Johann Gabriel Seidl
Die Schweden vor Olmütz
Johann Gabriel Seidl

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5.

Die Anker auf! Stecht in die See! Glück zu!
Doch mir ist bang dabei, verzeih mir's Gott!
Ben. Johnson.

Die Nacht war rabenfinster, mondlos starrte der Himmel herab, und nur hier und da blickte durch zerrissene Wolken ein Stern. Nur einzelne Schüsse, gleichsam Nachzügler des ziemlich starken Kugeldetachements, welches die Schweden den ganzen Nachmittag über nach Olmütz gesendet hatten, erleuchteten das Dunkel, und zahlreiche Wachfeuer zeigten, wie weit im Umkreise das Heer der Belagerer sich ausbreitete. Alles war im Kloster still geworden; die Anstrengungen des Tages hatten Müdigkeit und Schlummer bewirkt, und der günstige Augenblick zur Flucht schien gekommen.

Da schlich sich Paulin aus seiner Kammer, nachdem er sich unter Beihilfe des wackeren Kellermeisters, so gut es in der Eile ging, mit Proviant und selbst mit Waffen versehen, steckte den Kellerschlüssel zu sich, den er schon am Abende mit der Weisung erhalten hatte, ihn zu behalten und hinter sich von innen abzuschließen, indem noch ein zweiter vorhanden wäre, und eilte so leise, als ob er die Schuhe mit Filz besohlt hätte, mit einer Blendlaterne unter dem Mantel, zu Eleonoras Gemach.

Er fand sie gefaßt und gerüstet zur gefahrvollen Reise, und nach einem kurzen, aber herzlichen Gebete stiegen sie vorsichtig und langsam die Treppen hinab. Unbemerkt an der Schlafzelle manches Schwedenhauptmanns vorüber, gelangten sie zur Kellerpforte, welche Paulin ebenso schnell wieder hinter sich abgeschlossen als geöffnet hatte. So war jeder Verdacht von den armen Klosterbewohnern entfernt, denen Torstensohn dieses Werk der Barmherzigkeit gewiß übel vergolten hätte.

Schauerlich hallte der Fußtritt durch den feuchten, halbleeren Keller, von dessen Wänden einzelne Tropfen eintönig herabsickerten. In der Ecke lag das bezeichnete Faß. Mit Mühe zwängte sich der Vogt hinter demselben zur Mauer durch und schob das Brett zurück, welches, wie zufällig hingelehnt, nichts weniger als einen Ausgang ins Freie vermuten ließ. Fröstelnd folgte Eleonora ihrem Führer, welcher selbst, nur der mündlichen Weisung des Kellermeisters gedenk, mühsam durch den schmalen Gang sich fortwand. Wie Kristalle funkelte der Salpeterreif in den Ritzen des bröckelnden Gemäuers; aufgeschreckte Molche huschten über den Weg, und wie Erdbebenstöße dröhnten die einzelnen Mörserschüsse von außen im Innern des schauerlichen Gewölbes wieder. Schwere Stickluft hemmte den Atem und verkleinerte das Licht der Laterne zum blaßroten Funken; an manchen Stellen mußten sie fast am Boden hinkriechen; an manchen wünschte der Vogt sich zerteilen zu können, aber der Drang der Gefahr half überall aus. Plötzlich senkte sich der Gang steil über stufenähnliche Vorsprünge abwärts, und eben seufzte Paulin bänglich auf, als frischere Luft ihnen entgegenwehte, und ein nahes Rieseln an ihr Ohr schlug.

»Gott sei Dank!« rief der Vogt, »wir sind im Freien, das ist das Bächlein hinter dem Klostergarten; der Herr verläßt die Seinen nicht!«

Tief aufatmend standen sie unter Gottes Himmel, und tröstend schimmerte ihnen ein Stern aus stockigem Gewölke entgegen. Sie hatten das Hauptquartier samt seinen Wachposten im Rücken. Nur etwa hundert Schritte weit loderte das äußerste Feuer, an welchem ein schwedischer Soldat stand. Ängstlich schrak Eleonora zusammen, als sie seiner ansichtig wurde.

»Tut nichts!« beruhigte sie ihr Führer, »sehen wird er uns, das weiß ich, denn die Kerle haben Luchsaugen, aber auch dafür ist gesorgt. Ich habe das Losungswort ausgekundschaftet!«

»Losung!« rief der Soldat, als eben Paulin mit seiner Begleitung über das Bächlein setzte. »Seeblat!« entgegnete der Vogt mit fester Stimme. »Vorbei!« brummte der Soldat beruhigt, seine Büchse absetzend, aus Achtung vor Torstensohns altem Familiennamen, welcher für den Tag Parole war. Auf dem nächsten Hügel besah sich Paulin, so gut man es bei Nacht kann, das Terrain, um den weiteren Operations-Plan zu entwerfen. Nach Olmütz zu gelangen war unmöglich. Auf der Südseite, als dem einzigen Höhenpunkte, von welchem aus man die Stadt bestreichen konnte, standen die feindlichen Batterien. Nordwärts breitete sich das Lager mit seinen gegen die beiden Flügel weit hinausgeschobenen Wachfeuern aus. Zudem war die Nacht zu finster, um der Richtung gewiß sein zu können. Es blieb ihnen also nichts übrig, als dem nahen Walde zuzueilen, um in seinem Dickicht den Morgen abzuwarten. Kaum hatten sie sein undurchdringliches Obdach erreicht und einen hohlen Baum zu ihrem Zufluchtsorte gewählt, als das Glöcklein des Klosters anschlug.

