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Suworow

Man betrachtet und beurteilt diesen außerordentlichen Mann aus manchen Gesichtspunkten. Sein eigentümlicher Charakter ist schnelle Entschlossenheit und ebenso schnelle und kraftvolle Ausführung. Die Herzen seiner Soldaten hat er durch Popularität ganz in seinen Händen, und seit Cyrus und Cäsar ist schon bekannt, welcher Vorteil dieses für einen Feldherrn ist. Vielleicht ist seine Leutseligkeit und Nachsicht auf Kosten der Disziplin zuweilen ein wenig exzessiv: aber er überläßt sehr weislich die Disziplin seinen Unterbefehlshabern, übergibt ihnen das Strenge und Harte des Dienstes und behält selbst davon nur das Gefällige: ein Betragen, das, wenn es recht verstanden wird, vortreffliche Wirkung hat und gar nicht zu tadeln ist! Alles, was er tut und spricht, ist mit einem ganz «eigenen Stempel gezeichnet. So verlangt er lauter bestimmte Antworten, und ein »Ich weiß nicht« bringt ihn in den heftigsten Zorn. Wenn die Replik nur schnell und bestimmt ist, so fragt er oft sehr wenig nach der Wahrheit. Wahrhafte Männer haben mich versichert, er nehme es hin, wenn man einen Gründling für einen Haifisch und eine Lerche für einen Auerhahn angebe, wenn man ihm nur nicht die Antwort schuldig bleibt oder seine Unwissenheit weitschweifig und verlegen gesteht. Er badet Sommer und Winter sehr kalt, oft im Angesicht der ganzen Armee. Alle seine Bewegungen und Reden sind äußerst schnell, und in der kleinsten seiner Bemerkungen ist Witz, oft sehr beißender Witz. Seine kurzen, lakonischen Rapporte, sind allgemein schon aus dem vorigen Türkenkriege bekannt. An die Kaiserin soll er von den Prager Batterien weiter nichts geschrieben haben, als: »Hurrah! Praga! Suworow«, und die Kaiserin soll ihm sehr gnädig in dem nämlichen Stile geantwortet haben: »Bravo! Feldmarschall! Katharina.« Man muß nämlich bemerken, daß er durch diesen Streich erst Feldmarschall wurde. Verbürgen kann ich die Wahrheit dieser Anekdote nicht; aber sie sieht dem Geiste beider sehr ähnlich. Die den Mann näher kennen, sagen, er habe sehr viel militärische Gelehrsamkeit und die ausgebreitetste Belesenheit aller Art. Er spricht außer dem Russischen mehrere Sprachen, zum Exempel: Deutsch, Französisch und Türkisch mit vieler Fertigkeit. Er liebt sehr Sprichwörter und Sentenzen und gibt oft in denselben seine Befehle. Ich habe in Praga bei dem Obristen Lieven eine poetische Ordonnanz von ihm gesehen, die die herrlichsten militärischen Maßregeln, vorzüglich für die damalige Lage enthielt, und wirklich dichterischen Wert hatte. Ich bedauere, daß ich sie nicht mehr besitze; sie würde für Deutsche ein herrliches Stück zu seiner Charakteristik sein. Als er an der Spitze der Regimenter nach Warschau zog, küßte und umarmte er auf der Brücke alles, was ihm entgegenkam, und gewann dadurch auf einmal das ganze Zutrauen des Volks. Er sprang vom Pferde, um bei dem Einzuge auf der Krakauer Vorstadt einem Greise diese Ehre zu erzeigen, und der Alte weinte vor Freuden, als er hörte, es sei Suworow selbst, der ihm so auszeichnend gütig begegnet habe. Seine gewöhnliche Höflichkeitsbezeigung gegen Personen, die ihn schon gesehen, oder Offiziere, die ihn auch wohl nicht gesehen haben, ist: komm, Bruder, küsse mich! Ich fuhr mit dem Obristen Lieven ins Hauptquartier, als ich den Feldmarschall zum erstenmal sah. Er stand am Kamin und zog sich das Hemde an und sagte zu einigen Polen, die eben mit vielem Respekt hereingetreten waren, um ihren ersten Besuch zu machen: »Warten Sie ein wenig meine Herren, warten Sie!«; nachdem er sein Hemde in Ordnung gebracht hatte, drehte er sich um, kam, ohne erst die Oberkleider anzulegen, einige Schritte näher zu ihnen, machte mit schneller Kadenz einige Verbeugungen mit den Worten: Paix, amitié et fraternité! und sprang ihnen mit solcher Heftigkeit um den Hals, als ob er sie erdrücken wollte. Solche charakteristische Szenen sind bei ihm täglich gewöhnlich. Selten hat er Equipage, und seine Feldzüge hält er gewöhnlich auf einem Kosakenpferde, das er auf dem Posten wechselt und das der Kosak, der mit ihm reitet, wenn es nicht schnell genug geht, mit der Knute treiben muß. Er soll nie Geld haben, sich nie in Geldgeschäfte mengen und die ganze Ökonomie auf gutes Zutrauen einem Hausoffizier überlassen. Wenn er ein Fest geben will, läßt er diesen kommen und fragt ihn, wieviel die Anordnung koste. Der Offizier sagt ihm die Summe nach kurzem Überschlage. »Mehr, Bruder, mehr!« ruft er, wenn es ihm nicht genug ist. Der Offizier setzt hinzu, und der General sagt immer: »Mehr, Bruder, mehr!« bis ungefähr die Summe seinem Gutdünken entspricht oder es übersteigt, wo er denn spricht: »Abgezogen, Bruder, abgezogen!« Auf diese Weise wird dann das Fest bestellt, um das er sich weiter mit keiner Silbe bekümmert, und es wird bei ihm taxiert nach der Summe, die es ihm gekostet hat.

