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Siebentes Kapitel.

Die Nacht hindurch blieb es stürmisch; der Morgen aber stieg auf, gleichwie erfrischt durch den Regen. Selbst das Mucklestane-Moor mit seinen breiten, kahlen Aufhöhungen unfruchtbaren Bodens zwischen sumpfigen Strecken schien unter dem heitern Einflusse des Himmels ein freundliches Gesicht zeigen zu wollen, einem häßlichen Menschengesicht ähnlich, über das muntere Laune ihren unaussprechlichen Reiz ergießt.

Die Heide stand in ihrer dichtesten Blüte. Die Bienen, die der Klausner zu seiner Steinhütte gesellt hatte, waren ausgeflogen, die Luft erfüllend mit fleißigem Summen. Und als der alte Mann jetzt aus seiner kleinen Hütte heraustrat, kamen ihm seine beiden Ziegen entgegengesprungen und leckten ihm dankbar die Hand für das Gras, das er im Gärtchen für sie gerupft hatte und ihnen hinhielt.

»Ihr wenigstens,« sprach er zu ihnen, »seht in der Gestalt keinen Unterschied, der euch bestimmen könnte, anders gegen euren Wohltäter zu fühlen; euch ließe die schönste Form gleichgültig, die je ein Künstler schuf, wenn sie sich auch zeigte an Stelle des mißgestalteten Rumpfes, an den Ihr gewöhnt seid. Habe ich je in der Welt, so lange ich dort lebte, solche Äußerung der Dankbarkeit getroffen? Nein! Der Lakei, der mich von Kindheit aufgezogen, schnitt hinter meinem Stuhle Fratzen; der Freund, dem ich mit meinem Vermögen half, um dessen willen ich gar zum Sünder wurde« – er hielt inne mit krampfhaftem Zucken – »auch er hielt dafür, ich gehörte mehr unter die Wahnsinnigen als unter die gesunden Menschen, die Zwangsjacke, das Hungerloch seien für mich besser geeignet als menschliche Freiheit, als menschliche Stätten. Bloß Hubert – bloß er! – aber auch er wird mich eines Tages verlassen! Sie sind alle aus einem Stück, alle aus ein und derselben Masse von Gottlosigkeit, Selbstsucht und Undankbarkeit – sie sind alle Schurken, die sogar sündigen, während sie Andacht üben, von solcher Herzenshärte, daß sie nicht einmal der Gottheit für die warme Sonne und die reine Luft danken, ohne zu heucheln.«

In diesem düstern Selbstgespräch schlug von der andern Seite des Zaunes herüber, der sein Gärtchen umschloß, der Schall von Hufen an sein Ohr, dann eine kräftige Männerstimme, die mit der Munterkeit eines leichten Herzens trällerte:

»Hobbie, Hobbie, schmuck und schecht.
Sprich, ob dir Begleitung recht!«

Im selben Augenblick setzte ein mächtiger Windhund über den Zaun, riß eine Ziege des Klausners nieder und würgte sie. Hobbie Elliot war im Nu aus dem Sattel, konnte das schwache Tier den Zähnen des Hundes indessen erst entwinden, als es verendet war.

Der Zwerg, der den Todeskampf seines Lieblings mit angesehen, riß, von Wut übermannt, unter seiner Kutte einen Dolch hervor und stürzte sich auf den Hund. Aber Hobbie fiel ihm in den Arm und hielt ihn.

»Weg von dem Hund, Mann!« schrie er, »weg von dem Hund! Auf solche Weise wird Killbucks keiner Herr!«

Des Zwerges Wut richtete sich nun gegen den Jüngling. Mit einem Ruck, kräftiger noch als der Jüngling ihn von solchem Wesen erwarten konnte, machte er seinen Arm frei von dessen Griff und zückte den Dolch gegen sein Herz. Alles geschah in einem Nu ... und wäre nicht im nämlichen Nu dem zornigen Klausner ein andrer Gedanke durch den Sinn geschossen, der ihn bestimmte, den Dolch wegzustecken, so hätte ein jäher Stoß in Elliots Brust das Werk seiner Rache vollendet.

