenen Mädchen und Frauen des Hofs sitzen sehen müsse, wenn man dort hineinlugte, und die nickten einem zu, – bis man entdeckt, daß es nur der Fluß ist, der so nahe braust, so unglaublich nahe; es ist, als ziehe er einem mitten durch den Kopf.
Und man hat das Gefühl, als könne von Schlaf keine Rede mehr sein, so lange dieser Ton anhält, – – bis einen das Rauschen und Schnurren schließlich doch wieder einlullt. –
Der nächste Tag ist der anstrengendste der ganzen Reise. Zuerst wieder im Postwagen drei bis vier Stunden in gleichmäßigem Steigen längs der Felswand, den Fluß tief unter uns. Dann zieht dieser seines Weges, wir gehen den unserigen, bis unser Pfad an dem »steilen Felsen« aufhört, wo wir vom Wagen steigen und uns mit einem »Schönen Dank« und »Adieu« von Ola verabschieden.
Nun beginnt die Fußwanderung. Der Führer geht mit unserem Koffer auf der Schulter voran. Hinauf, hinauf.
Es führt jetzt ein Pfad über die Felsen, der meistens recht leicht erkennbar ist, – aber auch die alten »Warten« stehen noch da von den Tagen her, wo sie die einzigen Wegweiser in dieser Höhe gewesen sind. – –
Nachdem wir ein paar Stunden gewandert sind, hält der Führer plötzlich an und betrachtet aufmerksam den Boden zu seinen Füßen.
»Bären,« sagt er und richtet den Kopf mit einer jähen Bewegung auf, die für unseren Koffer beinahe verhängnisvoll wird.
Quer über den Weg laufen frische Bärenspuren…
Blitzschnell spähen unsere Blicke nach allen Seiten. Die Tannen sind hier ganz nieder und wachsen nur zerstreut, – Steine, Zwergbirken und Wacholderbüsche bedecken abwechslungsweise die Abhänge, so daß wir weit umherschauen können. Aber Meister Petz ist nirgends zu sehen. Der Führer meint, er habe sich in das entfernte Tannendickicht auf der linken Seite, hinter dem sich der Fluß versteckt, zurückgezogen.
Trotzdem – ganz sicher fühlen wir uns nicht. Und als es plötzlich in dem niederen Wacholdergebüsch zur Rechten raschelt, bleiben wir atemlos und mit bleichen Gesichtern stehen, während ein Flug Schneehühner in brauner Sommertracht dicht am Boden über den Pfad hinstreicht.
Nachdem die erste halbe Stunde verflossen ist, können wir doch unserer Ängstlichkeit Herr werden und uns nun das Erhabene unserer Lage ganz zu eigen machen.
An einer Biegung des Wegs stoßen wir auf einen eingezäunten Weideplatz mit einer niederen, langgestreckten Sennhütte. Die Sennerin steht unter der Türe, und bei ihr trinken wir frischgemolkene, schäumende Milch, voll würzig frischen Geschmacks.
Wir erkundigen uns, ob sie nichts von dem Bären gesehen habe.
Jawohl, sagt sie, beinahe die ganze Nacht seien Männer hinter ihm her gewesen. Gestern noch habe er ein schwarzes Kälbchen geraubt.
Auf dem höchsten Punkt, mitten in der öden, steinigen Gebirgsgegend, bleibt der Führer stehen und sagt: »Hier sind die drei Wasser von Li.«
Und draußen in der Ferne sehen wir durch wogende Nebel hindurch etwas leuchten. Etwas, das Tauperlen in einem Schleier gleicht, so kommt es uns vor.
Das sind die drei Wasser, über die wir hinüber müssen, ehe wir den Pfarrhof erreichen.
Wir fragen den Führer, ob er glaube, daß wir in dieser Nacht noch hingelangen können.
Er glaubt es nicht. Es ist jetzt zwei Uhr nachmittags.
Nun beginnt der Abstieg; an manchen Stellen geht es jäh hinab. Es geht rasch, manchmal allzu rasch.
Die Kiefern zeigen sich wieder, sowie einzelne schwache Versuche, Laubbäume vorzustellen.
Der Pfad wird ebener und etwas breiter. Aber jetzt sind die Füße wund und die Gedanken müde. Wir fühlen keine Linderung, während wir gehen und immer weiter gehen.
Dann durchschneidet ein Sturzbach unsern Weg mit zornigem, brausendem Protest.
Ein paar Kiefernstämme sind über den Bach gelegt und bilden eine nicht ganz sichere Brücke, auf der wir über die Tiefe schwanken.
Zwischen den steilen, feuchten Steinen des Bachrandes wachsen ganz lichte und schleierzarte junge Birken.
Eine davon neigt sich geknickt über den funkelnden Schaum der Tiefe.
