Charles Sealsfield
Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken
Charles Sealsfield

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›Seht Ihr mir nichts an?‹ – fragte er, plötzlich auf mich zuspringend, mit kaum hörbarem Gemurmel.

›Was sollte ich Euch ansehen?‹

Er trat noch näher.

›Schaut mich so recht an, so, wie man sagt, in mein Inneres hinein. – Seht Ihr da nichts?‹

›Ich sehe nichts‹, sprach ich.

›Ah, begreife, könnt nichts sehen. Seid nicht in der Spionierlaune, kalkuliere ich – nein, nein, seid nicht. Wenn man so die vier Nächte und Tage nichts über die Zunge gebracht, vergeht einem wohl's Spionieren. Zwei Tage habe ich's auch probiert. Nein, nein, kein Spaß das, kein Spaß, alter Kumpan!‹ redete er, wieder nach der Rifle langend, diese an. ›Sage dir, laß mich in Ruhe, hast genug, genug getan!‹

Und so sagend wandte er sich, drückte ab, aber das Gewehr versagte.

›Was ist das –?‹ schrie er, Schloß und Zündpfanne untersuchend – ›bist nicht geladen? – My! My! wie ich nur – versagst mir, weil ich dich nicht gefüttert, alter Kumpan! Nicht gefüttert, seit du! – Ah, hätte ich dich damals lieber nicht gefüttert, wäre vielleicht – wohl ist das ein Wink, soll mir eine Warnung sein – eine Stimme. Sollst ruhen. Schweig stille, alter Hund! Sollst mich nicht in Versuchung führen, hörst du?‹

Alles das sprach er eifrig, heftig zum Stutzen, dann wandte er sich wieder zu mir.

›So, seid Ihr matt und schwach, sterbensmatt, schwach? Freilich müßt Ihr's sein, denn Ihr seht ja drein, als ob Ihr alle Tage Eures Lebens am Hungertuche genagt.‹

›Matt zum Sterben –‹ röchelte ich.

›Wohl, so kommt und nehmt noch einen Schluck Whisky. – Wird Euch stärken; aber wart', will ein wenig Wasser eingießen.‹

Und so sagend trat er an den Rand des Flusses, schöpfte mit der hohlen Hand einige Male Wasser, ließ es in den Hals der Flasche, und diese an meine Lippen bringend, goß er mir das Getränk ein.

Selbst der blutdürstigste Indianer wird wieder Mensch, wenn er eine menschliche Handlung geübt. Auch er war auf einmal ein ganz anderer geworden. – Seine Stimme ward weniger rauh, mißtönig, sein Wesen sanfter.

›Ihr wollt also in eine Herberge?‹

›Um Gottes willen, ja. Habe seit vier Tagen nichts über die Lippen gebracht als einen Biß Kautabak.‹

›Könnt Ihr einen Biß sparen?‹

›Alles, was ich habe.‹

Ich holte aus meiner Tasche die Zigarrenbüchse, den Dulcissimus – er schnappte mir letzteren aus der Hand und biß mit der Heißgier eines Wolfes darein.

›Ei, von der rechten Sorte, ganz von der rechten Sorte‹, murmelte er in sich hinein. ›Ei, junger Mann, oder alter Mann – seid ein alter Mann? Wie alt seid Ihr?‹

›Zweiundzwanzig.‹

Er schaute mich kopfschüttelnd an. ›Kann es schier nicht glauben; aber vier Tage in der Prärie und nichts über die Zunge gebracht – wohl, mag sein! Aber sage Euch, Fremdling, hätte ich diesen Rest Kautabak noch vor fünf Tagen gehabt, – so – so. – Oh! einen Biß Kautabak! Nur einen Biß Kautabak! Hätte er nur einen Biß Kautabak gehabt, vielleicht! – ist ein Biß Kautabak oft viel wert. Liegt mir keiner so am Herzen, als – oh! hätte er nur einen Biß Kautabak gehabt, nur einen!‹

Seine Stimme, während er so sprach, hatte einen so kläglich stöhnenden und wieder wild unheimlichen Nachklang.