»Nein!« rief er dem durch die Luft sausenden Dolche nach, »nicht wieder, nicht noch einmal!«

Erschreckt, durch ein dem Anschein nach so verächtliches Geschöpf in solche Gefahr geraten zu sein, mißmutig darüber und von Verachtung gegen sich selber erfüllt, trat Hobbie ein paar Schritte zurück.

»Kraft und Bosheit jagen ihm den Teufel in den Leib!« waren die ersten Worte, die ihm entfuhren. Dann aber entschuldigte er sich um des unglücklichen Zufalls willen, für den er als Jäger Erklärung fand in dem der Ziege eigentümlichen, dem Jagdwild ähnlichen Geruch und Aussehen.

»Ich will nicht das mindeste sagen dem Hunde zur Entschuldigung,« hub er an, »auch mir ist der Fall so unangenehm wie Euch; aber ich will Euch als Ausgleich für den Schaden ein paar Ziegen schicken und ein paar Mutterschafe. Seid dem dummen Vieh von Hund nicht gram, Elshie! Seid Ihr doch verständig genug, um einzusehen, daß das Tier nur seiner Natur gefolgt ist, ist doch die Ziege so halb und halb Geschwisterkind mit dem Reh! Wäre es ein Lamm gewesen, über das er herfiel, hätte man anders reden können. Besser hieltet Ihr Euch ja auch Schafe, Elshie, statt Ziegen, der vielen Jagdhunde halber, die hierherum gehalten werden. Aber ich schicke Euch beides herüber, Elshie, Ziegen und Schafe.«

»Ihr böser Mensch!« zürnte der Einsiedler, »durch Euren grausamen Hang ist eins von den Geschöpfen vernichtet worden, die noch freundlich auf mich blicken.«

»Allerdings, Elshie, aber nicht vorsätzlich,« entgegnete Hobbie, »freilich hätte ich an Eure Ziegen denken und den Hund an die Leine nehmen sollen. Glaubt mir, Elshie, mir wäre es lieber, der Hund hätte mir den schönsten Widder aus meiner Herde erwürgt. Laßt Euch zureden, Elshie, vergeßt und verzeiht! Mich ärgert der Fall nicht minder als Euch, aber ich bin Bräutigam und da denkt man an so mancherlei Dinge nicht, weil einem andre im Kopfe stecken. Meine Gedanken waren bei Hochzeit und Hochzeitsschmaus, wenigstens bei dem Wildpret dazu! Meine beiden Brüder bringen über den Rider's Stack drei feiste Rehböcke auf dem Karren, so drall und jung, wie ihrer jemals, wie's im Liede heißt, »da drüben liefen im Dallomlna« – des Morasts wegen konnten sie bloß nicht grade herüber ... ich möchte Euch ja auch ein Stück Wildpret schicken, aber Ihr würdet es schließlich nicht nehmen wollen, weil Killbuk die Böcke geschlagen hat.«

Der gutmütige Grenzer sprach soviel und mit solchem Eifer, weil er meinte, der erzürnte Zwerg werde sich besänftigen lassen. Der aber hielt, wie in Sinnen vertieft, den Blick auf den Boden geheftet. Endlich brach er in die Worte aus:

»Natur? Instinkt! Der Hund hat ja bloß seiner Natur gefolgt! Freilich, freilich, bequeme Rede, billige Ausflucht mit diesem Schlendrian Natur! Der Starke packt und würgt den Schwachen, der Reiche preßt und plündert den Armen, der Glückliche, wenn er Tor genug ist sich für glücklich zu halten, beschimpft das Elend und verringert den Trost des Elenden. Hebe dich von hinnen! Es ist dir geglückt, dem ärmsten und unglücklichsten unter den Menschenkindern einen neuen Schmerz zu bereiten, du hast mich dessen beraubt, was ich als eine Quelle des Trostes betrachtete. Hebe dich weg und freu dich des Glücks, das dir an deinem Herde winkt!«

