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Man malt Cupido blind – hat Hymen Augen?
Bedecken jene Brillen sein Gesicht,
Die Vater, Vormund oder Freund ihm leiht,
Daß er durch sie die Ländereien und Güter,
Juwelen, Gold und andre Mitgift schaut,
Und deren Werth zehnfach vergrößert sehe? –
Die Frage dünkt mich schwierig.
Das Elend der erzwungenen Ehe.
Obwohl Ludwig XI. von Frankreich unter allen Fürsten Europa's am meisten von seiner Macht eingenommen und am eifersüchtigsten auf dieselbe war, so lag ihm doch einzig am wirklichen Wesen derselben; und obwohl er die Obliegenheiten, die seinem Range gebührten, sehr wohl kannte, und zuweilen streng auf ihre Erfüllung hielt, so vernachlässigte er im Allgemeinen doch alles äußere Gepränge.
Einen Fürsten von bessern moralischen Eigenschaften würde die Leutseligkeit, mit welcher er Unterthanen an seine Tafel zog, ja, sich auch wohl gelegentlich an die ihrige setzte, bedeutend populär gemacht haben; und selbst so, wie er war, versöhnten die schlichten Manieren des Königs diejenige Klasse seiner Unterthanen mit vielen seiner Laster, welche den Folgen seines Argwohns und seiner Eifersucht nicht geradezu ausgesetzt waren. Der tiers état oder die Gemeinen von Frankreich, welche sich unter der Regierung dieses scharfsinnigen Fürsten zu Wohlstand und Ansehen erhoben, achteten seine Person, obwohl sie ihn nicht liebten; und ihrer Unterstützung hatte er es zu danken, daß er in Stand kam, es mit dem Hasse der Adeligen aufzunehmen, die ihm zum Vorwurfe machten, daß er die Ehre der französischen Krone schmälere und ihre eigenen glänzenden Vorrechte verdunkele, indem er, was den Bürgern und Gemeinen sehr wohl gefiel, die Formen gänzlich vernachlässigte.
Mit einer Geduld, die von den meisten andern Fürsten als herabwürdigend betrachtet worden wäre, und nicht ohne Vergnügen, harrte der Monarch Frankreichs, bis sein Leibgardist die Heftigkeit eines jugendlichen Appetits befriedigt hatte. Man kann jedoch annehmen, daß Quentin zu viel natürlichen Takt und Klugheit besaß, als daß er die königliche Geduld auf eine zu lange oder ermüdende Probe gestellt hätte; und in der That war er mehrmals im Begriff, seine Mahlzeit zu unterbrechen, bevor es Ludwig gestattete. »Ich sehe dir's an den Augen an,« sagte er gutmüthig, »daß dein Muth noch nicht erschöpft ist. Drauf und dran – mit Gott und St. Denis! – greif' noch einmal an. Ich sage dir, daß Essen und Messe« (hier bekreuzte er sich,) »nie das Werk eines guten Christenmenschen hinderten. Trink' einen Becher Wein; aber sei vorsichtig mit dem Kruge, – es ist der Fehler deiner Landsleute sowohl als der Engländer, die, jene Thorheit abgerechnet, die besten Krieger sind, die jemals Waffen trugen. Und nun wasche dich schnell, – vergiß dein Benedicite nicht, und folge mir.«
Quentin gehorchte, und folgte dem König durch andere, aber eben so labyrinthische Gänge wie die frühern, in die Rolandshalle.
