Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Welch' abgeschied'ner Geist wallt durch den rauhen Sturm? –
Denn nie hat wohl ein irdisch, zartes Mägdlein
Sich solche Nacht gewählt, gramvoll sich zu ergeh'n!
Alte Komödie.
Nach der stürmischen, gefahrdrohenden Unterredung mit ihrem Bruder, welche dem Leser in einem der vorhergegangenen Kapitel mitzutheilen unsere trübe Aufgabe war, hatte Scham, Kummer und Entsetzen sich vereint, die unglückliche Clara Mowbray, als sie sich von ihrem Bruder trennte, gänzlich niederzudrücken. Seit so vielen Jahren war die Ruhe ihres ganzen Lebens, alle ihre Gedanken durch das Schreckbild jener fürchterlichen Entdeckung vergiftet worden, und jetzt ward das Gespenst, das sie rastlos verfolgte, zur entsetzenden Wahrheit. Die ungeheure Heftigkeit ihres Bruders, die ihn so weit führte, selbst ihr Leben zu bedrohen, verband sich mit ihrer leidenschaftlichen Erschütterung, einen Ausbruch der Furcht hervorzubringen, der sie wahrscheinlich kein anderes Hülfsmittel finden ließ, als dem blinden Instinkt Folge zu leisten, der zur Flucht als dem besten Ausweg in dringender Gefahr oft sinnlos treibt.
Wir sind nicht im Stande, genau den Weg anzugeben, den die junge Unglückliche erwählte. Wahrscheinlich ist es, daß sie aus Shaw-Castle entfloh, als sie die Ankunft des Wagens Mr. Touchwoods hörte, den sie vielleicht für den Lord Etheringtons hielt; und so, während Mowbray sich der günstigeren Aussicht überließ, welche des Reisenden Erklärungen ihm eröffneten, kämpfte seine Schwester mit Finsterniß und Regen, umringt von den Beschwerden und Gefahren des bergigen Pfades, den wir so eben beschrieben haben. So mannigfaches Ungemach stürmte hier auf sie ein, daß eine zärtlicher gewöhnte junge Dame erschöpft niedergesunken oder gezwungen gewesen wäre, nach der Wohnung, aus welcher sie entflohen war, zurückzukehren. Aber die einsamen Wanderungen Clara's hatten sie sowohl an beschwerliche als an nächtliche Gänge gewöhnt, und das furchtbare Entsetzen, welches sie zur Flucht trieb, machte sie fühllos gegen die Gefahren des Weges. Sie war in der Laubhütte gewesen, wie ihr Handschuh bewies, und hatte den Bach auf der Planken-Brücke überschritten, obwohl man es fast ein Wunder nennen konnte, daß sie in einer so finstern Nacht mit solcher Genauigkeit einen Pfad durchwandern konnte, wo es oft nur eines Fußes breit Raumes bedurfte, der sie, wenn sie ihn fehlte, in die Ewigkeit befördern mußte.
Wahrscheinlich ist es auch, daß Clara's Muth und Kraft zu erliegen begann, als sie einen kleinen Theil des Weges nach dem alten Ort zurückgelegt hatte; denn sie verweilte sich einen Augenblick lang bei der Hütte jener armen Alten, die früherhin die Pflegerin der kranken, sterbenden Hannah Irwin war. Hier hatte sie, wie die Bewohnerin der Hütte späterhin bekannte, gepocht und bitterlich geweint, als sie um Aufnahme flehte. Die alte Hexe gehörte aber zu den Elenden, denen das Unglück das Herz versteinert, und hielt deßhalb hartnäckig ihre Thür verschlossen, wahrscheinlich mehr von allgemeinem Hasse gegen das menschliche Geschlecht, als von argwöhnischer Furcht dazu bewogen; obwohl sie wunderlich genug eingestand, daß sie eigentlich von den übernatürlich süß flehenden Tönen seltsam ergriffen worden wäre, womit die nächtliche Wanderin ihre Bitten gestammelt habe. Noch fügte sie hinzu: als sie nun endlich die arme Flehende von ihrer Thüre sich entfernen hörte, sei ihr das Herz weicher geworden, und sie habe die Absicht gehabt, ihr mindestens ein Obdach zu gewähren, doch wie sie »zur Thüre humpeln und den Riegel aufziehen« konnte, sei die Unglückliche nirgends mehr zu erblicken gewesen, welches nun eben den Glauben des alten Weibes verstärkte, das Ganze sei nichts, als ein höllischer Trug.
Man hat vermuthet, daß die zurückgestoßene Wanderin keinen weitern Versuch machte, Mitleiden zu erregen oder ein Obdach zu gewinnen, bis sie zu der Pfarrwohnung Mr. Cargills kam, in deren Oberstube noch Licht brannte, aus einem Grunde, der einer vorläufigen Erklärung bedarf.