›Sage Euch, Fremdling‹, brach er wieder drohend aus – ›sage Euch! – Ah, was sage ich? – seht Ihr dort den Lebenseichenbaum? Seht Ihr ihn? Ist der Patriarch, und einen ehrwürdigeren, gewaltigern werdet Ihr nicht bald finden in den Präries, sag es Euch. – Seht Ihr ihn?‹

›Ich sehe ihn.‹

›Seht Ihr ihn? Seht Ihr ihn?‹ schrie er wieder plötzlich wild. ›Was geht Euch der Patriarch und was darunter ist an? Nichts geht es Euch an. Laßt Eure Neugierde, zähmet sie, rate es Euch. Wagt es nicht, auch nur einen Fuß darunter zu setzen!‹

Und ein Fluch entfuhr ihm, zu schrecklich, um von einer Christenzunge wiederholt zu werden.

›Ist ein Gespenst‹ – schrie er – ›ein Gespenst darunter, das Euch schrecken könnte. – Geht besser weit weg.‹

›Ich will ja nicht hin, gerne weit weg. Es fiel mir ja gar nicht ein. Alles, was ich will, ist der nächste Weg zum nächsten Hause, gleichviel ob Pflanzung oder Wirtshaus.‹

›Ah, so recht, Mann, zum nächsten Wirtshaus. Will ihn Euch zeigen, den Weg zum nächsten Wirtshaus. Will, will.‹

›Ich will‹, murmelte er in sich hinein.

›Und ich will Euch ewig als meinem Lebensretter dankbar sein‹, röchelte ich.

›Lebensretter! Lebensretter!‹ lachte er wild – ›Lebensretter! Pooh! Wüßtet Ihr, was für einem Lebensretter. – Pooh! – Was hilft's, ein Leben zu retten, wenn  –. Doch will – will Eures retten, will, dann läßt mich vielleicht das verdammte Gespenst –. So laß mich doch einmal in Ruhe. Willst nicht? Willst nicht?‹

Alles das hatte der Mann zum Lebenseichenbaum gewendet gesprochen, die ersten Sätze wild, drohend, die letzten bittend, schmeichelnd. Wieder wurde er wild, ballte die Fäuste, starrte einen Augenblick, dann sprang er plötzlich auf den Riesenbaum zu und verschwand unter der Draperie der Silberbärte, die von Ästen und Zweigen auf allen Seiten herabhingen; kam aber bald wieder hervor, einen aufgezäumten Mustang am Lasso vor sich hertreibend.

›Setzt Euch auf!‹ rief er mir zu.

›Ich kann nicht einmal aufstehen.‹

›So will ich Euch helfen.‹

Und so sagend trat er an mich heran, hob mich mit der Rechten – so leicht war ich geworden – in den Sattel meines Mustangs, mit der Linken nahm er das Ende meines Lassos, schwang sich auf den Rücken seines Tieres und zog Pferd und mich nach. Sein Benehmen, während wir nun die sanft aufsteigende Uferbank hinanritten, wurde äußerst seltsam. Bald rutschte er in seinem Sattel herum, mir einen wilden Blick zuwerfend, bald hielt er an, bohrte ängstlich zwischen die spanischen Moosbärte des Patriarchen hinein, warf mir wieder einen scharf beobachtenden Blick zu – schien zu überlegen – stöhnte, seufzte – spähte dann im Walde wie nach einem Auswege herum – ritt wieder einen Schritt vorwärts, stöhnte abermals, zuckte schaudernd zusammen. Der Lebenseichenbaum schien ihn furchtbar zu quälen; offenbar näherte er sich ihm mit Entsetzen, und doch zog es ihn wieder mit einer so unwiderstehlichen Gewalt hin, als ob sein Schatz da begraben läge. Auf einmal gab er seinem Tiere wütend die Sporen, so daß es im Galopp ausbrach. Glücklicherweise hatte er in seiner schrecklichen Zerrüttung den Lasso losgelassen, sonst müßte mich der erste Sprung meines Tieres aus dem Sattel geworfen, mir die morschen Glieder gebrochen haben. So schritt dieses langsam nach.

›Warum kommt Ihr nicht? Was habt Ihr den Patriarchen immer anzuschauen? Habt Ihr noch keinen Lebenseichenbaum gesehen?‹ schrie er mir mit einem Fluche zu. Als fürchtete er sich aber vor meiner Antwort, brach er abermals aus, hielt jedoch, nachdem er beiläufig zweihundert Schritte fortgesprengt, wieder an, schaute sich um. Der Patriarch war hinter mehreren kolossalen Sykomores verschwunden.