»Merke wohl,« sagte der König mit gebietendem Tone, – »du hast diesen Posten nicht zu verlassen – dieß sei deine Antwort für deinen Verwandten und die Kameraden – und höre! um dieß deinem Gedächtnisse fest einzubinden, geb' ich dir diese goldene Kette,« (dabei warf er ihm eine Kette von beträchtlichem Werthe über den Arm). »Wenn ich nicht darauf ausgehe, mich selber zu schmücken, so sollen doch die, denen ich traue, die Mittel haben, dieß auf's Beste zu thun. Doch wenn solche Ketten, wie diese, nicht hinreichen, eine plauderhafte Zunge zu fesseln, so hat mein Gevatter, L'Hermite, ein Amulet für die Kehle, welches sich stets als sicheres Heilmittel bewährt. Und nun merk' auf! – Kein Mann, außer Oliver oder ich selbst, tritt diesen Abend hier ein; nur Damen werden hierher kommen, vielleicht von dem einen Ende der Halle, vielleicht von dem andern, vielleicht von beiden. Ihr dürft antworten, wenn sie Euch anreden, da Ihr jedoch auf dem Posten seid, darf die Antwort nur kurz sein; aber du darfst weder sie wieder anreden, noch dich in ein verlängertes Gespräch einlassen. Aber hör' auf das, was sie dir sagen. Deine Ohren, so gut wie deine Hände, sind mein – ich habe dich gekauft, mit Leib und Seele. Wenn du daher irgend etwas von ihrer Unterhaltung hörst, so behalt' es im Gedächtnisse, bis es mir mitgetheilt ist, und dann vergiß es. Doch, es fällt mir noch etwas Besseres ein; am besten nämlich wird sein, du passirst für einen schottischen Rekruten, der direkt erst von seinen Bergen herabgekommen ist, und unsre allerchristlichste Sprache noch nicht recht versteht. – Richtig. – Reden sie dich also an, so wirst du nicht antworten – dieß überhebt dich aller Verlegenheit, und veranlaßt sie, sich ohne Rücksicht auf deine Gegenwart zu unterhalten. Du verstehst mich. Lebewohl. Sei klug, und du hast einen Freund.«
Der König hatte kaum diese Worte gesprochen, als er hinter der Tapete verschwand, und Quentin überdenken ließ, was er gesehen und gehört hatte. Der Jüngling befand sich in einer von den Situationen, wo es angenehmer ist, vorwärts, als rückwärts zu sehen; denn der Gedanke, daß er, gleich einem Jäger im Dickicht, der einem Hirsch auflauert, aufgepflanzt worden war, um dem edlen Grafen von Crèvecoeur das Leben zu nehmen, hatte nichts Erhebendes. Allerdings war es der Fall, daß des Königs Maßregel bei dieser Gelegenheit bloß aus Vorsicht und zur Vertheidigung genommen wurde; aber wie konnte der Jüngling wissen, ob er nicht bald Befehl zu einer Angriffsmaßregel derselben Art erhalten würde? Dieß mußte eine mißliche Krisis werden, da es, bei seines Herrn Charakter, offenbar war, daß ihm im Verweigerungsfalle Untergang drohe, während ihm sein Ehrgefühl von der Erfüllung nur Schmach prophezeite. Er wendete seine Gedanken von diesem Gegenstande der Betrachtung mit dem klugen Troste ab, dessen sich die Jugend so oft bedient, wenn sie sich von Gefahr bedroht sieht, daß es nämlich Zeit genug sei, zu bedenken, was er thun solle, sobald das Bedrängniß wirklich eintrete, und daß jeder Tag für sich des Uebels genug habe.
Quentin ließ diesen beruhigenden Gedanken um so leichter vorwalten, da die letzten Befehle des Königs ihm angenehmere Gegenstände der Betrachtung gegeben hatten, als seine eigene Lage. Die Dame der Laute war gewiß eine von denen, auf die er seine Aufmerksamkeit zu richten hatte; und er gelobte sich selber, einen Theil von des Königs Befehlen zu befolgen, und mit Sorgfalt auf jedes Wort zu lauschen, was von ihren Lippen kommen möchte, damit er erfahre, ob der Zauber ihrer Rede dem ihrer Musik gleich käme. Doch mit größerer Aufrichtigkeit schwur er es sich selber zu, daß kein Theil ihrer Unterhaltung dem König von ihm berichtet werden solle, wenn diese der schönen Sprecherin nachtheilig gedeutet werden könnte.
