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Ein nur persönlich freies Volk ist noch weit von der wahren Freiheit entfernt. Nichts ist leichter, als die Wohltätigkeit einer vernünftigen Freiheit zu beweisen, und jede Freiheit ist vernünftig, oder sie verdient nicht mehr diesen edlen Namen. Wo die Sklaverei nur an einem einzigen Menschen gesetzlich bleibt, ist der Staat auf einen Widerspruch gebaut und muß früher oder später sich verbessern oder zugrunde gehen. Dieses war die Krankheit der alten Staaten, die so viel von Freiheit schwärmten. Die kommenden Jahrhunderte werden lehren, ob die neuern durch den Irrtum der ältern weiser geworden sind. Gemäßigte kirchliche und politische Freiheit ist die sicherste Stütze eines jeden Throns und der sicherste Grund zum Wohlsein des Volks. Man sehe rundumher in der Geschichte, um sich von dieser Wahrheit zu überzeugen! Der Druck eines großen allgewaltigen Despoten ist noch nicht so schwer als der Druck von tausend kleinern, die unter die Fittiche des Großen sich verbergen. Rußland hat nicht den vierten Teil der intensiven Kraft, die es haben könnte, wenn seine Einwohner freie Leute wären. Man nehme Deutschland unter Friedrich dem Dritten und jetzt – und man hat die Vergleichung. Es ist unmöglich, daß Gerechtigkeit wohne, unmöglich, daß Kunstfleiß gedeihe, unmöglich, daß allgemeine Wohlhabenheit ihren Sitz aufschlage, wo der größte Teil der Lebenden keine Person hat. Wer will mit Lust bloß für andere pflanzen, für andere arbeiten, für andere bauen? Kein Sklave tut mehr, als er muß, und er wäre ein Tor, wenn er mehr täte. Denn wo ist Sicherheit, daß der Genuß seiner Arbeit für ihn sei? Man nehme ferner: wo die Freiheit Wurzel schlägt, breitet sie sich aus, wie jedes gute Gewächs der Natur, und die Sklaverei gedeiht, wie jedes Unkraut. Wo der Kern der Nation Sklave ist, kann und wird keiner für seine Freiheit Sicherheit haben, der nicht in die Kaste der Unterdrücker tritt. – – In einem despotischen Staat ist auch der Fürst als Staatsglied rechtlich ebensowenig etwas als der letzte Sklav: aber desto schlimmer, daß eine Null die andere so sehr das Gewicht ihrer Nullität auf einer andern Seite fühlen läßt. Nirgends kann eine öffentliche Wohlfahrt auf einige Sicherheit rechnen, als wo Rechte und Pflichten in ein vernünftiges Verhältnis treten: und nirgends kann dieses Verhältnis stattfinden, wo der Begriff der Sklaverei noch am Throne geduldet wird. Katharina die Zweite hat zwar schon das Wort verbannt, aber der Adel hat sich die Sache nicht nehmen lassen, non missura cutem. –
Peter der Erste war der Schöpfer der Nation; seine Nachfolger haben sie am Gängelbande geleitet; Katharina die Zweite unternahm es, ihre Erzieherin zu werden. Peter baute seinen Staat militärisch und ging militärisch zu Werke mit seiner ganzen Schöpfung. Sein Zeitalter und seine Lage rechtfertigte ihn. »Il travailloit sur sa nation, comme l'eau forte sur le fer«, sagte von ihm Friedrich der Zweite, der seinen Charakter durchdacht hatte. Katharina, ohne Peters System zu verlassen, weil eine Nation ohne einen festen Kriegsfuß immer sehr unsicher steht, suchte ihm Humanität zu geben. Man könnte Bücher schreiben, um alles zu schildern und auseinanderzusetzen, was sie zum Besten ihrer Untertanen in dieser Rücksicht entworfen, unternommen und teils ausgeführt hat. Es ist aber nicht das Werk eines Menschenalters, noch halbwilde Nationen zur Kultur heraufzuführen. Peter der Erste hatte den Anfang gemacht; aber er bildete nur Soldaten und legte zum Grunde der übrigen Nationbildung die Akademie in Petersburg an, aus welcher nach und nach gute und nützliche Anlagen für das Reich hervorgehen sollten. Seit seinem Tode, bis auf die Regierung Katharinas der Zweiten, war für die innere bessere Ordnung des Reichs sehr wenig getan worden. Die Regierungen waren teils zu kurz, teils zu unruhig, oder man beschäftigte sich zu sehr mit dem wichtigen asiatischen Pomp, um an die Kleinigkeit der Nationalerziehung weiter zu denken. Katharina fing an die Pläne Peters des Ersten, soviel ihr möglich war, fortzusetzen. Peter der Erste erbaute die Häuser, sagt ein Minister Katharinens, dessen Charakter nicht Schmeichelei zu sein scheint, Katharina setzte die Menschen hinein.