»Glaubt mir, Elshie,« versetzte Hobbie, »ich würde Euch gern mitnehmen, wenn Ihr bereit sein wolltet, am Montag mein Hochzeitsgast zu sein. Es werden der Elliots Wohl an die hundert über die Flur galoppieren. Seit den Tagen des alten Martin von Preaking Tower ist gleiches nicht mehr gesehen worden. Wenn Ihr Ja sagtet, würde ich Euch gern den Karren mit einem strammen Klepper herüberschicken.«

»Ihr mutet mir zu, mich noch einmal in die gemeine Herde zu mischen?« fragte der Einsiedler mit dem Ausdruck tiefsten Widerwillens.

»Gemeine Herde, Elshie?« fragte Elliot ... »gemein, Elshie, ist die Sippe der Elliots nicht! Das Geschlecht der Elliots ist bekannt seit alters als edel!«

»Hebe dich weg!« wiederholte der Zwerg, »und möge das ganze Unglück, das du bei mir stiftetest, sich dir an die Schöße hängen! Wenn ich auch nicht mit dir gehe, so suche doch du demjenigen zu entgehen, was meine Begleiter, Zorn und Elend, vor deiner Ankunft über deine Schwelle brachten!«

»Daß Ihr also sprecht, Elshie, ist mein Wunsch nicht,« versetzte Hobbie, »Ihr kennt Euch selbst, Elshie, klug seid Ihr und jedermann hält Euch dafür, aber niemand für überklug! Nun will ich Euch ein für allemal sagen: es haben der Worte, die mir und den meinigen Böses künden, soviel den Weg über Eure Lippen genommen; sollte nun, was Gott verhüten möge, Unglück kommen über meine Base Grace oder über mich selbst oder über die Meinigen oder auch nur über die armen, der Vernunft entbehrenden Hunde, oder sollte mich Schaden treffen an Leib und Gut, dann will ich nimmer vergessen, Elshie, daß ich es Euch zu danken habe!«

»Scher dich, du Bauer!« rief der Zwerg, »geh nach deinem Haus und gedenke meiner, wenn du finden wirst, was dort vorgegangen ist!«

»Schon gut,« sagte Hobbie, sich aufs Pferd schwingend, »was nützt es, mit Krüppeln zu streiten? Sie sind allesamt ungesellig und unflätig. Aber, Nachbar, eins laßt Euch sagen: stehen die Sachen mit Grace Armstrong anders als gut, so will ich, so lange noch in den fünf Kirchspielen ein Teerfaß zu haben ist, Euch rösten, daß es Euch heißer sein soll als in der Hölle!«

Mit diesen Worten ritt er fort.

Der Zwerg lachte höhnisch hinter ihm her. Dann griff er nach Spaten und Hacke und grub seinem toten Liebling ein Grab.

Ein leiser Pfiff, dann der Ruf: »Pßt, Elshie!« störten ihn bei seinem trüben Werke. Er blickte auf. Der rote Bandit stand vor ihm. Blut klebte ihm im Gesicht, wie dem Mörder Banquos; Blut klebte an Sporen und Sporenrädern, von Blut trieften die Flanken seines Rosses.

»Was gibt's, Bandit?« fragte der Zwerg, »ist der Streich verübt?«

»Gewiß, Elshie, oder zweifelt Ihr?« versetzte der Strolch, »wenn ich reite, so mögen die Feinde winseln. Heut morgen hat's in Heughfoot mehr Licht gegeben als Behaglichkeit. Ein leerer Kuhstall steht jetzt dort, und geheult und gejammert wird nach einer schönen Braut!«

»Was soll das heißen?«

»Der Foster Karl von Tinning Back, Karlchen der Galgenschneller, wie er bei uns heißt, hat gelobt, in Cumberland sie hinter Schloß und Riegel zu halten, bis das Unwetter vorübergezogen! Sie hat mich gesehen und erkannt, denn als der Rummel im schönsten Gange war, fiel mir einen Moment die Larve von der Fratze. Drum meine ich, wenn sie wiederkehrt, steht's faul um meine Ruhe. Denn der Elliots sind viele und sie halten zusammen in Freud und Leid seit alters. Ich bin hergekommen, Rat von Euch zu hören, wie ich mich am besten sichre.«

