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Einundzwanzigstes Kapitel.
Verwirrungen.

Den Weg mit Blumen streuend winkt die Liebe
Zum Fest, zum Tanz, zu jedem heitern Triebe!

Der Liebe verlorne Mühe.

Ihr Helden fort! – die finstern Wetter nah'n.

Ebendaselbst.

Mr. Touchwood und sein unzertrennlicher Freund Mr. Cargill wanderten unter den oben geschilderten Gruppen umher, der erste mit großem Unmuthe jeden Verstoß gegen die Strenge des morgenländischen Kostüms rügend, und beifällig seiner eigenen größeren Erfahrenheit sich freuend, wenn er nach maurischer oder persischer Sitte die verschiedenen, Turbane tragenden Figuren grüßte, die bei ihm vorüber gingen; während der Prediger, über irgend einem wichtigen und bedeutenden Plane brütend, in jeder Richtung die liebenswürdige Helena, jedoch umsonst, zu erspähen suchte. Endlich erhaschte er einen Schimmer des merkwürdigen Shawls, welcher eine so gelehrte Dissertation seines Gefährten herbei gezogen hatte, fuhr mit einer ihm ganz ungewöhnlichen Schnelligkeit auf, und strebte, die Person, welche ihn trug, schleunigst einzuholen.

»Beim Himmel,« sagte sein Gefährte, »der Doctor ist heute ganz außer Fassung! – Der Prediger ist toll! – Der Geistliche ist von Sinnen, das ist ganz klar; und wie zum Teufel mag er nur, er, der kaum den Weg von der Pfarre bis zur Teufelsfalle finden kann, wie kann er es wagen, unbeschützt in solchem verworrenen Treiben umher zu irren? – Eben so gut könnte er hoffen, ohne Piloten über den atlantischen Ocean zu setzen. – Ich muß ihn nur aufsuchen, ehe noch mehr Unglück entsteht.«

Aber der Reisende ward in seinem freundlichen Vorsatze durch ein Gedränge verhindert, welches die eine Allee herab ihm entgegen kam, und in dessen Mitte Hauptmann Mac Turk in vollem Ernste beschäftigt war, zwei Pseudo-Hochländer fürchterlich auszuschmähen, weil sie sich erkühnt hatten, ihre Unterkleider abzulegen, ohne sich die Sprache der Bergschotten zu eigen zu machen. Zwar konnte freilich wohl Niemand die eigentlichen Worte und Vorwürfe verstehen, mit welchen er die unglücklichen falschen Hochländer überschüttete; aber Ton und Manier des erzürnten Celten waren so begreiflich, daß die beiden den Plaid tragenden Leutchen, deren unbesonnene Wahl ihres Anzuges ihn so erbittert hatte – zwei unbärtige Bursche aus einer gewissen großen Manufaktur-Stadt – ihre Kühnheit herzlich bereueten, und eben im Begriff waren, den Garten in möglichster Eile zu verlassen, entschlossen, lieber das Mittagsessen im Stiche zu lassen, als irgend einer weitern Folge des Unmuthes des hochländischen Zänkers sich bloszustellen.

Touchwood hatte sich kaum von diesem Hindernisse befreit und seine Nachforschungen nach dem Geistlichen auf das Neue begonnen, als er noch einmal in seinem Laufe durch eine Art von Preßkommando, das Sir Bingo Binks anführte, aufgehalten ward, welcher, um den Charakter eines betrunkenen Hochbootsmanns nach dem Leben auszuführen, allerdings sehr betrunken, aber wenig ein Seemann zu sein schien. Sein Zuruf klang eher wie ein Halloh aus dem Guckloch des Mastkorbes, als wie ein Gruß, da er mit einer Ladung solcher Flüche, welche die ganze Flotte der Bethel-Union aus dem Wasser herauf zu beschwören vermöchte, Touchwood befahl, unter seine Windseite zu kommen; »denn hol ihn der Teufel, sollte sein altes Gebälk auch davon zertrümmern, er müsse wieder zur See gehen, so eine alte von Sturm und Regen mitgenommene Carcasse er auch sei.«

Touchwood erwiederte sogleich: »Zur See von Herzen gern, aber nicht mit einer solchen Landratze als Befehlshaber. – Hört einmal, Bruder, wißt Ihr, wie viel von einem Pferdsgeschirr bei einem Schiffe gebraucht wird?«

»Nun, nun, treibt keinen von Euren Späßen hier, mein alter Bock!« rief Sir Bingo. – »Was zum Teufel, hat ein Schiff mit Pferdsgeschirr zu schaffen! Denkt Ihr, wir gehören zur See-Cavallerie? – Ha ha ha! Ich denke, ich habe Euch abgeführt, Bruder!«

»Wie, du Sohn eines Süßwasser-Gründlings, der du in deinem Leben nicht weiter, als bis zur Hunde-Insel segeltest, unterstehst dich hier einen Seemann zum Besten zu haben, und kennst nicht einmal den Zaum von dem Haupttau des Seitensegels, den Sattel von dem Bugspriet, das Gebiß von dem Kabeltau, den Gurt, um das Tauwerk auf- und niederzuwinden, und die Peitsche, die bei dem kleinen Tauwerk nützt? – Siehe, da hast du eine Liste, um einem Betrüger auf den Zahn fühlen zu können, und dir die Sechspfennige zu ersparen, welche er als abgedankter Seemann von dir erbetteln wollte. – Fort, hinweg mit Euch! – Sonst soll der Constabler Eure ganze Matrosen-Presse hier aufheben, das Arbeitshaus damit zu bevölkern.«

