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Ole erhob sich plötzlich und sagte zu Rupert und Verbena: – »Geht jetzt hinaus und kommt in fünf Stunden zurück. Und wenn Ihr wiederkommt, so geht nicht ins Speisezimmer, sondern kommt unverzüglich zu mir hierher.«
Die beiden sahen sich etwas erstaunt an, taten aber wie er sie hieß, und der Alte entwickelte während der nächsten Stunden mit Thorstein zusammen eine ungeheure Geschäftigkeit, die sogar soweit ausartete, daß er sich mit diesem in die Stadt begab, was eine Sensation hervorrief. – Er wirkte mit seinem blonden Haupt und seinem altmodischen Rock grotesk und rührend zugleich. Besonders frappant war der Gegensatz zu dem mit sportlicher Knappheit und Eleganz 216 gekleideten Thorstein, der Arm in Arm und einträchtig mit ihm wandelte.
Sie machten verschiedene Bestellungen und kehrten dann wieder ins Haus zurück. Ununterbrochen schrillte von dann ab die Glocke. Unendliche Pakete, in denen es klirrte wie von Glas, wurden abgegeben. – Die beiden waren in Hemdsärmeln und arbeiteten buchstäblich im Schweiße ihres Angesichtes. Mit zwei großen Körben bewaffnet, verschwanden sie eine Zeitlang im Treibhaus und kamen dann, schier keuchend unter der Last, zurück. – Alles mußte stimmen heute Abend und heute Nacht, es mußte eine unerhörte und eine einzigartige Feier werden. – Der Himmel war noch klar, aber die Luft, besonders wo sie sich unter den alten Bäumen verfing, war schwül und drückend. Alle Türen und Fenster im Hause standen geöffnet, so daß es drinnen erträglich war.
Als Verbena mit Rupert zurückkam, nahmen sie nichts von all' den Vorbereitungen wahr, denn man hatte mit Absicht alles Packpapier weggeräumt. Das einzige, was ihnen auffiel, war die festliche Beleuchtung des ganzen Hauses. Statt eines Windlichtes auf der Treppe brannten zehn Kerzen und auch die Zimmer waren in eine Flut von goldigem Glanz vieler Kerzen getaucht. Im Studierzimmer allein brannten deren zwanzig. Als sie dort eintraten, standen Örvandill und Thorstein vollständig nach dem Ritus gekleidet, in grünseidenen Burnussen, in der Mitte des Raumes und begrüßten sie mit einer Freundlichkeit, in der ein Gemisch von Würde und Schalkhaftigkeit lag. Vor dem kleinen Kabinett hingen noch zwei Burnusse, und sie wurden angewiesen, sich hinter der Büchermauer umzukleiden und alles, was an das tägliche Dasein erinnerte, auf ihre Zimmer zu bringen.
217 Als sie sich nun wieder drunten versammelt hatten, war eine große Feierlichkeit darin, wie der Alte sich hoch aufreckte und sprach: »Folgt mir einer hinter dem anderen. Du, Axel, kommst zuletzt, Du bildest das Schlußglied der Kette.«
So bewegte sich der kleine Zug mit Würde, in der doch gewissermaßen ein verhaltener Humor steckte, auf die Tür zum Eßzimmer zu. Mit großer Gebärde schlug der Alte beide Flügel der Tür zurück, und was sich ihnen zeigte, war ein wirrer Hain von Blüten und Blattgewächsen, so daß sie sich fast im Treibhaus zu befinden meinten. Die Decke war mit Lianen überzogen und mit Orchideendolden, die man in ihren durchbrochenen Tontöpfen mit herübergetragen hatte. Die schneeweiße, wie mit Blutstropfen bespritzte einer besonders üppig geratenen Form hing fast bis zur Kopfeshöhe hinab. In die Ecken des Zimmers waren Farne und großblättrige Pflanzen verteilt, und überall zwischen ihnen flimmerten die goldigen Zungen unzähliger Kerzen. Ein schwerer Duft erfüllte den Raum, der nicht nur der Blüten halber etwas Berauschendes hatte, denn in der Mitte der damastbezogenen Tafel stand ein enormes Gefäß aus kunstvoll ganz dünn geschliffenem Malachit, dessen Aroma aus unaufhörlich siedenden Perlen an die Oberfläche der Flüssigkeit schlüpfte und sich den Blütendünsten mitteilte.
