Heinrich Seidel
Die goldene Zeit
Heinrich Seidel

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Heinrich Seidel

Die goldene Zeit

Neue Geschichten aus der Heimat

Stuttgart und Berlin 1909
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger

 
Gottfried Keller
                  zugeeignet


Ach, wer bringt die schönen Tage,
Jene holde Zeit zurück!

Goethe.

Am Wege.

                 

Wir wanderten am heissen Maientag.
Zur Rechten blitzend lag ein See, und sonst
In weitem Bogen ward das grüne Feld
Von sonnbeglänztem Tannenwald umzirkt. –
Ein Häuschen dort in hellem Obstbaumgrün,
Ein Ackersmann, der seine Furchen zog,
Und hier und da ein Busch – das war die Landschaft.
Wir sprachen mancherlei und achteten
Des Weges wenig.
                                Plötzlich sah ich auf:
Sieh da, ein Mädchen an des Gartens Rand
Leicht an ein spärlich Bäumlein angelehnt,
So stand sie da, und blickte träumerisch
Mit blauen Augen in die blaue Ferne.
Kaum sechzehn Jahr! Noch hatte diese holde,
Die frische jugendblühende Gestalt
Zur vollen Fülle nicht sich ausgerundet,
Auf ihrem Antlitz lag's wie zarter Flaum
Der unberührten Frucht. Allein die Augen
Sie wussten schon von mehr. Es träumte dort
In ihrem halbverhüllten Glanz die Ahnung
Von süss geheimnissvollen Dingen schon.
Sie blickte uns nicht an – nur in die Ferne
So schritten wir vorbei.
                                        »Wie seltsam doch
Traf dieser Anblick an mein Herz und weckte
Dort süsse, längst verlorne Melodieen
Aus einer schönren Zeit. Das Mädchen dort
War meine Jugend. Ja sie steht am Weg
Und blicket mich nicht an und fragt doch still:
»Kennst du mich noch? Und weisst du wohl,
Wie einst auch dir des Glückes Ahnung aufging,
Und wie ein rosenrothes Meer der Wonne
Vor deinen Augen lag?!«
                                          O goldne Zeit!


 
Inhalt.

Die goldene Zeit (1887)

Drei Rosen an einem Zweig (1887)

Eva (1886)

Hans Beinhart's Abenteuer (1887)



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