Ein allgemeines Gelächter entstand über die Entlarvung des windbeutelnden Hochbootsmanns, und dem Baronet blieb nichts übrig, als still fortzuschleichen, vor sich murmelnd: »Hol der Teufel den alten Narren, wer zum Henker hätte es sich denken können, von einer solchen alten musselinenen Nachtmütze so viel Grobheiten zu hören.«

Touchwood, der jetzt der Gegenstand einiger Aufmerksamkeit geworden war, sah sich nun von mehreren Umherläufern begleitet, die er auf alle Art los zu werden suchte, und dabei eine Ungeduld an den Tag legte, welche eigentlich wenig zu der geziemenden Würde seines orientalischen Kostüms paßte, die aber aus dem Wunsche entsprang, seinen Gefährten wieder zu finden, da er einige Ahnung nicht unterdrücken konnte, es möge Cargill in seiner Abwesenheit gar mancher Unannehmlichkeit ausgesetzt sein. Denn ein so höchst gutmüthiger Mann Mr. Touchwood in der That war, so höchst eingenommen war er zu gleicher Zeit von sich selbst, und glaubte daher immer, daß denen, mit welchen er umging, Rath, Gegenwart und Beistand nicht nur bei bedeutenden Vorfällen, sondern selbst in den gewöhnlichsten Verhältnissen des Lebens von größestem Nutzen sei.

Indessen war Mr. Cargill, dem er umsonst nachspürte, ängstlich dem schönen indischen Shawl nachgefolgt, der ihm zur Flagge diente, ihm das Schiff anzuzeigen, auf welches er Jagd machte. Endlich war er ihm nahe genug, mit ängstlichem Laute zu flüstern: »Miß Mowbray – Miß Mowbray, ich muß Sie sprechen!« –

Ohne sich umzuwenden, fragte die Schöne, welche den Shawl trug: »Und was wollen Sie von Miß Mowbray?«

»Ich habe ein Geheimniß – ein wichtiges Geheimniß Ihnen mitzutheilen; doch dieß ist kein passender Ort. – Wenden Sie sich nicht ab! – Ihr zeitliches, ja vielleicht Ihr ewiges Glück hängt davon ab, daß Sie mich hören.«

Um ihm Gelegenheit zu geben, sie unbemerkter zu sprechen, eilte die Dame in eines jener altmodischen dickbelaubten verborgenen Verstecke, die man oft in Gärten findet, welche denen zu Shaw-Castle ähnlich sind; und mit dem Shawl einigermaßen ihre Gesichtszüge verhüllend, stand sie vor Herrn Cargill in dem zweifelhaften Lichte, das das grüne beschattende Dach einer himmelhohen Platane gewährte, und schien der verheißenen Mittheilung zu harren.

Mit dringendem, nachdrücklichen, aber leisen Tone, wie Jemand, der nur von dem, zu welchem er spricht, vernommen werden will, sagte der Geistliche: »Der Ruf sagt, Sie wollten sich verheirathen!«

Mit einem so gleichgültigen Tone, daß er den Fragenden in das größte Erstaunen zu versetzen schien, entgegnete sie: »Und ist etwa der Ruf so freundlich, auch hinzuzusetzen, mit wem?«

Mit feierlichem Tone begann jetzt Mr. Cargill: »Junges Frauenzimmer, hätte man mir diesen Leichtsinn eidlich betheuert, ich würde nie daran geglaubt haben! Vergaßen Sie ganz die Verhältnisse, in welchen Sie sich befinden? Vergaßen Sie, daß mein Versprechen der Verschwiegenheit, vielleicht auch so schon sündlich genug, immer nur bedingungsweise geleistet ward? – oder glaubten Sie, daß ein so in Einsamkeit zurückgezogenes Wesen, als ich, ganz der Welt absterben könnte, während es noch auf ihrer Oberfläche verweilt? Erfahren Sie, junge Dame, daß, wenn ich auch in der That den Freuden und dem gewöhnlichen Treiben der Welt abgestorben bin, ich um so mehr der Erfüllung meiner Pflichten lebe.«

»Auf meine Ehre, Sir,« antwortete die Dame, »wenn es Ihnen nicht gefällig ist, sich deutlicher zu erklären, so bleibt es mir unmöglich, Ihnen zu antworten. Sie sprechen viel zu ernsthaft für einen Maskenscherz, und doch nicht deutlich genug, ihren Ernst begreiflich zu machen.«

Mit steigender Lebhaftigkeit fuhr der Geistliche fort: »Ist dies Unmuth? – Ist es Leichtsinn? – Verwirrung des Geistes? – Selbst nach einer fieberischen Verirrung des Gehirns bleibt uns sonst das Andenken der Veranlassung unserer Krankheit! – Kommen Sie, Sie müssen und werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich es nicht dulden werde, daß Sie, um Rang und Reichthum zu erwerben, und gälte es einen Kaiserthron, ein schweres Verbrechen begehen! – Mein Pfad ist ein Pfad des Lichtes; und sollte ich einen Laut von einer Verbindung mit jenem Grafen, oder was er sonst sein mag, vernehmen, so verlassen sie sich darauf, ich reiße den Schleier hinweg, und verkündige Ihrem Bruder, Ihrem Bräutigam und der ganzen Welt die Lage, in welcher Sie sich befinden, und die Unmöglichkeit, daß Sie die von Ihnen gegen die Gesetze Gottes und der Menschen beabsichtigte Verbindung schließen.«