»Also willst du sie morden?« »Nicht, wenn es sich anders machen läßt! Es geht aber die Rede, daß sich mit List Leute aus Seehäfen nach den Kolonieen schaffen lassen und daß sich ein hübsches Stück Geld machen läßt für jemand, der es versteht, ein hübsches Mädel hinüber zu schmuggeln. Weibliches Vieh ist drüben rar und hier wächst's wie Unkraut. Vielleicht läßt sich die Dirne aber noch besser unterbringen. Es soll eine vornehme Dame ins Ausland spediert werden, wenn sie nicht parieren will; der möchte ich die Dirne als Magd aufhängen, hübsch ist sie ja und zu benehmen weiß sie sich auch! Ei, Hobbie Elliot wird seine Freude heut morgen haben, wenn er heimkommt und weder Braut noch Hof mehr findet!«

»Und Ihr habt kein Mitleid mit ihm?« fragte der Zwerg.

»Mitleid? Würde er es haben mit mir, wenn er mich unterm Galgen sähe? Der hübschen Dirne wegen reut's mich aber doch halb und halb. Na, er kriegt schon eine andre, der Schaden wird so groß nicht für ihn sein. Ist doch eine so gut wie die andre! Ihr hört's ja so gern, Elshie, wenn's Unheil setzt; habt Ihr je Vernommen von schlimmerem Streich, als ich ihn heut morgen Verübte?«

»Luft und Meer und Feuer,« sprach der Zwerg in sich hinein. »Erdbeben, Sturm und Vulkan sind mäßige Gewalten im Vergleich zu menschlichem Grimm und Zorn! Und was ist dieser Kerl anders als ein Schurke, geschickter als andre, des Daseins Zweck zu vollführen? Höre, Bandit, was ich dir sage: Geh dorthin zurück, wohin ich dich früher sandte!«

»Zu dem Verwalter?«

»Ja, und sag' ihm: Elshender der Klausner wolle, daß er dir Geld gebe! Aber höre: laß die Dirne frei, laß sie unverletzt! Bring' sie zurück zu ihren Verwandten! Laß sie schwören, daß sie reinen Mund halte über dich und dein schurkisches Tun!«

»Wenn sie nun aber den Eid nicht hält?« fragte Westburnflat, »Weibsvolk ist bekannt dafür, daß es nicht Wort hält. Das sollte solch weiser Mann wie Ihr wissen! Und unverletzt soll ich sie ziehen lassen? Wer weiß, was vorfällt, wenn sie länger in Tinning-Back weilt. Karlchen Galgenschneller ist ein rauher Wicht! Für 20 Stück Gold in bar läßt sich aber, denk ich, bürgen, daß sie binnen heut und 24 Stunden wieder bei ihrer Sippe ist.«

Der Zwerg nahm ein Blatt Papier und schrieb ein paar Worte drauf.

»Hier hast du, was du willst,« sprach er und gab dem Räuber das Blatt, »aber merk' dir: du weißt, daß du mich durch Verräterei nicht betrügen kannst! Verhältst du dich ungehorsam gegen meine Befehle, so steht dein elendes Leben dafür ein. Rechne drauf!«

»Daß Ihr Gewalt auf Erden besitzet, gleichviel wie Ihr in ihren Besitz gelangt sein möget, weiß ich,« versetzte der Bandit mit zu Boden gewandtem Blick. »Ich weiß ebenso, daß Ihr Dinge vermögt, wie kein anderer Mensch, durch Arzneien sowie durch prophetische Gabe. Auf Euren Befehl regnet's und auf Euren Befehl sah ich an frostigem Oktobertag die Käppchen von den Eschblüten fallen. Ich werde Eurem Befehl gehorsam sein.«

»Dann pack dich und mach mich deiner verhaßten Nähe ledig!«

Der Bandit spornte sein Pferd und ritt hinweg ohne Antwort.

