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Als Mowbray, wie wir es oben schilderten, den Bach durchritt, war sein Geist in dem schwankenden, verwilderten Zustande, der einen Gegenstand sucht, auf welchen er sich der selbstverschuldeten Wuth entladen kann, die einem unterirdischen Feuer gleich in ihm gährt, wie ein Vulkan vor dem Ausbruche desselben. Plötzlich riefen ihm einige nahe Schüsse zurück, daß er versprochen hatte, zu dieser Stunde an diesem abgelegenen Orte eine Wette im Pistolenschießen zu entscheiden, wobei der Titular-Lord von Etherington, Jekyl und Mac Turk, die gleichgut in solchen Zeitkürzungen bewandert waren, sowohl als er selbst gegenwärtig sein sollten. Die Aussicht, welche diese Erinnerung ihm zur Rache an demjenigen eröffnete, den er als Stifter der Leiden seiner Schwester betrachtete, war in seinem jetzigen Gemüthszustande viel zu anlockend, um unterdrückt zu werden. So also seinem Pferde die Sporen gebend, sprengte er durch das Gebüsch zu der kleinen Waldebene, wo er die andern Theilnehmer fand, die an seinem Erscheinen verzweifelnd, schon ihre Uebungen begonnen hatten. Ein Jubelruf empfing Mowbray, sobald er sich nahte.
»Da kömmt Mowbray, triefend, bei Gott, wie aus dem Wasser gezogen!« rief Hauptmann Mac Turk.
»Ich fürchte ihn nicht,« lachte Etherington (wir können ihn immerhin noch so nennen), »er ist zu scharf geritten, um eine feste Hand zu haben.«
»Wir wollen das sogleich sehen, Mylord von Etherington, oder vielmehr Valentin Bulmer,« rief Mowbray, vom Pferde springend und den Zügel über einen Baum-Ast schleudernd.
»Was wollen Sie damit sagen, Mr. Mowbray?« fragte Etherington sich stolz aufrichtend, während Jekyl und Mac Turk sich erstaunt ansahen.
»Daß Sie ein Schurke und Betrüger sind, der sich einen Namen anmaßt, auf welchen er kein Recht hat,« entgegnete Mowbray.
»Mit dieser Beleidigung, Mr. Mowbray, werde ich diesen Ort nicht verlassen!« rief Etherington.
»Sie sollen noch etwas Schwereres dazu zu tragen haben,« erwiederte Mowbray.
»Genug, genug, mein guter Sir; es nützt zu nichts, ein williges Pferd zu spornen. – Jekyl, Sie werden die Freundschaft haben, mein Sekundant zu sein.«
»Gewißlich, Mylord!« sagte Jekyl.
»Und da hier keine Aussicht zu bleiben scheint, die Sache freundlich beizulegen,« sprach der friedliebende Hauptmann Mac Turk, »werde ich mich sehr glücklich schätzen, da es nicht zu ändern ist, meinem werthen Freunde, Mr. Mowbray von St. Ronans, meinen Rath und Beistand zu ertheilen. – Es ist ein sehr glücklicher Zufall, daß wir hier eben die nothwendigen Waffen zur Hand haben, da es eine unangenehme Sache wäre, wenn solch' eine Angelegenheit uns lange auf der Brust lasten sollte, ja noch schlimmer, als wenn man sie ohne Zeugen abmachte.«
»Doch würde ich gern zuvor wissen,« fragte Jekyl, »worüber dieser ungestüme Zwist entsteht.«
»Ueber nichts,« sagte Etherington, »ausgenommen eine alte Alfanzerei, die Mr. Mowbray entdeckte. – Er weiß, daß seine Schwester immer die Wahnsinnige spielte, und jetzt hat er, wie ich vermuthe, ein Gerücht vernommen, daß sie ebenfalls zu ihrer Zeit eine – Närrin war!«
»O Verbrechen!« rief der Hauptmann Mac Turk; »mein guter Major, lassen Sie uns schnell laden und die Entfernung abmessen – denn bei meiner Seele, wenn sie sich noch viele solcher Süßigkeiten zuraunen, so bleibt ihnen nichts übrig, als sich über dem Schnupftuche zu schießen; – Gott soll mich verdammen!«