Der Leser wird sich der Ursachen erinnern, welche Bulmer oder den sogenannten Lord Etherington veranlaßten, aus der Gegend den einzigen Zeugen zu entfernen, welcher, wie er fürchtete, dazu bestimmt war, oder mindestens die Absicht hatte, öffentlich die Betrügerei, die er sich gegen die unglückliche Clara Mowbray erlaubte, zu beweisen. Von den, außer den Vermählten selbst, bei der Trauung gegenwärtigen drei Personen ward der Prediger gänzlich getäuscht. Solmes war nach Bulmers Meinung ganz ausschließend seinem Interesse zugewandt; konnte also durch seine Vermittelung diese Hannah Irwin aus der Gegend entfernt werden, so schloß er ganz natürlich, daß alle Beweise der von ihm ausgeführten Betrügerei gänzlich unterdrückt sein würden. Deßhalb erhielt Solmes, sein Bevollmächtigter, den Auftrag, dessen sich der Leser erinnern wird, und hatte von dem Gelingen desselben seinem Gebieter Bericht erstattet.
Aber seitdem Solmes unter dem Einflusse Touchwoods stand, war er fortdauernd beschäftigt, die Plane zu untergraben, an deren Ausführung er am thätigsten zu arbeiten schien, während der Reisende (für ihn ein höchst reizender Genuß) das Vergnügen hatte, eben so schnell als Bulmer Minen anzulegen, die Gegenminen vorzubereiten, und sich im Voraus des Genusses freute, den Schanzgräber mit der eignen Petarde in die Luft zu sprengen. – Sobald also Touchwood des Lords verzweiflungsvollen Plan hörte, sich in den Besitz der Dokumente zu setzen, welche der verstorbene Graf von Etherington seinem Handelshause in London anvertraut hatte, schrieb er sogleich, daß man nur die Abschriften senden sollte, und machte so jenen rasenden Schritt Bulmers nutzlos. Aus demselben Grunde, als ihm Solmes den dringenden Wunsch seines Gebieters mittheilte, Hannah Irwin entfernt zu wissen, gab er ihm den Auftrag, die Kranke sorgsam zu Herrn Cargill zu bringen, der leicht bewogen ward, ihr eine vorübergehende Zuflucht zu gewähren.
Diesem guten Manne, den man mit Recht den barmherzigen Samariter nennen konnte, würde das bloße Elend der Armen eine hinreichende Empfehlung gewesen sein; auch war er nicht Einer von denen, welche gefragt haben würden, ob auch die Krankheit ansteckend sei, oder sonst Erkundigungen einziehen mochten, die zuweilen bei vorsichtigeren Menschenfreunden große Hindernisse der Ausübung ihrer Güte und Gastfreiheit sind. Aber um noch mehr seine Theilnahme zu erwecken, unterrichtete ihn Mr. Touchwood schriftlich, daß die Kranke (eine ihm sonst nicht unbekannte Person) die Besitzerin sehr bedeutender Geheimnisse sei, welche eine ehrenwerthe, vornehme Familie angingen, und daß er selbst mit Mr. Mowbray von St. Ronans als Magistratsperson diesen Abend nach dem Pfarrhause zu kommen gedächte, ihre Bekenntnisse über diesen wichtigen Gegenstand zu empfangen.
Dies war in der That der Vorsatz des Reisenden, der vielleicht seine Wirkung nicht verfehlt hätte, wenn nicht seine Selbstliebe, ihn seinerseits zu schlau sein sollenden Umwegen verleitend, und Mowbray's ungestüme Ungeduld gegen einander gestellt, wie der Leser weiß, den einen in vollem Galopp nach Shaw-Castle sprengte, und den andern nöthigte, ihm in eiliger Hast per Post zu folgen. Diese hemmende Nothwendigkeit berichtete er dem Geistlichen in Eile, ehe er die Postkalesche bestieg, versprach den andern Morgen frühzeitig auf der Pfarre zu sein, – und mit der eingewurzelten zögernden Eigenliebe, welche ihn veranlaßte, alle Dinge mit eigener Hand leiten zu wollen, beauftragte er Mr. Cargill, das Bekenntniß der Kranken nicht vor seiner Ankunft zu empfangen, es müsse denn die höchste Noth vorhanden sein.
