Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Über die Russen

Ich hatte den Vorteil, in einer nicht üblen, ziemlich wohlhabenden Gegend die Landleute an ihrem Pfingstfeste zu sehen. Alles war Frohsinn, Heiterkeit und Jubel bis zum Übermaß, und die russische Lebendigkeit war hier recht in ihrem eigentlichen Spiel. Aber nirgends habe ich Unsittlichkeit und Ungezogenheit gesehen, wenn ich einige nicht sehr feine Landflüche ausnehme. Die Kleidung war sehr reinlich und leicht und geschmackvoll und nicht selten ziemlich kostbar. Es ist unstreitig kein Anzug unbequemer und geschmackloser als die Kleidung der Frauen auf dem Lande in den meisten Provinzen Deutschlands. Die jungen Kerle schritten alle wohlgekleidet und genährt in dem stolzen Gefühl ihrer Kraft einher, als ob sie, wenn's nötig wäre, sogleich eine Batterie nehmen wollten. Das ist freilich ein Menschengeschlecht, mit welchem Peter Narwa durch Poltawa gutmachen konnte. Man trifft sie selten in andern Ländern so lebendig und mutig und kraftvoll. Alles überließ sich der natürlichen Freude, und die Nationalsünde des Trinkens ward noch etwas merklicher als gewöhnlich, aber ohne die bösen Wirkungen, die man sonst fürchtet. Ich habe weder Schlägerei gesehen, noch Zank gehört. In Podborre führten zwei junge Burschen einen alten Graubart, der seiner Füße nicht mehr ganz mächtig war, freundlich nach Hause. »Aber, Väterchen, heute seid Ihr doch auch betrunken«, sagte einer der jungen Leute recht gutmütig, als ob er froh wäre, dem alten Schulmeister etwas zu geben, es aber doch sehr sanft machen wollte. »Ich betrunken, Brüderchen?« sah ihn der Alte gar silenisch an, indem er sich auf den andern Kameraden stützte und den langen Bart strich: »Ich bin nicht betrunken, Brüderchen.« »Aber Ihr könnt ja nicht gehen, Väterchen.« »Nicht gehen, Brüderchen? Siehst du, heute ist ein großer Festtag; da kann man ein bißchen torkeln: aber betrunken bin ich nicht.« So torkelte denn auch das Kleeblättchen zur großen Belustigung der übrigen jovialisch weiter.

Es ist eine Wohltat, wieder unter Menschen zu sein, die den Mut haben, sich als Menschen zu fühlen. Die Dörfer sind hier zwar alle von Holz gebaut, aber schön und groß, und man darf sagen, sehr freundlich und Wohlhabenheit zeigend. Die Giebel stehen meistens nach der Straße, und die Fenster sind hell; die Schößchen fast alle geschnitzt und bunt gemalt; das Dach zum Schutz gegen das Wetter traulich hervorstehend. Ich habe mehrere Bauernhäuser gesehen, die, quer gezogen, acht schöne Fenster in einer Reihe hatten, die Hälfte mit weißen Vorhängen. Die meisten haben ein Stock hoch einen freundlichen Altan, der der ganzen Front ein heiteres, schmuckes Ansehen gibt. Auf einigen dieser Altane habe ich die Büste des jetzigen Kaisers und seiner Gemahlin stehen sehen.

Jaschelbiza liegt schon ziemlich hoch, und nun geht es immer aufwärts bis nach Simogore oder Winterberg bei Waldai, in den davon genannten Gebirgen. Die Waldaischen Gebirge sind der bewohnteste Landstrich zwischen Petersburg und Moskau. Man hatte mir Böses von der Gegend gesagt, und ich habe Gutes gefunden. Gleich am Fuße bewillkommten mich Rohrsperlinge, Schnarrwachteln und Nachtigallen, und ich muß bekennen, daß das trauliche Tongemische vaterländischer Vögel, die ich bis jetzt nur selten gehört hatte, es mir sogleich etwas heimisch machte. Auch fand sich hier überall gutes Wasser, welches sich von Petersburg aus nicht gefunden hatte. Oben war es freilich kälter; aber die Dörfer waren nach allen Seiten zahlreich und nicht ganz schlecht. Ich kann mich einiger Punkte erinnern, wo ich acht Dörfer sah, welches in Rußland noch nie der Fall gewesen war. Die Mädchen in Waldai gelten für die besten russischen Hetären; vielleicht weil dort Mönche sind. Ich habe keine Unsittlichkeit wahrgenommen, aber auch eben keine vorzügliche Schönheit an den Frauen gesehen. Mir tat am meisten wohl die Humanität meines Fuhrmanns, der ein Nachbar aus Simogore war. Es war eine kalte, schneidende Morgenluft; der Name sagt schon genug, Winterberg; etwas höher als unser vaterländischer bei Dresden. Ich hatte nichts als mein gewöhnliches Kleidchen, weil ich der Wärme in Dorpat zu viel getraut hatte. Ich sagte stolz keine Silbe und hauchte, so stark ich konnte; aber mein guter Russe von Simogore, der mich und die Luft gehörig taxierte, brachte mir reichlich Stroh. und einen großen warmen neuen Schafpelz. Der Mann machte durch seine freie Freundlichkeit meine Seele von innen ebenso warm als meinen Körper von außen: und wir fuhren neben einigen Seen hin rasch nach Jedrowa hinunter.