»Aber Sir, Sir,« – rief die Dame, neugieriger, wie es schien, als besorgt: »Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie eigentlich mit meiner Heirath zu schaffen haben, noch welche Einwendungen Sie dagegen machen können?«

»Madam,« erwiederte Mr. Cargill, »in Ihrem jetzigen Gemüthszustande, und bei einer Umgebung, wie die heutige, kann ich unmöglich einen Gegenstand berühren, für den dieser Zeitpunkt so ganz unpassend ist, und Sie selbst, mit Betrübniß spreche ich es aus, so ganz unvorbereitet scheinen. Es ist hinreichend, daß Sie Ihre Lage vollkommen beurtheilen können. Bei einer schicklichen Gelegenheit will ich, meiner Pflicht gemäß, das Ungeheuer des Vergehens Ihnen vorhalten, welches Sie, wie man sagt, beabsichtigten, mit dem Freimuthe, welcher einem Manne geziemt, der sich zwar mit inniger Demuth, aber dennoch nicht minder berufen fühlt, seinen Mitbrüdern die Gesetze seines Schöpfers zu erklären. – Ich fürchte inzwischen nun nicht mehr, daß Sie irgend einen übereilten Schritt nach einer solchen Warnung noch unternehmen werden.«

Mit diesen Worten verließ er die Dame mit dem würdevollen Bewußtsein, seine Pflicht erfüllt zu haben, doch zugleich mit dem Gefühl tiefen Kummers über den sorglosen Leichtsinn, den seine Zuhörerin zeigte. Auch sie hatte nicht länger versucht, ihn zurückzuhalten, sondern entschwand, von nahenden Stimmen verscheucht, durch eine andere Allee. Der Geistliche, der den entgegengesetzten Weg einschlug, stieß urplötzlich auf ein flüsterndes lachendes Pärchen, welches bei seiner unerwarteten Erscheinung sichtlich seinen vertraulichen Ton veränderte, und eine größere Entfremdung gegenseitig anzunehmen suchte. Die Lady war Niemand anders, als die schöne Königin der Amazonen, welche die kurz vorher bewiesene Vorliebe Titanias gegen den liebenswürdigen Zettel sich dem Anscheine nach zu eigen gemacht hatte, da sie in einem so engen vertraulichen Zwiegespräch, als wir eben schilderten, mit diesem letzten Darsteller des atheniensischen Webers war, der auf seinem Zimmer sich in die zierlichere Tracht eines alten spanischen Cavaliers gekleidet hatte. Er schien jetzt eben, mit dem Mantel und der herabwallenden Feder, Schwert, Dolch und Guitarre, höchst reich gekleidet, im Begriff, eine Serenade vor dem Fenster seiner Geliebten zu bringen. Bereit, ihn schnell zu verhüllen, wenn etwa ein Ueberlästiger nahe, hing, das Kostüm vollständiger zu machen, eine seidene Maske an seinem glänzend gestickten Wamse.

Es ereignete sich zuweilen, daß Mr. Cargill, wie es vielleicht bei andern zerstreuten Leuten auch der Fall sein mag, ganz seiner Gewohnheit entgegen, gleichsam wie ein Sonnenstrahl urplötzlich den dicksten Nebel durchdringt, einen einzelnen Punkt der Landschaft zu erleuchten, von einem schnellen Strahl der Erinnerung durchblitzt, sich gezwungen fühlte, zu handeln, als ob ihn die unbedingteste Gewißheit und Ueberzeugung leite. – Mr. Cargill hatte kaum die Augen auf den Spanier geworfen, den er weder als Graf von Etherington noch als Zettel wieder erkannte, als er mit lebhafter Bewegung seine Hand ergriff und mit feierlichem, aber eifrigen Nachdruck rief: »Ich freue mich, Sie hier zu sehen! – Der Himmel hat Sie zur rechten Stunde hieher gesendet!«

Sehr kalt entgegnete Lord Etherington: »Ich danke Ihnen, Sir; ich vermuthe, die Freude des Wiedersehens bleibt Ihnen allein überlassen, denn ich erinnere mich nicht, Sie je zuvor gesehen zu haben.«

»Heißen Sie nicht Bulmer? Ich weiß – ich irre mich wohl zuweilen. – Aber nein, ich bin davon überzeugt, Ihr Name ist Bulmer.«

»Nicht daß ich oder meine Pathen irgend etwas davon gehört hätten, so viel ich weiß. – Vor einer halben Stunde freilich trug ich auch einen andern Namen: – vielleicht hat das den Irrthum veranlaßt,« entgegnete der Graf mit kalter fremder Höflichkeit. – »Erlauben Sie mir, Sir, die Dame hier hinweg zu führen.«

»Das ist ganz unnöthig; ich lasse Sie hier zurück, Mylord, das gegenseitige Erkennen mit Ihrem alten und neuen Freunde auszumachen – es scheint, er hat Ihnen etwas mitzutheilen.« Mit diesen Worten entfernte sich Lady Binks, die vielleicht eben nicht böse war, mit anscheinender Gleichgiltigkeit die Gesellschaft des Lords in der Gegenwart eines Mannes aufzugeben, der sie in einem Augenblick, wie es schien, überschwänglicher Vertraulichkeit überrascht hatte.

