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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Täuschungen.

Wohin der Wind Euch treibt, da liegt das Land!
Ihr Bursche, auf, die Fahrt jetzt kühn begonnen!
Die Segelleine los! und achtet's nicht,
Wenn stürmisch auch das Wetter Euch umbrauset!

Der Sturm.

»Finster wird es um mich, wie beim herannahenden Sturm,« dachte Lord Etherington, als er mit langsamen Schritten, in einandergeschlungenen Armen, den weißen Hut tief in die Augen gedrückt, den kurzen Zwischenraum, der sein Gemach von den Zimmern Lady Penelopens trennte, durchschritt. Bei einem Elegant der ältern Schule, einem der Congreve'schen witzigen Weltmänner in der Stadt, hätte man dies »Etwas aus seiner Rolle fallen« nennen können; aber die jetzigen Weltleute schmälern ihren Ruhm nicht, wenn sie selbst alle ernste, biedermännische Feierlichkeit Mr. Stephens zur Schau tragen. So hatte also Lord Etherington volle Freiheit, sich seinem Nachdenken zu überlassen, ohne deßhalb Aufmerksamkeit zu erregen. – Er fuhr fort: – »Jetzt habe ich freilich diesem alten vornehmen Essigtopfe den Mund verschlossen, aber die fressende Säure ihres Gemüthes wird bald meinen Talisman auflösen – und was bleibt dann zu thun übrig?«

Aufblickend ersah er jetzt seinen vertrauten Diener Solmes, der ehrerbietig den Hut berührend, indem er bei ihm vorbeiging, sagte: »Ew. Herrlichkeit Briefe sind in Ihrer geheimen Schreib-Chatoulle.«

So einfach diese Worte waren, und so gleichgiltig sie ausgesprochen wurden, erregte dennoch ihr Inhalt Lord Etheringtons Herzklopfen so allgewaltig, als ob sein Geschick von diesen Lauten abhinge. – Er ließ indessen keinen weitern Antheil blicken, als daß er Solmes gebot, sich bereit zu halten, wenn er klingeln würde. Mit diesen Worten trat er in sein Gemach und verriegelte die Thür, ehe er selbst nur einen Blick auf den Tisch zu werfen wagte, wo die Brief-Chatoulle stand. –

Lord Etherington besaß, wie es gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, einen Schlüssel zu seiner Brief-Chatoulle, während der andere seinem vertrautem Diener übergeben war, so daß, von einem Patentschlosse geschützt, seine Briefschaften jeder Gefahr neugierigen Beschauens entgingen – eine Vorsicht, die von den Bewohnern der Wirthshäuser und Miethswohnungen nicht immer zu verachten ist. –

»Mit Ihrer Erlaubniß, Mr. Bramah!« sagte der Graf, als er den Schlüssel einsteckte, seiner eignen Erschütterung spottend, wie er über die eines Dritten gescherzt haben würde. Der Deckel war aufgeworfen und zeigte das Packet, dessen Ueberschrift und Anblick kurz zuvor im Postamte seine ganze Aufmerksamkeit erregte. Damals hätte er viel gegeben, die Gelegenheit in seiner Macht zu haben, die sich jetzt ihm darbot; aber so Mancher zagt im Augenblick der Vollziehung des Verbrechens, obwohl er es ohne Gewissensbisse in einiger Entfernung betrachtete. – Lord Etheringtons erste Bewegung war es, das Packet in die Flammen zu schleudern; und schon hielt seine Hand, mehr als halb dazu geneigt, den Brief, den er, ohne das Siegel zu brechen, dem feurigen Elemente übergeben wollte. – Aber wenn auch tief genug mit dem Laster bekannt, war er doch zu den niedrigsten Stufen noch nie hinab gesunken – er hatte noch nicht niederträchtig, mindestens was die Welt so nennt, gehandelt. – Er war ein stets fertiger Duellist, – die Sitten der Zeit rechtfertigen es; ein Wüstling – die Welt entschuldigt es bei seiner Jugend und Verhältnissen; ein kühner glücklicher Spieler – man bewunderte und beneidete ihn deßhalb; und tausend andere Unregelmäßigkeiten, zu welchen diese Gewohnheiten führen, wurden leicht bei einem vornehmen Manne übersehen, der hinreichend Vermögen und Geist besaß, seinem Range Ehre zu machen. – Aber von ganz anderer Art war die jetzt beabsichtigte Handlung. Erzählt sie nicht in der Bondstraße! Flüstert nicht davon auf dem Pflaster von St. James! – Sie ist nah mit einer Gattung niedriger Dieberei verwandt, für welche das Gesetzbuch der Ehre keine Entschuldigung darbietet.

