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Sechstes Kapitel.

Der einsiedlerische Klausner hatte den Rest des Tages, der ihn mit den jungen Damen zusammenführte, in seinem Garten verbracht. Abends saß er wieder auf seinem Lieblingssteine. Düsteres Licht warf die hinter wogendem Gewölk niedergehende Sonne über das Moor und färbte die breiten Umrisse der kahlen Höhen, die diese einsame Stätte umschlossen, mit tiefem Purpur. Der Zwerg betrachtete das Gewölk. Als es sich zu Dunstmassen häufte und ein heller Strahl der sinkenden Flammenkugel durch diese hindurch auf seine absonderliche Gestalt fiel, da konnte er für den Dämon des drohenden Gewittersturms oder für einen Kobold gelten, der aus seiner unterirdischen Wohnstatt durch unterirdische Anzeichen nahenden Sturmes zur Oberfläche gejagt worden war. Und wie er so dasaß, das finstere Auge auf den zürnenden, in Schwarz getauchten Himmel gewandt, da kam ein Reitersmann herangesprengt, hielt an, als wolle er sein Roß zu Atem kommen lassen und schnitt dem Zwerge ein Kompliment mit einem Ausdruck, der die Mitte hielt zwischen Frechheit und Unsicherheit.

Der Reiter war von Gestalt dünn und schlank, aber groß. Die breiten Knochen und kräftigen Sehnen seines Körpers verrieten merkwürdige Stärke. Der ganze Habitus des Mannes ließ schließen, daß er zeitlebens jene Leibesübungen getrieben, die den Leibesumfang nicht mehren, wohl aber die Muskelkraft stärken und stählen. Sein sonnverbranntes, sommersprossiges Antlitz mit den energischen Zügen kündete einen unheimlichen Ausdruck von Gewalttätigkeit, Frechheit und List: Eigenschaften, die reihum über einander zu herrschen schienen. Das rote Haar und die rötlichen Brauen, hinter denen ein scharfes graues Augenpaar blitzte, ergänzten den unheilkündenden Umriß seines Gesichts. Er trug Pistolen in den Satteltaschen und unter seinem Gurt wurde, trotzdem er sich Mühe gab, es unter dem zugeknöpften Wams zu verstecken, ein zweites Paar sichtbar. Sein Anzug bestand aus einem Büffelwams von altertümlichem Schnitt, einer verrosteten Sturmhaube und Handschuhen, von denen derjenige der rechten Hand gleich einem alten Fechthandschuh mit kleinen Eisenschuppen bedeckt war; ein mächtiger Pallasch vervollständigte seine Ausrüstung.

»Recht so,« sprach der Zwerg, »Raub und Mord sitzen wieder hoch zu Roß.«

»Richtig, Elshie!« pflichtete der Bandit bei, »Eure Wissenschaft hat mich wieder auf die Beine gebracht!«

»Und all' Eure auf dem Krankenlager gegebenen Gelübde, ein besserer Mensch zu werden, sind vergessen?« fragte Elshender weiter.

»Alle sind heidi,« rief der Bandit ohne Scheu und Scham, »heidi mit dem Wasserkrug und der Brotsuppe, Ihr wißt doch, Elshie – man sagt ja, Ihr seiet bekannt mit dem Herrn:

Herr Satan kriegte das Zipperlein, juchhe!
Da wollt' er gern ein Mönchlein sein, auweh!
Dann ward's ihm wieder besser, juchhe!
Da schliff er sich das Messer, auweh!
Und schnitt die Kutte kurz und klein,
Zog länger nicht die Klauen ein!
Juchje, juchhe!
Ließ Herz und Nieren kräftig Luft,
Auweh, auweh!
Das gab gar bitterbösen Duft!
Der Satan ist ein Schwein –
Das wird nie anders sein!
Tra-rah, tra-rah!
Drum bin ich wieder da!«

»Daran erkennt man dich so recht, wie du bist!« nahm der Zwerg wieder das Wort, »ein Wolf läßt so wenig von seinem Blutdurst und ein Rabe so wenig von seiner Aasgier, wie ein Bandit wie du von seinen verruchten Neigungen!«

»Was Henker soll ich machen? Es liegt mir im Blut und in den Knochen! Ist mir angeboren! Höre, Alter! Die Burschen von Westburnlat waren durch zehn Geschlechter Wegelagerer und Viehdiebe, haben gefressen und gesoffen und sich nichts abgehn lassen, haben blutig Rache genommen für lappige Kränkungen und niemals der Waffen dazu ermangelt.«

»Recht so! Bist ein Rassewolf,« sprach der Zwerg »wie je einer nachts über eine Hürde gesetzt ist! Mit welchem Auftrag der Hölle bist du jetzt unterwegs?«

»Kann Eure Weisheit das nicht raten?«

»Soviel weiß ich,« sprach der Zwerg, »daß deine Absicht schlimm ist, dein Tun noch schlimmer und der Ausgang das schlimmste sein wird von allem!«

»Je nun, Elshie,« meinte Westburnflat, »eben darum stehe ich doch in Gunst bei Euch! Wenigstens habt Ihr das immer gesagt!«

»Ich habe Grund und Ursache zu lieben, wer eine Geißel seiner Mitmenschen ist,« versetzte der Zwerg, »und du bist blutige Geißel!«

»Nein! Dessen bekenne ich mich nicht schuldig! Blut vergieße ich nie, außer wenn Widerstand geleistet wird! Widerstand das wißt Ihr doch, treibt einem die Borsten zu Berge. Viel gelegen ist nicht weiter dran; ich stutze bloß einem jungen Hahne, der gar zu laut gekräht hat, den Kamm.«

»Doch nicht dem jungen Earnscliff?« fragte nicht ohne Aufregung der Zwerg.