 

Daß Suworow nicht mehr im Dienste ist, und daß die Nation in ihm vielleicht den ersten Mann verloren hat, ist gewiß. Von den Umständen sagt uns niemand etwas Bestimmtes. Allgemeine Nachricht ist, daß er dem Monarchen über die Einführung der neuen Ordonanz sehr freimütige Vorstellung getan. Seine Sprache ist gewöhnlich sehr lakonisch und eindringlich. Energie ist durchaus sein Charakter, etwas Satire seine Schwachheit, und Kürze seine Handlungsweise gegen Freunde und Feinde. Der Monarch habe dem alten, etwas rauhen Krieger den Mangel des Hoftons nicht verziehen und ihn ablösen lassen. Suworow, durch dieses Verfahren in seinen natürlichen Charakter gesetzt, legt seine Stellen nieder und geht nach Hause. »Tragen Sie alle diese Dinge«, sprach er zu seinem Nachfolger, indem er sein Kommando abgab, »mit so viel Ehre, als ich sie getragen habe, und Sie werden Beruhigung haben. Mir hat der Kaiser mehr gegeben als genommen. Dieses brauch' ich nicht mehr, und es ist für mich kein Verlust: Ruhe ist mir nötig; denn ich bin ein alter Mann.« Auf diese Weise ging der Mann ab, der der Schrecken der Feinde des Vaterlandes von allen Seiten gewesen war. Die eine Hälfte der Armee hatte mit und unter ihm gefochten und gesiegt am Don, am Dnjepr und an der Weichsel, und hatte ein blindes, unbedingtes Zutrauen auf seinen Namen. Igelström ist nicht der Mann, der Gefahren scheut; aber doch bin ich selbst Zeuge, daß sich die Grenadiere in Warschau während der Aktion ihren Lieblingsanführer wünschten. »Ja, wenn Vater Suworow hier wäre«, sagten sie mitten im Feuer, »dann würde es sehr kurz gehen!« Die andere Hälfte staunte ihn mit Ehrfurcht an und hatte nur den Ehrgeiz, auch einmal mit ihm zu schlagen. Er hatte bei Kinburn gesiegt und geblutet, hatte Ismail genommen und die Werke bei Praga zerstört. Alles waren entscheidende Tage. Denn wären die Streiche auf Ismail und Praga nicht gelungen, so hätten einige Wochen den Konjunkturen eine andere Wendung geben können. Zeit gewonnen, viel gewonnen, heißt es im Kriege.