Sie hat ihre Geschichte, diese Birke.
Während du weiter gehst und deine Gedanken sich mit deinen müden Füßen im Takt bewegen, tönt ihre Geschichte dir nach – – sie läßt dich nicht los – – bildet sich zu Versen – die du einfangen mußt – gleichsam Schritt für Schritt:
Wo der Strom sich stürzt von der Felsenwand,
Mit lichtem Haare die Birke stand.
Sie starrt in des Wasserfalls tosende Hast
Und neiget die Krone, vom Schwindel erfaßt.
Das tobende Wunder ergreift sie so stark,
Voll Sehnen erbebt sie im innersten Mark –
Nur einmal vom Schaume so weiß und rein
Voll stürmischer Liebe umfangen zu sein.
Ach könnte den Fuß sie sich lösen frei,
Dann würden die Winde ihr stehen bei!
Sie müht sich, – der Wind ihr die Arbeit kürzt, –
Gebrochen die Birke zu Boden stürzt.
Ich zog einst zu Berg am sonnigen Tag,
Da welkend die Birke am Felsen lag.
Nicht war sie gestürzt in der Wogen Schwall,
Obwohl an der Wurzel gebrochen im Fall.
Noch sterbend streckt sie die Arme aus
Nach dem nimmer erreichten Wogengebraus.
Und doch, vielleicht war sie glücklich und froh,
Es flüsterten leise die Blätter mir so:
»Und konnt' um handbreit ich näher nur sein
Des brausenden Wunders blendendem Schein,
Und kühlet auch nur mich in letzter Stund
Der perlende Geist aus des Wasserfalls Schlund,
Nicht tauschte ich, welkend, die Todespein
Für Leben und blüh'nde Gesundheit ein.
Du scheinst mir arm, ob auch frisch und gesund,
Gesegnet sei mir meine Herzenswund!«
– Der Armen am Felsen Gott gnädig sei –
Und dem, der wandert so rüstig vorbei!
Der Führer begleitet uns bis an das erste Wasser, das wir gegen Abend erreichen.
Das erste Wasser ist blau und leicht gekräuselt, mit kleinen, schaumgekrönten Wellen, die wie im Spiel mit einander auf- und abwogen – wie Kinderköpfchen im Sonnenschein.
In dem großen roten Bauernhof, nicht weit vom Wasser entfernt, kocht man für uns Kaffee und backt Pfannkuchen.
Wir fragen, ob man uns über das Wasser rudern könne.
Ja, wenn ein Mann mit einem Boot da sei, lautet die Antwort.
Wir gehen ans Wasser. Es ist ein Mann mit einem Boot da; und wir haben das unbestimmte Gefühl, daß der See der blaue Tanganjika und der Mann Livingstone, wir aber Stanley seien, der durch ein Wunder gerade den fand, den er suchte.
Er ist auf dem Heimweg, der Mann, und muß nur über das erste Wasser, aber er geht doch darauf ein, uns auch noch über das zweite zu rudern.
So fahren wir also hinüber, während das Wasser unaufhörlich an unser Boot plätschert und all die blinkenden blauen Wellen miteinander sich uns als einer willkommenen Unterbrechung der Einförmigkeit des Daseins zu nähern suchen.
Wir fragen den Mann, wie lang der Winter in dieser Gegend währe. Er antwortet, daß er am siebzehnten Mai noch zu Fuß über den See gegangen sei.
Wie merkwürdig, sich all diese kleinen lebenslustigen Wogen bis zum Freiheitstag hinter dem erdrückenden Gefängnistor des Eises eingesperrt zu denken!
Der Mann fragt, wohin die Reise gehe.
»Nach Nordli; ins Pfarrhaus.«
Er nickt. »Ach so – zu ihm, dem Pfarrer,« sagt er, zeigt aber keine Lust, weiter zu fragen, und auch keine, gefragt zu werden, und so unterlassen wir es.
Wir erreichen das Ufer und ziehen das Boot mit vieler Mühe über eine schmale Landstrecke zum zweiten Wasser hin.
Das zweite Wasser ist schwarz und abgeschlossen, als hätte es alle Schwermut der tannenbekleideten Ufer und die tiefe Stille der Einsamkeit in sich hineingesaugt. Schwer und tot ruht es rings um unser Boot, kaum kann es durch die Ruderschläge zum geringsten Laut geweckt werden; es sitzt gleichsam in sich selbst versunken vornübergebeugt da und starrt in seine eigene grundlose Tiefe hinab, in endloser Betrachtung eines Geheimnisses, das niemand mit ihm teilen kann.
In merkwürdig gedrückter Stimmung gelangen wir hinüber.
»So, jetzt,« sagte der Mann, »jetzt einfach gerade aus über das Moor, bis du das dritte Wasser siehst. Wo das Moor endet, da beginnt das Wasser.«
Dann gleitet er zurück in seinem Boot.