Unterdeß hatte er keine Furcht, wieder auf seinem Posten zu entschlummern. Jeder leise Luftzug, der, seinen Weg durch das offene Fenster findend, die alten Tapeten bewegte, tönte ihm wie die Annäherung des schönen Gegenstandes seiner Erwartung. Mit einem Wort, er fühlte all' den geheimnißvollen Eifer und die Ungeduld der Erwartung, welche stets die Begleiter der Liebe sind, und zuweilen beträchtlichen Theil an ihrer Erweckung haben.
Endlich knarrte und rasselte wirklich eine Thür, (denn selbst die Thüren der Paläste gingen im fünfzehnten Jahrhundert nicht so geräuschlos in ihren Angeln, wie die unsern); doch ach! es war nicht an dem Ende der Halle, von welchem er die Laute vernommen hatte. Sie öffnete sich indeß und eine weibliche Gestalt trat ein, von zwei andern gefolgt, denen sie ein Zeichen gab, zurückzubleiben, während sie selber vorwärts in die Halle kam. An ihrem schwanken und ungleichen Gange, der sie sehr unvortheilhaft erscheinen ließ, als sie die lange Halle durchschritt, erkannte Quentin sogleich die Prinzessin Johanna, und mit der Achtung, die ihrem Range gebührte, nahm er eine schickliche Haltung an, und grüßte sie militärisch, als sie vorüberging. Sie erwiderte die Höflichkeit durch ein gnädiges Kopfnicken, und dieß gab ihm Gelegenheit, ihr Gesicht genauer zu betrachten, als er es am Morgen gethan hatte.
Es lag wenig in den Zügen dieser unglücklichen Prinzessin, was für die Mängel ihrer Gestalt und ihres Ganges hätte entschädigen können. Ihr Gesicht war an sich zwar wirklich nicht unangenehm, jedoch ohne Schönheit; und in ihren großen blauen Augen, die gewöhnlich zu Boden gerichtet waren, lag ein sanfter Ausdruck des Kummers. Doch außerdem, daß sie sehr blaß war, hatte ihre Haut auch eine gelbliche Farbe, die mit anhaltender Kränklichkeit verbunden zu sein pflegt; und obwohl ihre Zähne weiß und regelmäßig waren, so hatte sie doch dünne, bleiche Lippen. Sie hatte eine Fülle blonden Haares, aber so lichtfarben, daß es fast in's Bläuliche fiel; und ihre Kammerfrau, die wahrscheinlich diese Haarfülle ihrer Herrin für eine Schönheit hielt, hatte die Sache nicht eben besser gemacht, indem sie jene in Locken um ihr bleiches Gesicht geordnet hatte, dem dieß einen fast geisterhaften und überirdischen Ausdruck lieh. Um diesen noch zu erhöhen, hatte sie ein weites Gewand von blaßgrüner Seide gewählt, welches ihr vollends ein geistiges und fast gespensterhaftes Ansehen gab.
Während Quentin diese sonderbare Erscheinung mit einem Blicke verfolgte, in welchem sich Neugier und Mitleid mischte, – denn jeder Blick und Tritt der Prinzessin schien die letztere Empfindung hervorzurufen, – traten am obern Ende des Gemachs zwei Damen ein.
Eine von diesen war die junge Person, die, auf Ludwigs Befehl, ihn mit Früchten bedient hatte, während Quentin sein denkwürdiges Frühstück in der Fleur-de-Lys hielt. Jetzt bekleidet mit all' der geheimnißvollen Würde, die der Nymphe von dem Schleier und der Laute gebührte, und überdieß (wenigstens nach Quentins Meinung) zur hochgebornen Erbin einer reichen Grafschaft geworden, machte ihre Schönheit einen zehnmal stärkeren Eindruck auf ihn, als es geschehen war, da er sie für die Tochter eines gemeinen Gastwirths hielt, die einem reichen und launischen alten Bürger aufwartete. Er wunderte sich nun über die Verblendung, die ihm ihren wahren Stand hatte verbergen können. Aber ihre Kleidung war fast so einfach, wie damals, denn sie bestand in einem Trauergewande ohne alle Verzierung. Ihr Kopfschmuck war nur ein Florschleier, der so weit zurückgeschlagen war, daß ihr Gesicht völlig unbedeckt blieb. Es war nur die Kenntniß ihres wahren Ranges, die ihn in ihrer schönen Gestalt neue Eleganz, in ihrem Gange eine früher nie bemerkte Würde, und in ihren regelmäßigen Zügen, ihrer glänzenden Gesichtsfarbe und schimmernden Augen einen Ausdruck edlen Selbstbewußtseins erkennen ließ, welches Alles ihre Schönheit erhöhte.
