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Frau von Böslichs Ankleidezimmer. Frau von Böslich vor dem Spiegel, Natter trinkt Schokolade.
Frau von Böslich: Die Zeitungsnotizen sind also untergebracht, sagt Er, Natter?
Natter: Jawohl, Euer Gnaden, und da ich sie mit verstellter Hand nochmals geschrieben habe, kann niemand ahnen, von wem sie ausgehen.
Frau von Böslich: Hat Er dafür gesorgt, dass das Histörchen von Fräulein Zimperlich und dem Hauptmann Rauhbein unter die Leute kommt?
Natter: Auch das, und zwar so geschickt, wie Euer Gnaden es nur wünschen können. Meiner Berechnung nach muss es innerhalb vierundzwanzig Stunden Frau Elster zu Ohren kommen, und dann – das wissen Euer Gnaden – brauchen wir nicht weiter zu sorgen.
Frau von Böslich: Ja wirklich, Frau Elster hat viel Geschick und ist recht rührig.
Natter: Gewiss, Euer Gnaden, und hat auch jederzeit recht nette Erfolge erzielt. Meines Wissens war sie die Ursache dafür, dass sechs Verlobungen gelöst wurden und drei Söhne enterbt. Vier Mädchen wurden entführt, ebensoviele ins Kloster gesperrt, neun Ehen getrennt und zwei geschieden: und immer hatte sie die Hand im Spiele! Ach Gott, ich kenne ihre Schliche! Wie oft hat sie im »Boten für Stadt und Land« Leute in enge Beziehung gebracht, die einander vorher vielleicht nie gesehen hatten.
Frau von Böslich: Wie gesagt, sie ist gewiss nicht ungeschickt, nur ihre Art ein wenig plump.
Natter: Sehr wahr. Sie hat eine spitze Zunge und viel Erfindergeist; auch ihre Zeichnung trifft meist zu, nur trägt sie die Farben zu kräftig auf und übertreibt die Umrisse. Ihr fehlen die feinen Nuancierungen und geschliffenen Spitzen, über die Euer Gnaden in so reichem Masse verfügen.
Frau von Böslich: Er ist parteilich, Natter.
Natter: Durchaus nicht; alle Welt weiss, dass Frau von Böslich mit einem Wort oder Blick mehr ausrichten kann, als viele andere mit noch so durchgearbeiteten Details, selbst wenn sie sich auf ein Fünkchen Wahrheit stützen können.
Frau von Böslich: Ja, mein lieber Natter, und ich bin ehrlich genug, die Befriedigung nicht zu leugnen, die mir der Erfolg meiner Bemühungen verschafft. Mir selbst hat in frühen Jahren der Klatsch das Leben vergiftet, und ich leugne nicht, dass ich seither kein grösseres Vergnügen kenne, als andere auf die Stufe meines eigenen Renommees herabzuziehen.
Natter: Nichts könnte natürlicher sein! Dennoch – Euer Gnaden haben mich neulich in einer Angelegenheit in Anspruch genommen, und ich habe – offen gesagt – nicht die leiseste Ahnung, was Euer Gnaden damit beabsichtigen.
Frau von Böslich: Er meint wohl meinen ehrengeachteten Nachbarn, Herrn von Fopp und seine Familie?
Natter: Allerdings. Da sind zwei junge Leute, denen Herr Peter seit ihres Vaters Tod eine Art Vormund gewesen ist; der ältere ein äusserst liebenswürdiger Charakter, dem man ganz allgemein das Beste nachsagt – der jüngere der zerfahrenste und tollste Bursch des Königreichs, ohne Freunde und Ansehen; der erstere ein erklärter Bewunderer von Euer Gnaden und augenscheinlich bevorzugt; der andere in Marias Bann, dem Mündel von Herrn Peter, und erwiesenermassen von ihr wiedergeliebt. Nun – unter so bewandten Umständen entzieht es sich meiner Einsicht, warum Euer Gnaden, die vermögende Witwe eines königlichen Ritters, die Werbung eines Mannes von solchem Charakter und solchen Aussichten wie Herr von Obenaus nicht erhören sollten; und mehr noch: warum Sie es sich gar so angelegen sein lassen, die gegenseitige Zuneigung zu zerstören, die zwischen seinem Bruder Karl und Maria besteht.
Frau von Böslich: Dies Rätsel kann ich Ihm schnell lösen, wenn ich Ihm sage, dass von Liebe zwischen Herrn von Obenaus und mir nicht die Rede ist.
Natter: Nicht?
