Johann Gabriel Seidl
Die Schweden vor Olmütz
Johann Gabriel Seidl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Ist dies nicht etwas mehr als Einbildung?
Was haltet ihr davon?
Shakespeare.

Die Botschaft, welche der Bürger Schmidt von seiner Reise mit nach Hause gebracht hatte, blieb nicht ohne ernstliche Nachwirkung. Kaum war der Morgen angebrochen, als man über die Sache reiflicher nachzudenken begann, und allenthalben, wohin sich das Gerücht verbreitet hatte, in die traurigste Besorgnis geriet.

Vor allem aber fanden in Miniatis Hause die ernsthaftesten Beratungen statt. Die öffentlichen Schenken, die Gewölbe der Handelsleute, die Hörsäle der Studierenden waren voll von der Unglücksbotschaft, welche durch einlaufende Nachrichten von verschiedenen Seiten zur unwiderlegbaren Gewißheit erwuchs. Besonders regsam war die Schar der Studenten, welche bereits von Sturm und Ausfall träumte, und nichts bedauerte, als daß der Wallach, dessen Namen wie eine Fabel aus dem Tosen der Vorzeit sich unter den Musensöhnen forterbte, verschollen war, an welchem sie einen Anführer, Ratgeber und Ermunterer gehabt hätten, für welchen sie jetzt umsonst einen würdigen Ersatzmann suchten. Die Stimmung war übrigens unter der Mehrzahl nichts weniger als entmutigend, und allgemein träumte man von Schlappen und Witzigungen, welche der gefürchtete Torstensohn unter den Wällen von Olmütz zur heilsamen Warnung für alle Zukunft erfahren sollte.

Auch auf dem Rathause fand eine sorgsame Beratung statt. Da man des Geistes, der unter der Bürgerschaft herrschte, sicher zu sein glaubte, so beschloß man nach dreistündiger Unterhandlung und Erwägung, die Stadt bis auf den letzten Mann zu verteidigen, der Bürgermeister und seine Räte, die Geistlichkeit, welche damals in der Stadt eine nicht unwichtige Rolle spielte, und sämtliche Bürgerausschüsse stimmten für den hartnäckigsten Widerstand, wozu sich auch der Rektor der Studien, welcher seine jungen Brauseköpfe nur zu gut kannte, vollkommen bereit erklärte.

Anderer Meinung hingegen war Miniati, welcher die Sache von der militärische Seite nahm. Er hatte unter seinem Kommando nicht mehr als achthundert streitbare Männer, darunter größtenteils Italiener und Neugeworbene. Auf die Hilfe freiwilliger Verteidiger ist am wenigsten zu bauen, indem leicht Unordnung, Parteigeist oder Mutlosigkeit einzelner die Kräfte zersplittert, und die Geschichte für hundert Beispiele wackerer Verteidigung und heldenmütiger Ausdauer gewiß ebensoviele gescheiterter Hoffnungen und mißglückter Pläne aufzuweisen hat. So lieb daher der Oberst auch den Minoritenvogt hatte, so kräftig bekämpfte er dessen Vorschläge zur allgemeinen Bewaffnung. Schon wankten einige der angesehenen Vertreter des Bürgerstandes und nannten die Nachgiebigkeit des Kommandanten eine kluge Vorsichtsmaßregel, welcher man sich, dem Drange der Umstände nachgebend, fügen müsse, wie sehr sich auch das Herz der einzelnen Patrioten dagegen sträube. Paulin aber gab nicht nach und wendete seine ganze volkstümliche Beredsamkeit an, um die Gemüter zur standhaften Gegenwehr zu stimmen.

»Wer sich selbst verläßt,« begann er, »den wird der Himmel auch verlassen! Auch die Schweden haben Rücken, auf welche sich auf gut mährisch eine tüchtige Warnung schreiben läßt. Warum sollen wir ihnen so gutwillig unsere Tore öffnen? Mit ihrer Hauptmacht können sie nicht anrücken, und sind wir denn so arm an Verteidigern? Solange unsere achthundert Mann hinreichen, stehen diese auf den Mauern, damit wir im Innern der Stadt uns in den Waffen einüben können. Wenn diese einmal mangeln, da geht es an die Bürger, an die Studenten, die jetzt schon ihre Hieber wetzen und ihre Sackpuffer vom Roste reinigen usf.«

Seine Worte fielen nicht auf dürren Boden; Miniati ward überstürmt und gab, um nicht den Vorwurf der Saumseligkeit auf sich zu laden, zögernd nach. Man traf Anstalten zur Verteidigung, bestimmte die Posten, besserte die Wälle aus, trug Dächer ab und flocht Schanzkörbe, bezeichnete Wohnungen, welche feuerfest waren, zu Magazinen und Lazaretten, sammelte Waffen und Proviant, exerzierte und manövrierte, errichtete Korps und Patrouillen, Reserven und Arbeitskompagnien und betrieb alles, was höchst fördersam gewesen wäre, wenn man einer Belagerung im nächsten Jahre, nicht aber einen Sturm in der nächsten Woche entgegenzusehen gehabt hätte.