Es war Solmes sehr leicht geworden, die Kranke aus der Hütte nach der Pfarrwohnung zu bringen. Zwar hatte sie der Anblick des Gefährten eines großen Theils ihrer Lasterbahn sehr erschreckt; aber er zögerte nicht, ihr zu versichern, daß seine Reue der ihrigen gleich komme, und daß er sie dahin führen wolle, wo ihre vereinten Bekenntnisse, gerichtlich aufgenommen, so viel als möglich das Uebel wieder gut machen sollten, wozu sie einst mitwirkten. Da er ihr nun auch freundliche Fürsorge und Beistand für ihre Kinder gelobte, so folgte sie ihm willig nach des Predigers Wohnung. Er selbst beschloß, verborgen den Erfolg des der Enthüllung nahen Geheimnisses zu erwarten, ohne seinem Herrn wieder vor Augen zu kommen, dessen Stern, wie er sehr wohl bemerkte, im Begriffe war, schnell aus seiner glänzenden Sphäre herab zu stürzen.
Der Prediger besuchte die unglückliche Kranke, wie er es oft während ihres Aufenthalts in seiner Nähe gethan hatte, und gebot, sie sorglich zu pflegen. Auch schien sie den Tag über etwas besser; aber, ob nun die Stärkungsmittel ihr in zu großem Maaße gereicht worden waren, oder ob die Gewissensbisse, die an ihrem Innern nagten, lebendiger erwachten, als sie von dem Drucke persönlicher Noth befreit war, so viel ist gewiß, daß um Mitternacht das Fieber heftiger ward, und die bei ihr wachende Wärterin kam den Prediger zu benachrichtigen, der eben tief in die Belagerung von Ptolemais versunken war, daß sie zweifle, ob die Frau den Morgen erleben würde, daß ihr aber Etwas schwer auf der Seele läge, wovon sie, wie die Wärterin sich ausdrückte, »ihre Brust zu erleichtern wünsche,« ehe sie sterben oder den Gebrauch ihrer Sinne verlieren sollte.
Durch solch' einen kritischen Fall seinen Träumen entrissen, ward Mr. Cargill plötzlich ein dem thätigen Leben vollkommen angehörender Mann, klar und deutlich von Begriffen, ruhig und gelassen in seinen Entschlüssen, wie er stets war, wenn die Pflicht ihn in Anspruch nahm. Aus den verschiedenen Andeutungen seines Freundes Touchwood entnehmend, daß die Sache von höchster Wichtigkeit sei, geboten ihm sowohl seine Menschlichkeit als seine Unerfahrenheit, ärztlichen Beistand herbei holen zu lassen. Sein Knecht ward sogleich zu Pferde nach dem Gesundbrunnen zum Doctor Quackleben gesendet; während auf die Bemerkung eines der Dienstmädchen, »daß Mistreß Dods eine außerordentlich geschickte Person bei einem Krankenlager sei,« die Magd abgeschickt ward, die Hülfe der guten Wirthin zur Teufelsfalle in Anspruch zu nehmen, welches sie in der That nie Jemand zu versagen pflegte, dem sie nur nützlich sein konnte. Der männliche Abgesandte bewies sich, wie die Schotten sagen, »als ein Raben-Gesandter,« Anspielung auf die Raben in der Arche Noah. denn er fand den Doctor entweder gar nicht, oder zu gut beschäftigt, um an dem Krankenlager einer Armen zu erscheinen, wenn ihn nur eine Aufforderung dahin rief, die so wenig Bezahlung erwarten ließ, als die eines armen Landpfarrers. Aber besser gelang es der weiblichen Botin; denn obwohl sie unsere Freundin Luckie Dods eben im Begriffe fand, ungewöhnlich spät zu Bette zu gehen, da sie einige Angst über Mr. Touchwood's außerordentlich spätes Außenbleiben empfand, brummte die gute alte Dame doch nur ein Weniges über des Predigers seltsame Grillen, arme Leute in sein Haus aufzunehmen; dann aber augenblicklich Mantel, Mütze und Unterschuhe anlegend, eilte sie mit aller Hast der thätigen Samariterin hinweg, eine ihrer Mägde ihr mit der Laterne vorleuchtend, während die Andere zurück blieb, das Haus zu bewachen und für die Bedürfnisse Mr. Tyrrels zu sorgen, der es gern übernahm, aufzubleiben, um Mr. Touchwood zu empfangen.
Aber ehe noch Dame Dods in der Pfarre ankam, hatte die Kranke den Prediger zu sich rufen lassen, und bat ihn, ihr Bekenntniß niederzuschreiben, während sie noch genug Leben und Athem habe, es abzulegen.