»Da hat man's!« rief der Vogt, »was gilt's, die haben unsere Flucht bereits bemerkt und machen sich die vergebliche Unterhaltung, uns zu suchen. Ja, die wird ihnen wohl ein Rätsel bleiben, zu welchem ich allein hier den Schlüssel habe, den ich diesem Baume als Pfand meines Dankes zurücklassen will! Fort aber müssen wir jetzt gute Frau, fort, solang Euch die Beine tragen! Zum Glücke kenne ich mich hier im Walde gut aus. Hab' als Studiosus manchem Hasen bei diesem Baume das Lebenslichtlein ausgeblasen Ich will statt des Kerzleins mein Gedächtnis in die Laterne stecken!«

Ohne zu rasten eilten sie fort durch den Wald und mochten wohl manche Stunde bereits im Dunkel der Nacht zurückgelegt haben.

Endlich graute der Tag; ein kleines Viertelstündchen wanderten sie noch weiter, als ein näher und näher polterndes Geroll an ihr Ohr schlug. Erschrocken sprangen sie hinter einen Baum, aber zu ihrer großen Freude war es niemand anderer, als ein argloser Wallache, welcher mit leerem Fuhrwerke wohlgemut durch den Wald fuhr.

»Wohin, Freund!« rief ihm der Vogt in slawischer Sprache zu, »vielleicht haben wir einen Weg?«

»Nach Messeritsch!« antwortete der Fuhrmann in seiner Mundart.

Paulin, sonst eben kein Schwärmer, hielt sich nur mit Mühe zurück, den schlichten Gebirgsbewohner vom Wagen zu reißen, um ihn ans Herz zu drücken. Eleonora bemerkte diese Aufwallung gar wohl und schöpfte neue Hoffnung.

»Nimm uns mit!« sprach der Vogt zum Wallachen, welcher freundlich den breiten Hut rückte, »wir sind Flüchtlinge; führ uns bis an den Fuß deiner Berge! du sollst es nicht umsonst tun; mein Säbel oder mein Rosenkranz sei dein Lohn! Was du lieber willst.«

Lächelnd blickte der Bauer auf den elfenbeinernen, mit Silber eingelegten Rosenkranz und bemerkte ganz aufrichtig: »Den Rosenkranz trag' ich im Herzen; den Säbel, glaub' ich, dürfen wir bald besser brauchen können!«

Der Handel war bald geschlossen, und der günstigen Gelegenheit froh, rollten sie den Bergen zu, welche sich von der Ostgrenze Mährens gegen Ungarn zu weit ins Land hereinverzweigen.

»Dort,« sprach der greise Vogt, »bietet jede Sennhütte uns ein Asyl dar, und wir können mindestens sicher abwarten, was da kommen werde.« Eleonora fügte sich mit christlicher Ergebung in alles.

Was sie am Wege von ihrem Fuhrmanne erforschten, war so viel, daß er eine Ladung Käse nach Olmütz an den Kaufmann Schmidt zu liefern hätte, welcher überhaupt große Bestellungen auf Lebensmittel aller Art im Gebirge gemacht hatte, um, falls der Feind die Stadt überkäme, damit seinen Gewinn zu suchen. Diesmal seien aber die Schweden Vorkäufer, und zu seiner großen Verwunderung, redliche Zahler gewesen. Überhaupt wäre es das beste, wenn man ihnen ein freundliches Gesicht zeigte, sonst käme noch Not und Jammer übers Land.

Nachdem sie längs der Beczwa den ganzen Tag über fortgerollt, kamen sie am Fuße des Gebirges an, dessen Wälder, Alpenweiden und Sennhütten ihnen zur Herberge dienen sollten. Hier nahmen sie von ihrem Fuhrmann Abschied, welchem der Vogt seinen Säbel zum Lohne gab, und schlugen, der Weisung folgend, die sie von jenem Sohne dieser Höhen erhalten hatten, den nächsten Gebirgspfad ein. Sie waren nicht lange gestiegen, als sie in ein Kesseltal hinabblickten, dessen Mitte eine jener einfachen Hütten einnahm, welche man in dieser Gegend Sallaschen nennt. Schon zeigte sich allenthalben die Spur veränderter Kultur und Gesittung. In diesen riesig hohen Gebirgen mit ihren Tälern und Vorhügeln wohnte, gleich den Hirtenvölkern der Schweiz und Tirols, jener durch Tracht und Lebensart, Sprache und Charakter verschiedene Nachwuchs der altslawischen Einwohner, die Gewohnheiten, Tugenden und Fehler seiner Väter bewahrend. Abgehärtet, tätig, genügsam, gingen sie ihrer Beschäftigung nach, weilten im Sommer auf den Bergtriften mit ihren Herden, bereiteten Käse, verfertigten allerlei künstliches Geräte und würzten sich ihre Festtage durch Spiel, Gesang und Tanz.

Mutvoll und treu, gastlich und teilnehmend wußten sie den Fremdling, der sich in ihren Schutz begab, ebenso tapfer zu verteidigen, als sie ihn mitleidvoll aufnahmen. Dagegen war ihre Leidenschaftlichkeit leicht gereizt, und nach Umständen nicht minder wild als sanft, neigten sie sich gewöhnlich, von einem Äußersten zum andern überspringend, zur Meinung dessen hin, der ihrer regen Einbildungskraft am beredtesten beizukommen wußte.

Paulin bat jetzt seine Begleiterin, des längern Marsches nicht überdrüssig zu werden und der entlegenen Höhe zuzupilgern, wo sich die ursprüngliche Sittenreinheit und natürliche Einfalt gewiß noch freier vom Meinungskampfe erhalten hätte. Eleonora billigte seinen Vorschlag ohne Widerrede, und gestärkt durch eine kurze Ruhe traten sie ihre Wanderung von neuem an.


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