Frau von Böslich: Sein Herz gehört Maria – oder vielleicht ihrem Vermögen; da er aber in seinem Bruder einen begünstigten Nebenbuhler fand, so war er gezwungen, seine Absichten zu verheimlichen und sich meine Hilfe zu sichern.
Natter: Nun nimmt es mich noch mehr Wunder, was Euer Gnaden sein Erfolg kümmern könnte.
Frau von Böslich: Himmel! Ist Er aber schwer von Begriffen! Hat Er denn die Schwäche nicht erraten, die ich bisher aus Schamgefühl selbst vor ihm verborgen gehalten habe? Muss ich ausdrücklich gestehen, dass Karl, der Ausbund, der Tollkopf, der mit seinem Vermögen wie mit seinem Ruf abgewirtschaftet hat – dass der es ist, dem alle diese Listen und Schliche galten, und dass ich alles opfern wollte, um ihn zu gewinnen?
Natter: Jetzt natürlich wird mir die Logik der Sache klar. Doch wie konnten Euer Gnaden mit Herrn von Obenaus so vertraut werden?
Frau von Böslich: Es ist uns beiden ein Vorteil. Ich habe ihn schon lange erkannt, weiss, dass er verschlagen, selbstsüchtig und boshaft ist – kurz, ein salbungsvoller Schurke; während Herr Peter und die ganze Verwandtschaft ihn für einen jugendlichen Ausbund von Klugheit, Lebensweisheit und Gutmütigkeit halten.
Natter: Ja, Herr Peter schwört sogar, dass es seinesgleichen nicht gäbe in England; und vor allem preist er ihn als einen Mann von Empfindung.
Frau von Böslich: Wohl wahr. Und mit seiner Empfindsamkeit und Heuchelei hat er Herrn Peter in der Frage mit Maria ganz auf seine Seite gebracht, während der arme Karl keinen Freund im Hause hat – nur einen mächtigen, fürchte ich: Marias Herz! Und gegen den müssen wir zu Felde ziehen.
( Diener tritt ein.)
Diener: Herr von Obenaus.
Frau von Böslich: Führ ihn herein. ( Diener ab.) Er spricht gewöhnlich um diese Zeit vor. Es wundert mich nicht, wenn ihn die Leute allgemein für meinen Liebhaber halten.
( Josef von Obenaus tritt auf.)
Josef von Obenaus: Teure Frau, wie befindet Ihr Euch heute? – Herr Natter, meine Ergebenheit.
Frau von Böslich: Natter hat mich eben wegen unserer Beziehungen geneckt, da hab' ich ihm die wahre Lage der Dinge erklärt. Ihr wisst, wie nützlich er uns schon war, und – glaubt mir – das Vertrauen ist nicht übel angebracht.
Josef von Obenaus: Madame, ich könnte nie einen Verdacht hegen gegen einen Mann von Herrn Natters auserlesenem Feinsinn.
Frau von Böslich: Gut, gut; nur keine Komplimente. Sagt mir lieber, wann Ihr Eure Herrin Maria oder – was noch wichtiger ist – Euren Bruder gesehn habt?
Josef von Obenaus: Ich habe keinen von beiden gesehn, seit ich Euch verliess, nur das weiss ich, dass sie nicht mehr zusammenkommen. Einige Eurer Histörchen haben ihre Wirkung auf Maria nicht verfehlt.
Frau von Böslich: Ach, mein lieber Natter, das Verdienst daran gebührt Ihm. – Nehmen Eures Bruders Geldverlegenheiten weiter zu?
Josef von Obenaus: Stündlich. Man sagt mir, dass er gestern abermals im Hause gepfändet wurde. Kurz, seine tolle Verschwendung übersteigt alles, was ich je erlebt habe.
Frau von Böslich: Armer Karl!
Josef von Obenaus: Wohl wahr, Madame. Trotz seiner Laster kann man ein Mitgefühl für ihn nicht unterdrücken. Armer Karl! Ach, wie sehr wünsche ich, ihm irgendwie behilflich sein zu können; denn der Mann, der die Betrübnis eines Bruders nicht teilt – auch wenn sie selbstverschuldet ist – der verdient –
Frau von Böslich: Ach Gott! Ihr werdet schon wieder moralisch und vergesst, dass Ihr unter Freunden seid.
Josef von Obenaus: Richtig, ja! Es ist wahr! Ich will mir das Gefühl aufsparen, bis ich Herrn Peter treffe. Jedenfalls ist es ein gutes Werk, wenn man Maria vor diesem Wüstling rettet, der – wenn überhaupt – nur durch eine Person von Eurer Gnaden vollendetem Verständnis zu bessern ist.