Hobbie Elliot hatte unterdes die Heimkehr beschleunigt. Ihn quälte eine seltsame Angst vor Unheil, eine Empfindung, die der Mensch durch die Worte Ahnung oder Vorgefühl bezeichnet. Noch war er nicht auf dem Kamm des Hügels, von wo aus man sein Haus und Hof liegen sah, als ihm seine Amme oder »Kindsmagd« entgegengerannt kam. Zur damaligen Zeit, wo das Verhältnis zwischen Pflegekind und Amme noch für unlöslich galt, wo die Kindsmagd zur Familie zählte und vom Haupte derselben alle Aufmerksamkeit und Rücksicht genoß, noch eine wichtige Person! Annaple hieß Hobbies Amme, und kaum wurde er ihrer in dem roten Rock und in der schwarzen Haube ansichtig, als ihm herbe Gedanken in die Seele schlichen, die er in folgendes Selbstgespräch übersetzte:

»Welches Unglück kann es sein, das meine alte Amme, die sich doch sonst keinen Büchsenschuß weit entfernt, so weit hinweg führt von unserm Hause? Ob sie Schwarz- oder Moosbeeren im Moore sammeln will, um die Hochzeitstorte zu backen? Aber die bösen Reden des alten Grobians von Krüppel, des boshaften Narren draußen im Moor, kann ich nicht loswerden! Der geringste Umstand setzt mich in Unruhe, verursacht mir schlimme Ahnung! O, Killbuk, du tolles Vieh, es gibt doch der Ziegen noch genug im Lande, mußtest du dir gerade seine Ziege statt eines Rehs heraussuchen, um sie zu packen und würgen!«

Mittlerweile war Annaple herangehumpelt. Tiefe Trauer lagerte auf ihrer Stirn und Verzweiflung leuchtete so hell aus ihrem Blick, daß er sich nicht traute, nach der Ursache zu fragen. »Ach, mein Kind, mein liebes Kind!« rief sie und hielt sein Pferd am Zügel, »dreh um und geh nicht weiter! Es harrt deiner ein Bild, grausig genug jedem Fremden, grausam genug, dich selber auf dem Fleck zu töten!«

»Im Namen des allmächtigen Gottes, Annaple, was ist geschehen?« rief der junge Weidmann entsetzt und suchte den Zügel den Händen der Greisin zu entwinden, »laß mich, ums Himmels willen, laß mich! Ich muß sehen, was geschehen!«

»Weh mir, mein Hobbie, daß ich solchen Tag erleben mußte! Der Stall steht in Lohe und der Feim liegt in roter Glut und alles Vieh ist weggetrieben! Dreh um, du mein Liebling, und geh' nicht weiter! Was heute morgen meine alten Augen gesehen, wird dir das junge Herz brechen!«

»Wer hat solches gewagt, Kindsmagd? Laß die Finger vom Zügel, Annaple! Wo ist die Urahn? Wo find die Schwestern und wo ist Grace? Herr Gott, des Zauberes Worte summen mir in den Ohren!«

Im Nu war er vom Pferde und hatte sich frei gemacht von den Armen der Kindsmagd und rannte den Hügel hinauf.

Hier sah er das Schauspiel, das die Alte gekommen war ihm zu künden. Grausig! Herzzerreißend! Zu Wahnsinn stimmend! Sein Haus und Hof, am Gebirgsbach in ländlicher Stille gebaut diese trauliche Stätte behäbigen Daseins, diese sichere Unterkunft für sich und die Seinen, die er verlassen hatte mit allen Zeichen des Glücks und des Friedens, lag jetzt vor seinen Blicken als wüste, rauchgeschwärzte Ruine! Aus dem in Trümmern liegenden Gemäuer stieg noch der Rauch empor in züngelnden Schlangen; Torfschuppen, Getreidescheuer, Stallung und Vieh, aller Reichtum eines Landmanns im Gebirge zu damaliger Zeit, und bei Hobbie Elliot in nicht ungewöhnlicher Menge vorhanden, war in einer einzigen Nacht ein Raub der Flammen geworden.