»Denn ich glaube,« setzte sie hinzu, sich im Bette aufrichtend und mit wild rollenden Blicken umherschauend, »daß, wenn ich meine Schuld einem minder heiligen Manne anvertrauen wollte, so würde der Geist der Hölle, dessen Dienerin ich war, seine Beute davon führen, Körper und Seele vereint, ehe sie sich von einander scheiden, wie kurz auch die Zeit sein mag, die sie noch in Gemeinschaft mit einander zubringen müssen.«
Mr. Cargill wollte durch einige gottesfürchtige Tröstungen sie beruhigen, aber ungeduldig unterbrach sie ihn: »Verschwenden Sie keine Worte! – verschwenden Sie keine! – Lassen Sie mich das aussprechen, was ich zu sagen habe, und mit einer Unterschrift versehen muß; und Sie, der Sie als der unmittelbare Diener Gottes verpflichtet sind, ein Zeuge der Wahrheit zu sein, geben Sie ja wohl Acht, das niederzuschreiben, was ich Ihnen sagen werde, und nichts weiter. Ich wünschte es zu St. Ronans zu sagen, – ich habe selbst sogar schon angefangen, es Andern mitzutheilen – aber ich freue mich, daß ich kurz abbrach – denn Sie, Mr. Cargill, kenne ich, obwohl Sie mich lange vergessen haben werden.«
»Das mag wohl sein,« sagte Cargill. »Ich erinnere mich Ihrer in der That durchaus nicht.«
»Dennoch kannten Sie einst Hannah Irwin,« sagte die Kranke, »welche die Gefährtin und Verwandte Miß Clara Mowbray's war, und die ihr zur Seite in jener sündlichen Nacht stand, wo sie in der Kirche von St. Ronans getraut ward.«
»Wollen Sie mich glauben machen, daß Sie jene Person wären?« fragte Cargill, das Licht so wendend, daß es einigermaßen die Kranke beleuchtete, »das kann ich mir nicht denken.«
»Wirklich nicht?« sagte die Büßerin. »Freilich wohl gibt es einen Unterschied zwischen dem Laster von krönendem Erfolg umgeben, und der Schuld, mit dem Entsetzen des Sterbebettes umringt.«
»Verzweifeln Sie dennoch nicht,« sagte Cargill. »Allmächtig ist die göttliche Gnade – nur daran zu zweifeln ist an sich ein großes Verbrechen.«
»Mag es so sein, – ich kann es nicht ändern. – Mein Herz ist verhärtet, Mr. Cargill, und hier ist Etwas (sie drückte die Hand auf ihre Brust), welches mir zuflüstert, daß, würde mir das Leben verlängert, Gesundheit mir wiedergegeben, so würden selbst meine jetzigen Todesschmerzen vergessen werden, und wieder sänke ich in die Gewalt des Lasters zurück. Ich habe das Anerbieten der Gnade verworfen, Mr. Cargill, und nicht aus Unwissenheit, denn ich sündigte mit vollem Bewußtsein. Kümmern Sie sich also nicht um mich, die ich eine durchaus Verworfene bin.« Wieder wollte er sie unterbrechen, aber sie fuhr fort: »O wünschen Sie in der That mir wohl zu thun, so lassen Sie mich den Busen von den Qualen, die ihn drücken, befreien; vielleicht bin ich dann besser im Stande auf Sie zu hören. – Sie sagen, daß Sie sich meiner nicht erinnern – aber wenn ich Ihnen zurückrufe, wie oft Sie sich weigerten, im Geheim die Trauung zu vollziehen, zu welcher man Sie aufforderte – wie sehr Sie anführten, daß es wider die kirchlichen Gesetze stritte, – wenn ich Ihnen den Grund nenne, der Sie endlich zum Nachgeben brachte – Sie an Ihren Vorsatz erinnere, Ihren geistlichen Brüdern in dem kirchlichen Gericht Ihre Uebertretung zu bekennen, Ihre Verzeihung zu erbitten und sich der Buße zu unterwerfen, die man Ihnen auferlegen würde, obwohl sie so gar leicht nicht sein möchte – dann werden Sie es einsehen, daß Ihnen die Stimme einer elenden Armen die Worte der einst listigen, fröhlichen, wohlgestalteten Hannah Irwin verkündet.«
»Ich gebe es zu, ich gebe es zu,« sagte Mr. Cargill. »Ich erkenne die Unläugbarkeit jener Anzeigen, und halte Sie nun in der That für diejenige, deren Namen Sie sich aneignen.«
»So ist denn ein qualvoller Schritt gethan,« sagte sie; »denn schon früher hätte ich mir das Gewissen durch ein Bekenntniß erleichtert, wenn mich nicht der Fluch eines stolzen Gemüthes davon abhielt, dem Armuth eine größere Schande als das Laster zu sein schien. – Gut also. – Durch jene Gründe, welche Ihnen ein Jüngling, den Sie am meisten unter dem Namen Francis Tyrrel kannten, obwohl er mehr Recht auf den Valentin Bulmers hatte, mittheilte, übten wir groben Betrug gegen Sie aus, Mr. Cargill. – Hörten Sie nicht Jemand seufzen? – Ich hoffe, es ist hier Niemand im Zimmer. – Ich hoffe, ich werde sterben, wenn mein Bekenntniß unterzeichnet und untersiegelt ist, ohne daß mein Name von Mund zu Mund umhergeschleppt wird. – Ich hoffe, Sie bringen Ihre Dienstleute nicht hinein, mich in meinem verworfenen Elend anzustarren – das kann ich nicht ertragen.«