Natter: Ich glaube, Frau von Böslich, da kommt Gesellschaft. Ich will gehn und den Brief abschreiben, von dem ich eben sprach. – Herr von Obenaus, Euer ganz ergebener …
Josef von Obenaus: Gehorsamster Diener, Herr. ( Natter ab.) Frau von Böslich, es tut mir aufrichtig leid, dass Ihr dem Burschen Vertrauen geschenkt habt.
Frau von Böslich: Warum das?
Josef von Obenaus: Ich hab' ihn in letzter Zeit mehrfach bei Unterredungen mit dem alten Kügele überrascht, der früher meines Vaters Kammerdiener und, wie Ihr wisst, nie mein Freund war.
Frau von Böslich: Und Ihr glaubt, er könnte uns verraten?
Josef von Obenaus: Nichts ist wahrscheinlicher. Nehmt mein Wort darauf, verehrte Frau. Der Bursche hat nicht Charakter genug, um selbst seiner eigenen Schurkerei treu bleiben zu können. – Ah, Maria!
( Maria tritt auf.)
Frau von Böslich: Maria, Liebste, wie geht es dir? Was gibt's?
Maria: Ach, mein abscheulicher Verehrer ist eben zu meinem Vormund zu Besuch gekommen, mit seinem greulichen Onkel Holzapfel; da bin ich entwischt und hierhergelaufen, um ihnen auszuweichen.
Frau von Böslich: Ist das alles?
Josef von Obenaus: Wäre mein Bruder Karl mit dabei gewesen, dann, Madame, wäre Eure Bestürzung wohl geringer – nicht?
Frau von Böslich: Nein, Ihr seid zu kritisch; denn ich möchte schwören, der wahre Grund ist der, dass Maria wusste, Ihr seid hier. Doch, Liebe, was hat Herr Benjamin getan, dass du ihn so meidest?
Maria: Ach Gott, nichts hat er getan – es ist nur wegen seiner Art zu reden: er weiss nichts sonst, als alle seine Bekannten zu verleumden.
Josef von Obenaus: Ja, und das schlimmste dabei ist, dass es keinerlei Vorteil bringt, ihn nicht zu kennen; denn er wird einen Fremden ebensowohl verlästern wie seinen besten Freund. Und sein Onkel ist genau so schlimm.
Frau von Böslich: Nein, man sollte doch Nachsicht haben. Herr Benjamin hat Witz und ist ein Dichter.
Maria: Ich für meinen Teil, Madame, muss sagen, dass ich den Witz nicht schätze, wenn er mit Bosheit gepaart ist. Wie denkt Ihr darüber, Herr von Obenaus?
Josef von Obenaus: Gewiss, Madame; einen Witz belächeln, der einem anderen einen Stachel ins Herz treibt, das ist ein böses Zeichen von Schadenfreude.
Frau von Böslich: Ach was! Man kann nicht witzig sein, ohne ein wenig Bosheit, denn die Bosheit gibt dem besten Bonmot erst die Pointe. – Was ist Eure Meinung, Herr von Obenaus?
Josef von Obenaus: Sicherlich, Madame! Die Unterhaltung, der die Würze des Spottes fehlt, wird immer langweilig und flach sein.
Maria: Ich will nicht darüber streiten, wie weit der Klatsch zulässig sein mag; nur das weiss ich: bei einem Mann ist er immer verächtlich! Wir haben Stolz, Neid, Eifersucht und tausend andere Gründe, unsere Nächsten herabzusetzen; der Mann aber, der zu verleumden liebt, der muss kleinlich sein wie ein Weib.
( Diener tritt auf.)
Diener: Madame, Frau Heimtuck ist vorgefahren und will, wenn es Eurer Gnaden genehm ist, den Wagen verlassen.
Frau von Böslich: Bitte sie, einzutreten. ( Diener ab.) Nun, Maria, das ist ein Charakter nach deinem Geschmack; denn wenn Frau Heimtuck auch ein wenig geschwätzig ist, so wird ihr doch jedermann zugeben, dass sie eine durchaus freimütige und gutartige Frau ist.
Maria: Jawohl, mit Ihrer übertriebenen Vorliebe für Wohlwollen und Freimütigkeit stiftet sie mehr Unheil als der alte Holzapfel mit seiner offenen Bosheit.
Josef von Obenaus: Ich fürchte, das ist richtig, Frau von Böslich. Wenn ich höre, wie der Klatsch sich mit dem Ruf meiner Freunde beschäftigt, so erschreckt mich das lange nicht so, als wenn Frau Heimtuck es unternimmt, die Angegriffenen zu verteidigen.