Wäre auch Tod die Strafe gewesen, Durward konnte nicht umhin, dieser Schönheit und ihrer Begleiterin dieselbe Huldigung darzubringen, die er der königlichen Prinzessin erwiesen hatte. Sie nahmen sie auf, als solche, die an Zuvorkommenheit von Geringern gewöhnt sind, und erwiderten sie mit Höflichkeit; aber er glaubte – vielleicht war es jugendliche Einbildung – daß die junge Dame leicht erröthete, die Augen zu Boden schlug und ein klein wenig verlegen schien, als sie seinen militärischen Gruß erwiderte. Dieß mußte daher rühren, daß sie sich des kühnen Fremden im Nachbarthurme des Gasthofs zur Lilie erinnerte; aber drückte diese Verlegenheit Mißfallen aus? diese Frage wußte er nicht zu entscheiden.
Die Gefährtin der jungen Gräfin, eben so einfach wie diese und in tiefe Trauer gekleidet, war in dem Alter, wo die Frauen am eifrigsten auf den Ruf der Schönheit zu halten pflegen, die schon seit Jahren im Abnehmen ist. Es war noch genug davon übrig, um zu zeigen, wie groß die Macht ihrer Reize einst gewesen sein mußte, und ihr Benehmen, indem sie an vergangene Triumphe denken mochte, ließ erkennen, daß sie die Ansprüche auf künftige Eroberungen noch nicht aufgegeben habe. Sie war groß und schlank, aber ihr anmuthiges Benehmen war mit etwas hochmüthigem gemischt, und sie erwiderte Quentins Gruß mit einem herablassenden Lächeln; gleich darauf flüsterte sie etwas in ihrer Gefährtin Ohr, die sich nach dem jungen Krieger umsah, als wollte sie einem Winke der ältern Dame Folge leisten, jedoch dann, ohne die Augen aufzuschlagen, antwortete. Quentin konnte nicht umhin zu vermuthen, daß die der jungen Dame zugeflüsterte Bemerkung sein gutes Aeußere betroffen habe; und er war (ich weiß nicht warum) erfreut durch den Gedanken, daß die Gesellschafterin nicht für gut befunden habe, ihn anzusehen, um sich mit eigenen Augen von der Wahrheit jener Bemerkung zu überzeugen. Wahrscheinlich glaubte er, es beginne bereits ein geheimnißvolles gegenseitiges Verständniß zwischen ihnen, welches dem kleinsten Umstande Wichtigkeit verlieh.
Diese Betrachtung war vorübergehend, denn das Zusammentreffen der Prinzessin Johanna mit diesen fremden Damen nahm sogleich seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Prinzessin blieb beim Eintritte jener stehen, um sie zu empfangen, vielleicht weil sie wußte, daß ihr Bewegung nicht wohl stände. Und da sie beim Empfange und der Erwiderung des Grußes etwas verlegen schien, so verleitete dieß die ältere Fremde, die den Rang derjenigen, die sie anredete, nicht kannte, in einem Tone zu ihr zu reden, als ob sie durch das Gespräch mehr Ehre gebe, als empfange.