»Nein, dem noch nicht! Aber vielleicht kommt auch an ihn die Reihe, sofern er sich gutem Rate verschließt. Er mag in die Karnickelstadt zurückkehren, dorthin paßt er; hier aber braucht er sich nicht herumzutreiben und dem bißchen Rotwild nachzusetzen, das noch im Lande ist, oder gar den Friedensapostel herauszubeißen und den Herrschaften drüben im alten Rauchnest Bericht zu erstatten über die Unruhe im Lande! In acht nehmen soll er sich!«

»Dann muß es doch Hobbie von Heugh-foot sein,« meinte Elshie ... »was aber hat der dir zu leid getan?«

»Nichts Besonderes; aber gesagt soll er haben, ich sei am Fastelabend aus Furcht vor ihm vom Kugelspiel weggeblieben. Ich bin aber bloß weggeblieben, um keinem Häscher in den Arm zu rennen, denn es war ein Haftbefehl gegen mich erlassen worden. Wenn's darauf ankommt, so halte ich Hobbie und seinem ganzen Clan stand. Es dreht sich um nichts weiter, als daß ich ihm eine Lektion geben will, daß er seiner Zunge nicht allzufreien Lauf läßt gegen Leute, die besser sind als er. Ehe morgen der Tag graut, wird er, des bin ich überzeugt, die beste Schwungfeder aus seinem Fittich verloren haben. Adieu, Elshie! Drunten im Walde warten ein paar handfeste Bursche auf mich. Auf der Rückkehr will ich vorsprechen bei Euch und Euch was Hübsches bringen für Eure Heilkunde.«

Bevor noch der Zwerg Zeit zur Antwort fand, setzte der Räuber von Westburnflat seinem Rosse die Sporen in die Flanken. Es rannte gegen einen der verstreut liegenden Blöcke und sprang vom Wege ab. Der Reiter bearbeitete es rücksichtslos mit den Sporen weiter, es wurde wild, bäumte sich, schlug nach hinten und vorne aus, sprang wie ein Hirsch mit allen Vieren vom Boden auf. Umsonst, der Reiter saß fest, wie verwachsen mit seinem Tiere und nach kurzem, aber wildem Kampfe zwang er es nieder. In einem Tempo, das ihn bald aus dem Sehbereich des Zwerges brachte, raste das Pferd von dannen.

»Dieser Bösewicht,« rief der Zwerg, »dieser kaltblütige, hartgesottene, gefühllose Raufbold – dieser Schuft, dessen Seele von verbrecherischen Gedanken strotzt, besitzt Gliedmaßen, Muskeln und Sehnen genug, ist kräftig und behend genug, ein edleres Geschöpf als er selber ist, zu zwingen, daß es ihn dorthin trägt, wo er Schandtaten verüben kann, wahrend es mir, besäße ich die Schwäche, sein unglückliches Schlachtopfer warnen, dessen hilflose Sippe retten zu wollen, zufolge der Altersschwäche, die mich an diesen Fleck bannt, unmöglich sein würde, solch gute Absicht zu vollbringen. Doch weshalb sollte ich wünschen, daß es anders sei? Was hat meine krächzende Eulenstimme, meine greuliche Gestalt, der scheußliche Ausdruck meiner Gesichtszüge mit den schöneren Geschöpfen der Natur zu schaffen? Empfangen Menschen nicht sogar Wohltaten von mir mit Schaudern, Abscheu, Widerwillen? Weshalb sollte ich mich um ein Geschlecht bekümmern, das mich als Mißgeburt, als Ausgestoßenen betrachtet Und behandelt? Nein! Bei allem Undank, den ich erfuhr, bei allem Unrecht, das ich ertrug, bei meinem Kerker, meinen Ketten, meinen Geißelungen! ich will es niederkämpfen, dies Gefühl der sich auflehnenden Menschlichkeit! Ich mag nicht mehr Tor sein wie früher, der von seinen Grundsätzen abwich, wenn sich jemand an sein Gefühl wandte. Als wenn ich, dem niemand Mitgefühl erzeigt, mit irgendwem Mitgefühl hegen sollte! Mag das Schicksal seinen Sichelwagen durch die erdrückte, zitternde Masse der Menschheit treiben! Soll ich der Tor sein, diese Satire auf die Menschheit, diesen entstellten Klumpen von Sterblichkeit unter die Räder dieses Sichelwagens zu werfen, damit der Zwerg, der Zauberer, der Krüppel eine schöne Gestalt oder einen behenden Leib vor Vernichtung rette und die Welt ob solches Wechsels in die Hände klatsche? Nie, nie! Und dennoch, dieser Elliot – so jung, so tapfer, so freimütig, so ... nein! Ich will nicht länger dran denken! Ich kann ihm nicht helfen und mag ihm nicht helfen! Ich bin entschlossen, fest entschlossen, ihm nicht zu helfen, selbst wenn ich könnte und wenn der bloße Wunsch ihm Bürgschaft bieten könnte für seine Sicherheit!«

Nach diesem Selbstgespräch begab er sich in seine Hütte, Schutz suchend vor dem Wetter, das jetzt heraufkam. Große, schwere Tropfen schlugen nieder. Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden. In kurzen Zwischenräumen folgte Donnerschlag auf Donnerschlag, an den kahlen Höhen sich fortpflanzend gleich dem Echo einer fernen Schlacht.


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