Erst jetzt atmete er freier.

›Aber wo war nur der Anthony?‹ fragte er, auf einmal sichtbar erleichtert.

›Welcher Anthony?‹

›Der Anthony, der Jäger, der Halfbreed Mister Neals?‹

›Nach Anahuac geritten.‹

›Nach Anahuac geritten?‹ wiederholte er. ›Uh! nach Anahuac!‹ stöhnte er. – ›Bin auch dahin – aber, aber –‹

Er wandte sich schaudernd um.

›Er ist doch nicht mehr da, nicht mehr zu sehen!‹

›Wer sollte da sein?‹

›Ah wer, wer?‹ brummte er. ›Wer?‹

Ich wußte wohl, wer der Wer sei, hütete mich aber ihn zu nennen, abermals sein Mißtrauen durch Fragen aufzustacheln. In dem Zustande, in dem ich war, vergeht Neu- und Wißbegier.

Wir ritten stillschweigend weiter.

Lange waren wir so geritten, ohne daß ein Wort zwischen uns gewechselt worden wäre. Er sprach zwar fortwährend mit sich, da jedoch mein Mustang zehn Schritte hinter dem seinigen am Lasso nachfolgte, hörte ich bloß das Gemurmel. Zuweilen nahm er seinen Stutzen zur Hand, redete ihm bald schmälend, wieder liebkosend zu, brachte ihn in eine schußgerechte Lage, setzte ihn wieder ab, lachte wieder wild. Dann beugte er sich wieder über den Sattel hinaus, wie einen Gegenstand auf der Erde suchend. Zuweilen schaute er sich, während er so suchte, scheu um, und dann fiel sein Blick immer forschend auf mich, ob ich ihn auch beobachte. Wieder tappte, griff er in der Luft herum, und wie er so herumtappte, fühlte, hing er so unheimlich auf seinem Mustang! Und wenn er dann in das unheimliche, hohle, teuflische Lachen ausbrach, dem wieder ein schauderhaftes Gestöhne folgte, bat ich immer zu Gott um ein baldiges Ende meines Rittes.

Wir mochten wohl zwei Stunden geritten sein, mein durch den gewasserten Whisky neu aufgeflammter Lebensfunke war auf dem Punkte, gänzlich zu erlöschen, ich fühlte, als müsse ich jeden Augenblick vom Pferde sinken; da gewahrte ich eine rohe Einfriedigung, die endlich eine menschliche Wohnung verkündete.

Ein schwacher Freudenruf entfuhr mir. Ich versuchte es, obwohl vergebens, meinem Tier die Sporen zu geben.

Mein Begleiter wandte sich, schaute mich mit wild rollenden Augen an und sprach im drohenden Tone:

›Seid ungeduldig, Mann! Ungeduldig, sehe ich – glaubt jetzt vielleicht?‹

›Ich sterbe, wenn nicht augenblicklich Hilfe –‹

Mehr vermochte ich nicht über die Lippen zu bringen.

›Pooh! Sterben, sterben. Man stirbt nicht sogleich. – Und doch – doch – Damn! es könnte wahr werden.‹

Er sprang aus dem Sattel auf meinen Mustang zu. Es war hohe Zeit, denn unfähig, mich im Sattel zu halten, sank ich hinab, ihm in die Arme.

Einige Tropfen Whisky brachten mich abermals zum Bewußtsein. Jetzt setzte er mich vor sich auf seinen Mustang und zog den meinigen am Lasso nach.

Wir umritten noch ein Pataten-, ein Welschkornfeld, eine Insel von Pfirsichbäumen und hatten endlich das Blockhaus vor Augen.«

»Bin nur begierig, wo das Ganze hinauswill«, murmelte Oberst Cracker. »Wird lange, die Geschichte.«

»So lang, daß wir darüber das Trinken vergessen«, lachte Oberst Oakley.

»Und das, glaube ich, ist wohl der beste Beweis, daß sie uns alle in hohem Grade anspricht«, fiel der General ein. »Oberst Morse, dürfen wir so frei sein, Euch zu ersuchen, fortzufahren?«

Der Oberst nickte und fuhr dann fort:


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