Der Graf von Etherington, vor welchem Mr. Cargill unschlüssig und verwirrt, noch immer ihm den Weg so versperrend stand, daß er, ohne ihn bei Seite zu stoßen, nicht vorwärts schreiten konnte, sagte jetzt: »Sie halten mich auf, Sir, und ich muß in der That die Lady begleiten.« Und wieder strebte er, sich einen Weg zu bahnen.

»Junger Mann,« entgegnete Mr. Cargill, »Sie können sich mir nicht verbergen. Ich bin es gewiß – mein Verstand bürgt mir dafür, daß Sie eben der Bulmer sind, den der Himmel gnädig hierher sandte, einem Verbrechen zuvor zu kommen!«

»Und Sie,« rief Lord Etherington, »von dem mein Verstand mir Bürge ist, daß ich Sie nie sah, sind gewiß vom Teufel hierher gesendet, Verwirrung zu stiften.«

Durch das entschlossene hartnäckige Läugnen des Lords einigermaßen eingeschüchtert, entgegnete der Geistliche: – »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich mich irrte – das heißt, wenn ich mich wirklich irrte – aber es ist nicht der Fall – ich bin dessen gewiß, es ist dem nicht so! – Dieser Blick – dieß Lächeln – ich bin nicht im Irrthum. Sie sind Valentin Bulmer – derselbe Valentin Bulmer, den ich – aber ich will Ihre eigenen Angelegenheiten nicht zum Stoff dieser Unterredung machen – genug, Sie sind Valentin Bulmer.«

»Valentin? Valentin? – Ich bin weder Valentin, noch Orson! – Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, Sir.«

»Bleiben Sie, mein Herr, bleiben Sie! Ich mache es Ihnen zur Pflicht; es ist möglich, daß Sie sich deßhalb nicht zu erkennen geben wollen, weil Sie vergessen haben können, wer ich bin. – So lassen Sie mich Ihnen den Namen Josiahs Cargill, Prediger zu St. Ronans, zurückrufen.«

»Wenn Sie ein so ehrenwerthes Amt bekleiden, Sir, welches mir aber durchaus gleichgiltig ist – so sollte ich meinen, Sie haben einen etwas zu kräftigen Morgentrank genossen, und es würde Ihnen sehr rathsam sein, nach Hause zu gehen, ihn auszuschlafen, ehe Sie in der Gesellschaft erscheinen.«

»In des Himmels Namen, junger Mann, entsagen Sie diesem unziemlichen, unzeitigen Scherz! Bekennen Sie mir, sind sie nicht, wofür ich nicht umhin kann, Sie immer noch zu halten, derselbe junge Mann, der vor sieben Jahren meiner Obhut ein feierliches Geheimniß anvertraute? – Wehe mir, wenn ich es einem Fremden enthüllte! Kummer würde es auf mein eigenes Herz häufen, und Unglück und Elend könnten daraus entstehen!«

»Sie dringen ungestüm in mich, Sir, und ich will dagegen eben so offen gegen Sie sein. – Ich bin nicht der Mann, für welchen sie mich irrigerweise halten, und Sie mögen ihn suchen, wo Sie Lust haben. – Es wird aber bei weitem nützlicher für Sie sein, wenn Sie im Laufe dieser Nachforschungen Ihren eigenen Verstand wieder finden, denn ich gestehe Ihnen, ich glaube, er ist Etwas spazieren gegangen.« Diese Worte begleitete er mit einer so entschlossenen Bewegung, sich Bahn zu brechen, daß Herrn Cargill nichts übrig blieb, als ihm aus dem Wege zu treten.

Wie eingewurzelt blieb der würdige Geistliche stehen, und rief seiner Gewohnheit gemäß laut aus: »Meine Phantasie hat mir manchen verworrenen Streich gespielt, aber dieß ist der ärgste von Allen! Was wird der junge Mann von mir denken? – Jene Unterredung mit der unglücklichen jungen Dame muß solchen Eindruck auf mich gemacht haben, daß eine Täuschung meiner eigenen Augen mich veranlassen kann, in ihre Geschichte das Gesicht des ersten besten Fremden, der mir entgegen tritt, zu mischen. – Was muß der Fremde von mir denken!«

»Ei nun, was ein Jeder von dir denkt, der dich kennt, mein lieber Prophet!« rief die freundschaftliche Stimme Touchwoods, der seine Worte mit einem erweckenden Schlage auf des Predigers Schulter begleitete; »nämlich, daß Sie ein unglücklicher Philosoph von Laputa sind, der seine schützende Klappe im Gedränge verlor. – Kommen Sie nur – jetzt, da ich Ihnen wieder zur Seite stehe, brauchen Sie nichts zu fürchten. – Ei, jetzt, da ich Sie näher betrachte – Sie sehen ja aus, als hätten Sie einen Basilisken erblickt – und solch' ein Ding gibt es doch gar nicht, sonst wäre es mir gewiß nicht entgangen im Laufe meiner weiten Reisen. – Aber Sie sehen ganz elend und erschrocken aus! – Was zum Teufel gibt es denn?«

