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Sechzehntes Kapitel.

Der Schall seiner Stimme erreichte ihr Ohr nicht mehr. Um so ermutigender war es für sie, wenn sie sich umsah, im Dämmerlicht seine Gestalt zu erblicken. Bald aber geriet dieselbe im Bereich der sich tiefer senkenden abendlichen Schatten aus ihrer Sehweite.

Im letzten Schimmer des Dämmerlichts erreichte sie die Hütte des Klausners. Zweimal griff sie nach der Tür, und zweimal ließ sie die Hand sinken; und als sie endlich klopfte, kam der Laut dem der Schläge im eignen Busen nicht gleich. Indessen wiederholte sie das Klopfen und jedesmal lauter, denn die Furcht, des Beistands, von welchem Ratcliffe so viel erhofft hatte, nicht teilhaftig zu werden, begann die Bange vor der Gegenwart des Mannes, der ihr denselben leisten sollte, zu beseitigen. Als sie noch immer ohne Antwort blieb, rief sie den Klausner wiederholt bei dem von ihm angenommenen Namen und bat ihn zu antworten und das Tor seiner Hütte zu öffnen.

»Welches Wesen in Not,« fragte da die unheimliche Stimme des Einsiedlers,. »bettelt hier um Zuflucht und Unterstand? Weiche von hinnen! Das Auerhuhn, das Unterschlupf braucht, sucht ihn nicht im Rabennest!«

»Vater, ich komme zu Euch in meiner Stunde des Unglücks,« sprach Isabel, »wie Ihr mir selber befählet. Allein ich fürchte? –«

»Ha!« rief der Einsiedler, »dann bist du Isabel Vere? Gib mir ein Zeichen, daß du es bist!«

»Zum Zeichen bring ich die Rose zurück, die Ihr mir gabt. Wie Ihr mir kündetet: es ist ihr nicht Zeit geblieben zum Welken, so ist auch das harte Geschick, das Ihr voraussähet, über mich gekommen,« »Und da du dein Wort so gelöst Haft,« rief der Zwerg, »will ich das meinige nicht verwirken! Herz und Tor, sonst jedem Menschwesen verschlossen, soll dir und deinem Kummer geöffnet sein.«

Sie hörte ihn in seiner Hütte hantieren: er schlug Feuer an und schob einen Riegel zurück. Isabel klopfte das Herz hörbar. Dann tat sich das Tor auf,, und der Klausner stand vor ihr, in der Hand eine eiserne Lampe, die die seltsame Gestalt mit den abstoßenden Zügen erhellte.

»Tritt herein, Tochter der Trübsal!« lautete seine Rede; »tritt herein in die Stätte der Trübsal!«

Isabel trat ein, vorsichtig und behutsam, von Angst beschlichen, als sie wahrnahm, daß der Klausner, sobald er die Lampe aus der Hand gesetzt hatte, das Tor seiner Hütte wieder durch Riegel sicherte. Aber sie blieb der Warnung Ratcliffes eingedenk und mühte sich, jeden Schein von Furcht zu unterdrücken. Die Lampe warf ein mattes, unsicheres Licht; der Klausner, seine Aufmerksamkeit gegen Isabel auf die Aufforderung, sich auf einen Schemel am Kamin zu setzen, beschränkend, steckte trocknen Stechginster in Brand, dessen Flackerlicht sogleich hellen Schein durch die Hütte warf. Neben dem Kamin stand ein hölzernes Gesims mit einigen Büchern und Bündeln getrockneter Kräuter, auch ein paar Trinkgeschirren und Tellern und Schüsseln; auf der andern Seite stand einiges Ackergerät und Werkzeug. Statt eines Bettes stand ein mit verwittertem Moos und trocknen Binsen bestreuter Holzrahmen an der einen Wand. Der gesamte Raum der Hütte innerhalb der Mauern maß bloß zehn Fuß in der Länge und sechs Fuß in der Breite, Das einzige Mobiliar der Hütte bestand in einem Tisch und zwei Stühlen aus groben Brettern.