Einen Moment lang war er sprachlos, regungslos. Endlich löste sich ihm die Zunge und er rief:

»Zu Grunde gerichtet! Arm wie eine Kirchenmaus! Alles, alles weg bis auf den letzten Heller! Aber verflucht sei alles irdische Gut, stände ich bloß nicht eine Woche vor der Hochzeit! Aber,« rief er und ballte die Fäuste, »ich bin kein Knabe, daß ich mich hinsetze und flenne ... Wenn ich bloß Grace bei Wohlsein finde und die Urahn mit den Schwestern, so kann ich, gleich dem Großvater unter des alten Buccleuch schrillem Banner, in den Krieg nach Flandern ziehen. Also Mut, Hobbie! Mut, sonst büßt das Weibsvolk allen Mut ein, den es vielleicht noch hat!«

Hobbie schritt tapfer hügelabwärts, entschlossen, die eigne Verzweiflung zu bekämpfen und Trost zu spenden, den er selbst nicht fühlte. Um die Brandstätte herum standen die Nachbarn, vornehmlich solche seines Namens, die jüngeren in Waffen, nach Rache schreiend, wenngleich sie nicht wußten, wen Rache treffen sollte; die älteren beflissen, den vom Feuer Heimgesuchten Hilfe zu leisten. Die Hütte der Kindesmagd, unfern der Brandstätte am Bache gelegen, war im Handumdrehen hergerichtet zum Aufenthalt für die Urahn und für die Mädchen. Was dazu vonnöten war, denn aus dem Feuer war nur wenig gerettet worden, trugen die Nachbarn herbei.

»Ihr Männer, sollen wir den ganzen Tag hier stehen und gaffen auf die rauchigen Mauern der Wohnstätte unsers Verwandten? Jegliche Rauchsäule, die aufsteigt, ist für uns ein Qualm der Schmach! Zu Pferde, zu Pferde! Auf die Jagd nach den Brandstiftern! Wo am nächsten finden wir Schweißhunde?« So rief es durcheinander.

»Bei Earnscliff!« versetzten andre, »er ist schon unterwegs mit sechs Reisigen, die Schandbuben aufzuspüren!«

»Ihm nach, ihm nach,« riefen andre, »die Lärmglocken sollen im Lande dröhnen! Laßt uns Beistand unterwegs sammeln! Wer uns zunächst liegt, soll unsre Faust zuerst fühlen!«

»Maul gehalten, ihr Grünschnäbel!« warnte ein Greis, »keiner von euch weiß, was er schwatzt! He! Sollen wir Krieg entzünden zwischen zwei friedlichen Ländern?«

»Was summt man uns die Ohren voll mit Ahnen und ihrer Mär, wenn wir hier stehen und sehen sollen, wie dem Hobbie das Haus überm Kopfe angesteckt wird? Wenn wir nicht Hand anlegen dürfen, ihn zu rächen? Das war nicht Weise unsrer Ahnen: die Überzeugung habe ich!«

»Ich sage kein Wort dagegen, daß man Rache nimmt für die Unbill, die heute Hobbie, dem Armen, widerfahren ist. Aber heute müssen wir das Gesetz für uns haben, Simon!« bemerkte der klügere Greis.

»Zudem glaube ich nicht,« meinte ein andrer Greis, »daß jetzt noch jemand lebt, der das für einen Raubzug über die Grenze vorhandene gesetzliche Verfahren kennt. Tam von Whittram war damit bekannt, der ist aber im harten Winter vorigen Jahrs gestorben!« »Freilich,» meinte ein dritter, »der war bei dem großen Schwarm, als bis Thirlmall gejagt wurde; im Jahre der Schlacht von Philiphaugh war's.«