Selbst Verbena erstaunte über den Reichtum, den der Alte zutage gefördert. Alles auf dem Tisch war feinst geschliffenes Kristall, oder altertümlich gearbeitetes, etwas schwärzliches Silber. Der Alte lud seine Gäste zeremoniell ein, Platz zu nehmen. Jeder hatte ein edelgeformtes kelchförmiges Glas vor sich. Örvandill ergriff hierauf einen Schöpflöffel an einem Elfenbeingriff und schenkte aus.
»Ich wollte die Aufnahme unseres Hundertsten schlichter 218 gestalten,« sprach er, »auch habe ich seit undenklichen Zeiten kein alkoholisches Getränk mehr zu mir genommen, aber schließlich hatte Axel recht, wenn er darauf bestand, daß es nicht ohne ein Weihegetränk vor sich gehen dürfe. Die Zusammensetzung dieses Getränkes ist alter Schwedenpunsch, fünfzigjähriger Champagner, ein gleichaltriger Kognak und mehrere Flaschen mit Zitrone angesäuerten, spritzigen Moselweins. Axel hatte das Rezept aus einer alten Chronik, wo man den Trank das ›Steckenpferd des Homogalakto‹ nannte, einstmals entnommen und zur günstigen Stunde geriet ihm die Zusammensetzung. Die Entzifferung jener alten Schrift war nicht leicht und er sagt, es sei so etwas wie die Auffindung des Steins der Weisen gewesen, als er zum erstenmal den wahren Geschmack auf der Zunge spürte. Es gelang uns, die Bestandteile des Getränkes durch rücksichtslose Benutzung der heutigen technischen Hilfsmittel in dieser unerhört kurzen Zeit zusammenzubringen; darum, meine Kinder, tut Euch heute eine Güte an.«
Verbena hatte ihre Nase schnuppernd in das Glas gesenkt. Es war das erste Mal in ihrem jungen Leben, daß sie etwas Feuriges zu genießen bekam.
»Wir wollen,« fuhr Ole fort, »diesen Moment zu keiner Stunde tosender Ausgelassenheit werden lassen, nichts soll sich in die Stimmung einschleichen, was unseren Geist erniedrigt und unseren Leib profaniert. Es soll lediglich dadurch, daß wir dieses köstliche und ungewöhnliche Gemisch schlürfen, die Bereitschaft unseres Geistes für das Kommende geschärft und geschmeidig werden, denn das Kommende ist unsere Kriegserklärung an diese ganze Zeit, in der zu leben wir das Schicksal haben. Ja, ich nenne es Schicksal, denn ich kann wohl sagen,« sprach er mit großem Brustton, »daß 219 wir, ohne Überhebung, erlesen sind. Wir wissen es besser, denn wir haben die Berührung mit der Natur und die Einheit mit der Natur nie geleugnet. Dieses gute Kind dort, die schon vom Duft ihres Glases verklärte Augen bekommen, ist rein wie ein Kristall und erdgeboren. Mein Freund Rupert hat die Schlacken abgeworfen und die ganze Empfänglichkeit seines Gemüts leuchtet ihm aus gierigen Augen. Mein lieber Axel ist ganz eine Ausgeburt jener nördlichen Berghalden und ewigen Urwälder, die man nicht zerstören kann. Ich selber habe die Natur in der Tasche, und ich bin der große Trommler, trotzdem meine Emsigkeit mehr eine geistige Betriebsamkeit war, als eine Propaganda mit Fanfaren.«
»Skaal! Örvandill,« rief Axel und hob das Glas. Die Kelche stießen an, es gab einen klaren, durchdringenden Ton, wie den Weckruf aus einer silbernen Trompete. Es war ein nachzitternder Klang, der das ganze Haus melodisch durchdröhnte. Jeder nahm einen Schluck und aller Augen hingen an dem kantigen Gesicht, das im Kerzenlicht den seltsamsten huschenden Beleuchtungen ausgesetzt war.