Frau von Böslich: Pst! – da kommt sie!
( Frau Heimtuck tritt auf.)
Frau Heimtuck: Meine liebe Frau von Böslich, ich habe Euch eine Ewigkeit nicht gesehn! – Herr von Obenaus, was hört Ihr Neues? – Die Frage ist zwar überflüssig – man hört ja doch nichts anderes als Klatsch.
Josef von Obenaus: Sehr richtig bemerkt, Madame.
Frau Heimtuck: O Maria! Kind! Ist also wirklich alles aus zwischen dir und Karl? Seine Tollheiten sind wohl schuld? Die ganze Stadt spricht davon!
Maria: Es tut mir aufrichtig leid, Madame, dass die Stadt so wenig zu tun hat.
Frau Heimtuck: Sehr wahr, sehr wahr, Kind! Aber halte einer die bösen Zungen im Zaum! Ich gestehe, es hat mich sehr betrübt, das zu hören: desgleichen, dass dein Vormund, Herr Peter, und Frau von Fopp sich in letzter Zeit nicht so gut vertragen, wie es wohl wünschenswert wäre. Das erfuhr ich aus derselben Quelle.
Maria: Es ist unverschämt von den Leuten, sich darum zu kümmern.
Frau Heimtuck: Wohl wahr, Kind; doch was will man tun? Die Leute reden, man kann's ihnen nicht verbieten. So wurde mir gestern erst erzählt, dass Fräulein Tunichtgut mit Herrn Flach von Flirt durchgebrannt ist. Mein Gott! Man darf eben nichts auf das geben, was man hört; obwohl mir das aus erster Hand zukam.
Maria: Pfui, wie abscheulich sind solche Gerüchte!
Frau Heimtuck: Das sind sie, Kind – schamlos, schamlos! Aber die Welt ist so tadelsüchtig; kein Ruf ist vor ihr sicher. Mein Gott, wer hätte gedacht, dass deine Freundin Fräulein Spröd einen Fehltritt tun könnte? Und doch sind die Leute so boshaft, dass sie sagen, Ihr Onkel habe sie letzte Woche erwischt, als sie mit ihrem Tanzmeister in die Postkutsche nach York steigen wollte.
Maria: Und ich – ich bürge dafür, dass kein wahres Wort daran ist.
Frau Heimtuck: Nein, sicher nicht! Auch ich möchte es beschwören – ebensowenig wie an dem Gerücht, das letzten Monat umlief: die Geschichte der Frau von Gala mit dem Oberst Trumpf – obgleich die Sache niemals ganz aufgeklärt wurde.
Josef von Obenaus: Es ist unglaublich, wie frech manche Leute lügen.
Maria: Jawohl. Meiner Ansicht nach sind aber diejenigen ganz gleich schuldig, die solche Sachen weitererzählen.
Frau Heimtuck: Sicher sind sie das! Die Zuträger sind ebenso schlimm wie die Erfinder; das ist eine alte Geschichte. Aber wie gesagt: was soll man tun? Wie will man den Leuten das Reden verbieten? Heute hat mir Frau Elster versichert, Herr und Frau Wonnemond seien jetzt nur mehr ein Ehepaar wie alle andern auch. Sie hat mir auch angedeutet, dass eine gewisse Witwe in der Nachbarschaft ihre Wassersucht losgeworden sei und in ganz erstaunlicher Weise ihre frühere Gestalt wiedergewonnen habe. Und Fräulein Plaudertasche, die auch dabei war, behauptete, dass Herr von Rind seine Frau in einem nicht eben gut berufenen Hause entdeckt habe, und dass Herr Heinrich von Strauss und Tom Tändler sich wegen einer ähnlichen Geschichte schlagen würden. Ja, aber mein Gott! Glauben Sie, ich würde so was weitererzählen? Nein, nein! Wie gesagt: die Zuträger sind ebenso schlimm wie die Erfinder.
Josef von Obenaus: Ach, Frau Heimtuck, wenn doch alle Welt so umsichtig und gutmütig wäre wie Ihr!
Frau Heimtuck: Ich gestehe, Herr von Obenaus, ich kann es nicht vertragen, wenn man Leute hinter ihrem Rücken schlecht macht, und wenn über Bekannte etwas Hässliches aufkommt, dann glaube ich doch immer nur das Beste. Apropos – ist es wahr, dass Euer Bruder vollkommen ruiniert ist?
Josef von Obenaus: Ich fürchte, seine Lage ist verzweifelt.