Miniati sah dem allem mit ernster, bedenklicher Miene, wie einer fruchtlosen Bemühung, zu und unterstützte werktätig nur dort, wo seine militärische Ehre unmittelbar in Anspruch genommen wurde. Seine Gemahlin, das Mißliche seiner Stellung erkennend, suchte durch ihre rege Teilnahme von allem, wo Frauen in solchen Gelegenheiten helfen und raten können, nach Kräften auszugleichen, und den Ruhm jeder beifällig angenommenen Maßregel ihrem Eheherrn abzutreten. Sie ordnete einen Verein der Bürgerfrauen zur Pflege der Verwundeten und Kranken an; sie gab ihren Schmuck her, um den Arbeitern zuzulegen; sie sprach, wo sie hinkam, Mut zu und bewies sich in allem und jedem als eine Frau, die nicht minder heldenmütig als klug ist.

Unter solchen Anstalten verging eine Woche, als eines Morgens die Wachen auf den Stadtmauern meldeten, daß schwedische Vorposten sich gezeigt hätten. Es war wirklich so. Langsam schob sich eine Kolonne vor, deren Piketts sich von Vedette zu Vedette erreichen konnten. Da gab es gewaltigen Alarm in der Stadt. Nun galt es Ernst; mit innerm Widerwillen und der festen Überzeugung vom Mißlingen schritt Miniati zur Verteidigung. In aller Eile wurden alle Feuerschlünde, die noch in dem Zeughause standen, auf die Wälle gebracht. Ihr dumpfes Gerassel in den Straßen weckte die Bürger aus dem letzten Traume der Ungläubigkeit, in welchen noch immer versunken, sie das Ganze bisher doch nicht ernster nahmen, als ein Schaumanöver. Sämtlicher Warenvorrat wurde an die Bürger und Studenten verteilt. Auch Paulin, der wackere Schirmvogt, hatte Wort gehalten und zog an der Spitze seiner Söldner wohlgerüstet und kampffertig vor der Wohnung des Obersten auf.

Wer auf die Wälle sah, mußte erstaunen über die Masse von Händen, welche sich da zum Dienste des Vaterlandes rührten und regten, wer aber einen Blick in die verödeten Straßen warf, konnte sich über die unheilvolle Zukunft nicht täuschen, welche der Stadt bevorstände, wenn jenes Phantom von Streitkräften, welches die Mauern erfüllte, beim ersten kühnen Angriffe zerstöbe.

Immer näher rückten die Schweden, ohne übrigens eine andere feindliche Demonstration zu machen, als daß sie gemächlich lagerten und die Mündungen ihrer Feuerschlünde ruhig der Stadt zukehrten. Miniati, welcher sich zum Ernste genötigt sah, suchte nun die Ratsherren Schwonauer und Kaufmann zu bereden, daß sie, solange es noch möglich wäre, ihre Frauen in Sicherheit brächten. Diese, welche hinter des Obersten mutvoller Gemahlin nicht zurückstehen wollten, erklärten sich nur dann zur Flucht bereit, wenn Eleonora mit ihnen zöge. Miniatis dringenden Vorstellungen gab sie endlich nach, wiewohl sie sich nur schwer entschließen konnte, mancher Anstalt, welche sie selbst ins Leben gerufen, sich als Leiterin und Teilnehmerin zu entziehen. Eine öffentliche Bekanntmachung stellte es allen, welche Olmütz verlassen wollten, frei, bei Anbruch des nächsten Morgens, unter hinlänglicher Bedeckung, nach Brünn abzuziehen, welches kräftigeren Schirm und Schutz darböte. Jetzt schon zeigte es sich, wie richtig Miniatis Urteil von der vorgeblichen Allgemeinheit der Kampflust war. Mancher, welcher vor wenigen Tagen noch bramarbasierte, als ob er die Schweden allein verschlingen wollte, schnürte jetzt in aller Eile sein Bündel und schloß sich stumm und zitternd der marschfertigen Karawane an, welche, nebst den genannten Frauen, aus mehreren reichen Kaufleuten und angesehenen Priestern, vielen aus Schlesien mit ihren Reichtümern hierher Geflüchteten, und sogar aus eigenen Ausreißern von jenem Freikorps bestand, welches unter Paulins Kommando unter Waffen getreten war. Man wunderte sich allgemein, den Administrator Stredele und den Bürger Schmidt nicht unter den Flüchtlingen zu bemerken; aber von ersterem hieß es, als man nach ihm fragte, daß er schon seit einigen Tagen unsichtbar geworden sei, und letzterer schien sein altes Phlegma wiedergewonnen zu haben.

Die Nacht dünkte den Harrenden eine Ewigkeit; endlich graute der Morgen. Von Segenswünschen ihrer Angehörigen begleitet, setzte sich ein Zug von mehr als zweihundert Menschen, denen eine Reihe von vierhundert mit Kostbarkeiten und Kleinodien beladenen Wägen folgte, in Bewegung. Eine Schwadron mutvoller und wohlbewaffneter Reiter diente der bunten Karawane zur Bedeckung. Zum Abmarsche wurde jenes Tor gewählt, welchem gegenüber noch keine feindlichen Schanzen aufgeworfen waren.