Ergriffen von diesen lebendig erwachenden Betrachtungen, verharrte Lord Etherington einige Augenblicke in ungewissem Zagen. Aber der Teufel weiß immer die rechte Schlußfolge zu finden, seine Jünger zu überzeugen. Er gedachte des Unrechts, das seiner Mutter und ihm selbst, ihrem Kinde, widerfahren sollte, dem sein Vater Angesichts der ganzen Welt seine erblichen Rechte übertragen hatte, welcher nun durch einen Widerruf nach seinem Tode das Andenken seiner Gattin beschimpfen und ihn selbst seiner gerechten Erwartungen berauben wollte. Gewiß, da ihm diese Ansprüche einmal ertheilt waren, hatte er das größeste Recht, durch jedes Mittel, welches es auch sei, alle Angriffe darauf zurück zu weisen, ja selbst, wenn es die Nothwendigkeit erheischte, die Dokumente zu vernichten, auf welche seine Feinde ihre ungerechten Plane gegen seine Ehre und Vermögen gründeten.

Diese Ansichten behielten die Oberhand, und wieder nahte Lord Etherington das den Flammen geweihte Packet dem Feuer, als es ihm einfiel, daß, da jetzt sein Entschluß gefaßt sei, er ihn für seinen Vortheil so nützlich als möglich durchführen müsse, und daß er sich deßhalb genau zu unterrichten habe, ob das Packet auch wirklich die Papiere enthalte, an deren Zerstörung ihm gelegen sei.

Nie war mehr zur rechten Zeit ein Zweifel erwacht; denn kaum war das Siegel gebrochen und das Couvert raschelte unter seinen Fingern, als er zu seiner größten Bestürzung entdeckte, daß er nur die Abschriften der Dokumente in Händen hielt, welche Francis Tyrrel begehrt hatte, und von denen er so gewiß hoffte, daß man die Originalien seiner Forderung gemäß übersenden würde. Ein Brief eines der Theilnehmer der Handlung berichtete, daß sie sich bei der eben zufälligen Abwesenheit des Prinzipals ihres Hauses, dem jene Papiere anvertraut wären, nicht befugt gefunden hätten, sie selbst an Mr. Tyrrel zu übersenden; obwohl sie sich in so weit berechtigt glaubten, das Packet zu eröffnen und hier gerichtliche Abschriften der darin enthaltenen Dokumente zu senden, welche, wie sie vermutheten, Herrn Tyrrel genügen würden, den Rath der Rechtsgelehrten einzuholen oder sie sonst zu gebrauchen. Sie wären bei einer so sehr bedenklichen Sache in der Abwesenheit ihres Principals fest entschlossen, die Originale zurück zu behalten, wenn sie nicht aufgefordert würden, sie einem Gerichtshofe mitzutheilen.

