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Neuntes Kapitel.

Man weiß nur zu gut, daß sich an dem unglücklichen Putsche von 1745 sehr viele Männer von Rang, Bildung und Vermögen beteiligten. Ebenso schlossen sich von den schottischen Frauen wohl die meisten an den kühnen jugendlichen Prinzen an, der in so überromantischem Sinne auf die Liebe und Ergebenheit seines Schottenvolkes baute. Daß Waverley, der fast sein ganzes Leben in dem stillen und einsamen Schlosse Waverley-Würden zugebracht hatte, von dem Glanze, den er in dem Palaste von Edinburg sah, förmlich geblendet wurde, wird nicht wunder nehmen.

Es dauerte nicht lange, so hatte sein liebendes Auge in einem der Säle Flora Mac-Ivor, entdeckt, als sie mit Rosa Bradwardine auf ihren Platz am obersten Ende des Saales zurückkehren wollte. Unter dem anwesenden Damenflor waren die beiden Mädchen unstreitig die lieblichsten Erscheinungen und zogen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurden viel umschwärmt, und besonders der Prinz war viel in Floras Nähe und führte sie widerholt zum Tanze, eine Auszeichnung, die sie zum Teil wohl auch dem Umstande mit verdankte, daß sie im Auslande ihre Erziehung genossen hatte und die französische und italienische Sprache beherrschte.

Sobald sich die Paare gesetzt hatten, folgte Edward, fast ohne seinen Willen, Fergus zu dem Platze, wo Flora Mac-Ivor saß. Das Gefühl, als dürfe er noch immer hoffen, das ihn während der ganzen Zeit der Trennung nicht verlassen, sondern im Gegenteil ihn in manch schlimmem Augenblick aufrecht erhalten hatte, schien in demselben Verhältnis zu schwinden, je näher er jetzt dem Gegenstande seiner Liebe kam, und wie ein Mensch, der sich einen verschwundenen Traum ins Gedächtnis zurückzurufen müht, hätte er in diesem Augenblick alles dafür hingegeben, hätte er das Warum ermitteln können, das ihn zu Hoffnungen bestimmt hatte, die sich jetzt als so nichtig und trügerisch erwiesen. Mit der Empfindung eines Delinquenten, der langsamen Fußes durch die Menge schreitet, die herbeigeströmt ist, um seine Hinrichtung mit anzusehen, begleitete er jetzt Fergus, ohne einen klaren Eindruck von dem Geräusche aufzunehmen, das sein Ohr erfüllte, wie von dem Gewühle, auf das sein unsichrer Blick fiel.

Flora schien kaum sonderlich betroffen, als Waverley vor sie hintrat.

»Ich bringe Dir einen Adoptivsohn des Stammes Ivor,« sagte Fergus.

»Und ich begrüße ihn als zweiten Bruder,« sagte Flora,

Auf diesem Worte lag ein schwerer Nachdruck, der jedem Ohr entgangen wäre, bloß nicht einem von Furcht und Hoffnung erregten.

Edward stand da wie begossen, aber er verneigte sich und blickte Fergus an, der sich in die Lippen biß: ein Zeichen dafür, daß er in hohem Grade unwillig über die Art, wie sich Flora Waverley gegenüber benahm, war. Der Gedanke, der Waverley im ersten Augenblick traf: »Das also ist das Ende all meiner Träume!« war so namenlos schmerzvoll, daß ihm alles Blut aus den Wangen wich.

»Gott im Himmel!« rief da eine andre Stimme ... und es war die von Rosa Bradwardine, »er ist noch immer nicht wieder gesund!«

Selbst von dem Chevalier waren sie gehört worden, diese mit tiefer Bewegung gesprochnen Worte, und er kam nun schnell herbei, nahm Waverley bei der Hand und erkundigte sich teilnehmend nach seinem Befinden mit dem Beisatz, daß es ihm lieb sei, ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Waverley folgte dem Prinzen in eine Ecke des Saales.

Hier legte der Prinz ihm eine Reihe von Fragen vor über die angesehensten Tory-Familien von England, über ihre Beziehungen, ihren Einfluß und ihre Gesinnungen gegen das Haus Stuart.

Daß Edwards Antworten bei der Stimmung, die ihn zurzeit beherrschte, nur ganz allgemeiner Natur sein konnten, wird niemand wundern. Der Chevalier lächelte wiederholt über die Widersprüche, die Edwards Antworten aufwiesen, aber er setzte die Unterhaltung fort, bis Waverley langsam die Fassung wiederfand. Er mochte die Audienz so lange ausgedehnt haben, um die Meinung zu wecken, als erblicke er in Waverley eine Person von politischem Einfluß. Aus dem Schluß seiner Worte stellte sich aber heraus, daß er eine ganz andre Absicht damit verfolgt hatte.