Frau Heimtuck: Ach! – Ich habe es gehört – doch Ihr müsst ihm sagen, er solle guten Mutes bleiben; fast allen geht es ebenso: Lord Spindel, Herr Thomas Splint, Kapitän Hazar und Herr Würfel – alle in dieser Woche aufgeflogen, höre ich! Und so wird Karl, wenn es ihm auch so geht, seinen halben Bekanntenkreis dabei wiederfinden, und das ist ein Trost, wie man weiss.
Josef von Obenaus: Gewiss, Madame – ein grosser Trost.
( Diener tritt auf.)
Diener: Herr Holzapfel und Herr Benjamin von Spöttlich!
Frau von Böslich: Siehst du, Maria, dein Verehrer verfolgt dich, und du sollst ihm augenscheinlich nicht entrinnen.
( Holzapfel und Herr Benjamin von Spöttlich treten auf.)
Holzapfel: Frau von Böslich, ich küsse die Hand. – Frau Heimtuck, ich glaube, Ihr kennt meinen Neffen nicht – Herr Benjamin von Spöttlich. Bei Gott, Madame, er hat einen feinen Witz und ist auch ein feiner Dichter. Nicht wahr, Frau von Böslich?
Herr Benjamin: O pfui, Onkel!
Holzapfel: Nein, bei Gott, 's ist wahr: mit seinen Rebussen und Scharaden stell' ich ihn über die besten Reimkünstler des Königreichs. Haben Euer Gnaden von dem Epigramm gehört, das er letzte Woche schrieb, als Frau von Kräusleins Federschmuck Feuer fing? – Geh, Benjamin, sag es auf – oder die kleine Scharade, die du gestern abend aus dem Stegreif gedichtet hast, auf Frau Tappigs Unterhaltung. Komm, komm! Das Erste ist der Name eines Fisches, das Zweite ein grosser Admiral, und –
Herr Benjamin: Nein, Onkel, wirklich – ich bitt' Euch –
Holzapfel: Es würde Euch sicher überraschen, Madame, wie geschickt er in allen diesen Sachen ist.
Frau von Böslich: Warum veröffentlicht Ihr denn nie etwas, Herr Benjamin?
Herr Benjamin: Die Wahrheit zu sagen, Madame – es ist recht ordinär, etwas drucken zu lassen; und da meine Sächelchen meistens Satiren und Pasquille sind auf bestimmte Leute, so finde ich, dass sie dabei gewinnen, wenn ich sie nur in wenigen heimlichen Abschriften an die Freunde der Betroffenen weitergebe. Dennoch würde ich einige Elegien veröffentlichen, wenn sie den Beifall dieser Dame fänden. ( Deutet auf Maria.)
Holzapfel ( zu Maria): Beim Himmel, Madame, sie werden Euch unsterblich machen! – Ihr werdet der Nachwelt überliefert werden, wie Petrarcas Laura oder Wallers Sacharissa.
Herr Benjamin ( zu Maria): Jawohl, Madame, ich glaube, sie werden Euch gefallen, wenn Ihr sie sehn werdet, auf einem prächtigen Quartblatt, wo der feingedruckte Text sich zierlich von dem breiten Rande abheben soll. So wahr ich lebe, es sollen die elegantesten Dinge ihrer Art werden!
Holzapfel: Ach, meine Damen, haben Sie schon das Neueste gehört?
Frau Heimtuck: Was, mein Herr? Meint Ihr vielleicht –
Holzapfel: Nein, nein, nicht das! – Fräulein Neckisch soll ihren eigenen Lakaien heiraten.
Frau Heimtuck: Unmöglich!
Holzapfel: Fragt Herrn Benjamin.
Herr Benjamin: Es ist so, Madame; alles ist besprochen, sogar das Brautkleid schon bestellt.
Holzapfel: Ja – und man sagt, es seien dringende Gründe für die Heirat da.
Frau von Böslich: Gewiss, ich habe schon davon gehört.
Frau Heimtuck: Es kann nicht sein, und ich kann mir nicht denken, dass irgend jemand das von einer so klugen Dame wie Fräulein Neckisch glauben würde.
Herr Benjamin: Guter Gott, Madame, eben darum wurde es ja gleich geglaubt. Sie war immer so vorsichtig und zurückhaltend, dass alle Welt sicher war, sie habe letzten Endes einen Grund dafür.
Frau Heimtuck: Ja allerdings, eine Skandalgeschichte räumt mit dem guten Ruf einer Dame ihres Schlages ebenso rasch auf, wie ein hitziges Fieber oft mit der kräftigsten Natur. Und dann gibt es wieder eine Art von kümmerlichem, angekränkeltem Renommee, das immer hinzusiechen scheint und schliesslich doch den weit gesunderen Ruf von hundert Spröden überdauert.