Man wirft ihm Grausamkeit und Härte vor. Ich habe nie unter ihm gedient; aber nach allem, was ich von kompetenten Personen über ihn gehört habe, ist Grausamkeit keiner seiner Züge. Seine mit Gelindigkeit und außerordentlicher Gutmütigkeit verbundene Kraft trägt vielleicht selbst dazu bei, daß der halbgebildete russische Soldat in der Hitze des Feuers, das er ihm einzuhauchen versteht, auf einige Augenblicke die Menschlichkeit vergißt und Dinge begeht, über die er eine Stunde nachher selbst weint. Man muß zur Erklärung des empörenden Phänomens auch erwägen, mit welchen Feinden und in welchen Lagen er gefochten hat. Der Charakter des russischen Soldaten ist immer noch Humanität gegen die unsinnige Wut der Ottomanen, und in Praga war es leider ein so ungeheures, unregelmäßiges Gefecht, daß bei der allgemeinen Bewaffnung und Verwirrung der Soldat kaum wußte, wen er schonen sollte; denn alles focht mit verzweifelter Unbesonnenheit. Auch sind der Grausamkeiten nicht so viel vorgefallen, als die Tadelsucht und die empörte Menschheit in der ersten Empfindung des Schmerzes aufzählte. Freilich hätte strengere Disziplin gehalten werden sollen: die Schuld der Vernachlässigung fällt aber mehr auf die Obersten und Kommandeure der Divisionen. Keiner seiner Offiziere, keiner seiner Soldaten klagt über eigensinnige Strenge; vielmehr dürfte der unparteiische Zuschauer über etwas sorglose Konnivenz klagen. Die einzige Beschwerde der Seinigen über ihn war, daß er, wie die russische Formel lautet, seinen Offizieren nicht forthilft, welche Beschuldigung mehr ein Lob enthält, indem er beweist, daß er nur Verdienste nach seiner Überzeugung belohne, und daß bei ihm Gunst und Cliquenwesen keinen Eingang finden, wie wohl bei mehreren andern vornehmen Generalen des russischen Heeres. Mehrere Regimenter sollen bei der Entfernung des Feldmarschalls und bei Gelegenheit der Einführung der neuen Ordonnanz unruhig und schwierig gewesen sein. Der Kaiser soll eingesehen haben, daß er die offenherzigen Äußerungen eines alten, unter den Waffen grau gewordenen höchst verdienten Mannes zu hoch empfunden, und ihm das Kommando unter schmeichelhaften Ausdrücken wieder angetragen haben. Aber Suwarow kann wohl nicht glänzender von der Bühne treten, und er ist Philosoph genug, um den Rest seiner Tage in der ihm zuteil gewordenen Ruhe zuzubringen. Er soll dem Kaiser geantwortet haben, er bedürfe der Ruhe und bäte darum, und ist auch während der Krönungsfeierlichkeiten nicht nach Moskau gekommen. Man ist geneigt, den Mann nach der öffentlichen Meinung für einen Barbaren zu halten: er ist es aber gewiß nicht, weder von Kopf, noch von Herzen. Ich selbst bin Zeuge, daß er Deutsch und Französisch recht gut spricht. In seiner Muttersprache drückt sich kaum ein Russe besser aus als er. Tatarisch und Türkisch soll er mit Fertigkeit reden. An Belesenheit fehlt es ihm in den meisten Fällen nicht: und sein lakonischer, oft sarkastischer Geist ist schon aus seinen bekannt gemachten Rapporten bei wichtigen Vorfällen bekannt genug. Er ist ein guter Soldat, weil er ganz Soldat ist: vielleicht würde er kein schlechter Minister sein, wenn er Minister wäre, welches er aber durchaus nicht sein will. Wenn nur irgendein Geschäft ein ministerielles Ansehen hat, weist er es sogleich zurück und sagt: »Das verstehe ich nicht, darum müßt Ihr mich nicht fragen.« Sein militärischer Kredit ist ihm alles: und diesen hat er freilich höher gebracht, als die meisten seiner Zeitgenossen und Landsleute. Er ist jetzt ein Siebziger mit schneeweißem Haupt: aber jeder Nerv an ihm ist noch Spannkraft. Einige Anekdoten erlauben Sie mir, Ihnen von dem Manne zu erzählen, die zwar nicht groß, aber doch charakteristisch genug sind und gar nicht den Gefühllosen bezeichnen, für den man ihn unglücklicherweise gehalten hat.

