Mendele Moicher Sfurim
Die Mähre
Mendele Moicher Sfurim

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Vierzehntes Kapitel

Die Leistung des Vorstands in der Angelegenheit

Die letzten Worte meines Briefes, daß es »heute nicht mehr vogelfrei in der Welt zugeht, daß es den ›Tierschutz-Verein‹ gibt«, schloß ich mit lauter Stimme und so heftig, daß es im ganzen Walde widerhallte, als ob alle seine Geschöpfe beim Vernehmen solcher Worte vor Freude schwöllen, sich vor Wonne umarmten und einander zu der frohen Botschaft beglückwünschten und ausriefen: »Es lebe der Tierschutz-Verein!« Den Namen des Vereins hörte ich ganz deutlich im Walde hallen. Die Mähre aber schwieg, schüttelte den Kopf und sah mich lächelnd an, als ob sie sagte: »Ach, was für ein Narr du bist!« Ich ärgerte mich zwar ein wenig darüber, dachte aber bei mir: »Ach, was sie schon vom Schreiben versteht! Schließlich war sie ja doch soviel Jahre eine Mähre.«

Ich kratzte mich hinten am Kopf, faltete einen zweiten Bogen auseinander und las die Antwort des Vorstandes vor:

»In Erledigung Eurer Bitte betreffs der Mähre oder des Wesens, von dem wir gar nicht begreifen, was für ein Unglücksvieh das ist, teilen wir, der Vorstand des Tierschutz-Vereines, Euch, sehr lieber Herr, mit, daß außer von Euch schon viel Gesuche von verschiedenen Seiten über diese Mähre an uns gelangt sind. Manche klagen ihre Peiniger an, beschreiben ihre schlimme Lage und bitten um Erbarmen: wir sollten doch einen ausdrücklichen Befehl an unsere Mitglieder ergehen lassen, überall, wo sich die Mähre befinde, sie menschlich zu behandeln, wie alle Tiere und Geschöpfe, die unter unserm Schutz stehen, ganz ohne jeden Unterschied; wir sollten ein für allemal erklären, daß unter das Mitleidsgesetz alle Geschöpfe gleichmäßig fallen, selbst die Mähre, und wenn man sähe, daß jemand sie schlecht behandle, solle man es ihn an Ort und Stelle nach Gesetz und Recht büßen lassen. Unter diesen gibt es auch welche, die von der Mähre viel Aufhebens machen und Wunder von ihr plappern und plaudern, genau so wie Ihr, sehr geehrter Herr. Manche dagegen schreiben das Gegenteil. ›Ihr könnt und braucht Euch nicht mit denen zu überwerfen‹, sagen sie uns, ›die ihr manchmal einen Hieb versetzen; der Hieb ist sehr notwendig, man kann nicht anders auskommen.‹ Nach ihrem Bericht benimmt sie sich sehr wild, ihr ganzes Betragen ist nicht so, wie es sein sollte. Will man sie wie üblich einspannen, bäumt sie sich und stellt sich auf zwei Beine. Schaut man einmal ein wenig zur Seite, so springt sie aus den Deichselstangen heraus, wirft die ganze Last ab, schlägt gerne heimlich aus und beißt kleine Kinder. Sie muß eine Peitsche über sich haben, ohne Hiebe kann man mit ihr gar nicht auskommen. Nun und obendrein ist sie noch unsauber. Eine lange weichselzöpfige Mähne baumelt ihr nach, auf dem Kopfe eitert ihr etwas. Man darf sie unter keiner Bedingung unter die andern Pferde lassen, sie wird sie sicher noch anstecken. Und was die Arbeiten betrifft, so ist sie zu gar keiner Arbeit nütze, bloß zu gewissen unschönen Tätigkeiten. Zu all den Tugenden richtete sie noch gerne Schaden an. Mehr als einmal ertappt man sie im Korn, das sie frißt und zertritt, wodurch sie den armen Bauern schreckliche Verluste bereitet, während andere Pferde, die viel besser und schöner als sie sind, hübsch ordentlich, wie es sich gehört, auf dem grünen Grase weiden. Es ist darum gefährlich, sie in den Dörfern zu halten. Ihr braucht Euch wahrhaftig um nichts zu kümmern und nichts gegen die zu unternehmen, die sie manchmal mit einem Hieb traktieren. Nicht eines jeden kann sich der Verein erbarmen. Sie verdient wahrlich den Hieb. Sie ist eine Heimsuchung, eine von Gott geschickte Plage.«

Ein Seufzer drang tief aus dem Herzen der armen Mähre, sie stellte die Ohren auf, öffnete den Mund, als sie solche Beschuldigungen und Verleumdungen über sich vernahm. Ich las weiter:

»Nachdem wir, der Vorstand, beide Parteien gründlich angehört und auch von unserer Seite im geheimen Zeugnisse durch unsere Mitglieder vernommen hatten, übergaben wir die ganze Angelegenheit mit allen Akten einer Sonderkommission, damit sie sie gründlich überlege und die richtigen Mittel finde, um die Sache zu verbessern. Die Kommission hat sehr eifrig gearbeitet und ihrerseits auch genaue Untersuchungen angestellt, bis sie Gottlob etwas erreichte.«