Mit diesen freundschaftlichen Gesinnungen ward der Raum schnell ausgemessen. Ein Jeder von ihnen war als vortrefflicher Schütze bekannt; und der Hauptmann bot Jekyl eine Wette an, daß Beide auf den ersten Schuß fallen würden. Der Erfolg bewährte, wie nah seine Behauptung der Wahrheit kam, denn die Kugel Lord Etherington's streifte Mowbray an dem Schlaf in eben der Sekunde, wo die seinige Etherington in's Herz traf. Einen Schritt weit sprang dieser zurück und stürzte dann todt zur Erde nieder. Wie eine Bildsäule stand Mowbray, noch immer umklammerte die herabgesunkene Hand die tödtliche Waffe, deren Mündung und Zündloch noch dampften. – Jekyl stürzte herbei, seinen Freund zu unterstützen, und der Hauptmann Mac Turk, nachdem er seine Brille aufgesetzt hatte, kniete bei ihm nieder, ihm in das Gesicht zu sehen. »Wir sollten eigentlich Doctor Quackleben hier haben,« sagte er, die Gläser abwischend und die Brille wieder in das Futteral steckend, »wenn es auch freilich nur des hergebrachten Gebrauchs wegen geschähe – denn er ist mausetodt! der arme Junge! – Aber kommen Sie, Mowbray, mein Söhnchen,« sagte er ihn beim Arme nehmend, »wir müssen uns auf die Beine machen, ehe das Schlimmere zum Uebel kommt. Ich habe mein Endchen Klepper hier, und Sie können Ihr Pferd benutzen, bis wir nach Marchtown kommen. – Major Jekyl, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Wollen Sie sich etwa meines Regenschirmes bis zum Brunnen zurück bedienen, denn ich befürchte sehr, wir bekommen Regen.«
Kaum aber war Mowbray etwa hundert Ruthen weit entfernt, als er die Zügel anhielt und sich weigerte, weiter zu reiten, ehe er wisse, was aus Clara geworden sei. Der Hauptmann fand, daß er ein sehr widerspenstiges Mündel zu leiten hatte, als, noch indem sie mit einander stritten, Touchwood in seinem Miethswagen vorüberfuhr. Sobald er Mowbray erkannte, hielt er an, ihn zu benachrichtigen, daß seine Schwester im alten Orte sei, welches er durch den Boten erfahren hatte, der vom Brunnen vergeblich ärztlichen Beistand holen wollte, weil der Aeskulap des Ortes, Dr. Quackleben, an diesem Morgen im Stillen von Mr. Chatterley mit Mistreß Blower getraut, so eben zu der gewöhnlichen hochzeitlichen Ausflucht abgefahren war.
Diese Nachricht vergalt Hauptmann Mac Turk durch die Kunde von dem Geschick Lord Etheringtons. Der alte Mann drang sogleich ernstlich auf schleunige Flucht, zu welcher er ihnen reiche Vorschüsse ertheilte, sich verpflichtend, der unglücklichen jungen Dame jede Art des wärmsten Beistandes zu weihen, und stellte dringend Mowbray vor, daß, wenn er in der Nachbarschaft verweile, ein Gefängniß ihn bald genug von seiner Schwester entfernen würde. Folglich schlugen Mowbray und sein Begleiter den Weg nach Süden ein, erreichten glücklich London und begaben sich von da nach der Halbinsel, eben als der Krieg am heftigsten wüthete.
Nur Weniges bleibt uns noch zu erwähnen übrig. Noch immer lebt Mr. Touchwood, Plane entwerfend, die keinen Zweck haben, ein Vermögen anhäufend, ohne eigentlich einen Erben dazu zu besitzen. Der alte Mann versuchte es, diese Bürde sowohl als seinen Schutz Tyrrel aufzudringen, aber seine Bestrebungen dienten nur dazu, Tyrrel zur Entfernung zu bestimmen; man hat nichts weiter von ihm gehört, obwohl die Etherington'schen Titel und Besitzungen zur Annahme für ihn bereit liegen. Viele wollen behaupten, er habe sich nach einer Missionar-Niederlassung mährischer Brüder begeben, zu deren Besten er zuvor beträchtliche Summen angewiesen hatte.