Mit einem kräftigen Fluche über die Umständlichkeit und Albernheit des Schreibers ließ Lord Etherington den berichterstattenden Brief ins Feuer fallen, und sich auf einen Stuhl werfend, drückte er die Hand auf seine Augen, als ob selbst seine Sehkraft von dem, was er gelesen hatte, vernichtet worden wäre. Sein Titel und sein väterliches Erbe, welches er noch vor einem Augenblicke durch eine einzige Bewegung seiner Hand unantastbar sichern zu können glaubte, schien jetzt auf dem Punkte für immer verloren zu sein. Ein schneller Rückblick auf sich selbst rief es ihm nur zu deutlich in's Gedächtniß, daß seine frühzeitige große Verschwendung sein mütterliches Erbe fast ganz aufgezehrt hatte, und daß der Besitz von Nettlewood, den er vor fünf Minuten nur noch mit der Begierde eines reichen Mannes, der sein Einkommen zu vermehren wünscht, nachsuchte, jetzt errungen werden müßte, wenn er nicht als ein sehr armer und in gar verworrener Lage befangener Verschwender erscheinen wollte. – Aber um neue Hindernisse diesem Plane in den Weg zu legen, hatte das Schicksal die Büßende zurückgeführt, welche, wie er große Ursache zu glauben hatte, in dieser Gegend erschienen war, Clara Mowbray Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und die höchst wahrscheinlich die ganze Heirathsgeschichte in ihrem eigenthümlichen Lichte erscheinen lassen würde. – Diese indessen konnte man wohl bald entfernen; auch mochte es vielleicht gelingen, durch Vermittlung ihres Bruders, wenn man sie in Furcht setzte, Miß Mowbray zu einer Verbindung mit ihm zu zwingen, während er noch den Titel des Grafen von Etherington behauptete. Wenn es also möglich war, durch Intrigue oder Anstrengung aller Kräfte diesen Punkt zu erreichen, so beschloß er fest, diesen Erfolg sich zu sichern; auch hatte die Betrachtung nicht geringen Einfluß, daß er, wenn der Sieg sein ward, über seinen glücklicheren Nebenbuhler einen Triumph davontrug, der hinreichte, die Ruhe des ganzen künftigen Lebens Tyrrels auf ewig zu verbittern.

In wenig Minuten hatte seine schnelle, erfindungsreiche Einbildungskraft einen Plan entworfen, sich des einzigen Vortheils fest zu versichern, welcher sich ihm noch darzubieten schien, und wohl wissend, daß er keine Zeit zu verlieren habe, begann er augenblicklich die Ausführung desselben.

Die Klingel rief Solmes in das Zimmer seines Gebieters, wo ihm der Graf so kaltblütig, als hoffe er seinen erfahrnen Diener durch seine Behauptung zu täuschen, sagte: »Ihr habt mir da ein Packet gebracht, welches an irgend Jemand im alten Orte gerichtet ist – sorgt, daß es ihm zugeschickt werde – wartet, ich will es zuvor wieder zusiegeln.«

Demnach siegelte er die Briefschaften wieder ein (den Brief ausgenommen, welchen er verbrannt hatte) und reichte das Packet dem Diener, die Weisung hinzufügend: »Ich wünschte, Ihr möchtet in Zukunft nicht solche Versehen Euch zu Schulden kommen lassen!«

»Ich bitte Ew. Herrlichkeit um Verzeihung – ich werde in Zukunft mich besser vorsehen – glaubte, es sei die Adresse Ew. Herrlichkeit!«

So lautete Solmes' Antwort, der viel zu verschlagen war, nur mit einem Blicke sein Einverständniß anzudeuten, viel weniger also es sich beigehen ließ, den Grafen zu erinnern, daß sein eigener Befehl das Mißverständniß veranlaßt hatte, über welches er sich beschwerte.

»Solmes,« fuhr der Graf fort, »Ihr braucht Eures Versehens im Postamt nicht zu erwähnen; es würde nur ein albernes Geschwätz an diesem Orte des Müssigganges veranlassen – aber sorgt dafür, daß jener Gentleman seinen Brief erhält. – Und Solmes, ich sehe dort Mr. Mowbray vorüber gehen – bittet ihn, um fünf Uhr bei mir zu speisen. – Ich habe Kopfweh und kann den Lärm der Wilden da unten an der Wirthstafel nicht ertragen. – Und – laßt mich einen Augenblick überlegen – ja, meine Empfehlung der Lady Penelope Penfeather – ich werde heute Abend gewiß die Ehre haben, ihr an ihrem Theetische aufzuwarten, wie es mir ihre gütige Einladung gestattet – schreibet eine eigene Karte deßhalb an sie und tragt sie selbst hin. Besorgt ein Mittagsmahl für zwei Personen und seht zu, daß Ihr von dem Burgunder-Weine etwas anschafft.« Schon wollte sich der Diener entfernen, als der Lord hinzusetzte: »Wartet einen Augenblick! Ich habe noch ein wichtigeres Geschäft, als ich bis jetzt erwähnte. – Solmes, Ihr seid verteufelt schlecht mit dem Weibe, der Irwin, verfahren!«

»Ich, Mylord?« fragte Solmes.