»Wir haben vorhin,« fuhr Örvandill fort, »auf telegrafischem Wege alle Beteiligten verständigt. Der Gläserklang, der sich heute abend noch erheben wird, wird in aller Ohren erwachen wie sommerlicher Akkord, sie werden auflauschen, jene Frauen und Männer, die wir zu uns zählen. Und morgen beginnen wir die große Arbeit. Wie ein Gewitter, das sich nach einer Woche von Dürre plötzlich befruchtend entlädt, so soll nach diesen Jahrzehnten geistiger Sehnsucht und Verschmachtung der Herzen unsere Botschaft über diese verkommene stumpfe Menschheit hinrollen und sie in die Höhe reißen.« – Es war seltsam, daß, wie zur Bekräftigung der letzten 220 Worte, durch die geöffneten Fenster aus der schwülen Stille der Nacht ein ganz fernes, kaum vernehmbares Murren tönte. Das Glasdach des Treibhauses draußen ward geisterhaft kurz von einem ganz schwachen Phosphorschein überrieselt. Vielleicht war es aber auch nur Augentäuschung. – »Ich habe mit Axel,« fuhr der Alte fort, »bereits das aktive Programm entworfen. Es war uns beiden klar. Wir haben, wiewohl wir unerkannt nebeneinander lebten, dennoch eine wundervolle Harmonie unserer Ideen, jeder ganz für sich, erzeugt, und so bedurfte es nur eines flüchtigen Rührens an gewisse Begriffe, um uns wie von selber in den großen Gedankenstrudel, den sie erschufen, gemeinsam niedertauchen zu lassen. Wie die Blasen des Champagners, so stiegen Schwärme von Ideen in unsere Hirne empor. Die Köpfe brausten uns davon. Jeder dachte dem anderen voraus und es ergab sich für mich wie ein Schlag, daß Axel der geborene Organisator ist. Ihm überlasse ich die praktische Gestaltung meines Lebenswerkes. Er kennt die Spiegel dieser Zeit und wird sie auszunutzen wissen. Und als seinen flammendsten und wirkungsvollsten Redner, den er vorzuschieben hat, schlage ich Rupert vor.«
»Aber Du selbst, Ole,« riefen alle wie aus einem Munde.
»Ich selber,« lächelte er zurück, »nun ja, zu alt fühle ich mich keineswegs, aber zu ungeschickt. Ich mache, wie man wohl sagt, keine gute Figur, doch lassen wir das beiseite. Eure Lungen können sich unbeschadet dem Dunst menschenüberfüllter Säle aussetzen, besonders Du, Rupert, hast noch genug Gegengift in Deinem Körper, um der Volksbegeisterung wirksam zu trotzen. Solltet Ihr dennoch zusammenbrechen unter den Anstrengungen, die das Werk an Euch stellt, so kommt zu mir, ich bin eine Art Wunderdoktor. Es gibt keinen 221 Arzt der Welt, der es mit mir aufnehmen kann. Ich garantiere mir selbst ein ganz gewaltiges Alter, und solange ich lebe, garantiere ich es Euch auch. Dann habt Ihr ohne weiteres den Schlüssel in der Hand, um alt zu werden, nur bleibt in meinem Kreise und findet Euch immer wieder zu mir zurück.«
Die Gläser fuhren in die Höhe, der Klang durchdröhnte das Haus. Diesmal heller, klarer, da die Hälfte des Trankes schon um die lächelnden Herzen saß.
»Nun laßt mich kurz noch schildern, was unserer nun harrt.