Sie hielt inne und lauschte; denn das Ohr, welches gemeinhin bei dem Sterbenden tauber wird, schärft sich im Gegentheil auch zuweilen ganz ungewöhnlich. Mr. Cargill versicherte ihr, daß Niemand gegenwärtig sei, und setzte hinzu: »Und so sprechen Sie es aus, unglückliche Frau, auf welches Weh soll mich diese Einleitung vorbereiten?«
»Mögen Ihre Erwartungen auch noch so trübe sein, ihnen soll volle Genüge geleistet werden. – Ich war die schuldvolle Vertraute des falschen Francis Tyrrel. – Clara liebte den wahren Eigner jenes Namens. – Bei Vollziehung der unheilbringenden Feierlichkeit ward die Braut wie der Prediger hintergangen – und ich war die Elende – der höllische Geist – der einem andern schwärzern – wenn es einen solchen geben konnte – rüstig beistand, dies verdammungswürdige Elend zu vollenden.«
»Elende!« rief der Geistliche. »Und hattest du nun nicht dessen zur Genüge gethan? – Warum brachtest du es dahin, die verlobte Braut des einen Bruders zum Weibe des andern zu machen?«
»Ich handelte,« sagte die Kranke, »nur wie mich Bulmer unterrichtete; aber ich hatte es mit einem Meister im Spiele zu thun. Er brachte es durch seinen Helfershelfer Solmes dahin, mich mit einem Manne zu verheirathen, den seine Lügen mir als einen wohlhabenden Mann schilderten – einen Elenden, der mich mißhandelte, plünderte, verkaufte. – Ja, wenn Teufel lachen, wie ich hörte, daß sie es können, welch' ein höhnender Jubel wird es sein, wenn Bulmer und ich an ihrem Marterorte erscheinen. – – Hört! – Ich bin es überzeugt, dort athmete Jemand, als ob er schaudernd erbebte!«
»Sie werden sich die Sinne verwirren, wenn Sie solchen Phantasien nachhängen. – Beruhigen Sie sich – sprechen Sie weiter, doch – o zum mindesten einmal – sprechen Sie die Wahrheit!«
»Das will ich, denn damit wird mein Haß gegen ihn am vollständigsten gesättigt, der, nachdem er mir meine Tugend raubte, mich zum elenden Spielwerk der niedrigsten Menschen herabwürdigte. Deßhalb kam ich hieher ihn zu entlarven. Ich hörte, daß er seine Bewerbungen um Clara wieder erneute, und ich kam her, ihrem Bruder Alles zu entdecken. Aber wundern Sie sich etwa, daß ich dennoch damit bis zu diesem letzten entscheidenden Augenblick zögerte? – Ach, ich gedachte meines Benehmens gegen Clara, wie konnte ich es also wagen, vor ihren Bruder zu treten. – Und doch haßte ich sie nicht mehr, seit ich ihr großes Unglück sah – ihren tiefen Jammer, der sie selbst dem Wahnsinn nahe brachte – damals haßte ich sie nicht mehr. Ich bedauerte sie sogar, daß sie keinem bessern Mann als Bulmer zu Theil werden sollte; – ich bemitleidete sie, nachdem sie durch Tyrrel befreit ward, und Sie werden sich erinnern, daß ich es war, die Sie vermochte, ihre Heirath zu verbergen.«
»Ich erinnere mich dessen,« entgegnete Cargill, »auch daß Sie anführten, Verschwiegenheit sei nothwendig, weil ihr sonst Gefahr von ihrer Familie drohen würde. Auch verbarg ich es, bis ein Gerücht, daß sie sich wieder verheirathen sollte, mir zu Ohren kam.«
»Gut denn,« sagte die Kranke, »so sollte Clara Mowbray mir wohl verzeihen, da das Uebel, welches ich ihr that, unvermeidlich, das Gute aber willkührlich war. – Ich muß sie sehen, Mr. Cargill, ich muß sie sehen, ehe ich sterbe – ich kann nie wieder beten, ehe ich sie sehe. – Kein Wort der göttlichen Barmherzigkeit wird mich erquicken, bis ich sie sehe. – Wenn ich nicht die Verzeihung eines Erdenwurmes erhalten kann, wie ich es selbst bin, wie kann ich auf die hoffen, welche –«
Mit einem schwachen Schrei fuhr sie bei diesen Worten auf; denn langsam und mit matter Hand wurden die Vorhänge des Bettes auf der entgegengesetzten Seite Mr. Cargills aufgezogen, und die Gestalt Clara Mowbray's, das Gewand und ihr lang wallendes Haar, vom Regen triefend durchdrungen, zeigte sich in der Oeffnung. Die Sterbende saß aufrecht, die Augen stier aus ihren Höhlen tretend, mit zitternden Lippen, bleichem Angesicht, die abgemergelten Hände ängstlich an die Bettlaken geklammert, als sollten sie ihr Unterstützung verleihen, und blickte so verstört um sich, als habe ihr Bekenntniß den Geist der verrathenen Freundin herauf beschworen. Mit dem gewohnten unendlich süßen Wohllaute der Stimme sagte Clara:
»Hannah Irwin, meine Jugendfreundin – meine unverschuldete Feindin! – ergib dich der Gnade des Himmels, der Verzeihung für uns Alle hat, und übergib dich ihm vertrauensvoll – denn ich verzeihe dir so vollkommen, als ob du mich nie beleidigt hättest – so vollkommen, wie ich meine eigne Verzeihung wünsche. – Fahr wohl! – fahr wohl!«
Sie verschwand aus dem Zimmer, ehe selbst der Prediger im Stande war sich zu überzeugen, daß diese Erscheinung mehr als ein Phantom sei. Er stürzte die Treppe hinab – er rief nach Hülfe, aber Niemand hörte auf seinen Ruf, denn das schwere Röcheln der Kranken überzeugte einen Jeden, daß ihr letzter Augenblick herannahe. Mistreß Dods rannte mit der Magd nach der Krankenstube, dem bald darauf erfolgenden Tode Hannah Irwins beizuwohnen.
Kaum war dies ernste Schauspiel vorüber, als die im Wirthshause zurückgebliebene Magd herbeistürzte, mit Entsetzen ihrer Gebieterin zu berichten, daß eine Dame wie ein Geist in ihrem Hause erschienen sei, und in Mr. Tyrrel's Zimmer im Sterben läge. Doch wir müssen den wahren Verlauf dieser Begebenheit berichten.
In dem unsichern Gemüthszustande Miß Mowbray's würde schon eine minder heftige Erschütterung, als die, welche ihres Bruders gebieterische Leidenschaftlichkeit, verbunden mit dem Entsetzen ihres erschöpfenden, gefahrvollen nächtlichen Weges, bewirkte, hingereicht haben, ihre körperlichen Kräfte zu überwältigen und die ihres Geistes zu zerstören. Wir sagten schon vorher, daß wahrscheinlich das Licht in der Pfarrwohnung ihre Aufmerksamkeit erregte, und in der jetzt in diesem nie zu ordentlichen Hause herrschenden Verwirrung ward es ihr leicht, unbemerkt die Treppe hinauf zu gehen, in das Krankenzimmer zu schlüpfen, und Hannah Irwins Bekenntniß mit anzuhören; eine Erzählung, welche ganz dazu geeignet war, ihr geistiges Leiden auf das Höchste zu steigern.
Wir vermögen nicht mit Gewißheit zu entscheiden, ob sie jetzt die Absicht hatte, Tyrrel aufzusuchen, oder ob sie wieder wie zuvor von dem Scheine eines noch brennenden Lichtes angezogen ward, während rings umher Alles in tiefer Dunkelheit lag; aber sie ward zunächst dicht an der Seite ihres unglücklichen Geliebten erblickt, der eben tief in seine Schreiberei versunken war, als plötzlich Etwas auf der Oberfläche eines großen Spiegels, der ihm zur Seite hing, vorüber glitt. Er blickte auf, und sah darin die Gestalt Clara's, die in der weit ausgestreckten Hand ein Licht hielt, welches sie auf dem Flur ergriffen hatte. Einen Augenblick heftete er entsetzt das Auge auf den furchtbaren Schatten, ehe er es wagte, sich nach dem Urbild desselben umzuwenden. – Als er es endlich vermochte, wollten die todbleichen, starren Züge fast noch mehr den Glauben bei ihm erwecken, er sähe nur ein geistiges Wesen, und schaudernd bebte er zusammen, als sie zu ihm tretend, seine Hand ergriff und eilig flüsternd sagte: »Kommen Sie hinweg – kommen Sie hinweg! – Mein Bruder folgt mir, uns Beide zu tödten. Kommen Sie, Tyrrel, lassen Sie uns fliehen – leicht werden wir entrinnen. – Hannah Irwin ist schon voraus – aber wenn man uns einholt, so will ich keinen Zweikampf haben, durchaus nicht – Sie müssen mir das versprechen, daß es gewiß nicht sein soll! – Wir hatten dessen ohnehin schon genug. – Aber Sie werden in Zukunft vorsichtiger sein!«
»Clara Mowbray!« rief Tyrrel aus. »Ach, so weit ist es gekommen? – Bleiben Sie. – Eilen Sie nicht hinweg –« denn sie wandte sich um, schnell zu entfliehen. – »Bleiben Sie – bleiben Sie – setzen Sie sich nieder –«
»Ich muß gehen,« rief sie, »ich muß gehen! – Ich bin dahin berufen – Hannah Irwin ist voraus gegangen, Alles zu sagen. – Ich muß ihr folgen. Wollen Sie mich nicht hinweg lassen? – Ja, wenn Sie Gewalt anwenden, dann weiß ich wohl, daß ich mich niedersetzen muß – aber dennoch werden Sie nicht im Stande sein, mich hier zurück zu halten.«
Ein heftiger Anfall von Krämpfen brach jetzt aus, und schien in der That durch seine Gewalt anzudeuten, daß sie wirklich der letzten finstern Reise nahe war. Die Magd, welche endlich auf Tyrrel's dringend wiederholten Hülferuf erschien, floh entsetzt über den Anblick, der ihr ward, das obenerwähnte Schrecken in der Pfarre zu verbreiten.