Geradeaus über das Moor… Ja, das geht schon. Das heißt, – zur Not. Und nicht geradeaus.
Hinein und hinaus geht es – mit schwappenden Lauten auf schwankendem Grund, dann auf etwas festerem Erdreich mit Tannen und niederen Birken wie kleinen Inseln.
Dann wieder hinaus auf schwankendes Moor, wo das klare Wasser leise in deine Fußtapfen rieselt…
Aber das Moor, wo endet es?
Ja, in deinen müden Gedanken dreht sich diese Frage im Kreise herum, bis eine lange Stunde vergangen ist.
Und dann, – während du entdeckst, daß es sich noch immer gleich unermeßlich vor dir ausdehnt, – da weißt du es: das Moor, – es geht bis ans Ende der Welt! Und wo es aufhört, – – da ist das äußerste Meer.
Und du selbst gehst auch bis ans Ende der Welt, während es unter deinen Füßen rieselt, während ein Meer von weißen Multenblüten Berghimbeerblüten. rings um dich herwogt.
Du gehst und gehst, während die Sonne, müde von ihrem fast vierundzwanzigstündigen Tag, endlich wie eine rote Fackel hinter den Höhen im Norden erlischt.
Und nun ist es dir, als ob du nicht weiter könntest, als ob es mit dir zu Ende sei, lange, lange, ehe das Ende des Moors erreicht ist.
Und es liegt ein gewisses müdes Behagen in dem Gedanken, daß es weiße Blüten genug habe, das Moor, um dich zuzudecken, da wo du zu Boden sinken mußt, – – daß es weiße Blüten hat – – – immer mehr weiße Blüten – um noch den zuzudecken – – und jenen – – und alle, die du kennst und von denen du etwas weißt – – alle, die auf dem Wege sind wie du – ans Ende der Welt.
Dann kommst du an einen Hügel, – du kannst dich kaum hinaufschleppen. Ein Hügel, der dunkel ist von rauschenden Tannen…
Die schlanken Stämme weichen wie auf Verabredung plötzlich zurück… Und du trittst hinab ans äußerste Meer.
Nein, das dritte Wasser gleitet zu dir heran und legt seine glänzende, silberhelle Fläche um dein müdes Bild – wie eine beruhigende Umarmung.
Und in demselben Augenblick ist nichts mehr da, das wehe tut, weder in deinen Gedanken noch an deinen Füßen.
Ein Boot ist da – aber kein Fährmann… Und du weißt nicht, woher es kam, oder wie du hineinkamst.
Aber du gleitest dahin. – Du gleitest über die glänzende silberhelle Fläche… Und auf einmal weißt du es: Hier ist es, wo sie geboren wird, die helle Nacht.
Die helle Mitternacht, die weißlich auf all den abgerundeten Bergkämmen zittert, – hier erhebt sie sich.
Dieser geschliffene, glänzende Spiegel ist es, den das Hochgebirge zum Himmel aufhebt, dieser Spiegel, der den Tag einsaugt und den Abglanz der Sonne zurückwirft, – wenn die goldene Kugel untergegangen ist, – um die ganze weite Wölbung, die die Erde umspannt, zu erleuchten.
Du weißt nicht, wie du hinüberkommst über all dies flüssige Silber, das mit einem eigenen kristallhellen Ton leise vor deinem Boot zurückweicht.
Du weißt nicht, wie es zugeht, daß du dich an einem grünen Uferrand befindest, der jäh zu einem niederen Haus aufsteigt – mit dunklen Kiefern im Hintergrund und etwas Weißem und Schlankem daneben, – wie ein Kirchturm, der sich vertrauensvoll an die Felswand lehnt.
Du hörst die andern sagen, vom Pfarrhaus aus müsse jemand gesehen haben, daß um die Mitternacht ein Boot auf dem Wasser war, und der müsse die Pächtersleute geweckt und alles zur Ankunft vorbereitet haben, denn mehrere Leute kommen ans Ufer herab. – – Aber du verstehst die Worte nicht.
Es ist dir, als ob die weiche Uferlinie, die sich dir entgegenstreckt, nur einen Namen haben könne: Jenseits. – Jenseits, wo alle irdische Art und Weise aufhört.
Aber in dem Augenblick, wo das Boot mit einem letzten Plätschern ans Ufer gleitet, wirst du auf dem Sand dort eine Gestalt gewahr, hoch und dunkel wie ein Bote der ernsten, dunkeln Nacht mitten in all dem Leuchten.
Und da wirst du dir bewußt, daß du das Ziel deiner mühseligen, weiten Pilgerfahrt erreicht hast, den einsamen Pfarrer da oben zwischen den fernen Bergen.