Verleger und Presse werden im Laufe von wenigen Wochen Millionen von Druckschriften über Europa schleudern. Eine Brandungswelle dieser Papierflut wird sich am Gestade von Amerika brechen und es hinlänglich überschwemmen und auch dort die Begeisterung wachrufen. Das Material für diese Broschüren liegt in meinem Studierzimmer. Rupert kennt es zum Teil und ihm verdanke ich die bessere Fassung und die dichterische Durchglühung meiner unbeholfenen Vortragsart. Ich gab den Leib her und er ließ den Puls darin rhythmisch erwachen. Ich danke Dir, mein Sohn.«
Ein Lüftchen fächelte ins Zimmer, die Kerzenzungen gerieten in leises Flackern und der Alte ergriff von neuem den Schöpflöffel, um die Gläser nachzufüllen. Während er das tat, vermeinte man wieder jenes kurze Murren zu hören, doch störte es niemanden, man achtete nicht darauf. Es klang nur so, als sei es ein Widerhall des seligen Rauschens, das in den Hirnen erwacht war und wie versteckte Quellen klang. Nachdem alle stehend einen neuen Schluck genommen, entwickelte Örvandill seine Ideen.
»Wenn dieser Regen von Broschüren niedergegangen ist, erläßt Axel Inserate in allen Zeitungen, gleichzeitig werden 222 sich die Mitglieder unseres Bundes vollzählig hier in Potsdam zusammengefunden haben. Hier wird das Hauptquartier sein. Jeder ist zu zwanzig Vorträgen verpachtet, die in den zwanzig bedeutendsten Städten Europas gehalten werden. Wir wollen unsere Ideen unablässig einhämmern, einer nach dem anderen von uns wird die Tribüne ersteigen und alle Mittel modernster Technik werden diese Vorträge überall dort hörbar machen, wo eine Möglichkeit des Verständnisses gewittert wird. – Und wofür das Verständnis? Für die folgenden gewaltigen Notwendigkeiten: Absage an die Massenindustrie und wieder Einführung ehrlichen Handwerkertums: Ventilierung der übervölkerten Gebiete dieser Erde, und gerechte und zweckmäßige Verteilung ihrer nutzbaren Oberfläche unter der gesamten Menschheit, ohne Berücksichtigung privater Interessen. Also jede Nation erhält Koloniengebiet, das ihr am passendsten zugängig ist, gerecht verteilt nach klimatischen Zonen. Wenn dieser große Punkt geregelt ist, nicht nach Willkür oder Habgier, sondern rein auf Zahlen und Bedürfnisse gegründet, so wird die Menschheit in ausdenkbaren Zeiten nie von neuen Kriegen geplagt werden und sich auf das Zehnfache vermehren können, ohne daß der eine dem anderen in die Quere kommt. Die ewig wachen Raubtierinstinkte werden dadurch gebändigt sein und erlöschen. Eine jede Nation erhält dann ihren Platz ohne die Notwendigkeit gegenseitiger Vermischung, Grenzgebiete werden geläutert, fremde Bruchstücke ausgemerzt, alle Rassen können sich rein und nach ihrer Berufung entwickeln und das Beste, was sie zu geben haben werden, soll in der Pflege des Menschentums seinen Ausdruck finden und im Bestreben zur Rückkehr zur Natur. – Ganz von selber werden dann jene Produkte falscher Lebensführung, jene tausenderlei 223 Behelfe zum Dasein, die es doch nur entwürdigen, in Wegfall kommen. Freiheit der Produktion für den einzelnen, das ist das Resultat großzügiger Massenfreiheit. Dieser widerlichen Anhäufungen von niedrigen Interessen aller Art, Städte genannt, sollen verschwinden; gleichmäßig über das Land soll das Besitztum der Menschen sich verbreiten.
Nicht billigen Kommunismus predige ich hier, sondern Verschönerung des Daseins für das Individuum. Nicht Ameisen sind wir, sondern jeder von uns ist eine Welt für sich. Nur darin sollen wir uns alle finden, daß wir rückläufig alle die verlorenen Gaben in uns wieder erwachen lassen, die wir in der unbegreiflichen Hohlheit unseres »zivilisierten« Daseins mißachtet und zur Unkenntlichkeit entstellt haben.