»Ja, ja, Ihr, Sir! – Sagtet Ihr mir nicht, sie sei mit einem Eurer Freunde nach Westindien gegangen, und zahlte ich ihnen nicht einige hundert Pfund zum Reisegelde?«

»Ja, Mylord,« entgegnete der Diener.

»So, nun aber beweiset es sich: Nein, Mylord!« rief Lord Etherington; »denn sie hat den Rückweg hieher gefunden im elendesten Zustande – halb verhungert – und ohne Zweifel willig für einigen Lebensunterhalt allerlei zu thun oder auszusagen. – Wie geht dies zu?«

»Biddulph muß ihr das Geld gestohlen und sie im Stich gelassen haben, Mylord,« entgegnete Solmes so ruhig, als ob er von der allergewöhnlichsten Sache gesprochen hätte. »Aber mir ist das ganze Wesen dieses Weibes so bekannt, und ich bin so ganz mit ihrer Geschichte vertraut, daß ich sie in vierundzwanzig Stunden aus dem Lande schaffen und sie nach einem Orte bringen will, von wo sie nie zurückkehren soll, vorausgesetzt, daß Ew. Herrlichkeit mich so lange entbehren können.«

»Macht Euch unmittelbar daran. – Doch das kann ich Euch noch sagen, Ihr werdet die Frau in sehr reumüthiger Laune und noch überdem sehr krank finden.«

»Ich bin meiner Sache gewiß, denn mit Ew. Herrlichkeit Erlaubniß, ich sollte meinen, wenn der Tod und ihr guter Engel sich des rechten Armes dieses Weibes bemächtigten, so können der Engel und ich uns schon mit dem Linken behelfen, um sie hinweg zu führen, wohin es uns beliebt.«

»Hinweg und fort also!« sagte Etherington. »Doch, Solmes – seid freundlich mit ihr, helft all' ihrem Mangel ab. – Ich habe ihr schon Leid genug zugefügt – obwohl die Natur und der Teufel eigentlich das Werk schon halb gethan mir zuführten.«

Mit der Versicherung, daß man in den nächsten vierundzwanzig Stunden seiner Dienste nicht bedürfen würde, ward Solmes endlich zur Ausrichtung seiner mannigfachen Aufträge entlassen.

»Gut!« sagte der Graf, als sein Beauftragter sich entfernte. »Die eine Springfeder wäre in Bewegung gesetzt, und sorgsam geölt, wird sie die ganze Maschine regsam erhalten. – Und hier kommt Heinrich Jekyl zur glücklichen Stunde – ich höre sein Pfeifen schon auf der Treppe ertönen. – Der Bursche besitzt einen albernen, fröhlich leichten Sinn, den ich ihm beneide, obwohl ich ihn zugleich verachte; aber jetzt ist Jekyl mir willkommen, denn ich bedarf seiner.«

Eintretend rief der Gardehauptmann: »Ich freue mich, Etherington, daß ich einen deiner Leute für zwei Personen in deinem Wohnzimmer decken sehe. – Schon fürchtete ich, du würdest wieder zu diesen verdammten Tölpeln heute hinabgehen.«

»Du bist aber nicht bestimmt, eins jener Couverte einzunehmen, Hall!« erwiederte Lord Etherington.

»Nicht? – Nun so hoffe ich doch die dritte, wenn nicht die zweite Rolle zu erhalten.«

»Weder die erste, zweite, noch dritte, Hauptmann. – Die Wahrheit ist, ich bedarf des Alleinseins mit Mr. Mowbray von St. Ronans und muß dich noch außerdem um die große Gefälligkeit ersuchen, zu dem Menschen, dem Martigny, dich noch einmal hinzubemühen. Es ist hohe Zeit, daß er seine Papiere vorzeige, wenn er deren hat – wovon ich Ein- für Allemal nichts glaube! – Es blieb ihm vollkommen Zeit, Antwort aus London zu erhalten, und ich denke, lange genug habe ich eine wichtige Angelegenheit seiner bloßen Versicherung wegen aufgeschoben.«

»Ich kann deine Ungeduld nicht tadeln,« sagte Jekyl, »und will augenblicklich den Auftrag ausrichten. Da du meinem Rathe folgend bis jetzt wartetest, bin ich verpflichtet, deine Ungewißheit schleunig zu beenden. – Aber ich muß zugleich eingestehen, besitzt der Mensch nicht die Papiere, mit welchen er so kühn prahlt, so steht ihm wenigstens eine so kecke Stirn zu Gebot, daß die ganze Advokaten-Schaar sich damit ausrüsten könnte.«