Ein vornehmer Kosakenoffizier hatte in Warschau ein polnisches Mädchen mit Gewalt in sein Quartier holen lassen. Mag das Mädchen Vestalin gewesen sein oder nicht, tut nichts zur Sache; sie war wenigstens keine öffentliche Person einer gewissen Klasse, gegen die man einem Kosaken allenfalls diesen Streich hätte verzeihen können. Sie fand Gelegenheit, auf öffentlicher Parade dem Feldmarschall ein Papier zu übergeben und um Genugtuung für die schimpfliche Gewalttätigkeit zu bitten. Alle Polinnen haben viel Grazie und verstehen dadurch im Betragen zu wirken. Das Mädchen war schön; denn sonst hätte sie der Kosak nicht zur Beute gemacht. Sie sprach rührend und weinte. Der alte Suworow hob sie auf, geriet bei dem Vortrag der schändlichen Geschichte in Heftigkeit und weinte selbst, halb aus Teilnahme, halb aus Zorn, auf dem öffentlichen Platze vor den litauischen Kasernen. Er rief den Gouverneur General Buxhoevden, der während seines Gouvernements die Zufriedenheit der Warschauer Bürgerschaft sich wenig erworben hat, und sprach sehr heftig mit ihm. »Mein Herr, welche unerhörten Dinge gehen hier unter Ihren Augen und fast unter den meinigen vor, die man mir dann vielleicht alle zur Last legt? Kennen Sie Ihre Pflicht nicht, für die öffentliche Sicherheit und Ruhe zu wachen? Was soll aus der Disziplin werden, wenn der Soldat solche Beispiele sieht und hört?« Er drohte ihm, sobald wieder die geringste Unordnung durch seine Schuld vorfallen würde, wolle er ihn nach Petersburg schicken und an die Monarchin rapportieren. Die Hamburger Zeitungen sangen oft ein großes Lob des Generals Buxhoevden, und die Warschauer lasen es mit tränenden Augen und durften es nicht wagen zu widersprechen. Die Hamburger müssen für oder ohne Gratial sehr viel in ihre Blätter rücken; sie sollten billig etwas prüfen, aus welcher Quelle die Nachrichten fließen. Wer damals in Warschau war und gesunde Augen und Ohren hatte, den konnten die kläglichen Litaneien der armen Einwohner und ihre betreffenden Bemerkungen, die sie so laut machten, als es die Umstände erlaubten, nicht entgehen.

Die zweite Anekdote, Suworow betreffend, ist etwas älter, und ich habe sie aus dem Munde des verstorbenen Hauptmanns von Blankenburg, eines Mannes, der für die Geschichte seiner Zeit viel Wichtiges hätte liefern können und vielleicht geliefert haben würde, wenn ihn nicht der Tod übereilt hätte. Suworow war im Siebenjährigen Kriege, wenn ich nicht irre, noch als Major, mit den russischen Truppen in Deutschland. Die Kosaken hatten bei dem Berliner Überfalle einen jungen schönen Knaben aus der Residenz mit sich fortgeschleppt, weil sie ihn vermutlich für den Sohn eines vornehmen Mannes gehalten hatten. Der Knabe weinte und konnte die wilden Leute weder verstehen, noch sich ihnen verständlich machen. Suworow fand ihn bei den Kosaken, sprach freundlich mit ihm, nahm ihn sogleich zu sich und hielt ihn, so gut er ihn im Felde halten konnte. Der Knabe wußte so eben noch den Namen seiner Mutter zu sagen und die Straße zu nennen, wo sie wohnte. Während der übrigen Zeit des Feldzugs sprach er ihm Geduld zu; sobald er aber ins Quartier gerückt war, schrieb er aus der Gegend von Königsberg nach Berlin der Witwe ungefähr folgenden Brief: »Liebes Mütterchen! Ihr kleiner Sohn ist bei mir in Sicherheit. Wenn Sie ihn mir lassen wollen, so soll es ihm an nichts fehlen. Ich will für ihn sorgen, und er soll wie mein Sohn sein. Wollen Sie ihn aber zurück haben, so können Sie ihn hier abholen oder mir schreiben, wohin ich ihn schicken soll. Ich bin ganz unschuldig, daß die bösen Kosaken ihn mitgenommen haben.« Herr von Blankenburg versicherte mich, er habe selbst das Billet gelesen, und es ist schon ganz in dem gutherzigen, etwas barocken Ton des nachmaligen Suworow geschrieben. Es muß der jetzige Feldmarschall sein; denn soviel ich weiß, hat die russische Armee keinen andern Suworow mehr. Und ein solcher Mann sollte ein Wüterich sein, wozu ihn die Lästerung macht? Die ihn näher kennen, versichern, daß er außerordentlich weichherzig sei, welches seinem übrigen Charakter gar nicht widerspricht. Die einzige Ursache der Erscheinung ist vielleicht, daß er alles zu sehr nur auf die höchste Energie des Moments berechnet. Der russische Soldat ist, mehr als irgend ein anderes irdisches Geschöpf, ungebildeter Enthusiast. Gott, der heilige Nikolas, die Kaiserin, oder alles dieses auch wohl in umgekehrter Ordnung, und Sieg sind seine einzigen Gedanken, oder vielmehr nur gedankenähnliche Gefühle: die Türken, seine barbarischen Nachbarn, haben in ihm den Rest der Menschlichkeit, den er vorher vielleicht noch hatte, durch ihre grausame, wütende Art, den Krieg zu führen, noch ausgelöscht, und man macht ihm also den Vorwurf der Grausamkeit nicht ohne Grund. Es gibt selbst unter den Offizieren noch eine Menge, die ungebildet genug sind, in den Ton der Soldaten einzustimmen, oder ihn sogar anzustimmen, um seine Wut noch mehr zu befeuern. Zu meiner nicht geringen Befremdung habe ich wahrgenommen, daß diese Offiziere mehr Deutsche als Russen waren. Nun gehörte ein Mann von Trajans fester Humanität dazu, diese Mixtur von Halbwilden im Zaum zu halten. Suworow hat insofern schuld, daß er seinen Untergebenen nicht genug Menschlichkeit eindringend anempfiehlt und alles nur auf Kraft hinarbeitet, ohne zu erwägen, was unter dem Verstummen der Philanthropie sonst noch zertrümmert wird, was gerettet werden konnte. Aber seinem Charakter selbst kann man den Vorwurf der Grausamkeit mit Recht nicht machen. Seine Eigenheiten, deren er eine Menge hat, gehören nicht hierher. Ob er ein General ist, der Probe gegen jedes Manöver und gegen alle Hilfsmittel der Taktik hält, ist eine Frage, die unentschieden ist und vielleicht unentschieden bleibt. Aber bei welchem General kann man sie gewiß beantworten? Der eine siegt meistens bloß durch die Fehler der andern. Die Welt hat gesehen, was Suworow getan hat. Er wählte überall die zweckmäßigsten Mittel, und man hatte Ursache zu erwarten, er würde sie ferner überall gewählt haben.