Wir Vier, die wir hier um den Tisch sitzen, wir haben diese Gaben noch. Ließen wir uns verkümmern und mit uns das Häuflein jener Auserwählten, gäben wir nach, so wäre es schlimm bestellt, so würde Menschentum zur Phantasterei und die Dichtung früherer Zeiten zu absurdem Unterhaltungstoff, der sein Ende im Kehricht des scheußlichsten Alltags finden müßte. Ich weiß, was uns entgegensteht: ein Wall von stupider Selbstsucht, Borniertheit und Mammon; – aber glaubt mir, wenn der zündende Funke einmal aufgeglommen ist, so ist der Zunder, in dem er weiterfressen kann sehr groß. In wenigen Monaten wird es Tausende von Propheten geben, in wenigen Jahren Zehntausende. Die Zeit ist krank; sie weiß es nur nicht. Wir fahren rauh in die Wunden hinein, dann wird sie es spüren und aufschreien!«
Es waren nicht nur die Dünste des Weines, die die begeisterten Augen des Alten so erhaben erscheinen ließen. Es schien, als ob der grüne Talar seine Gestalt nicht bloß verbreitere, sondern 224 sie auch erhöhe. Alles Lächerliche, Klotzige und Verbissene war aus der Kontur dieses Antlitzes gewichen. Das weißblonde Haar hing in wirren Zotteln halb über die zerfurchte Stirn, die Augen glühten blau und die Schultern erschienen nicht plump und bärenhaft mehr, sondern wie von einer unsichtbaren Last befreit, schlanker und beweglicher.
Mit einemmal merkte Rupert die unendliche Ähnlichkeit des Glanzes, der aus den Augen des Nordländers Thorstein loderte, mit denen Oles. Sie waren beide von gleichem Stamm, von engster Genossenschaft. Nur war bei dem Jungen all das gefälliger, umgänglicher, was sich beim Alten in derber Form geäußert. Es war eine Verwandtschaft, fast enger und bindender noch als Blutsverwandtschaft, mußte er denken. – Und sich zu diesen schönen Menschen zählen zu dürfen, war ihm ein beklemmender Gedanke, ein blendender Vorzug. Verbena auch dünkte ihm schöner als je. Ihre Wangen waren vom Wein gerötet und in dem Hin-und-Wider des begeistert einsetzenden Gesprächs, das nun folgte, erklang ihr Lachen silbern und hemmungslos. Der kleine Rausch, der sie erhitzte, machte sie gesprächig und er erstaunte, mit welcher Leichtigkeit und Flüssigkeit des Ausdrucks sie sprechen konnte.
Und während diese Wolke von Heiterkeit, sich überstürzenden Sätzen, Gelächterkaskaden über dem damastenen Tischtuch auf und ab wogte, während bekannte Menschen beschworen wurden und lächelnde Gesichter in die Runde schoben, aus Worten so plastisch geformt, daß man ihre Züge zu erkennen, ihre Hände zu greifen glaubte, – geschah ein zweiter Windstoß. – Der erste hatte die Kerzen kaum unmerklich zum Flackern gebracht, dieser zweite jedoch fuhr mit einem Aufrauschen der Bäume schier gewaltsam herein und es war, 225 als ob er eine Lücke in die Wolke blase. – Die goldenen Kerzenzungen legten sich auf die Seite, als seien sie müde geworden. Ein Schatten durchhuschte den Raum, vom Aufblaken begleitet. Die Blütendolde schwankte hin und her und alle schwiegen. Ein Klirren war im Hause entstanden, mehrere Fenster hatten sich bewegt.
»Es ist Zeit,« sagte Örvandill, »daß man überall schließt.«
Rupert und Verbena gingen hinaus und löschten die Kerzen, die im Treppenhaus brannten, bedachtsam aus, so daß das ganze Haus bis auf das Speisezimmer verdunkelt war. In diesem selbst ließ man die Fenster geöffnet.
Nach dieser Sicherheitsmaßregel brauste die Stimmung wieder ungezügelt empor. Noch war das Malachitgefäß kaum bis zur Hälfte geleert, aber die ungewohnte Stärke der Bowle entzündete jetzt bereits die Lebensgeister auf das höchste. Sie drückten sich gegenseitig Bruderküsse auf die Wangen und es war possierlich, wie sie einen Reigen um den Tisch vollführten, Örvandill an der Spitze. – Axel sang, vom tiefen Baß des Alten unterstützt, ein schwedisches Trinklied in gemessener Betonung; – die grünen Talare wallten beim Schreiten, das in eine Art Tanz ausartete.