»Es freut mich, Madame,« sagte sie mit einem Lächeln, welches zugleich Herablassung und Aufmunterung ausdrücken sollte, »daß uns endlich die Gesellschaft einer so achtungswerthen Person unsers eignen Geschlechts, wie Ihr zu sein scheint, verstattet wird. Ich darf sagen, daß meine Nichte und ich nur wenig Ursache gehabt haben, dem König Ludwig für seine Gastfreundschaft zu danken – ei, Nichte zupft doch meinen Aermel nicht! – Gewiß, ich lese es in den Blicken dieser jungen Dame, daß sie unsre Lage bemitleidet. – Seit wir hierher kamen, schöne Dame, hat man uns wenig besser als gemeine Gefangene behandelt; und nach tausend Einladungen, unsre Sache und unsre Personen unter Frankreichs Schutz zu stellen, hat uns der allerchristlichste König ein schlechtes Wirthshaus zum Aufenthalt angewiesen, und nun einen Winkel dieses wurmstichigen Palastes, den wir bloß gegen Sonnenuntergang verlassen dürfen, als ob wir Fledermäuse oder Eulen wären, deren Erscheinung im Sonnenlichte von schlechter Bedeutung sein soll.«
»Ich bedaure,« sagte die Prinzessin, noch weit verlegener bei dieser Wendung des Gesprächs, »daß wir bisher unfähig gewesen sind, Euch Euren Wünschen gemäß zu empfangen. Eure Nichte, hoff' ich, ist weniger unzufrieden.«
»Weit zufriedener, als ich es ausdrücken kann,« antwortete die junge Gräfin – »ich suchte nur Sicherheit, und ich fand noch überdieß Einsamkeit und Verborgenheit. Die Abgeschiedenheit unsers frühern Aufenthalts und die noch größere Einsamkeit des uns jetzt angewiesenen, vermehrt in meinen Augen die Gunst, die der König uns unglücklichen Flüchtlingen erzeigt.«
»Still, meine thörichte Nichte,« sagte die ältere Dame, »und laß uns unsere Ueberzeugung aussprechen, da wir endlich mit Einer unsres eignen Geschlechts allein sind – ich sage allein, denn der hübsche junge Krieger ist eine bloße Statue, da er keinen Gebrauch von seinen Gliedern machen kann, wie es scheint, und man sagt mir auch, der Gebrauch der Zunge fehle ihm, wenigstens in civilisirter Sprache – ich sage, da uns Niemand als diese Dame verstehen kann, so darf ich gestehen, daß ich noch nichts so sehr bereut habe, als diese französische Reise. Ich erwartete einen glänzenden Empfang, Turniere, Volksspiele, Schaustellungen und Festlichkeiten; und statt dessen ward mir nichts als Verborgenheit und Dunkelheit! und die beste Gesellschaft, die der König bei uns einführte, war ein Vagabund von Zigeuner, mittelst dessen wir mit unsern Freunden in Flandern correspondiren sollten. – Vielleicht,« fuhr die Dame fort, »ist seine politische Absicht, uns hier bis zum Lebensende einzusperren, damit er unsere Güter, nach Erlöschen des alten Hauses von Croye, einziehen kann. Der Herzog von Burgund war nicht so grausam; er bot meiner Nichte einen Gemahl, obwohl einen schlechten.«
»Ich sollte meinen, der Schleier wäre einem bösen Gemahl vorzuziehen gewesen,« sagte die Prinzessin, die mit Schwierigkeit die Gelegenheit fand, ein Wort einzuschalten.
»Man wünscht zum wenigsten die Wahl zu haben, Madame,« erwiederte die geschwätzige Dame. »Ich spreche, das weiß der Himmel, nur im Namen meiner Nichte; denn ich selber habe längst alle Gedanken beseitigt, die auf eine Veränderung meiner Lage zielen. Ich sehe euch lächeln, aber wahrhaftig, es ist so; doch das ist keine Entschuldigung für den König, dessen Betragen und Person dem alten Michaud, dem Geldwechsler zu Gent, weit ähnlicher sieht, als einem Nachfolger Karls des Großen.«
»Halt!« sagte die Prinzessin mit etwas strengem Tone; »bedenkt, daß Ihr von meinem Vater sprecht.«
»Von Eurem Vater?« erwiederte die burgundische Dame erstaunt.
