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Zehntes Kapitel

In dem Widerstreit der Leidenschaften und Empfindungen, die sein Gemüt durchwogten, fand Waverley erst spät einen halbwegs erquickenden Schlummer. Er träumte von Glennaquoich und verlebte den festlichen Ball noch einmal in der Halle der Mac-Ivors. Sogar den Dudelsack vernahm er ganz deutlich, und wenigstens das war keine Täuschung mehr, denn »der stolze Schritt des Oberpfeifers von Mac-Ivor-Clan« erklang im Hofe, »gellend, daß Pfosten und Mauern erdröhnten«, und bald wurde der Lärm so mächtig, daß Waverley völlig erwachte.

Und dann dröhnten Tritte im Zimmer, und Mac-Ivors Höriger, Callum-Beg, denn ihm hatte der Häuptling die Sorge für Waverley wieder übertragen, fragte:«

»Möchten Eure Gnaden nicht aufstehen? Vich-Ian-Vohr und der Prinz sind schon hinunter ins lange grüne Tal, das sie den Königspark nennen, und es sind schon viele auf den Beinen, heute, wo mancher nicht mehr sein wird, wenn die Nacht wieder sich herniedersenkt.«

Waverley sprang auf und legte mit Callum-Begs Hilfe den Tartan an, dann die Waffen. Dann meldete ihm Callum, daß sein Mantelsack angekommen, aber mit Vich-Ian-Vohrs Gepäck schon wieder unterwegs sei. Waverley dachte wieder an das Paket, das ihm Alice gezeigt hatte, das immer ihm so nahe blieb und doch immer sich seinen Händen wieder entrückte, wenn er es fassen zu können meinte. Aber jetzt war keine Zeit zum Sinnen, denn Callum drängte von neuem zum Aufbruch.

Als sie einen schmutzigen Pfad entlang schritten, fragte Waverley den Begleiter:

»Callum, wie könnte ich wohl zu einem Pferde kommen?«

»Ei, daran dürfen Euer Gnaden nicht denken, Vich-Ian-Vohr zieht zu Fuß an der Spitze seines Stammes in die Schlacht, der Prinz auch, mit dem Schild auf der Schulter. Und so müßt auch Ihr es machen.«

Als sie aus den schlechten, schmutzigen Vorstädten der Hauptstadt heraus in die freie Luft gelangten, fühlte Waverley, wie ihm Gesundheit und Frohsinn wiederkehrten. Mit heiterer Ruhe verlebte er die Ereignisse des verflossenen Abends noch einmal und mit Hoffnung und entschlossenen Sinnes sah er den kommenden Dingen entgegen.

Als er den Leonardshügel, die kleine Felsenhöhe, erstiegen hatte, lag der Königspark oder das Tal zwischen dem als »Arthurs Stuhl« bekannten Berge und den Höhen, auf denen der südliche Teil von Edinburg sich erhebt, vor seinen Blicken: ein Anblick von überraschender Schönheit. Tief unten hatte das Heer der Hochländer sich gelagert, das im Begriffe war, abzumarschieren. Die Felsen, die den Hintergrund der Szene schlossen, ja das Himmelsgewölbe selbst, hallte von den Klängen des Dudelsacks wider, denn jeder einzelne Clan hatte seinen besondern Kriegsmarsch, und jedem Clan schritten Sackpfeifer voran. Die Söhne der Berge erhoben sich von ihren Lagern unter dem Himmelsbaldachin, und ein Summen und Brummen herrschte wie in einem Riesenbienenstocke, wenn die Immen zum Schwärmen sich bereiten. Ein frisches, lebendiges Schauspiel! hier gab es keine Zelte abzubrechen, denn die Gebirgsleute hatten auf freiem Felde kampiert, trotzdem es schon Spätherbst war und die Nächte schon kalt waren. Es wallte und wogte von bunten Tartanen, es flutete von Federbüschen, und Banner über Banner flatterten im Frühwinde mit Clanrolands drohendem Spruche: »Weh dem, der Hand und Wort wider mich hebt!« oder mit Lochiels Spruche: »Auf, Fortuna, und schlage die Fesseln!« oder dem Spruch der Barone von Tullibardine: »Keiner mir nach, aber jeder voraus!« und wie die von seltsamer Urkraft und heiligem Trutz kündenden Sprüche alle noch hießen. ...

Endlich hatte die wirre Menge sich zu einer schmalen, finstern Schnur entfaltet, die sich über die gesamte Länge des Tals hin erstreckte. An der Spitze wehte die Fahne des Chevaliers, ein rotes Kreuz auf weißem Feld mit dem Motto: » Tandem triumphans. Den Vortrab des Heeres bildete eine schwache Reiterei, die größtenteils aus unterländischem Adel bestand. Ihre Standarten sah man schon am äußersten Horizonte wehen. Manche, die zu dieser Truppengattung gehörten, darunter auch Balmawhapple, den Waverley jetzt in ziemlicher Nähe erblickte, und die wahrscheinlich in der Nacht dem Bacchus und andern Göttern zu fleißig geopfert und sich infolgedessen mit der Erfüllung ihrer Berufspflichten verspätet hatten, erhöhten die Lebendigkeit der Szene, während sie die strenge Regelmäßigkeit, die man von einem militärischen Aufmarsch erwartet, erheblich beeinträchtigten, dadurch, daß sie sich mit aller Eile durch die Fußtruppen drängten, um zur Spitze des Zuges zu gelangen, ohne sich an das Fluchen und Wettern solcher zu kehren, deren Gruppierung und Vorwärtsbewegung sie störten.