Innerhalb dieses engen Raumes befand sich jetzt Isabel einem Wesen gegenüber, das nach dem, was sie von ihm wußte, nicht dazu angetan war, sie zu beruhigen, dessen unheimliche Gestalt mit dem abschreckenden Gesicht ihr einen fast abergläubischen Schreck bereitete. Er setzte sich ihr gegenüber, ließ die großen, langen und dichten Brauen über die scharfen schwarzen Augen fallen und blickte sie, wie durch eine Kette von widerstreitenden Empfindungen bewegt, lange Zeit hindurch an. Bleich wie der Tod saß Isabel auf der andern Seite der rohgezimmerten. Tischplatte; ihr durch den feuchten Nebel in Strähnen gezogenes Haar fiel ihr über Brust und Schulter, gleich nassen Wimpeln, die nach dem Sturme am Maste klatschen.

Der Zwerg brach zuerst das Schweigen durch die jähe, abgerissene, einschüchternde Frage:

»Weib! welch' böses Geschick lenkte deine Schritte hierher?«

Mit fester Stimme gab sie die Antwort:

»Meines Vaters Fährlichkeit und Euer Befehl!«

»Und Ihr erhofft von mir oder durch mich Hilfe?« fragte der Zwerg mit der gleichen Stimme.

»Sofern Ihr mir Hilfe zu leisten vermögt, ja,« lautete, abermals fest und bestimmt, des Mädchens Antwort.

»Und wie sollte ich die Kraft hierzu besitzen?« fragte der Zwerg weiter mit bitterm Hohne. »Ist meine Gestalt denn die eines dem Recht zum Recht, dem Unrecht zu unrecht helfenden Ritters? Ist denn meine Hütte ein Schloß, in welchem ein Mächtiger thront, imstande, einem bittenden Weib, das sich ihm naht, Hilfe zu leisten? Mädchen! als ich sagte, ich würde dir helfen, da habe ich – deiner gespottet.«

»Dann muß ich die Füße von hinnen heben und meinem Schicksal, soweit ich vermag, trotzen.«

»Nein,« sprach hierauf der Zwerg, zwischen Mädchen und Tür tretend und mit finstrer Gebärde sie auf ihren Sitz zurückdrängend, »nein! mit solchen Worten sollt Ihr nicht von mir gehen! laßt uns weiter zusammen sprechen! Weshalb sollte ein Wesen eines andern Wesens Hilfe heischen? warum sollte nicht jeder sich selber genug sein? Blick um dich! ich bin verachtet von allen und habe von niemand Mitleid oder Hilfe begehrt. Mit eignen Händen habe ich diese Steine aufeinander geschichtet, mit eigner Hand dies Gerät geformt, und mit dem da« – er legte mit trotzigem Blick die Hand auf den langen Dolch, den er stets unter dem Kleide trug und jetzt so weit aus der Scheide zog, daß die Klinge im Flackerlichte des Ginsterfeuers glitzerte – »mit dem da kann ich, wenn Not am Manne ist, das Lebenslicht in solch armseligem Rumpfe wie dem meinigen gegen den schönsten und stärksten Mann verteidigen, der mir mit Gewalt droht!« Nur mit höchster Anstrengung hielt Isabel einen Angstruf zurück; indes gelang es ihr noch, ihrer Furcht Herrin zu werden.... »So ist das Leben in der Natur!« fuhr der Klausner fort, »sich selbst genügend, auf sich selbst gewiesen, von niemand abhängig. Der Wolf ruft, seine Höhle zu bauen, nicht seinesgleichen zum Beistand, und der Geier, will er auf Beute niederfahren, nicht seinesgleichen zur Mitfahrt.«

»Und wenn sie sich selber nicht ausreichen und sich Hilfe nicht schaffen können?« fragte Isabel, scharfsinnig erwägend, daß er am ehesten Gründen zugänglich sein werde, die ihm in seinem bilderreichen Stil vorgeführt würden – »welcher Art ist dann ihr Schicksal?«