Von Krestzy bis Simogore und weiter hin sind eine Menge kleiner kegelförmiger Berge, wie man sie auch hier und da in Deutschland findet. Sie sind augenscheinlich von Menschenhänden aufgeführt, und die Eingeborenen sagen davon nur: es liegen darunter die alten großen Leute. Sie sind also bei den Russen ungefähr das, was unsere sogenannten Hünengräber sind, wahrscheinlich die Grabmonumente irgend eines einzelnen Heerführers oder mehrerer Krieger, die zusammen in einer Schlacht blieben. Auch in neuern Zeiten hat man zuweilen bei Schlachten die Gewohnheit gehabt, auf diese Weise zu begraben.

In Rußland reist man immer nur mit Papier und Kupfer. So bequem das erste ist, so lästig ist das andere, zumal für jemand, der nicht immer die genaueste Aufmerksamkeit hat. Ich hatte in Krestzy eine Note von fünfundzwanzig wechseln lassen und bekam dadurch auch einen schweren Sack mit elf Rubeln Kupfer. Meine Telege war nur mit Bastdecken ausgeschlagen, und darüber war Stroh gelegt. Der Postillon hatte mit meiner Erlaubnis einen alten Kerl von Petersburg und ein junges Mädchen von Torschok mit aufgepflanzt. Es ging halsbrechend fort, und als ich auf der folgenden Station bezahlen wollte, war der große Beutel mit dem Kupfer weg. Ich war anfangs etwas grämlich und hatte einigen Verdacht auf meine Gesellschaft; als ich aber das große Loch unten in der Bastdecke fand, das mein wichtiger Mammon geschlagen hatte, und die Ehrlichkeit meiner Gefährten gerettet sah, war ich schon zufrieden und lachte herzlich über den Unfall, der so eigen und nicht größer war: und die Leute staunten mich sonderbar an, daß ich mit meinem Tornister über ein solches Unglück scherzen konnte. So etwas läßt sich wohl noch weglachen, und der Postkerl bekam nach dem Schelten über die schlechte Telege fünf Kopeken Trinkgeld mehr.

In Wydropusk hatte ich einen kleinen Verlust, der mir viel Vergnügen machte. Ich habe ein ganz artiges, gut gearbeitetes Petschaft, von Döll in Karniol gestochen, das mich mit der Fassung dreißig Taler sächsisch kostet. Dieses hatte sich vom Uhrbande losgedreht, und ich hatte es im Troge des Wagens verloren. Es war natürlich, daß mir der Verlust wegen des Metallwerts und der Kunstliebhaberei nicht ganz gleichgültig sein konnte. Ich durchsuchte alles und fand nichts. Eine Menge lustige, dienstfertige Russen standen, wie gewöhnlich, um mich herum. Ich gebe zwei silberne Rubel, wenn mir jemand das Petschaft wieder findet, sagte ich, und ging in das Posthaus. Die Bärte lärmten und suchten und störten und wendeten alles um, erhoben endlich ein Jubelgeschrei und kamen mit dem Petschaft herein und nahmen ihre zwei Silberrubel in Empfang. Ich weiß wohl, daß man psychologisch noch manches gegen ihre vollendete Ehrlichkeit sagen könnte; aber mir gefiel es unendlich, und ich fühle mich bei dergleichen Gelegenheiten unter den Leuten so heimisch, als ob ich sogleich bei ihnen bleiben sollte. Doppelt angenehm war es, daß es eben ganz gemeine Russen waren, deren Ehrlichkeit man sonst nicht den besten Panegryikus zu halten pflegt.


 << zurück weiter >>