»O,« rief noch ein anderer in diesem Durcheinander von Ratgebern, »viel Geschick ist dazu nicht vonnöten! Es wird ein brennendes Torfstück oder Heubüschel oder dergleichen auf eine Speerspitze gesteckt, in ein Horn geblasen und das Merkwort für das Aufgebot gerufen, dann darf man das gestohlene Gut nach England verfolgen und mit starker Hand wieder an sich nehmen oder man darf Gut von einem Engländer fortnehmen: vorausgesetzt freilich, daß man nicht mehr raubt als einem geraubt worden ist. So lautet das alte Grenzgesetz, gegeben zu Dundrennan in den Tagen des schwarzen Douglas. Hieran darf niemand zweifeln. Das ist so klar wie die Sonne!«

»Dann kommt, Burschen,« rief Simon, »zu euren Rappen und Braunen! Laßt uns Caddy, den alten Taglöhner, mitnehmen, der kennt den Wert des geraubten Viehs und Hausgeräts! Hobbies Ställe und Scheunen sollen heut abend wieder gefüllt sein; und läßt sich das alte Haus nicht so schnell wieder aufbauen, so läßt sich eines in England ebenso schnell niederbrennen wie Heugh-foot! Das gilt als ehrlich Spiel hienieden!«

Dieser Aufruf zu Brand und Plünderung wurde vom jüngeren Volk höchst beifällig aufgenommen. Da ging ein Geflüster durch die Reihen: »Dort kommt Hobbie selber, der Arme!« und weiter hieß es nun: »Warten wir, was er sagt! Folgen wir seinen Reden!«

Der, den das Unglück am härtesten getroffen, war nun von dem Hügel herabgestiegen und eilte durch den Haufen Volks. Außer daß er den freundlichen Druck einer Nachbars- oder Verwandtenhand erwiderte, ließ ihm sein erregter Gemütszustand im ersten Augenblick weder Zeit noch Ruhe zu einem Gedanken oder einer Überlegung. Erst als er die Hand Simons, des Kätners von Hackburn, drückte, fand er Worte in seiner Herzensqual.

»Ich danke dir, Simon,« sprach er, »Nachbarn, ich danke euch! Was ihr mir sagen wollt, weiß ich – aber wo sind sie? – wo sind – wo ist –« stotterte er, gleich als fürchte er sich, die Namen derjenigen zu nennen, nach denen er sich erkundigen wollte.

Von ähnlicher Empfindung beherrscht, deuteten die Verwandten, ohne Antwort zu geben, auf die Hütte der Kindsmagd.

Hobbie stürzte hinein mit dem verzweifelten Ausdruck eines Menschen, der gefaßt, aber auch Willens ist, alles Schlimme auf einmal zu hören.

»Armer Hobbie! Armer Elliot vom Heugh-foot!« rief es von allen Seiten mit dem herzzerreißendsten Ausdruck des Mitleids. ... »Jetzt wird er das Schlimmste erfahren!«

»Hoffentlich gelingt es dem jungen Earnscliff, der armen Dirne Spur zu finden!«

Das Wiedersehen zwischen Hobbie und seiner Sippe war ergreifend. Die Schwestern warfen sich ihm an den Hals und überhäuften ihn mit Liebkosungen, wie wenn sie ihn hindern wollten, sich umzusehen, wie wenn sie hofften, daß es ihnen gelingen würde, ihm die Abwesenheit der Braut zu verbergen.

»Helf dir Gott, mein Sohn! Er kann helfen, wenn Vertrauen hienieden an zerbrochnem Halme hängt!« Das waren die Grußworte der Urahn für den unglücklichen Enkel.