Die alte Gastwirthin sah sich gezwungen, einen Aufenthalt des Jammers mit dem anderen zu vertauschen, sich innerlich nicht genug verwundern könnend, welch' böses Schicksal in einer Nacht so viel Elend anzuhäufen vermochte. Als sie aber in ihrem Hause anlangte, wie erstaunte sie, da sie die Tochter jener Familie, welche sie selbst, so fern sie jetzt von ihr stand, nie zu lieben aufhörte, in einem wenig von Raserei entfernten Zustande fand, nur von Tyrrel unterstützt, dessen Gemüthsverfassung wenig ruhiger, als die der unglücklichen Kranken zu sein schien. Die Wunderlichkeiten der Mistreß Dods waren bloß der Rost, den die Zeit auf ihrem Charakter anhäufte, ohne seiner eigenthümlichen Kraft und Energie zu schaden; auch waren ihre Empfindungen nicht zu hoch geschraubt, um sie abzuhalten, so entschieden im Benehmen und Entschluß zu sein, als es die Umstände erforderten.
»Mr. Tyrrel,« sagte sie, »dieß ist kein Schauspiel für Männer – Sie müssen dort in das andere Zimmer gehen.«
»Ich will mich nicht von ihr entfernen,« rief Tyrrel – »Ich will mich nie wieder von ihr trennen, so lange sie und ich noch leben mögen.«
»Das wird eben nicht mehr lange dauern, Mr. Tyrrel, wenn Sie nicht auf vernünftige Vorstellungen hören wollen.«
Tyrrel fuhr auf, als begriffe er halb den Sinn ihrer Worte, blieb aber dennoch regungslos stehen.
»Kommen Sie, kommen Sie,« sagte die mitleidige Wirthin. »Sehen Sie da nicht so starr auf einen Anblick, der wohl noch härtere Herzen als das Ihrige brechen könnte; hinweg – Ihre eigne Vernunft muß Ihnen ja sagen, daß Sie hier nicht verweilen können. – Miß Clara soll sorglich verpflegt werden, und ich will Sie jede halbe Stunde benachrichtigen, wie es mit ihr steht.«
Unläugbar war es, daß diese Maßregel nothwendig sei; Tyrrel ließ es denn geschehen, daß man ihn in ein anderes Zimmer führte, und vertraute Miß Mowbray der Obhut der Wirthin und ihrer weiblichen Dienerinnen. In Todesangst zählte er die Stunden an den Zwischenräumen der Berichte Mistreß Dods, welche sie, ihrem Worte treu, von Zeit zu Zeit ihm brachte, ihm zu verkünden, daß Clara nicht besser – daß sie schlimmer sei – endlich, daß sie nicht glaube, daß sie länger als bis zum Morgen leben würde. Es erforderte allen gebieterischen Ernst der guten Wirthin, Tyrrel zurück zu halten, der, so gelassen und gefaßt er bei gewöhnlichen Veranlassungen blieb, eben so heftig und ungestüm war, wenn seine Leidenschaften aufgeregt wurden, daß er nicht in das Gemach stürzte, sich mit eigenen Augen von dem Zustande der geliebten Kranken zu überzeugen. Endlich blieb Mistreß Dods lange aus – so lange, daß Tyrrel daraus die beglückende Hoffnung schöpfte, daß Clara schlummere, und daß dieser Schlaf vielleicht Geist und Körper stärken könne. – Er vermuthete, die Furcht, die Ruhe der Kranken zu stören, halte Mistreß Dods ab, das Zimmer zu verlassen; und als ob dieselbe Sorge, welche er ihr zutraute, auch ihn bestimmen müßte, hörte er auf in seinem Gemache auf und nieder zu gehen, wie es seine angstvolle Unruhe bis jetzt erheischte, und sich in einen Stuhl werfend, gestattete er sich nicht die kleinste Bewegung, und hielt selbst seinen Athem so ängstlich zurück, als säße er an dem Krankenlager. Weit vorgerückt war schon der Morgen, als seine Wirthin mit ernster, sorgenvoller Miene eintrat.