»Du wirst bald im Stande sei, darüber zu urtheilen,« entgegnete Lord Etherington. »Doch nun, hinweg mit dir! – Was betrachtest du mich so besorgt?«

»Ich weiß es nicht – aber es ergreift mich eine wunderliche Ahnung bei diesem Alleinsein mit Mowbray. Du solltest ihn schonen, Etherington –! Er steht dir nicht gleich. Ihm mangelt sowohl Beherrschung als richtiger Ueberblick.«

»Sag' ihm das selbst, Jekyl, und sein stolzer schottischer Magen wird sich sogleich dagegen empören; ja er wird dir mit einer Kugel deine Fürsorge lohnen. – Trotz der Lektion, die ich ihm gab, hält er sich für den ersten Hahn im Korbe, dieser sich brüstende Tölpel. Und was meinst du dazu? – Er hat die Unverschämtheit, über meine Aufmerksamkeiten für Lady Binks als sehr unpassend mit meiner Bewerbung um seine Schwester zu zürnen. – Ja, Hall – dieser linkische, schottische Laird, der es kaum versteht, einem Milchmädchen, oder höchstens einer lumpigen Kammerzofe den Hof zu machen, hat die Frechheit, sich zu meinem Nebenbuhler aufzuwerfen.«

»Ja dann, St. Ronans, gute Nacht! – Das wird ihm ein trauriges Mittagsmahl werden. – An diesem Lachen erkenne ich es, Etherington, du hast böse Absichten. – Ich habe große Lust, ihm einen Wink davon zu geben.«

»Ich wünsche, daß du es thust! Es würde ganz zu meinem Vortheil ausschlagen.«

»Bietest du mir Trotz? – Wohl, wenn ich ihm begegne, werde ich ihn warnen.«

Die Freunde trennten sich, und nicht lange nachher begegnete Jekyl Mowbray'n auf einem der öffentlichen Spaziergänge. Der Hauptmann sagte:

»Sie speisen heute mit Etherington? – Vergeben Sie mir, Mr. Mowbray, wenn ich Ihnen sage, hüten Sie sich!«

»Wovor soll ich mich hüten, Hauptmann Jekyl?« fragte Mowbray, »wenn ich mit einem Ihrer Freunde und einem Manne von Ehre speise?«

»Unbedingt gebühren beide Benennungen dem Lord Etherington, doch er liebt das Spiel, Mr. Mowbray, und ist den meisten Leuten darin überlegen.«

»Ich danke Ihnen für Ihren Wink, Hauptmann Jekyl – ich bin freilich nur ein roher Schotte, doch einige Dinge sind mir dennoch nicht entgangen. Unter Edelleuten wird stets vollkommen rechtliches Spiel vorausgesetzt. Dies einmal fest angenommen, bin ich eitel genug, zu glauben, keiner weiteren Warnung über diesen Gegenstand zu bedürfen, selbst nicht einmal der des Hauptmann's Jekyl, obwohl seine Erfahrung freilich die meinige bei weitem übertreffen muß.«

Kalt sich verbeugend, entgegnete Jekyl: »In dem Falle, Sir, habe ich nichts mehr hinzuzusetzen, als, ich hoffe, es fand keine Beleidigung statt.« Innerlich fuhr er fort, als sie sich trennten: »Eingebildeter Narr! Wie richtig hat ihn Etherington beurtheilt, und welch' ein Esel war ich, mich darein zu mischen! – Ich hoffe, Etherington wird ihm auch die letzte Feder ausrupfen!«

Er setzte seinen Weg zu Tyrrel fort, während Mowbray sich nach den Zimmern des Grafen verfügte, vollkommen zu dem glücklichen Gelingen des Vorsatzes des letzteren geeignet, der mit seiner Menschenkenntniß ihn beurtheilte, als er Jekyl gestattete, ihm seine gut gemeinte Warnung zu ertheilen. Von einem anerkannt modisch geltenden Manne so entschieden seinem Gegner untergeordnet zu werden – als ein Gegenstand des Mitleidens sich betrachtet, und einer kindischen Warnung bloßgestellt zu sehen, erregte bittere Galle in seinem stolzen Geiste, der, jemehr er sich in den Künsten, welche sie alle übten, untergeordnet fühlte, um so mehr sich anstrengte, mindestens äußerlich den Schein einer gewissen Gleichheit zu behaupten.