Ungestört, vom dichten Nebel geschützt, bewegte sich der Zug der Vorstadt Pawelka zu. Entweder waren die Schweden auf derlei Handstreiche zu gut eingeübt, oder ein Verräter hatte sich bei Torstensohn ein Bildchen einlegen wollen, aber eine höchst unangenehme Überraschung war den arglosen Flüchtlingen in jedem Falle vorbereitet.

Kaum hatten nämlich die Entwichenen Olmütz im Rücken, als der Torstensohnsche Vortrab über sie herfiel, die Schwadron Reiter nach tapferer Gegenwehr zerstreute, die Wägen wegführte, und eine große Anzahl der Flüchtlinge gefangen nahm; unter diesen letzteren befand sich auch Miniatis Gattin, deren Schicksal in der Folge entscheidend auf Olmütz einwirkte.

Mit Schaudern erfuhr man in der Stadt durch den rückkehrenden Rest der Bedeckung den Vorfall, welchen das nahe Schießen und Lärmen im dichten Morgennebel nur ahnen ließ. Aber Rettung war zu spät. Indessen rückte Torstensohn selbst vor die Mauern und schlug in der Vorstadt, im Kapuzinerkloster, sein Hauptquartier auf. Mit freudigem Lächeln vernahm er Leonoras Gefangennehmung, denn es entging dem schlauen Feldherrn nicht, von welchem Vorteile sie ihm für die Zukunft sein könnte. Er ließ sie daher in eine abgelegene, wohlverwahrte Zelle des Klosters bringen und befahl, sie reichlich mit allem Nötigen zu versehen. Jedoch ließ er es auch an strenger Obhut nicht fehlen, denn er rechnete viel auf ihren Einfluß bei Miniati und hatte große Pläne für den Fall bereitet, als dieser die Verteidigung einer Stadt aufs Äußerste triebe, welche er, sicheren Nachrichten und Kundschaften zufolge, ohne vieles Blutvergießen einzunehmen hoffte.

Noch am Abende desselben Tages ordnete daher der Feldherr einen Parlamentär ab, welcher der Stadt sich mit einem Trompeter näherte und sie zur Übergabe aufforderte. Miniati suchte die Bürgerschaft nochmals von der Unmöglichkeit eines wirksamen Widerstandes zu überzeugen, widerlegte die Gerüchte von der Gefangennehmung seiner Frau, die ihm wohl bekannt war, durch einen untergeschobenen Brief von ihr, um jeden Verdacht eines persönlichen Interesses zu zerstreuen und schilderte den Bürgern die Folgen der fruchtlosen Hartnäckigkeit mit den grellsten Farben; aber der Ehrgeiz aller, namentlich der Studenten und Paulins, war zu sehr gereizt, als daß seine Vorstellungen Gehör gefunden hätten.

Der mutige Vogt übte den wesentlichsten Einfluß. Unermüdlich war sein Bestreben, den Mut und die Kampflust der Verteidiger anzufeuern, und ungeachtet die Kugeln bereits ganz unheimlich über den Häuptern der Belagerten dahinpfiffen, und mancher hell auflodernde Dachstuhl es weithin verkündete, daß es den Schweden mit dem Bombardement Ernst sei, war er doch unablässig auf den Wällen beschäftigt. Er wußte sogar eine namhafte Rotte zu einem Ausfalle zu bewegen, welcher am nächsten Morgen getan werden sollte, und blieb, da er die nötige Anzahl Freiwilliger, als Soldaten, Studenten und Söldnern seiner Kompagnie zusammengebracht hatte, hinter seinem Vorhaben nicht zurück. Mit dem Frühesten öffnete sich ein verborgener Ausgang der vielverzweigten Kasematten, aus welchem er mit dem Häuflein seiner Getreuen hervorstürzte. Das Schwert hoch geschwungen, drang er unvermutet gegen die Hauptschanze der Schweden vor, wo man sich eines solchen Angriffes nicht im geringsten gewärtig war. Die Feinde waren nicht wenig überrascht. Schon hatten die herzhaften Olmützer eine Batterie zerstört und die Bemannung in die Flucht geschlagen, als Oberst Wanka, der mit seinem Fähnlein in der Nähe stand, ein Regiment leichter Infanterie aufbot, um den Bedrängten zur Hilfe zu eilen. Da wandte sich das Blatt; ein hartnäckiger Kampf begann, in welchem die disziplinierte Truppe, wie leicht zu erwarten stand, die Oberhand behielt. Über dreißig von den kühnen Olmützern wurden verwundet, und der tapfere Zaczowicz selbst fiel in die Hände der Schweden, die ihn unter Mißhandlungen jeder Art in das Kapuzinerkloster, das Hauptquartier ihres Feldherrn, schleppten.


 << zurück weiter >>