»Nichts weiter,« erwiederte der Geistliche, »als daß ich so eben mich selbst zum ärgsten Narren machte.«

»Pah, pah! Darüber muß man kein großes Leid tragen. – Das thut ein jeder Mensch, mindestens zweimal in vierundzwanzig Stunden.«

»Aber beinahe hätte ich einem Fremden ein Geheimniß anvertraut, das eine achtungswerthe Familie nahe angeht!«

»Das war sehr Unrecht, Doctor! Sehen Sie sich in Zukunft besser vor; und in der That, ich möchte Ihnen lieber rathen, mit Niemand, selbst nicht mit Ihrem Kirchendiener, Willie Watson, zu reden, bis Sie sich mindestens mit drei klaren Fragen und Antworten überzeugten, daß der eben genannte Willie Watson wirklich da vor Ihnen befindlich ist, und kein Fremder sich in des ehrlichen Willies alte Perücke und abgetragenen braunen Joseph gesteckt hat. – Kommen Sie, kommen Sie.«

Damit zog er den niedergeschlagenen Prediger mit sich fort, der sich umsonst anstrengte, sich dem lustigen Getümmel, in welches er so unerwartet verwickelt ward, zu entziehen. Er schützte Kopfweh vor, doch sein Freund versicherte ihm, ein Bissen Essen und ein Glas Wein sollten ihm gut thun. Er erwähnte seine Geschäfte, doch Touchwood entgegnete, er habe keine anderen, als die Predigt zum nächsten Sonntage, bis zu welchem ihm noch zwei Tage blieben. Endlich bekannte Mr. Cargill, daß er sich scheue, den Fremden wieder zu sehen, welchen er mit so großer Hartnäckigkeit für einen Bekannten gehalten habe, von dem er doch nun überzeugt sei, daß er nur in seiner eigenen Einbildungskraft hier existirt habe. Aber seine Besorgnisse verspottend, sagte der Reisende, Gäste, welche sich hier zusammen träfen, brauchten eben so wenig Rücksicht auf einander zu nehmen, als ob sie in einem Karavanserai zufällig sich begegneten.

»So bedarf es schlechterdings keiner Entschuldigung für Sie, oder vielmehr, was noch besser ist, ich selbst, ich, der ich so weit in der Welt herumkam, will das Wort für Sie führen.«

Während sie so sprachen, zog er den Geistlichen nach dem Hause, wohin das oben erwähnte Signal sie berief, und wo die Gesellschaft in dem großen leeren Vorzimmer sich sammelte, ehe man sich in den Eßsaal begab, in welchem die Erfrischungen ihrer harrten. »Nun, Doctor,« fuhr der geschäftige Freund des Geistlichen fort, »laßt uns erspähen, wer von all' den Leuten hier der Gegenstand Ihres Irrthums war. Ist's jene Bestie von Hochländer? – oder der unverschämte Tölpel, der sich für einen Hochbootsmann ausgeben will? – Nun, wer von ihnen ist es denn? – Ah, nun kommen sie, immer zwei und zwei, ganz nach Newgate's Mode. – Da ist der junge Besitzer des Rittergutes mit der alten Lady Penelope – will er sich zum Ulysses hergeben? – das sollte mich wundern! Der Graf von Etherington mit Lady Binks – ich dächte, er hätte Miß Mowbray führen sollen.«

Mit eifriger Sorge fragte der Prediger: »Der Graf? – wie nannten Sie ihn? – Welchen Titel gaben Sie dem jungen Manne in spanischer Tracht?«

»Aha!« rief der Reisende, »habe ich nun den Kobold entdeckt, der Sie neckte? – Kommen Sie, kommen Sie, – ich will Ihnen seine Bekanntschaft verschaffen.« Und ehe der Geistliche ihm seine Unzufriedenheit damit begreiflich machen konnte, hatte er ihn zum Lord Etherington hingezogen und sagte:

»Mylord von Etherington, erlauben Sie mir, Ihnen Mr. Cargill, den Pfarrer des Kirchspiels, hier vorzustellen; ein sehr gelehrter Mann, dessen Geist aber zuweilen im heiligen Lande umherschweift, wenn sein Körper unter seinen Freunden verweilt. Er ist sehr beschämt, daß er Ew. Herrlichkeit, Gott mag wissen für wen, angesehen hat; aber wenn Sie mit ihm bekannt sein werden, so finden Sie leicht, daß er hundert bei weitem ärgere Mißverständnisse begehen kann, und so hoffen wir, Ew. Herrlichkeit werden seinen Irrthum nicht ungleich auslegen, noch als Beleidigung ansehen.«

»Eine Beleidigung kann nicht Statt finden, wo man keine solche beabsichtigte,« erwiederte Lord Etherington mit großer Artigkeit. »Ich muß im Gegentheil mir des ehrwürdigen Herrn Verzeihung erbitten, daß ich von ihm hinweg eilte, ohne eine gänzliche Aufklärung des Irrthums zu versuchen. Ich bitte ihn um Verzeihung für ein Benehmen, welches Ort und Zeit – denn ich war zur Begleitung einer Dame verpflichtet – schlechterdings nothwendig machte.«