Hin und wieder dröhnte vom Schlosse her ein Kanonenschuß, wenn die hochländischen Wachtposten sich zu dicht an die Schloßmauern heranwagten, oder wenn eine Kolonne sich in Schußweite bewegte.

Solchen Anlaß benutzte dann Callum-Beg, um Waverley zu größerer Eile zu spornen, »weil«, wie er sagte, »Vich-Ian-Vohr sich vorn an der Spitze befände, und es bis dorthin noch immer ein tüchtiges Stück zu rennen sei«. Hinter und vor sich sah Waverley die dunklen Wolken von Kriegern, aber je näher er ihnen kam, desto mehr verringerte sich seine Meinung über die Kriegstüchtigkeit des schottischen Heeres. Die Häuptlinge der Clans waren gut bewaffnet. Sie trugen Schwert, Schild und Flinte, dazu Dolch und in der Regel auch ein paar Pistolen. Aber diese Bewaffnungsweise beschränkte sich auf die eigentlichen Edelleute bei jedem Clan, und trefflichere Mannen als sie konnte kein Feldherr sich wünschen. Aber unter dem Gros der Mannschaft sah es ganz anders aus, denn dieses bestand in der Hauptsache aus den Bauern der Clandistrikte, die sich zwar nicht als »Bauern« fühlten, auch diesen Namen nicht auf sich angewandt wissen mochten, sondern im Alter ihrer Stammbäume sich sogar dem Adel überlegen dünkten, ohne sich daran zu kehren, daß sie manchmal kaum so viel ihr eigen nannten. um ihre Blöße zu decken. Sie waren armselig bewaffnet, halbnackt und auch körperlich zum Teil stark heruntergekommen, zum Teil auch überhaupt schwach entwickelt. Jeder bedeutendere Clan hatte einen solchen Bestand von Heloten bei sich. So waren die M'Couls, obgleich sie ihre Abkunft von dem Vater Fingals herleiten, Erbknechte der Stuarts von Appine; die Macbeths, die von dem unglücklichen Fürsten, den Shakespeare verherrlicht hat, herstammen, waren den Morays oder dem Clan Donnochy oder den Robertsons von Athole untertan usw. Ihre schlechte Bewaffnung war freilich in der Hauptsache die unmittelbare Folge des Entwaffnungsgesetzes, das über Schottland seit mehreren Jahren verhängt worden war, um auf diese Weise die Häuptlinge im Hochlande empfindlich zu schwächen, aber vielfach auch eine Folge des Zurückgangs aller wirtschaftlichen Verhältnisse. Es war infolgedessen erklärlich, daß der Nachzug des Heeres, dessen Vortrab die beste Bewaffnung nach Landesbrauch und alter Sitte aufwies, mehr einem Räuber- als einem Soldatentrupp glich. Hier trug einer eine Streitaxt, dort ein Schwert ohne Scheide, dort wieder einen alten Schießprügel ohne Schloß oder auch eine Sense, die auf der Spitze einer Stange befestigt worden war. Viele hatten bloß Dolche oder mit Blei beschwerte Knittel und Pfähle, die sie sich aus dem ersten besten Zaune gebrochen hatten. Das wilde, ungeleckte Aussehen dieser Menschen, die mehr wie Barbaren aussahen aus den Zeiten, als die Römer des Altertums die ersten Spuren der Zivilisation zu den Ufern des Tweed hinauf trugen, erweckten im schottischen Unterlande Schrecken. Noch waren die Zustände im Hochlande vielen ein Buch mit sieben Siegeln, und über Charakter und Wesen und Sitte seiner Bewohner bestand eine solche Unwissenheit, daß man den Einfall der Hochschoten ins Unterland immer ansah, wie wenn sich aus Afrika Schwarm von Negern oder aus dem hohen Norden Amerikas ein Zug von Eskimos über Schottland ergösse.

Die ganze Artillerie des Schottenheeres bestand aus einer alten eisernen Kanone, die der Chevalier am liebsten zurückgelassen hätte, die er aber auf Anraten seiner Häuptlinge, weil die große Menge im Heere einen abergläubischen Wert dahinter suchte, mitführte, und zu deren Bedienung ein paar französische Artilleristen geworben worden waren. Ein halbes Dutzend von Pferden war zum Transporte dieses Unikums von Geschütz notwendig, und dabei war dasselbe zu etwas anderm als zu einem Signalschuß absolut nicht verwendbar.

Jetzt dröhnte ein solcher Signalschuß durch das Tal, und die ganze Linie geriet in Bewegung. Wilder Jubel erbrauste, die Dudelsäcke brummten ihre melancholischen und dabei doch schrillen Weisen, und der schwere Tritt der Massen, die sich jetzt in Bewegung setzten, übertäubte das eine wie das andre. Die Banner glänzten im Sonnenschein und flatterten im Winde, die Reiter stürmten an die Spitze des Heereszuges, Späher wurden ausgesandt, die Manöver des Feindes zu ermitteln, und verschwanden vor Waverleys Augen, als sie um den Fuß von »Arthurs Stuhl" herum bogen, hinter der merkwürdigen Reihe von Basaltfelsen, die dem kleinen See von Duddingston gegenüber lagern.


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