»Laßt sie sterben gehn, wenn sie hungrig sind – und in Vergessenheit fallen, wenn sie tot sind!«

»Das Los der wilden Naturgeschlechter,« sagte Isabel, »und vornehmlich solcher, die vom Raube zu leben bestimmt wurden, der einen Teilnehmer nicht verträgt; aber nicht allgemeines Naturgesetz! denn selbst niedere Tiere schließen Bündnis zu wechselseitiger Wehr. Das Menschengeschlecht aber würde dem Untergange geweiht sein, wollte der eine Mensch dem andern den Beistand versagen. Von dem ersten Augenblicke an, da die Mutter dem neugeborenen Kinde den Nabel abbindet, bis hin zu jenem andern Augenblicke, da ein lieber Freund dem Sterbenden den Todesschweiß von der Stirn wischt, können wir ohne wechselseitige Hilfe nicht leben. Und deshalb besitzen alle, die der Hilfe bedürfen, ein Recht darauf, Hilfe zu heischen, und kein Nebenmensch, der die Macht hat, Hilfe zu leisten, darf, ohne sich schuldig zu machen, erbetene Hilfe weigern.«

»Und mit solch einfältiger Hoffnung, Mädchen,« fragte der Einsiedler, »bist du, mich aufzusuchen, in diese Ödenei gekommen? mich? einen Krüppel von Menschen, der keinen andern Wunsch mehr kennt, als daß alle Verbindung zwischen Mensch und Mensch aufhören, daß das ganze Geschlecht umkommen möge im wahren Sinne des Wortes? Hast du dich nicht gefürchtet, den Fuß hierher zu setzen?«

»Das Elend ist der Mörder der Furcht,« versetzte fest und bestimmt das Mädchen.

»Hast du in deiner sterblichen Welt nie davon gehört, daß ich im Bunde sei mit andern Mächten? dem Menschengeschlecht so feindlich gesinnt wie ich? Kam solche Rede nie zu deinen Ohren? Und du suchst meine Zelle auf zu mitternächtlicher Stunde?«

»Das Wesen, das ich verehre und anbete, schützt und hütet mich vor eitler Furcht!« sprach Isabel. Aber das Wallen ihres Busens strafte den erzwungenen Mut, von dem ihre Lippen sprachen, schmählich Lügen.

»Haha!« lachte der Zwerg, »du prahlst mit Philosophie? Hast du denn aber die Gefahr nicht bedacht, daß du dich, jung und schön, der Gewalt eines Wesens anvertrauest, das die Menschheit so tief, so unsäglich tief haßt, daß es sein einziges Vergnügen findet in Entstellung und Entweihung ihrer schönsten Werke?«

Isabel, wenngleich erschrocken, gab mit der Festigkeit früherer Einrede zur Antwort:

»Welch Unrecht Ihr auch in der Welt erlitten haben mögt, so könnt Ihr es doch nicht rächen wollen an mir, denn ich habe weder Euch noch andern jemals mit Absicht ein Unrecht angetan.«

»Mädchen,« sagte hierauf der Zwerg, und aus seinen Augen leuchtete helle Bosheit, die sich auf seine wilden, häßlichen Züge übertrug, »Rache ist die hungrige Wölfin, die nur darauf sinnt, Fleisch zu zerreißen und Blut zu lecken. Meinst du, die Wölfin kehre sich dran, wenn das Lamm sich auf seine Unschuld beruft?«

»Mann!« rief Isabel, aufstehend, mit edler Würde, »mich schrecken die grausen Bilder nicht, die Ihr mir entrollt, um Eindruck bei mir zu wecken; ich weise sie zurück voll Verachtung. Wenn Ihr sterblich seid so wenig, wie wenn Ihr ein böser Geist seid, würdet Ihr je einem unglücklichen Weibe schaden, das als Bittende Euch naht in seiner äußersten Not? Das werdet Ihr nicht, und das wagt Ihr Euch nicht!«