Herr Benjamin: Gewiss, Madame, es gibt ebensowohl kränkliche Renommees wie kränkliche Konstitutionen, die im Bewusstsein ihrer Schwäche den leisesten Lufthauch vermeiden und, was ihnen an Kraft abgeht, durch Überlegung und Umsicht ersetzen.
Frau Heimtuck: Gut, aber dies alles muss ein Irrtum sein. Ihr wisst, Herr Benjamin, dass oft aus ganz nichtigen Tatsachen die schmählichsten Gerüchte entstehen.
Holzapfel: Das kommt vor, so wahr ich lebe, Madame. Haben Sie gehört, wie Fräulein Pips im letzten Sommer zu Tunbridge ihren Ruf und ihren Verehrer verlor? – Benjamin, du erinnerst dich?
Herr Benjamin: O gewiss! – Eine ganz absonderliche Geschichte.
Frau von Böslich: Was war das, bitte?
Holzapfel: Nun, eines Abends kam in der Gesellschaft bei Frau Ponto das Gespräch zufällig auf die Zucht von Nova-Scotia-Schafen in der Gegend; da sagt eine junge Dame aus der Gesellschaft, sie wisse etwas davon, denn Fräulein Lätitia Pips, ihre rechte Cousine, besitze ein Nova-Scotia-Schaf, das ihr Zwillinge gebracht habe. »Was!« schreit die Witwe Dundizzy (die stocktaub ist, wie Ihr wisst), »hat Fräulein Pips Zwillinge gehabt?« Über dieses Missverständnis wollte sich die ganze Gesellschaft kranklachen; dennoch wurde es am nächsten Morgen weiterverbreitet. In wenig Tagen glaubte die ganze Stadt, dass Fräulein Lätitia Pips tatsächlich von einem Knaben und einem Mädchen entbunden worden sei. Kaum einige Wochen später konnten die Leute schon den Vater angeben und das Farmhaus, wo die Babys in Pflege waren.
Frau von Böslich: Wirklich merkwürdig!
Holzapfel: Buchstäblich wahr, versichere ich! Ja, richtig, Herr von Obenaus, ist es wahr, dass Euer Onkel, Herr Oliver, heimkommt?
Josef von Obenaus: Nicht dass ich wüsste, Herr.
Holzapfel: Er war lange Zeit in Ostindien. Ihr könnt Euch seiner kaum erinnern, denke ich. Wie traurig, wenn er nun heimkommt und hören muss, was aus Eurem Bruder geworden ist.
Josef von Obenaus: Karl war zweifellos unklug; aber ich hoffe, dass sich niemand gefunden hat, um Herrn Oliver gegen ihn einzunehmen. Er mag sich bessern.
Herr Benjamin: Sicherlich kann er das. Ich für meinen Teil habe nie geglaubt, dass er so aller Grundsätze bar ist, wie man es ihm nachsagt. Und wenn er auch alle Freunde verloren hat, so höre ich doch, dass unter den Juden niemand in besserem Rufe steht als er.
Holzapfel: Bei Gott, ja, Neffe, das stimmt! Wenn die Judenschaft stimmberechtigt wäre, dann würden sie Karl wohl zum Aldermann wählen; keiner sonst ist so populär. Ich höre, er zahlt fast so viel Jahreszinsen wie die Irische Leibrentengesellschaft, und wenn er einmal krank ist, dann wird in allen Synagogen für seine Gesundheit gebetet.
Herr Benjamin: Und dabei lebt er prächtig. Wenn er seine Freunde zu Gast hat, dann sitzen ein Dutzend seiner Bürgen mit am Tisch, im Vorzimmer wartet ein Haufen Gläubiger, und hinter jedem Stuhl steht ein Schutzmann.
Josef von Obenaus: Das mag Euch unterhaltlich scheinen, Ihr Herren, doch nehmt Ihr wenig Rücksicht auf die Gefühle des Bruders.
Maria ( beiseite): Ihre Bosheit ist unerträglich. ( Laut.) Frau von Böslich, ich muss Euch guten Morgen wünschen, ich bin nicht ganz wohl. ( Ab.)
Frau Heimtuck: Ach mein Gott! Wie sie die Farbe gewechselt hat.
Frau von Böslich: O bitte, Frau Heimtuck, geht ihr nach; vielleicht braucht sie Euren Beistand.