Mr. Cargill staunte den jungen Edelmann an, während er diese Worte mit der leichten Gleichgiltigkeit eines Weltmannes sprach, der sich gegen einen Geringeren entschuldigt, bloß um dem Rufe seiner persönlichen Höflichkeit keinen Eintrag zu thun, keineswegs aber sich darum kümmert, ob man seine Rechtfertigung genügend findet oder nicht. Und während der Prediger so den Redenden anstarrte, schwand der Glaube, an dem er so fest gehangen hatte, daß dieser Graf von Etherington und jener Valentin Bulmer eine und dieselbe Person wären, wie der blitzende Reif vor dem Strahl der Morgensonne, und das so ganz und durchaus, daß er sich selbst wunderte, wie er nur einen einzigen Augenblick daran hatte hängen können. – Eine starke Aehnlichkeit in den Zügen müsse freilich vorhanden sein, die ihn zu diesem Irrthum verleitet habe; aber die Person selbst, der Ton, die Art sich auszudrücken, war durchaus verschieden, und da jetzt seine Aufmerksamkeit auf diese besondern Persönlichkeiten sich richtete, war Mr. Cargill gar nicht abgeneigt, beide Personen einander fast vollkommen unähnlich zu finden.

Dem Geistlichen blieb jetzt nur noch übrig, seine Entschuldigung selbst auszusprechen, und dann von dem obern Ende der Tafel sich zurückziehend, auf irgend einem unbedeutendern Sitz Platz zu nehmen, den seine Bescheidenheit vorzugsweise erwählt haben würde, als er plötzlich von Lady Penelope festgehalten, welche, ihn mit der artigsten und gewinnendsten Weise behandelnd, darauf bestand, Mr. Mowbray solle sie einander vorstellen, und Mr. Cargill bei Tische neben ihr sitzen. – Sie habe so viel von seiner Gelehrsamkeit gehört – so viel von seinem vortrefflichen Herzen, daß sie sich unmöglich entschließen könne, eine Gelegenheit aus der Hand zu lassen, die Herrn Cargills große Abgeschiedenheit zu den seltensten mache – mit einem Worte, es gälte heute, wer einem Jeden den Rang ablaufen würde, und so ihre Beute sichernd, saß sie sehr bald triumphirend an seiner Seite.

So fand eine zweite Trennung Mr. Cargills von seinem Freunde Statt; denn da Mr. Touchwood nicht mit in dieser Einladung begriffen oder nur überhaupt von Lady Penelope bemerkt ward, so sah er sich genöthigt, einen Platz an dem untern Ende des Tisches aufzusuchen, wo er großes Erstaunen durch die Hurtigkeit erregte, mit welcher er gekochten Reis mit Fleischschnitten hinabschlang.

Jetzt, da Mr. Cargill so ganz ohne Beistand den Batterieen Lady Penelopens ausgesetzt war, fand er bald, daß sie so feurig und unaufhaltsam spielten, daß sie seine Geduld, die seit so manchem Jahre so wenig geprüft worden war, fast auf das Aeußerste brachten. Sie begann damit, ihn zu bitten, seinen Stuhl näher zu rücken, denn eine instinktmäßige Scheu vor modischen Damen hatte ihn einige Entfernung beobachten lassen. »Sie hoffe doch, er scheue sie nicht als eine bischöflich Gesinnte; ihr Vater habe freilich zu jener Glaubenssekte gehört, denn,« setzte sie mit einem listig sein sollenden Lächeln hinzu, »wir waren etwas unartig Anno 45, wie Sie vielleicht davon gehört haben. – Aber das wäre nun Alles vorbei, und sie sei überzeugt, Mr. Cargill hege viel zu liberale Gesinnungen, irgend ein Vorurtheil oder Abneigung gegen sie zu nähren. – Sie könne ihm versichern, sie sei weit davon entfernt, dem presbyterianischen Glauben abgeneigt zu sein. – In der That, sie habe oft gewünscht, einem solchen Gottesdienst beizuwohnen, der sie gewiß entzücken und erbauen würde, besonders (mit einem gnädigen Lächeln) in der Kirche von St. Ronans – auch hoffe sie diesen Plan auszuführen, sobald nur Mr. Mowbray aus Edinburg den kleinen Wärm-Ofen erhalte, den er dort bestellt habe, um seinen Kirchensitz zu ihrer Bequemlichkeit durchwärmen zu lassen.«

Alle diese schönen, mit übereinstimmenden Blicken und Winken gesprochenen Worte, von so überschwänglicher Höflichkeit begleitet, als wollten sie den Geistlichen an eine überzuckerte Tasse Thee mahnen, der zu große Süßigkeit den Mangel der Kraft und des Wohlgeruchs ersetzen soll, bedurften und erhielten keine andere Erwiederung, als zuweilen einen einstimmenden Blick und eine dankbare Verneigung.

»Ah, Mr. Cargill,« fuhr die unerschöpfliche Lady Penelope fort, »Ihr Amt hat so manche Forderung, sowohl an Geist als Herz – steht in so genauem Einklange mit den freundlichsten, wohlthätigsten Neigungen des Menschen – mit unsern reinsten, schönsten Gefühlen, Mr. Cargill. Sie wissen, was Goldsmith sagt:

– – – Zu seiner Pflicht auf jeden Ruf bereit,
Wacht er, und fühlt, und sorgt, und betet heiß für Alle!