Die Kaiserin Katharina die Zweite scheint völlig überzeugt gewesen zu sein, daß nur Freiheit den Flor eines Staats gründen und befestigen könne, daß nur Freiheit und gesetzliche unumstößliche Gewißheit der Besitzungen für alle allgemeine Industrie schaffen, heben und erhalten kann, und mit diesen Gedanken des Wohlwollens für alle ihre Untertanen und das ganze Menschengeschlecht trat sie ihre Regierung an und nahm ihre ersten Maßregeln. Es ist in der Geschichte ein sonderbares Phänomen, da das Palladium der Freiheit vorzüglich unter den nordischen Völkern gesucht werden mußte, daß die Russen, als eines der angesehensten derselben, bei ihrem großen politischen Gewicht, seit langer Zeit in der tiefsten Personalsklaverei lebten. Wenn es von jeher so gewesen wäre, würde man nicht wissen, wie man es nur erklären sollte. Aber das war es nicht; auch die Russen waren frei, wie ihre übrigen nordischen Brüder. Erst unter Iwan Wasilewitsch, in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, verloren die russischen Bauern das große heilige Recht der Personalfreiheit nur nach und nach, und unstreitig sah der große Monarch nicht, welches Unheil durch Mißbrauch mit der Zeit aus seinem Gesetze erwachsen würde. Um den Auswanderungen zuvorzukommen, welche während der kasanischen und astrachanischen Kriege und einer daraus entstehenden Hungersnot außerordentlich stark wurden, verbot dieser Zar, daß kein Bauer sich von seinem Hofe und Herde entfernen sollte. Eine temporäre Vorsicht machte bald der Kastengeist zum eisernen Gesetz. Mit der Zeit machte die Raubgier und die Gewinnsucht daraus Glebäadskripten und zuletzt gar Leibeigene und Sklaven, obgleich das letztere die russischen Bauern nie gesetzlich gewesen sind. Unter Peter dem Ersten fing man an das unrecht aufgeworfene Joch etwas zu erleichtern. Unter seinen Nachfolgern fragte man weniger als jemals nach dem Schicksal der niedern Volksklassen, und es war also härter als jemals: denn wo die Regierung nicht streng auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit sieht, ist man gewiß, daß die kleine Tyrannei mit allen Arten der Unterdrückung geißelt. Die Geschichte der estländischen, livländischen und kurländischen Bauern liegt in der Geschichte des deutschen Ordens: einer Geschichte, die der deutschen Nation auch nicht sehr zur Ehre gereicht. Katharina die Zweite fing wieder an sich der armen unterdrückten Menschenklasse anzunehmen, wovon so viele Stellen in ihren Verordnungen und ganze Gesetze zu ihrem Vorteil Zeugen sind. Daß die Regierungsgrundsätze auf Freiheit und Liberalität beruhten, beweist dieses, daß sie im Anfange gänzliche Pressefreiheit gab, und daß bloß Verfasser und Drucker für die etwaige Übertretung der Landesgesetze verantwortlich sein sollten. Der Mißbrauch zog die Einschränkung nach sich, und das Polizeiamt erhielt die Zensur, so daß dann freilich das Schicksal der Papiere von der großem oder geringem Liberalität der Polizei abhing, von deren Offizieren man sich nicht immer viel Gutes in dieser Rücksicht versprechen durfte. Man versichert, daß die Monarchin mehrere Jahre ernstlich damit beschäftigt gewesen sei, in ihrem ganzen Reiche, zum Vorteil aller Arten von Industrie, eine allgemeine Personalfreiheit einzuführen. Konnte irgend ein Regent so etwas durchsetzen, so war es die Kaiserin Katharina die Zweite, an welcher schon seit dem ersten Türkenkriege die ganze Nation mit Enthusiasmus und uneingeschränktem Zutrauen zu hängen anfing. Sie sah gewiß alle Vorteile einer solchen Wohltat, vorzüglich für die Betriebsamkeit des gemeinen Lebens, und am Ende bleibt denn doch immer der Landmann eigentlich die Seele des Staats. Solange keine feste gesetzliche Gewißheit der Besitzung für ihn ist, gewinnt sein Fleiß nie einen festen, sichern Punkt. Welcher Bauer wird sich