Frau Heimtuck: Von Herzen gerne, Madame. – Wer weiss, wie unglücklich das arme Kind ist! ( Ab.)
Frau von Böslich: Es ist nichts weiter, als dass sie nicht hören konnte, wie Karl vorgenommen wurde, trotz ihres Zwistes.
Herr Benjamin: Der Penchant der jungen Dame ist offensichtlich.
Holzapfel: Benjamin, du musst deswegen nicht alle Hoffnung aufgeben. Geh ihr nach und bring sie in gute Laune, sag ihr ein paar von deinen Versen auf, komm, ich will dir helfen.
Herr Benjamin: Herr von Obenaus, ich wollte Euch nicht kränken, aber glaubt mir, Euer Bruder hat abgewirtschaftet.
Holzapfel: Jawohl – und gründlich! Kriegt nicht eine Guinee mehr geborgt.
Herr Benjamin: Und hat alles verkauft, höre ich, was nicht niet- und nagelfest war.
Holzapfel: Ich habe mit jemandem gesprochen, der bei ihm war. Nichts ist übrig als ein paar leere Flaschen, die übersehen wurden, und die Ahnenbilder, die, glaube ich, in die Wand eingelassen sind.
Herr Benjamin: Und ich habe zu meinem Leidwesen allerlei schlimme Dinge über ihn hören müssen. ( Wendet sich zum Gehen.)
Holzapfel: Er hat viele Gemeinheiten begangen, das steht fest.
Herr Benjamin: Immerhin, da er Euer Bruder ist – ( Wendet sich zum Gehen.)
Holzapfel: Wir wollen Euch nächstens alles sagen. ( Holzapfel und Herr Benjamin ab.)
Frau von Böslich: Haha! Es fällt ihnen schwer, ein Thema zu verlassen, bevor sie es ganz breit geschlagen haben.
Josef von Obenaus: Und ich glaube, die Schmähungen müssen Euch, Madame, ebenso unerträglich gewesen sein wie Maria.
Frau von Böslich: Ich fürchte, ihr Gefühl für ihn ist weit stärker, als wir annahmen. – Aber die Familie kommt heute abend her; dann speist Ihr vielleicht auch bei mir, und wir können weiter beobachten. Bis dahin will ich Ränke schmieden, und Ihr könnt Euch ein paar Sentenzen zurechtlegen. ( Ab.)
Im Hause des Herrn Peter von Fopp. Herr Peter tritt auf.
Herr Peter: Wenn ein alter Junggeselle ein junges Weib nimmt, was hat er da zu erwarten? Es sind nun sechs Monate her, dass Frau von Fopp mich zum glücklichsten Menschen gemacht hat – und seither habe ich keine frohe Stunde mehr gehabt! Schon auf dem Kirchwege hatten wir eine kleine Auseinandersetzung – und einen richtigen Streit, bevor das Glockenläuten vorbei war. In den Flitterwochen bin ich ein paarmal fast erstickt vor Galle, und alle Lebensfreude hatte ich schon verloren, während meine Freunde mir noch Glück wünschten. Und doch habe ich mit Bedacht gewählt: ein Mädchen, auf dem Lande aufgewachsen, das keinen grösseren Luxus gekannt hatte als ein einziges Seidenkleid und keine anderen Vergnügungen als einmal im Jahr das Tanzkränzchen beim Pferderennen. Und doch spielt sie jetzt ihre Rolle mitten in dem verrückten Modegetue in der Stadt mit solcher Selbstverständlichkeit, als hätte sie nie einen Busch oder einen Grasfleck ausserhalb Grosvenor Square gesehn. Alle meine Bekannten lachen mich aus, und die Zeitungen bringen Anspielungen auf mich. Sie bringt mein Vermögen durch und kümmert sich nicht um meine Wünsche. Und was das schlimmste dabei ist: ich glaub', ich liebe sie, sonst könnt' ich all das nicht ertragen. Aber wie will ich mich so weit vergessen, es ihr einzugestehen.
( Kügele tritt auf.)
Kügele: Oh, Herr Peter, Euer Diener! Wie geht es Euch, Herr?
Herr Peter: Recht schlecht, Meister Kügele, recht schlecht. Nichts als Ärger und Verdruss.
Kügele: Was kann seit gestern vorgefallen sein?
Herr Peter: Eine schöne Frage an einen Ehemann!
Kügele: Aber nein – Eure Gemahlin kann doch nicht die Ursache Eurer Missstimmung sein?
Herr Peter: Warum denn nicht? Hat man Euch vielleicht erzählt, sie sei gestorben?