»Du redest die Wahrheit, Weib!« antwortete der Klausner, »das wage ich nicht! und das tue ich nicht! Kehr um und heim! fürchte nicht, womit man dir droht! Du hast Schutz bei mir gesucht – und Schutz soll dir werden durch mich!« »Aber, Vater! ich habe drein gewilligt, noch heute nacht dem Manne mich zu vermählen, den ich verabscheue – wofern nicht mein Vater zugrunde gehen soll.«

»Noch heute nacht? zu welcher Stunde?«

»Vor Mitternacht.«

»Zwielicht ist schon vorüber,« sprach der Zwerg; »indessen sei unbesorgt! die Zeit genügt zu deinem Schutze.«

»Und mein Vater?« fragte in bittendem Tone Isabel.

»Dein Vater,« antwortete der Zwerg, »war mein bitterster Feind und ist es noch heut. Aber sei unbesorgt! Deine Tugend soll ihn retten. Nun aber geh! wollte ich dich länger bei mir behalten, so könnte ich zurückfallen in die törichten Träume von Menschengüte und Menschenhochsinn, aus denen ich ehedem so schrecklich gerissen wurde. Du aber fürchte nichts! und stündest du am Altare, so würde ich dich von ihm reißen! Leb wohl, Mädchen! die Zeit drängt, und ich muß handeln.«

Er führte sie zum Tor seiner Hütte und öffnete es, sie herauszulassen. Sie bestieg ihr Roß, das innerhalb des Zaunes geweidet hatte, und trieb es im matten Schein des aufsteigenden Mondes an den Platz, wo Ratcliffe noch weilte.

»Habt Ihr Erfolg gehabt?« war seine erste hastige Frage.

»Versprechungen erhielt ich von dem Manne, zu dem Ihr mich sandtet. Wie aber wird und kann er sie erfüllen?«

»Gedankt sei Gott!« rief Ratcliffe; »und nun zweifelt nicht an seiner Fähigkeit zu erfüllen, was er versprochen.«

Da ertönte ein schriller Pfiff über die Heide.

»Er ruft mich – horch!« rief Ratcliffe – »Miß Vere! reitet nach Haus zurück! laßt die Hinterpforte zum Garten offen! zu der Tür, die zur Hintertreppe führt, habe ich den Schlüssel.«

Ein zweiter Pfiff, noch schriller als der erste!

»Ich komme – ich komme!« sprach Ratcliffe, gab seinem Roß die Sporen und ritt über die Heide in der Richtung, wo des Klausners Hütte lag.

Miß Vere schlug den Rückweg nach dem Schlosse ein. Die Angst, die ihr das Herz schnürte, und das Feuer ihres Rosses gaben ihrem Ritte Flügel.

Sie gehorchte, ohne Ahnung von ihrem Zweck, Ratcliffes Weisungen, ließ ihr Pferd auf einem eingehegten Platz im Garten äsen und eilte in ihr Gemach hinauf, das sie unbemerkt erreichte. Nun klingelte sie und befahl Kerzen zu bringen. Zugleich mit dem Diener, der ihren Befehl ausführte, erschien ihr Vater.

»Zweimal während der verwichnen zwei Stunden,« sagte er, »habe ich an deiner Tür gehorcht, Tochter. Da ich nichts vernahm, besorgte ich, Du seiest krank.«

»Erlaubt mir, Vater, mich auf das Versprechen zu berufen, das Ihr mir gabt,« erwiderte Miß Vere; »laßt mir die letzten freien Augenblicke zu unbehelligtem Genusse! laßt mir die gewährte Frist bis zum letzten Augenblicke!«

»Es sei,« antwortete der Vater; »du sollst nicht gestört werden. Aber diese geringe Kleidung, dies wirre Haar – wenn ich dich rufe, Kind, so darfst du in solchem Zustande nicht kommen. Freiwillig muß das Opfer gebracht werden, soll es heilsam sein.«

»Wohlan, Vater! muß es so sein, dann seid ohne Sorge! Das Opfer wird sich schmücken!«


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