Und Dryden entwarf auch ein Gemälde von einem Landprediger, so unnachahmlich, möchte man sagen, hörte man nicht hin und wieder (hier erfolgte wieder ein bedeutendes Lächeln und verbindlicher Wink) von irgend einem Sterblichen erzählen, der das holde Bild zur Wirklichkeit umschaffen will:

Er läßt den Geist die Sinne hüten,
Und streng Enthaltsamkeit gebieten.
Doch Milde zeigt sein heitrer Blick;
Er strahlt Aufrichtigkeit zurück,
Nicht Zwang, nicht Mißmuth, nur geweiht
Der Güte und der Frömmigkeit.«

Während Ihro Herrlichkeit diese Worte deklamirten, verriethen des Geistlichen untheilnehmend umherirrende Blicke seine Zerstreutheit. Vielleicht mochten seine Gedanken eben bei dem Abschlusse eines Waffenstillstandes zwischen Saladin und Conrad von Montserrat verweilen, oder vielleicht über einige Ereignisse des Tages nachsinnen, genug, die Lady sah sich genöthigt, ihren widerspenstigen Zuhörer mit einer wieder einleitenden Frage zu sich zurück zu rufen: »Sie sind gewiß sehr vertraut mit Dryden bekannt, Mr. Cargill?«

Aufschreckend und die Frage nur halb verstehend, entgegnete er: »Ich habe nicht die Ehre, Madam!«

»Sir!« rief erstaunt die Lady.

»Madam – Mylady! –« stammelte der Verlegene.

»Ich fragte, ob Sie Dryden bewunderten; – aber Ihr gelehrten Herren seid immer so zerstreut! – Vielleicht glaubten Sie, ich sprach von Leyden.«

»Ein leider zu früh erloschenes Licht, Madam! Wohl kannte ich ihn sehr gut!«

»Auch ich habe ihn gekannt!« rief eifrig die Dame. »Er sprach zehn Sprachen – wie demüthigend für mich Arme, die ich mich nur rühmen kann, deren fünf mir eigen gemacht zu haben. – Aber ich habe freilich seit jener Zeit noch so Manches dazu gelernt. – Ja, Mr. Cargill, Sie müssen mir in meinen Studien beistehen, – es wäre eine wahre Barmherzigkeit – aber vielleicht scheuen Sie sich vor einer weiblichen Schülerin?«

Ein zuckender Schmerz, der Erinnerungen früherer Tage trüber Nachhall, fuhr durch des armen Cargills Geist mit eben solcher Schärfe, als hätte ein Schwert seine Brust durchbohrt; wir können uns daher nicht der Bemerkung enthalten, daß in der Gesellschaft ein unbescheidener Schwätzer, gleich einem geschäftigen Schreier in der Menge, außer allen andern langweiligen allgemeinen Uebereinstimmungen, auch stets wie jener, ohne es zu wollen oder zu beachten, irgend eine zarte, wunde Stelle unfein berühren und des Menschen Brust mit bitterer Empfindung füllen wird.

»Auch müssen Sie mir bei meinen kleinen Wohlthaten beistehen, Mr. Cargill, da wir jetzt nun so gut mit einander bekannt geworden sind. – Da ist die Anne Heggie – ich sandte ihr gestern eine Kleinigkeit, aber man sagte mir – ich sollte es nicht erwähnen, aber man will doch nicht gern das Wenige, was man gibt, einem Unwürdigen ertheilen – man sagte mir, sie eignete sich eben nicht ganz dazu – eine unverheirathete Mutter, um es kurz zu sagen, Mr. Cargill – und es würde mir eben nicht ziemen, die Unsittlichkeit zu unterstützen.«

»Ich denke, Madam, die Noth des armen Weibes wird Ew. Herrlichkeit Güte rechtfertigen, selbst wenn sie gefehlt hat.«

»O ich bin keine Prüde, Sir, ich versichere es Ihnen, Mr. Cargill. Nie werde ich meine Unterstützung Jemand ohne unwiderlegliche Gründe entziehen. Ich könnte Ihnen von einer meiner genauesten Freundinnen erzählen, welche ich gegen das Geträtsch des ganzen Gesundbrunnens vertheidigte, weil ich vom Grund der Seele überzeugt bin, sie ist nur unbesonnen – nichts, gar nichts weiter als unbesonnen. – Ah, Mr. Cargill, wie können Sie so bedeutend da hinüber sehen? – – Wer hätte das von Ihnen gedacht? – O pfui doch! – das gleich so persönlich zu nehmen!«

»Auf mein Wort, Madam, ich bin durchaus unfähig zu verstehen –« sagte der Geistliche.