»Von meinem Vater,« erwiederte die Prinzessin mit Würde. »Ich bin Johanna von Frankreich. – Doch fürchtet nichts, Madame,« fuhr sie in dem sanften Tone fort, der ihr eigen war, »Ihr wolltet nicht beleidigen und ich fühle mich auch nicht verletzt. Bedient Euch meines Einflusses, um Euer Exil und das dieser interessanten jungen Dame erträglicher zu machen. Ach! meine Macht reicht nicht sehr weit; aber gern thu' ich, was ich vermag.«
Tief und demüthig war die Verbeugung, mit welcher die Gräfin Hameline von Croye, so hieß die ältere Dame, das verbindliche Anerbieten des Schutzes der Prinzessin annahm. Sie hatte sich lange an Höfen aufgehalten, war Meisterin der daselbst erforderlichen Manieren, und befolgte fest die hergebrachte Regel aller Zeiten, die, wenn sich auch ihre Privatunterhaltung nur um die Laster und Thorheiten ihrer Herren dreht, sowie um das Unrecht und die Vernachlässigung, die ihnen zu Theil geworden, doch nie dergleichen Winke fallen lassen, wenn der Souverain oder Jemand aus seiner Familie gegenwärtig ist. Die Dame war im höchsten Grade betreten über das Mißverständniß, das sie verleitet hatte, so rücksichtslos in Gegenwart der Tochter Ludwigs zu sprechen. Sie würde sich in Betheuerung ihrer Reue und in Entschuldigungen erschöpft haben, wäre sie nicht durch die Prinzessin zum Schweigen gebracht und beruhigt worden, die sie, zwar im sanftesten Tone, der jedoch im Munde einer Tochter Ludwigs wie Befehl klang, bat, doch nichts weiter zur Entschuldigung oder Erläuterung zu sagen.
Die Prinzessin Johanna nahm darauf mit einer Würde, die ihr wohl stand, einen Stuhl ein, und forderte die beiden Fremden auf, sich ihr zur Seite zu setzen; die Jüngere that dieß mit ungekünstelter Schüchternheit, und die Aeltere mit dem Anschein tiefer Demuth und Ergebenheit. Sie sprachen mit einander in so leisem Tone, daß die Schildwache ihr Gespräch nicht verstehen konnte, und bloß bemerkte, daß die Prinzessin der jüngeren und interessantern Dame mehr Aufmerksamkeit zu schenken schien, und daß die Gräfin Hameline, obwohl sie bei weitem mehr sprach, doch weit weniger die Achtung der Prinzessin durch die Fülle der Rede und der Komplimente auf sich zog, als es ihre Verwandte durch kurze und bescheidene Antworten that, die sie an die Prinzessin richtete.
Die Unterhaltung der Damen hatte keine Viertelstunde gewährt, als sich die Thüre am untern Ende der Halle öffnete und ein Mann, in einen Reitrock gehüllt, eintrat. Eingedenk der königlichen Vorschrift, und entschlossen, nicht zum zweiten Mal träumend betroffen zu werden, schritt Quentin sogleich dem Eintretenden entgegen, und, sich zwischen ihn und die Damen stellend, ersuchte er ihn, sich sogleich zurückziehen.
»Auf wessen Befehl?« sagte der Fremde in stolzem und erstauntem Tone.
»Auf den des Königs,« sagte Quentin fest, »zu dessen Vollstreckung ich hier stehe.«
»Nicht gegen Ludwig von Orleans,« sagte der Herzog, den Mantel abwerfend.
Der junge Mann zögerte einen Augenblick; aber wie sollte er den Befehl gegen den ersten Prinzen von Geblüt, der, wie das Gerücht allgemein sagte, sich jetzt mit des Königs eigener Familie verbinden sollte, vollstrecken?