Sie sprachen jetzt fast alle gleichzeitig, jeder wußte, was der andere im Sinne hatte, so gemeinsam dachten sie. Es passierte, daß sie selbzweit oder -dritt ein Sätzchen wie im Akkord von sich gaben, daß ein lustiger Einfall ihnen gleichzeitig ein Gelächter verursachte, noch bevor er vollständig geboren war.
Und während sie sich in der Folge umfaßt hielten, während Rupert und Verbena sich selig in den Armen lagen und die beiden wetterfesten Kumpane auf der anderen Seite sich in 226 norwegischer Zunge in die Gesichter sangen, geschah etwas Seltsames und Schreckhaftes.
Ein einziger kurzer Windstoß, der dritte diesmal und der kräftigste, griff wie mit gespenstischen Fingern durch die weitoffenen Fenster hinein und drückte sämtliche Kerzen auf einmal aus. – Alle schrien lustig auf: »Licht, Licht, Fenster zu!!« – Aber dieser Schrei erstarb ihnen auf der Zunge. – – Es war, als ob ein zur Weißglut erhitztes Beil, von einer Dämonenfaust geschwungen, dessen wirbelnde Kreisbewegung in der Atmosphäre eine rieselnde Schlangenspur hinterließ, draußen niederfahre, und etwas in Stücke hacke. Was, wußte man im ersten Augenblick nicht, da alle zu betäubt waren, um klare Gedanken zu fassen.
Doch als dann ein dumpf dröhnendes Geprassel einsetzte, das die ganze Luft meilenweit zerspaltete, begleitet von einem scheußlichen Klirren berstenden Glases, schrie Verbena auf: »Das Treibhaus!«
Nach diesem irren Aufschrei blieb es stumm. Rupert fühlte, wie sie in seiner Umklammerung zu erstarren schien, als ob plötzlich Kälte sie krampfhaft durchzittere. Örvandill gab einen leisen ächzenden Laut von sich.
Axel schwieg. Dann sagte er mit eintöniger Stimme: »Genau der Schlag wie damals, als der Grüne auf dem Felsen geritten kam . . .«
Wie um sie von diesem Bann zu erlösen, ward es auf einmal kühl im Zimmer, ernüchternd kühl. – Es war gut, daß man sich in den nächsten Minuten kaum verstehen konnte, denn ein Wolkenbruch, vom Getöse des Laubes draußen und vom Knirschen der schweren Äste begleitet, schob sich wie eine Mauer von Geräusch unwiderstehlich herzu. Auf einmal glühte ein Flämmchen in Axels Hand auf; er schloß 227 die Fenster und zündete die Kerzen wieder an. – Sie saßen schweigend bis es wieder im Raum aussah wie vorhin, nur waren die Gesichter jetzt verstört. Verbena war tiefblaß und der Alte hockte gebeugt da, den Kopf tief über das Glas geneigt.
»Gut,« sagte Axel mit leichter Stimme und füllte sein Glas als ob nichts passiert sei, »daß einer von uns noch kaltes Blut bewahrt hat, deshalb hast Du mich ja auch zum Organisator ernannt, Ole. Es ist ganz seltsam, daß dieser Blitz uns Vier nicht erwischt hat, aber mach' mir nur kein Wesens aus Deinem Treibhaus. Von nun ab hat ja auch Deine kleine Liebhaberei keinen Sinn mehr.«
»Du hast Recht,« sagte Ole nach einer Pause und reckte sich wieder auf. »Ganz Recht hast Du, Axel. Dies alles ist begraben und eigentlich konnten wir uns keinen schöneren Auftakt zu unserem Werk ausmalen. Die Natur selber hat dreingeschlagen, aber es war ein ›Ja‹ und kein ›Nein.‹ Etwas kräftig war ja dieses ›Ja‹, aber wir wollen es uns in den Ohren nachdröhnen lassen und uns freuen.
Kinder, es ist noch ein Rest da und dieser Rest sei dem Blitz geweiht. Habe ich nicht vorempfunden, was passieren würde, als ich von einem Gewitter sprach nach dieser dürren Zeit?« 228