ein gutes bequemes Haus bauen, wenn er nicht ganz sicher ist, daß er und seine Kinder darin wohnen werden, und daß sie keine Gewalt, kein Gutdünken, keine Schikane irgend eines großen oder kleinen Tyrannen daraus vertreiben kann? Wie wird er einen Baum pflanzen, unter dessen Schatten er nicht seine Enkel schaukeln, oder dessen Früchte er und seine Söhne nicht sicher zu pflücken hoffen dürfen? Recht und Gesetz war es niemals; aber irgend ein Vorwand, den sein Gewaltiger bald fand, versetzte ihn aus seinem Tempel in die Wüste Bersaba, die er zu einem zweiten Tempel schuf, um sodann in ein zweites Bersaba versetzt zu werden. Man gebe dem Menschen alle prekären Vorteile, die man ersinnen kann, man gibt ihm nicht so viel Mut zu Unternehmungen, als wenn man ihm ein einziges Recht sichert. Ich rede von ganzen Volksklassen und nicht von Individuen. Die Kaiserin, welche dieses und die Geschichte des Menschengeschlechts und ihres Reichs sehr wohl wußte, wollte dem Menschen geben, was ihm gehört, als die schreckliche Revolte Pugatschews dazwischentrat. Der Schritt wäre an und für sich selbst in ihrer Lage etwas gewagt gewesen. Man kann sich vorstellen, daß, wenn sie ihr Ministerium fragte, manche Herren manche Bedenklichkeiten mancher Art hatten, von denen sie gewiß nicht immer den wahren Grund angaben. Der Aufruhr des Pugatschew gab den feineren Widersachern Gelegenheit, ihr vorzustellen, welche Folgen wahrscheinlich aus ihrem Schritte entspringen würden. Hunderttausende kamen in dem Aufruhr um, und die schaudervolle Szene schreckte die Kaiserin von ihren menschenfreundlichen, wohlgemeinten Maßregeln zurück. Raynal, der verehrungswürdige Advokat der Freiheit und des Menschengeschlechts, sah, wenn er von Rußland sprach, doch wohl manches durch das Vergrößerungsglas seines philanthropischen Zorns. Er setzt die Klasse der Freien in Rußland auf sehr wenige herab, da doch bekanntlich von jeher alle Bürger in allen kaiserlichen Städten freie Leute waren, die unter Leitung des Gouvernements mit ihrer Personalität anfangen konnten, was sie wollten. Da Katharina die Zweite ihr Projekt der allgemeinen Personalfreiheit nicht durchsetzen konnte, so suchte sie wenigstens diese Klasse so sehr als möglich zu erweitern. Sie vermehrte die Anzahl der kaiserlichen Städte, um allen Menschen vielen Spielraum zur Industrie zu geben. Alle verabschiedeten Soldaten mit ihrer Deszendenz sind freie Leute und können im ganzen Reiche sodann vornehmen, was sie wollen. Es wird in Personalprozessen nach der römischen Rechtsregel immer auch in favorem libertatis gesprochen. Freilich wird nie der Kern der Nation, die Bauern, sich zu wahren Menschen erheben, solange man sie noch in so eisernen Schranken hält. Daß manche Kronbauern unter guter Verwaltung und die Bauern mehrerer reichen und humanen Privatleute durch zufällige Vorteile sich sehr vorteilhaft auszeichnen und ungewöhnlich wohlhabend sind, daraus folgt nichts gegen den Satz; sondern er wird vielmehr dadurch bewiesen, indem daraus erhellt, wie herrlich alles sein würde, wenn alle das als Recht genössen, was man einem Teil aus Gnade gibt. Der Edelmann würde durch diese Veränderung nichts verlieren, oder vielleicht in den ersten Jahren nur etwas, und in den folgenden desto mehr gewinnen. Und gesetzt, er verlöre dadurch, so ist das, was er verlieren würde, dasjenige, was er mit Unrecht, selbst gegen die Gesetze des Staats, in Beschlag genommen hat. Die deutschen Bauern leisten mehr, wenn man alle ihre Obliegenheiten nimmt, als die russischen gesetzlich leisten sollen. Der Deutsche hat nicht mehr Kraft, sondern nur mehr Mut und Betriebsamkeit, weil er mehr Sicherheit hat, und sodann finden die russischen Edelleute in allen Gouvernements nur zu viel Mittel, die Grenzen ihrer Forderungen widerrechtlich auszudehnen.