»Eure Hoheit,« sagte er, »stehen zu hoch, als daß ich Euch widerstreben dürfte. Doch hoff' ich, ihr werdet mir bezeugen, daß ich die Pflicht meines Postens erfüllt habe, so weit Ihr es erlaubtet.«
»Gut – Ihr sollt nicht getadelt werden, junger Krieger,« sagte Orleans; und indem er vorüberging begrüßte er die Prinzessin mit dem zurückhaltenden Wesen, welches stets sein Benehmen bezeichnete, wenn er sie anredete.
»Er habe,« sagte er, »mit Dunois gespeist; und da ihm gesagt worden sei, es wäre Gesellschaft in der Rolandsgallerie, so habe er's gewagt, Theil daran zu nehmen.«
Das Roth, welches die bleiche Wange der unglücklichen Johanna färbte und ihren Zügen momentan einen Anstrich von Schönheit lieh, bewies, daß dieser Zuwachs der Gesellschaft ihr nichts weniger als gleichgültig war. Sie beeilte sich, den Prinzen den beiden Damen von Croye vorzustellen, die ihn mit der seinem hohen Range gebührenden Achtung empfingen; darauf bat ihn die Prinzessin, auf einen Stuhl deutend, Theil an der Unterhaltung zu nehmen.
Der Herzog lehnte es ab, in dieser Gesellschaft einen Stuhl einzunehmen; doch nahm er ein Kissen von einem der Sessel, legte es zu den Füßen der schönen jungen Gräfin von Croye, und setzte sich so darauf, daß er, ohne scheinbar die Prinzessin zu vernachlässigen, doch im Stande war, den größern Theil seiner Aufmerksamkeit ihrer liebenswürdigen Nachbarin zuzuwenden.
Anfangs schien dieß seiner bestimmten Braut mehr zu gefallen als zu mißfallen. Sie munterte den Herzog auf in seinen Artigkeiten gegen die schöne Fremde, und schien dieselben als ihr selbst erwiesen anzusehen. Aber der Herzog von Orleans hatte, obwohl gewohnt, in des Königs Gegenwart sein Benehmen dem strengen Joche seines Oheims zu unterwerfen, doch genug fürstlichen Sinn, um seiner eigenen Neigung zu folgen, sobald er des Zwanges frei war; sein hoher Rang gab ihm überdieß ein Recht, die gewöhnlichen Ceremonien zu übergehen und sogleich einen vertraulichen Ton anzunehmen, daher ward sein Lob auf Gräfin Isabellens Schönheit so energisch, und strömte so unaufhaltsam, (vielleicht weil er auch etwas mehr Wein als gewöhnlich genossen hatte, denn Dunois war der Verehrung des Bachus nicht abhold,) daß er endlich ganz in Feuer gerieth und die Gegenwart der Prinzessin völlig zu vergessen schien.
Der Ton der Artigkeit, in dem er so eifrig sprach, war nur einer Person in dem Kreise angenehm, denn die Gräfin Hameline sah bereits im Geiste eine Verbindung mit dem ersten Prinzen von Geblüt durch diejenige, deren Geburt und Reichthum eine so ehrgeizige Erwartung selbst in den Augen eines minder sanguinischen Projektmachers nicht unerfüllbar scheinen lassen konnte, wenn man nämlich von den Plänen Ludwigs XI. hierbei hätte absehen dürfen. Die jüngere Gräfin hörte die Galanterien des Herzogs mit Besorgniß und Verlegenheit an, und richtete dann und wann einen bittenden Blick auf die Prinzessin, als hätte sie von dieser Rettung erflehen wollen. Aber die verwundeten Gefühle und die Schüchternheit Johannens von Frankreich machten sie unfähig zu einer Anstrengung, das Gespräch allgemeiner zu machen; und so ward dieß endlich, mit Ausnahme weniger abgebrochenen Höflichkeiten von Seiten Hamelinens, fast ausschließlich vom Herzog selbst geführt, obwohl nur auf Kosten der jüngern Gräfin von Croye, deren Schönheit das Thema seiner überschwänglichen Beredtsamkeit bildete.