»Ich kann nicht unterlassen,« sagte er, »Ihnen zu bekennen, Mr. Waverley, daß ich Mitwisser eines Geheimnisses bin, bei welchem eine unsrer Damen ihre kleine Rolle spielt. Ich versichre Euch, Mr. Waverley, daß ich den herzlichsten Anteil daran nehme. Aber ich rate doch, daß Ihr Euren Gefühlen strengere Fesseln auferlegt, denn es gibt hier mancherlei Leute, deren Augen hellseherisch sind wie die meinigen, deren Zungen aber weniger zuverlässig sein dürften als die meinige.« Damit schied der Prinz von unserm Helden.

Waverley trat wieder zu den beiden Mädchen. Er verneigte sich vor Rosa, erkundigte sich nach ihrem Befinden und war bald, zur eignen Verwunderung, in eine rege Unterhaltung mit ihr gesteuert. Rosa schien mit ganzer Seele an seinem Munde zu hängen. Ohne jeden Gedanken an Eifersucht, ohne eine Empfindung von Furcht, Schmerz oder Zweifel, und unbeeinträchtigt durch irgend welche selbstsüchtigen Erwägungen, war sie nur Ohr für die ungeteilten lauten Beifallsbezeugungen, die über Waverley fielen, war sie nur Ohr für die Worte, die seine Stimme sprach, und wenn andre das Wort nahmen, dann wartete sie, bis er es ergriff, und dann wichen ihre Augen nicht von ihm.

»Baron,« sagte der Chevalier zu dem neben ihm stehenden Cosmo Bradwardine, »ich möchte meine Geliebte nicht der Gesellschaft Eures jungen Freundes anvertrauen. Er ist wohl etwas schwärmerisch, doch einer der bezaubernsten jungen Herren, die mir je vor Augen gekommen sind.«

»Und auf Ehre, Prinz,« erwiderte der Baron, »der Mensch kann wieder der richtige Trankopf sein! genau wie einer von sechzig, genau wie ich. Königliche Hoheit hätte ihn nur in Tully-Beolan sehen sollen, wie er als echter Hypochonder herumgeschlichen ist, dann würdet Ihr Euch wundern wie ich, daß er so mit einem Male zu solcher Fidelitas aufgetaut ist.«

»Traun,« versetzte Mac-Ivor, »ich bin der Meinung, der Tartan ist ihm so in die Glieder gefahren, und weiter nichts. Ich habe wenigstens Waverley, wenn auch immer als Mann von Geist und Ehre, doch niemals als gesellschaftlichen Seladon gekannt.«

»Um so mehr sind wir ihm zu Dank verpflichtet,« antwortete der Chevalier, »daß er uns für heute abend Eigenschaften aufgespart hat, die sogar solch vertrauter Freund nicht an ihm entdecken konnte ... aber kommt, meine Herren, die Nacht rückt weiter, und an das, was unser morgen wartet, müssen wir beizeiten denken! Jeder führe seine Tänzerin zu einem kleinen Imbiß und plaudere noch ein Stündchen mit ihr, dann müssen wir uns trennen.«

Er führte nun die Herren in eine andre Zimmerflucht und nahm unter einem Baldachin Platz zuoberst einer langen Reihe von Tischen und Tafeln. Die Räume füllten sich schnell mit den anwesenden Herrschaften beiderlei Geschlechts ... die Unterhaltung nahm ihren ungezwungenen Verlauf, und der Prinz entzückte durch seine Huld aller Gemüter. Nach Verlauf einer Stunde schloß der in Schottland übliche Orchestertusch die Feierlichkeit und gab das Signal zum Auseinandergehen.

»Gute Nacht denn, meine liebwerten Gäste,« sprach der Chevalier und stand auf, »gute Nacht, und Freude sei Euer Geleit! Angenehme Ruhe, meine schönen Damen, die einem in Acht und Bann erklärten Fürsten, dem letzten Sprossen eines so alten und einst so mächtigen, immer aber berühmten und stolzen Geschlechts so hohe Ehre erwiesen haben. Gute Nacht, Ihr meine wackern Freunde, und möge das Glück, das uns heute abend beschert gewesen, eine frohe Vorbedeutung sein für unsre baldige und siegreiche Wiederkehr in diese unsre väterlichen Hallen! möge noch manch traute Vereinigung uns wieder vereinigt sehen hier in unserm alten Palaste Holyrood!" Wenn der Baron von Bradwardine später dieser Abschiedsworte aus dem Munde des Chevaliers gedachte, dann unterließ er nie, in melancholischem Sinne die lateinischen Hexameter zu zitieren:

Audiit, et voti Phoebus succedere partem,
Monte dedit; partem volucres dispersit in auras.
Phöbus vernahm das Gebet, und ein Teil des Erfleheten gab er – willigen Sinnes, ein Teil verstreut' er in lispelnde Lüfte.


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