»O pfui, nicht doch, Mr. Cargill!« fuhr sie mit so tadelndem und erstauntem Nachdrucke fort, als ihr vertrauliches Flüstern nur gestatten wollte, »Sie sahen Lady Binks an. – Ich weiß, was Sie denken, aber Sie sind ganz im Irrthum, ich versichere es Ihnen, ganz im Irrthum! – Ich wünschte auch, sie möchte nicht immer so schön thun mit dem jungen Manne da, Mr. Cargill – ihre Lage ist so besonders. – Wahrhaftig, ich glaube, sie bringt ihn selbst um seine Geduld; denn sehen Sie – er verläßt das Zimmer, ehe man sich noch setzte – wie sonderbar! – Und dann, sagen Sie, finden Sie es nicht sehr seltsam, daß Miß Mowbray nicht zu uns herab gekommen ist?«

»Miß Mowbray? – Was ist's mit Miß Mowbray? – Ist sie nicht hier?« fragte Mr. Cargill mit weit größerer Lebendigkeit des Antheils, als er bis jetzt bei irgend einer der vertraulichen Mittheilungen Lady Penelopens bewiesen hatte.

»Ach die arme Miß Mowbray,« sagte Lady Penelope, die Stimme noch mehr senkend, und den Kopf schüttelnd; »sie ist nicht erschienen – ihr Bruder ging vor fünf Minuten zu ihr hinauf, ich glaube, sie hieher zu bringen; so sind wir uns also selbst überlassen, uns inzwischen gegenseitig anzustarren. Welch' ein wunderlich verkehrtes Benehmen! – Aber Sie kennen Clara Mowbray.«

»Ich, Madam?« entgegnete Mr. Cargill, der jetzt ganz aufmerksam war. »Ja wirklich – ich kenne Miß Mowbray – das heißt nämlich, ich kannte sie vor einigen Jahren – aber Ew. Herrlichkeit wissen, sie war lange Zeit sehr krank – mindestens unpäßlich, und seit sehr langer Zeit habe ich nichts von der jungen Dame gehört.«

»Ich weiß es, mein theurer Mr. Cargill, ich weiß es!« sagte Lady Penelope mit dem Tone des tiefsten Mitgefühls. »Ich weiß es, und gewiß sehr unglückliche Umstände müssen es gewesen sein, die sie von Ihrem Rath und freundlicher Leitung getrennt haben. – Alles dieß wußte ich wohl, um die Wahrheit zu gestehen, es geschah hauptsächlich um Clara's willen, daß ich Ihnen die Mühe verursachte, meine Bekanntschaft zu machen. Sie und ich vereint, Mr. Cargill, können vielleicht Wunder auf ihren unglücklichen Gemüthszustand bewirken; – o ich bin dessen gewiß – nämlich, wenn Sie sich entschließen könnten, vollkommenes Vertrauen in mich zu setzen.«

»Hat Miß Mowbray Ew. Herrlichkeit aufgefordert, über irgend einen Gegenstand, der sie betrifft, mit mir zu sprechen?« fragte der Geistliche mit mehr Scharfsinn und Vorsicht, als Lady Penelope ihm zugetraut hatte. »Ich werde in dem Falle sehr glücklich sein, ihre Aufträge zu empfangen; und was nur meinen unbedeutenden Anstrengungen zu vollbringen gelingen möchte, darüber können Ew. Herrlichkeit unbedingt gebieten.«

»Ich, ich – kann nicht gerade sagen, daß ich Miß Mowbray's bestimmten Auftrag erhalten hätte, mit Ihnen, Mr. Cargill, über diesen Gegenstand zu sprechen. Aber meine Anhänglichkeit für das theure Mädchen ist so sehr groß, und dann – Sie wissen – die Unannehmlichkeiten, welche diese Heirath herbeiführen kann« –

»Von welcher Heirath, Mylady, ist die Rede?«

»Nein, in der That, Mr. Cargill, Sie dehnen das schottische Vorrecht zu weit aus. – Ich habe Ihnen nicht eine einzige Frage vorgelegt, welche Sie nicht durch eine andere beantwortet hätten. – Gönnen Sie mir nur fünf Minuten einer ordentlich verständlichen Unterredung, wenn Sie sich so weit herablassen können.«

»Ich stehe Ew. Herrlichkeit so lange zu Befehl, als Sie es nur irgend verlangen; vorausgesetzt, daß die Unterredung Ew. Herrlichkeit Angelegenheiten oder die meinigen angeht, in so fern ich nämlich diese letzteren einen Augenblick der Aufmerksamkeit Ew. Herrlichkeit werth achten könnte.«

»Hinweg mit Ihnen!« sagte die Lady gezwungen lachend. »Sie hätten wirklich ein katholischer Priester statt eines presbyterianischen sein sollen. Welch' einen unersetzlichen Beichtvater hat das schöne Geschlecht an Ihnen verloren, Mr. Cargill; und wie schlau Sie allen Kreuz- und Querfragen, die Ihren Beichtkindern hätten nachtheilig werden können, auszuweichen wissen würden!«

»Ew. Herrlichkeit Scherz ist viel zu scharf, als daß ich ihn verstehen oder erwiedern könnte!« sagte Mr. Cargill, sich mit mehr Unbefangenheit verneigend, als Ihro Herrlichkeit erwarteten; und mit Gewandtheit sich zurückziehend, brach er eine Unterhaltung ab, welche er etwas drückend zu finden begann.

In diesem Augenblicke erhob sich ein staunendes Murmeln in dem Gemache, in das eben Miß Mowbray, auf ihres Bruders Arm gestützt, eintrat. Die Erzählung dessen, was zwischen den Geschwistern vorgegangen war, wird die Ursache jenes Staunens am besten erklären.



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