Seit jener ersten merkwürdigen Piquet-Partie hatte Mowbray nie wieder sein Glück gegen Lord Etherington als nur um geringen Satz versucht; aber sein großer Dünkel erregte in ihm den Glauben, daß er jetzt vollkommen sein Spiel verstände, und wie es den Spielern von Profession zu gehen pflegt, hatte er hin und wieder ein Lüstchen empfunden, wo möglich seine revanche zu nehmen. – Auch wünschte er sehnlich, dem Lord Etherington nichts mehr schuldig zu sein, weil das bittere Gefühl einer pekuniären Verpflichtung ihn hinderte, sich ganz deutlich über des Lords Liebeleien mit Lady Binks auszusprechen, die er in Hinsicht der Bewerbungen des Grafen um Clara Mowbray mit Recht als eine Beleidigung ihrer Familie betrachtete. – Von allen diesen hemmenden Verpflichtungen konnte ihn ein einziger Abend befreien, und Mowbray war eben in einem schmeichelnden wachen Traume über diesen Gegenstand befangen, als ihn Jekyl unterbrach. – Seine unzeitige Warnung erregte also nur einen Widerspruchs-Geist und den Entschluß, dem Rathgeber zu beweisen, wie wenig er im Stande sei, von seinen Talenten zu urtheilen; in dieser Stimmung schien also sein gänzliches Verderben, welches die Folge dieses Nachmittags war, weit davon entfernt, der vorgesetzte Plan oder nur die freiwillige That Lord Etheringtons zu sein.

Im Gegentheil, das Opfer selbst schlug zuerst das Spiel vor – hohes Spiel – verdoppelten Satz; während Lord Etherington im Gegentheil oft anbot, ihn zu mäßigen oder ganz aufzuhören; aber stets geschah es mit einem solchen Anstrich von Ueberlegenheit, daß Mowbray dadurch nur noch mehr aufgereizt, größere und verzweifeltere Wagnisse unternahm; und da zuletzt in Betracht seiner Lage Mowbray in unerschwingliche Schuldenlast sich gestürzt hatte, warf der Graf die Karten hin, erklärend, er würde zu spät bei dem Thee Lady Penelopens erscheinen, bei welchem er unbedingt seine Gegenwart versprochen habe.

»So wollen Sie mir keine revanche geben?« fragte Mowbray, die Karten ergreifend und mit trotzendem Unmuthe mischend.

»Jetzt nicht, Mowbray. – Wir spielten schon zu lange – Sie haben zu viel verloren – mehr vielleicht als Sie mit Gemächlichkeit zahlen können.«

Mowbray knirschte mit den Zähnen trotz seines festen Entschlusses, mindestens im Aeußern einen Anschein von Ruhe zu behaupten.

»Sie wissen, Sie können sich vollkommen Zeit zur Bezahlung nehmen; ein Wechsel wird mir von Ihnen eben so willkommen sein als Geld.«

»Nein bei Gott,« rief Mowbray, »zum Zweitenmale soll man mich so nicht fassen – es wäre besser, ich hätte mich dem Teufel verkauft, als Eurer Herrlichkeit. – Nie war ich seitdem mein eigener Herr!«

»Das sind eben keine sehr freundlichen Ausdrücke, Mowbray; Sie wollten spielen, und die spielen wollen, müssen es zuweilen erwarten, auch zu verlieren –«

»Und die, welche gewinnen, erwarten, bezahlt zu werden!« rief Mowbray ihn unterbrechend. »Ich weiß das so gut, Mylord, als Sie, und Sie sollen bezahlt werden – ich will Sie bezahlen – ich will Sie bei Gott bezahlen! – Hegen Sie den kleinsten Zweifel, daß ich Sie bezahlen will, Mylord?«

»Sie sehen aus, als gedächten Sie mich in gar scharfer Münzsorte zu bezahlen, und ich sollte meinen, in den Verhältnissen, worin wir uns gegen einander befinden, möchte sich dies kaum passen.«