 

Suworow hatte einige Zeit bei ihm gestanden, und wir hatten beide sogleich einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus für den alten General, und er rühmte vorzüglich seine Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe nicht ein, was den Wirt in Ayrolles oben am Gotthard bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre angetan hatte, bei ihm zu sein; er zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allgemein bekannt. Ich habe das zweideutige Glück gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und ich suchte doch nur seinen wahren Charakter zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihm zur Last gelegt werden. In Prag hat er zu einem häßlichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist tot, und nun wird zugeschlagen. Ich weiß sehr wohl, daß das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter, mürrischer Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen, und der war er doch gewiß nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein Stempel; und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann, und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuten, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch, noch der österreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Personen gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last gelegt, und er selbst war freilich nicht der Mann; der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen können. Seines Wertes sich bewußt, fest rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten aussahen, war äußerst strenge gegen sich und sodann auch in seinen Forderungen gegen andere und sprach skeptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet und unstreitig nicht so tadelhaft, als sie an der Seine gewesen wäre; aber auch in diesem Stücke verleugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihm ein Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerei gezeigt haben, weggefahren sein, ohne einen Kreuzer zu bezahlen und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Dies ist nun gewiß ein barockes Quidproquo; denn Geiz war so wenig in seinem Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muß auch den Teufel nicht schwärzer machen, als er ist, und ich bin fest überzeugt, daß Suworow durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wüterich war, wenn er auch eine starke Dose, Exzentrizität hatte und mit der Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weißt, daß ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe, und kannst also in meinen Äußerungen nichts als meine ehrliche Meinung finden. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität gegen den Helden des Tages, Bonaparte, der auf seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu Tausenden niederkartätschen ließ.

Hier aber behauptet man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte, nur noch sechstausend Mann über den Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht ebenso fürchterlich gegen die Franzosen ausgefallen wie nun gegen die Russen. Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen habe, gestehen das Nämliche ein und sagen, bloß die Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen Manövers am Unterrhein ging, sei die Ursache ihres Glücks gewesen, und sie bekennen, daß sie im ganzen Kriege meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben. Hier in Zürich habe ich rundumher mich nach dem Betragen der Russen erkundigt, und man gibt ihnen überall das Zeugnis einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als abscheulich geschildert hat. Man beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg zu führen dem Lande entsetzlich drückend sein muß, da sie selten Magazine bei sich haben und nur zusammentreiben, was möglich ist. Das geht einmal und zweimal, das drittemal muß es gefährlich werden, welches die Schlauköpfe auch sehr wohl wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck. Dieses ist einigen Generalen und Kommissären und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.


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