»Werden die leeren Reden endlich einmal ein Ende nehmen und fertig sein?« fragte die Mähre. »Wahrhaftig, es wird einem vom Hören übel.«

»Nur Geduld, du wirst dich bald freuen«, antwortete ich und las weiter:

»In ihrem Referat legte uns die Kommission das Ergebnis in folgenden Worten vor: ›Vor allem ist der Mähre der Weichselzopf abzuschneiden, sie hat wirklich reinlicher zu werden. Um viele Zwistigkeiten in dieser Sache auszuschalten und ihren Zustand für die Zukunft zu verbessern, muß man, unserer Meinung nach, trachten, daß sie nicht so roh und derb sei, man muß sie auf den richtigen Weg bringen – sie bilden und lehren, wie sie den Fuß zu setzen habe und noch andere Dinge. Dann erst mag sie unser Mitleid haben. Erst dann, wenn sie alle die Künste kennen wird, die man von einer gelehrten Mähre verlangt, wird ihr der Verein beistehen und nicht zulassen, daß man sie roh behandle. Vorläufig ist darauf zu achten, daß sie jedenfalls den Getreidefeldern nicht zu nahe komme, um ihres eigenen Wohles willen. Das heißt, wie dem auch sei, ob sie Schaden stifte oder nicht, vorläufig darf sie nicht überfallen werden.‹

Dieser Vorschlag der Kommission wurde angenommen, und wir haben unsererseits schon alles getan, was in unserer Macht steht, um ihn mit Gottes Hilfe binnen kurzem zu verwirklichen.

Indem wir Euch dies mitteilen, können wir uns nicht enthalten, Euch, erbarmungsvoller Herr, für die Ergebenheit zu danken, mit der Ihr immer dem Vereine dient, und für Eure große Barmherzigkeit, mit der Ihr dauernd um die armen, unschuldigen, unglücklichen Geschöpfe besorgt seid. Wahrlich, der Vorstand hat ein Auge und versteht es, so wertvolle Menschen wie Euch zu schätzen und –«

Ich hatte noch kaum den Dank beendet, den mir der Vorstand aussprach, als ich im Walde ein Geschrei vernahm. Ich glaubte, es sei vielleicht ein wildes Tier oder ein Räuber – wer weiß, was im Walde vorkommen kann! –, steckte den Brief schnell in die Busentasche, versteckte mich besser im Gezweige und saß in Schreck und großer Not. Der Lärm wurde immer besser vernehmbar, und ein paar Minuten darauf kam ein Bauer mit einer großen Fuhre Holz aus dem Walde gefahren. Er schrie, stieß Verwünschungen und Flüche aus und prügelte auf mörderische Weise sein armes, kleines Pferd, dem es schrecklich schwer fiel, eine derartige Last zu schleppen, und das immer stehen blieb. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Da also keine Gefahr war, kam ich kühn aus meinem Versteck hervor, ging auf den Bauern zu und sagte ihm:

»Hör mal! Warum schlägst du das arme Pferd so? Ein Jammer, man darf nicht so schlagen.«

»Was sagt der da vom ›darf nicht‹?!« sagte der Kerl sehr verwundert und machte sich wieder über das arme Pferd her.

»Hände weg«, sagte ich und wurde zornig. »Du hast es nicht anzurühren!«

»Was gehst du mich an? Mit welchem Recht mengst du dich in fremde Dinge und läßt mich meine Sache nicht schlagen?!« antwortete der Bauer frech.

»Ich bin Mitglied des ›Tierschutz-Vereines!‹« erwiderte ich stolz und glaubte, der Kerl werde erschrecken und rasch den Hut ziehen.

»Der Teufel hole dich und deinen Verein! Troll dich zur Hölle, du Verrückter! Ich habe keine Zeit zum Diskutieren. Das Holz hier muß ich ganz früh zur Stadt bringen.«

»Aber das Pferd kann einen so vollgepackten Wagen nicht schleppen!«

»Nun, dann spann dich ein und hilf ihm schleppen, wenn du gar so gut bist.«

»Wirf ein wenig Holz hinunter!«

»Zahl es mir, dann will ich es hinunterwerfen!«

»Du bist ein kluger Mann! Zahlen! Warum sollte ich dir zahlen?«

»Bist du verrückt oder besoffen oder ein Dämon oder was sonst? Pff! Pack dich zu allen Teufeln, zudringlicher Kerl!« sagte der Bauer sehr böse und versetzte dem Pferde einen Hieb.

»Ich bin Vereinsmitglied! Ich lasse es nicht zu! Verstanden?!«

»Ich werde dir die Knochen zerschlagen, du Wahnsinniger! Zu allen Teufeln mit deinem Verein!« fluchte und tobte der Kerl und war drauf und dran, mich mit der Peitsche zu schlagen.

Halbtot vor Schreck floh ich und setzte mich wieder an die Stelle von vorhin.


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