Seit Tyrrel's Abreise vermag auch Niemand es vorherzuahnen, was der alte Touchwood mit seinem Gelde anfangen wird. Oft spricht er von seinen erlittenen Täuschungen, aber man kann ihm nie begreiflich oder wahrscheinlich machen, daß seine Neigung zur Intrigue und zu geheimen Machinationen wenigstens sie zum übereilten Schlusse trieb. Viele glauben, daß Mowbray von St. Ronans am Ende sein Erbe sein wird. Dieser Edelmann hat in der letzten Zeit mindestens eine Eigenschaft gezeigt, welche die Leute gar sehr der Gunst reicher Verwandten zu empfehlen pflegt; nämlich strenges, sorgfältiges Zusammenhalten dessen, was sie schon jetzt besitzen. Hauptmann Mac Turk's militärischer Geist war so lebendig erwacht, als der Pulverdampf ihm wieder in die Nase drang, daß er es nicht nur bald dahin brachte, wieder in Reihe und Glied einzutreten, sondern auch seinen Gefährten veranlaßte, als Freiwilliger den Krieg mitzumachen. Bald erhielt er eine Offizier-Stelle, und keine größere, auffallendere Verschiedenheit gibt es auf Erden, als zwischen dem Benehmen des jungen Laird von St. Ronans und dem Lieutenant Mowbray. Der Erste führte, wie wir wissen, ein lustiges, wagendes, verschwenderisches Leben; der Letzte erhielt sich nur von seinem Solde, ja sparte sogar davon – versagte sich jede Annehmlichkeit, ja oft das Schickliche, wenn er sich damit eine Guinee reicher machte, und ward bleich vor Angst, wenn er bei außerordentlichen Gelegenheiten beim Whist einen Sechs-Pence zu pariren wagte. Diese niedrige oder engherzige Gesinnung hinderte ihn, das bedeutende Ansehen zu erhalten, auf welches seine Tapferkeit und strenge Erfüllung seiner militärischen Pflichten ihm Anspruch gab. Eben diese genaue Berechnung von Pfunden, Schillingen und Pfennigen bezeichnete seine Verhandlungen mit Micklewham, der sonst viel einträglicher die Einkünfte der Besitzung von St. Ronans für sich zu benutzen verstand, die jetzt dagegen sorgsam gepflegt, im besten Gedeihen stehen; besonders seit einige Schulden derselben, die mit hohem Wucher verzinset werden mußten, durch Herrn Touchwood abbezahlt wurden, der sich mit viel gemäßigterem Ertrag begnügte.
Ueber die Einrichtungen und Verbesserungen seines Eigenthums gab Mr. Mowbray übrigens so pünktliche, genaue Anweisungen, was erkauft, was wieder hergestellt werden sollte, daß Mr. Winterblossom, sein alter Bekannter, auf die Tabacksdose mit schlauem Blicke klopfend, welches gemeinhin andeuten sollte, jetzt werde etwas ungemein Witziges zu Tage kommen, zu sagen pflegte, Mowbray habe die sonst gewöhnte Verwandlungsart umgekehrt und sei aus einem Schmetterlinge eine Raupe geworden. Bei alle dem konnte diese peinliche Sparsamkeit, obwohl sie nur eine gemilderte Art des Geizes ist, sich eben so gut auf jenen Trieb des Erwerbs gründen, der den Jüngling in früherer Zeit zum Spieltische trieb.
Nur in einer merkwürdigen Sache entsagte Mr. Mowbray den ökonomischen Regeln, die ihn sonst stets leiteten. Nachdem er für eine große Summe Geldes alle Plätze wieder erkauft hatte, auf welchen das Hotel, die Logir-Häuser, Läden etc. auf dem St. Ronans-Brunnen aufgeführt worden waren, sandte er die bestimmtesten Befehle, Alles bis in den Grund zu zerstören; eben so wenig wollte er in seinen Besitzungen irgend ein Gasthaus dulden, als das der Mistreß Dods im alten Orte, wo die gute Frau nun mit unbestrittener Herrschaft regierte, ihre Gemüthsart in keiner Art, weder durch die Zeit, noch durch die gänzliche Entfernung aller Nebenbuhler gemildert.
Weßhalb Mr. Mowbray bei seiner großen sich angeeigneten Sparsamkeit eine Besitzung zerstörte, die ihm ein reiches Einkommen versprach, kann Niemand mit Gewißheit sagen. Einige meinten, er scheue die Erinnerung seiner früheren Thorheit; andere, er finde eine Beziehung in jenen Gebäuden auf das Unglück seiner Schwester. Der große Haufe erzählte sich, Lord Etherington's Geist habe sich im Ballsaal gezeigt und die Gelehrten sprachen viel von der seltsamen Verbindung mancher Ideen. Aber Alles mußte endlich darauf hinauskommen, daß Mr. Mowbray unabhängig genug sei, nach seiner eigenen Willkühr zu handeln, und daß es eben so Mr. Mowbray für gut befände.
Der kleine Brunnenort ist zu seiner ersten stillen Dunkelheit zurückgekehrt. Die Löwen und Löwinnen mit ihren Schakals, blauen Ueberröcken und noch viel blaueren Strümpfen, die Geiger und Tänzer, Maler und Kunstliebhaber, Autoren und Kritiker, die sich gleich den Tauben nach der Zerstörung eines Taubenhauses zerstreuten, sahen sich genöthigt, andere dem Vergnügen und der Erholung geweihte Oerter aufzusuchen, und so verödete der St. Ronans-Brunnen.
Ein heit'rer Ort, sagt man, in den vergang'nen Zeiten,
Doch Etwas drückt ihn jetzt – ein Fluch ruht auf dem Ort!
Druck der C. Hoffmann'schen Officin in Stuttgart.