»Bei meiner Seele, Mylord,« sagte Mowbray, »ich kann nicht mit Gewißheit sagen, was eigentlich für Verhältnisse zwischen uns obwalten. Sie geben sich das Ansehen, sich um meine Schwester zu bewerben, und trotz Ihrer Besuche und der sich Ihnen zu Shaw-Castle darbietenden Gelegenheiten sehe ich nicht, daß diese Angelegenheit Fortschritte macht – wie das Wiegenpferd eines Kindes regt sie sich, ohne von der Stelle zu kommen. Vielleicht denken Sie, ich bin so ganz in den Staub getreten, daß ich mich nicht darein zu mischen wagen werde; aber Sie werden es ganz anders finden. – Ew. Herrlichkeit mögen sich einen Harem anlegen, wenn Ihnen danach gelüstet, aber meine Schwester soll nicht dazu gehören.«

»Sie sind ärgerlich, und folglich ungerecht! Sie wissen sehr gut, nur Ihrer Schwester Schuld ist jeder Aufschub. Ich bin sehr bereit – höchst begierig, sie Lady Etherington zu nennen – nichts als ihre unglücklichen Vorurtheile gegen mich hindern eine Verbindung, die so viele Ursachen mir wünschenswerth machen.«

»Gut,« entgegnete Mowbray, »das soll meine Sorge sein. Ich kenne keine Ursache, welche sie anführen kann, eine so ehrenvolle Verbindung für ihr Haus auszuschlagen, welche das Haupt dieses Hauses, ich selbst, billige. In 24 Stunden soll die Sache in Ordnung sein.«

»Es würde mir die aufrichtigste Freude machen,« rief Lord Etherington, »und bald sollen Sie es einsehen, wie aufrichtig ich Ihre Verwandtschaft wünsche. Was die Kleinigkeit anbetrifft, die Sie verloren haben –«

»Es ist keine Kleinigkeit für mich, Mylord – es richtet mich zu Grunde – aber es soll bezahlt werden – und erlauben mir Ew. Herrlichkeit noch hinzuzusetzen, Sie können Ihrem Glück mehr Dank dafür sagen, als Ihrem guten Spiel.«

»Wenn es Ihnen gefällig ist, sprechen wir jetzt nicht weiter darüber. Morgen ist wieder ein neuer Tag! – Und wollen Sie mir einen guten Rath erlauben, so sein sie nicht zu rauh gegen Ihre Schwester. Etwas Festigkeit ist selten übel angebracht bei jungen Damen, doch zu große Strenge –«

»Ich will Ew. Herrlichkeit bitten, mich mit Ihrem Rathe über diesen Gegenstand zu verschonen. Wie werthvoll er in jeder andern Hinsicht sein mag, kann ich doch, hoffe ich, mit meiner Schwester auf meine eigne Weise reden.«

»Da Sie so reizbar heute sind, Mowbray, vermuthe ich, Sie werden den Theetisch Ihrer Herrlichkeit wohl schwerlich mit Ihrer Gegenwart beehren, obwohl ich glaube, daß es die letzte Vereinigung in diesem Jahre sein wird?«

»Und weßhalb sollten Sie das voraussetzen, Mylord?« fragte Mowbray, dessen Verlust ihn zum hartnäckigsten Widerspruch bei jedem neuen Thema aufreizte. »Weßhalb sollte ich nicht meine Ehrfurcht der Lady Penelope oder sonst irgend einer vornehmen Putzdocke bezeigen? – Ich habe freilich keinen Titel, doch ich glaube, daß meine Familie –«

»Sie berechtigt, Kanonikus des Domkapitels zu Straßburg zu werden, ohne allen Zweifel; – aber Sie scheinen mir eben nicht in ächt christlicher Stimmung, um in den geistlichen Stand zu treten. Alles, was ich sagen wollte, war, daß Sie und Lady Pen nicht in so gutem Einverständniß zu sein pflegten.«

»Aber sie sandte mir eine Karte zu ihrem Abschiedsfest,« entgegnete Mowbray, »und so bin ich entschlossen, zu erscheinen. Habe ich dort eine halbe Stunde zugebracht, werde ich sogleich nach Shaw-Castle reiten, und morgen sollen Sie Nachricht von meiner eiligen Ausrichtung Ihrer Freiwerberei erhalten.«



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