Auch darf ich nicht vergessen, daß da noch eine dritte Person, die unbeachtete Schildwache, war, die ihre schönen Träume wie Wachs von der Sonne hinschmelzen sah, als der Herzog in dem leidenschaftlichen Tone des Gesprächs beharrte. Endlich machte die Gräfin Isabelle von Croye eine entschlossene Anstrengung, kurz abzubrechen, was ihr unerträglich ward, vorzüglich auch wegen der Pein, die das Betragen des Herzogs offenbar der Prinzessin verursachte.
Indem sie sich an die letztere wandte, sagte sie bescheiden aber mit Bestimmtheit: »die erste Gefälligkeit, die sie in Bezug auf den versprochenen Schutz in Anspruch nehme, sei, daß ihre Hoheit den Herzog von Orleans überzeugen möchte, die Damen aus Burgund, obwohl an Geist und Benehmen denen von Frankreich nachstehend, wären doch nicht solche Thörinnen, daß sie an keiner andern Unterhaltung, als an ausschweifenden Complimenten Gefallen fänden.«
»Ich bedaure, Gräfin,« sagte der Herzog, der Antwort der Prinzessin zuvorkommend, »daß Ihr in dem nämlichen Satze der Schönheit der burgundischen Damen und der Aufrichtigkeit der französischen Ritter spottet. Wenn wir rasch und ausschweifend in Bezeigung unserer Bewunderung sind, so geschieht dieß, weil wir lieben wie wir fechten, ohne kalte Ueberlegung in unser Herz kommen zu lassen, und weil wir uns mit derselben Schnelligkeit den Schönen übergeben, mit welcher wir den Tapfern überwinden.«
»Die Schönheit unserer Landsmänninnen,« sagte die junge Gräfin mit mehr Strenge, als sie bisher gegen den hochgebornen Bewunderer gewagt hatte, »ist eben so ungeeignet, solche Triumphe zu erstreben, als der Muth der burgundischen Männer unfähig ist, ihnen zu unterliegen.«
»Ich achte Euren Patriotismus, Gräfin,« sagte der Herzog; »und der letzte Theil Eures Satzes soll nicht von mir bestritten werden, bis sich ein burgundischer Ritter erbietet, ihn mit eingelegter Lanze zu behaupten. Wegen der Ungerechtigkeit aber, die Ihr den Reizen, die Euer Land hervorbringt, anthut, apellire ich von Euch selbst an Euch selbst. – Seht hierhin,« sagte er, auf einen großen Spiegel deutend, ein Geschenk der venetianischen Republik, damals eben so selten als werthvoll, »und sagt mir, nach diesem Blicke, kann ein Herz den Reizen, die sich hier darstellen, widerstehen?«
Die Prinzessin, unfähig länger die Vernachlässigung von Seiten ihres Bräutigams zu ertragen, sank hier auf ihrem Stuhle mit einem Seufzer zurück, der plötzlich den Herzog aus dem Lande des Romantischen zurückrief und ihn veranlaßte, die Dame Hameline zu fragen, ob sich ihre Hoheit unwohl befinde.
»Ein plötzlich Kopfweh befiel mich,« sagte die Prinzessin, während sie zu lächeln versuchte; »doch es wird gleich besser sein.«
Ihre zunehmende Blässe widersprach ihren Worten, und bewog die Dame Hameline, Beistand zu rufen, da die Prinzessin im Begriff war, ohnmächtig zu werden.
Der Herzog biß sich auf die Lippen, verwünschte die Thorheit, daß er seine Zunge nicht im Zaum gehalten habe, und eilte, die Dienerinnen der Prinzessin zu rufen, die sich im nächsten Zimmer befanden; als diese, mit den üblichen Mitteln versehen, herbeieilten, konnte er, als Kavalier und Edelmann, nicht umhin, für ihre Wiederherstellung Sorge zu tragen. Seine Stimme, durch Mitleid und innern Vorwurf fast zärtlich geworden, war das kräftigste Mittel, die Prinzessin zu sich selbst zu rufen, und eben als die Ohnmacht verschwand, trat der König in das Gemach.