»Mr. Tyrrel,« sagte sie, »Sie sind ein christlich denkender Mann –«
»Still, still, um des Himmelswillen!« entgegnete er, »Sie werden Miß Mowbray stören.«
»Nichts wird sie hienieden mehr stören, das arme Ding,« antwortete Mistreß Dods. »Gar viel haben die zu verantworten, welche dieses Ende herbeiführten.«
»Das haben sie, – das haben sie wahrlich!« rief Tyrrel, sich vor die Stirn schlagend. »Und mein sei die Rache an Jedem derselben. – Kann ich sie sehen?« –
»Besser wäre es, Sie thäten es nicht – viel besser,« bat die gute Frau; aber er riß sich von ihr los und stürzte in das Zimmer.
»Ist das Leben wirklich entflohen – jeder Funke erloschen?« rief er eifrig einem Chirurgus zu, den man im Laufe der Nacht aus Marchtown herbeigeholt hatte. Achselzuckend nur antwortete der Arzneikundige. – Er stürzte zum Bette, und überzeugte sich nun mit eigenen Augen, daß das Wesen, dessen Leiden er sowohl veranlaßt, als getheilt hatte, jetzt allem irdischen Elend enthoben sei. Mit dem Schrei der Verzweiflung warf er sich über die bleiche Hand der Entseelten, benetzte sie mit seinen Thränen, überströmte sie mit Küssen, und schien eine kurze Zeit lang selbst dem Wahnsinne nah. Endlich brachten es die vereinten Vorstellungen der Gegenwärtigen dahin, daß er sich wieder in das Nebengemach führen ließ; der Chirurgus folgte ihm, mit eifriger Sorge bemüht, ihm den einzigen traurigen Trost zu verleihen, den dieses trübe Ereigniß gestattete. Er sagte: »Da Sie so innigen Antheil an dem frühzeitigen Tode der jungen Dame nehmen, so kann es Ihnen vielleicht ein Trost, wenn auch ein sehr melancholischer sein, zu erfahren, daß ein Druck auf das Gehirn ihn veranlaßte, der wahrscheinlich mit einer Ergießung des Blutes verbunden war. Ja, ich fühle mich durch die bei diesem Zufalle stattfindenden Anzeichen berechtigt, zu versichern, daß, wenn das Leben gerettet ward, die Vernunft aller Wahrscheinlichkeit nach nie zurückgekehrt wäre. Und bei einem solchen Falle, Sir, müssen die zärtlichsten Angehörigen eingestehen, daß der Tod gegen ein so trauriges Dasein eine Gnade des Himmels ist.«
»Eine Gnade?« rief Tyrrel: »Warum denn wird sie mir versagt? – Ha, ich weiß – ich weiß – mein Leben wird verschont, bis ich sie gerächt habe.«
Er sprang von seinem Sitze auf und stürzte die Treppe hinab. Aber, als er aus der Thüre des Wirthshauses eilte, trat ihm Touchwood entgegen, der eben aus dem Wagen stieg, und dessen Züge einen ihm sehr ungewöhnlich ernsten, sorgenvollen Ausdruck trugen.
»Wohin wollt Ihr? – Was sucht Ihr?« rief er, Tyrrel beim Arm ergreifend und mit Gewalt zurückhaltend.
»Zur Rache!« schrie Tyrrel: »Gebt mir Raum, bei Gefahr Eures Lebens!«
»Die Rache ist des Herrn und seine Hand hat getroffen!« entgegnete der Alte. »Hierher – hierher –« fuhr er fort, Tyrrel nach dem Hause ziehend. »Vernehmen Sie,« sagte er, sobald er ihn in ein Zimmer einzutreten gezwungen hatte, »daß im Verlauf der letzten halben Stunde Mowbray von St. Ronans mit diesem Bulmer zusammentraf und ihn auf dem Flecke erschossen hat.«
»Erschossen? Wen?« fragte der seiner Sinne kaum mächtige Tyrrel.
»Valentin Bulmer, den Titular-Grafen von Etherington.«
»Sie bringen Kunde des Todes in das Haus des Todes!« entgegnete Tyrrel, »und nichts mehr gibt es hienieden, wofür ich noch leben sollte.«