Wild schaute er um sich, zwei Schwestern an der Hand haltend, dieweil die dritte ihm am Halse hing, »ich sehe euch,« sprach er, »ich zähle euch: die Urahn, Lili, Jenny, Annot! Aber wo, wo ist –« (wieder hielt er inne, als müsse er sich zum Reden zwingen) – »wo, wo ist Grace?« schrie er jetzt wie rasend, »Grace, wo ist Grace? Daß sie sich jetzt vor mir verstecke, dazu ist jetzt die Zeit nicht! – zu Scherz und Tändelei wäre sie schlimm gewählt!«

»Ach, Bruder!« und »die arme, arme Grace!« lauteten die einzigen Worte, die er auf seine Fragen erlangen konnte, bis endlich die Urahn aufstand, ihn sanft aus den Händen der weinenden Mädchen löste und mit jener milden Zuversicht ihn anredete, die aus wahrer Frömmigkeit entspringt und, wie Öl die Wogen, den Seelenschmerz zu lindern vermag. ... »Kind, mein Kind! Als dein Großvater gefallen war im Kriege und mich zurückließ mit sechs vaterlosen Waisen, fast ohne Brot zur Nahrung, fast ohne Dach über dem Haupte, da fand ich Kraft, nicht aus mir selbst, aber durch Den da droben, der seine Hand hält über Gerechten und Ungerechten, die Kraft zu sprechen: »Herr Gott! Dein Wille geschehe!« Mein Kind, mein Sohn! Sohn meines Sohnes! Unser friedliches Haus ist gestern durch bewaffnete, maskierte Reiter überfallen, erbrochen worden! Alles, alles haben sie geraubt und zerstört und deine süße Grace haben sie hinweggeführt! Bete, mein Sohn, bete, auf daß du Kraft findest zu sprechen gleich mir: Herrgott! Dein Wille geschehe!«

»Mutter – Mutter – nicht jetzt bestürme mich – ich kann nicht – nicht jetzt! – ich bin ein sündhafter Mann aus grimmem Geschlecht, von hartem Sinn! Berittne mit Waffen in der Hand – mit Masken verdeckt – haben Grace geraubt! Aus meinem Hof und Haus! Gebt mir mein Schwert! Rucksack und Schwert! Ich will Rache nehmen und keine Ruhe suchen, bis ich sie gefunden, und sollte ich in die tiefsten Gründe der Finsternis dringen! Mein Schwert her! Rucksack und Schwert her!«

»Mein Kind! Mein Sohn! Sohn meines Sohnes!« flehte die Urahn, »fasse dich in Geduld unter der Zuchtrute des Herrn! Wer kann sagen, wann Er die Hand von uns zieht? Earnscliff, Gott segne den jungen Herrn aus edlem Geschlecht, ist schon unterwegs zur Verfolgung der Räuberschar, mit Danie von Stenhouse und den ersten, die sich hier einfanden, Haus und Hausgerät, rief ich ihnen zu, sollten sie stehen und liegen lassen, um Grace wiederzubringen. Drei Stunden nach dem Überfall sprengten sie schon über die Heide, Earnscliff mit seinen Mannen. Gottes Segen über sein Haupt! Er ist ein echter Earnscliff, der wahrhafte Sohn seines Vaters! Ein wackerer Mensch und ein treuer Freund!«

»Wahr redet die Urahn!« pflichtete Hobbie bei, »Gottes Segen über sein Haupt! Ein wackrer Mensch, ein treuer Freund!«

»O Kind Sohn meines Sohnes! Ehe du dich in Gefahr begibst, laß mich nur einmal hören aus deinem Munde: Der Wille des Herrn geschehe!«

»Bestürme mich nicht, Mutter, nicht jetzt! Jetzt nicht!« rief Hobbie und stürzte zur Hütte hinaus. Als er aber sich umdrehte und die Trauer sah, die sich über das Gesicht der geliebten Urahn senkte, da eilte er zurück, flog in ihre Arme und sprach: »Ja, Urahn, ich kann es! Recht habt Ihr, Mutter, weil Ihr Trost darin findet. Der Wille des Herrn geschehe!«

»In Ewigkeit, Amen!« sprach mit gefalteten Händen die Urahn ... »und nun geh! Sohn meines Sohnes! Möge Er dich geleiten und führen, auf daß du bei deiner Heimkehr ausrufen könnest: Gepriesen sei sein Name in Ewigkeit!« »Lebt wohl, Mutter und Schwestern!«

Und der Jüngling sprengte über Moor und Heide.


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