Kügele: Ach, Ihr liebt sie doch, Herr Peter, wenn Ihr Euch auch nicht recht vertragt mit ihr.
Herr Peter: Die Schuld liegt nur an ihr, Meister Kügele. Ich selbst bin der gutmütigste Mensch und hasse Zänkereien; das sag' ich ihr hundertmal am Tag.
Kügele: Wirklich!
Herr Peter: Ja, und was ganz erstaunlich ist: bei allen unseren Streitereien ist sie immer im Unrecht. Aber Frau von Böslich und die Bande, die sie bei ihr trifft, bestärken sie noch in ihrer Verranntheit; und – um meinen Ärger voll zu machen: Maria, mein Mündel, über die ich väterliche Gewalt haben sollte, will sich auch empören und weigert sich unbedingt, den Mann zu nehmen, den ich ihr lange schon zum Gatten bestimmt habe; sie will sich, glaube ich, an seinen verkommenen Bruder wegwerfen.
Kügele: Ihr wisst, Herr Peter, ich war stets so frei, in bezug auf diese beiden jungen Leute meine eigene Meinung zu haben. Ich wünsche nur, Euer Glaube an den älteren möge nicht enttäuscht werden; denn Karl wird von seinen Irrwegen schon noch abkommen, so wahr ich lebe. Ihr würdiger Vater, einst mein verehrter Herr, war zu seiner Zeit ebenso ein Feuerkopf, und doch wurde sein Tod von vielen aufrichtig betrauert.
Herr Peter: Da irrt Ihr, Meister Kügele. Nach ihres Vaters Tode habe ich an den beiden Vaterstelle vertreten, bis die Freigebigkeit ihres Onkels Oliver ihnen zu früher Selbständigkeit verhalf; natürlich konnte niemand besser als ich ihr wahres Wesen erkennen, und ich habe mich in meinem Leben nie geirrt. Josef ist das Muster eines jungen Mannes; er hat Gefühl und lebt den Grundsätzen nach, zu denen er sich bekennt. Der andere aber – mein Wort darauf, wenn der einen Funken Anstand überkommen hat, so hat er ihn mit dem Rest seines Erbes vergeudet. Ach, mein alter Freund, Herr Oliver, wird zu Tode betrübt sein, wenn er sieht, wie seine Güte zum Teil so übel angebracht war,
Kügele: Es tut mir leid, Euch dem jungen Mann so abgeneigt zu finden, denn eben jetzt wird sich vielleicht sein Schicksal entscheiden. Ich bringe Neuigkeiten, die Euch überraschen werden.
Herr Peter: Was? Lasst hören!
Kügele: Herr Oliver ist angekommen und schon in der Stadt.
Herr Peter: Wie? Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich dachte, Ihr hättet ihn diesen Monat nicht erwartet?
Kügele: Das hatte ich auch nicht. Aber er hat eine rasche Überfahrt gehabt.
Herr Peter: Bei Gott, es soll mich freuen, meinen alten Freund zu sehen! Es sind sechzehn Jahre her, seit wir uns trafen. Wir haben manches zusammen erlebt – aber will er immer noch nicht, dass wir seine Neffen von seiner Ankunft unterrichten?
Kügele: Durchaus nicht! Er will sie zuerst unerkannt auf die Probe stellen.
Herr Peter: Ach, das ist wohl recht überflüssig. Doch mag er's tun! Aber bitte – weiss er, dass ich verheiratet bin?
Kügele: Ja, und er wird Euch bald seine Glückwünsche persönlich darbringen.
Herr Peter: Ja, ja, so wie man einem Freund Gesundheit zutrinkt, der in einem hitzigen Fieber liegt. Ah, Oliver wird mich auslachen! Wie oft haben wir zusammen über die Ehe geschimpft, nur er ist sich treu geblieben. Aber er muss ja gleich hier sein – ich will schnell alles für seinen Empfang vorbereiten. Und, Meister Kügele, kein Wort davon, dass Frau von Fopp und ich uns manchmal zanken!
Kügele: Wo denkt Ihr hin!
Herr Peter: Ich könnte Nolls Spässe nicht vertragen, und so will ich – Gott verzeih mir – ihn glauben machen, dass wir ein glückliches Paar sind.
Kügele: Ich verstehe: – doch da müsst Ihr besonders sorgfältig jeden Streit vermeiden, solang er im Hause ist.
Herr Peter: Bei Gott, ja, das sollten wir – und es ist unmöglich! Ach, Meister Kügele, wenn ein alter Junggeselle ein junges Weib nimmt, dann verdient er – doch nein – das Verbrechen trägt seine Strafe in sich. ( Ab.)