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Heiliger Himmel! welche Käuer! welch' Brod!
Yorick's Reisen.
Wir verließen unsern jungen Fremdling in Frankreich in besserer Lage, als er seit seinem Eintritt in's Gebiet der alten Gallier gefunden hatte. Das Frühstück war, wie wir am Schlusse des letzten Kapitels andeuteten, bewunderungswürdig. Es gab dabei eine Perigordpastete, über die ein Gutschmecker würde, gleich Homer's Lotusessern, haben leben und sterben mögen, vergessend seiner Verwandten, seiner Heimath und aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Ihre hohen Mauern von herrlicher Rinde schienen sich wie Bollwerke irgend einer reichen Hauptstadt zu erheben, ein Emblem des Reichthums, zu dessen Schutze sie bestimmt sind. Da war ein delikates Ragout, gerade mit dem petit point de l'ail, welches die Gascogner lieben und die Schotten nicht hassen; da war ferner ein köstlicher Schinken, der einem edlen Wildschwein im benachbarten Walde von Montrichard zugehört hatte. Da war das herrliche Weißbrod, in kleinen weißen Laiben, boules genannt (wovon die Bäcker in Frankreich boulangers heißen,) dessen Rinde so einladend war, daß es auch mit Wasser allein schon eine Delikatesse gewesen wäre. Allein Wasser war nicht allein hier, sondern auch noch eine Lederflasche, botrine genannt, welche etwa eine Quart des köstlichen vin de Beaulne enthielt. So viel herrliche Sachen hätten selbst unter den Klauen des Todes Appetit erwecken müssen. Welche Wirkung mußten sie daher auf einen jungen, kaum zwanzigjährigen Menschen äußern, der (um die Wahrheit zu sagen) in den letzten zwei Tagen wenig genossen hatte, außer etwa eine halbreife Frucht, die ihm die günstige Gelegenheit zu pflücken erlaubte, und eine sehr mäßige Portion Gerstenbrod! Er fiel sogleich über das Ragout her, und die Schüssel war bald leer – er griff die mächtige Pastete an, drang tief in das Innere des Landes, und dem tüchtigen Essen gelegentlich durch einen Becher Wein nachhelfend, fing er immer wieder von Neuem an, zum Erstaunen des Wirths und zur Ergötzung des Meister Peter.
Der letztere, wahrscheinlich weil er fand, daß er eine freundlichere Handlung, als er gedacht, gethan hatte, schien in der That durch die Eßlust des jungen Schotten höchlich ergötzt zu werden; und als er endlich bemerkte, daß die Anstrengungen desselben zu ermatten begannen, war er bemüht, ihn von Neuem dazu auszureizen, indem er Confekte, darioles und dergleichen leichtes Naschwerk bestellte, was ihm eben einfiel, damit der Jüngling seine Mahlzeit fortsetzen könnte. Während dieser so beschäftigt war, zeigten die Mienen des Meister Peter eine Art guter Laune, die fast bis zum Wohlwollen stieg, und die sehr mit seinem gewöhnlichen scharfen, witzigen und harten Charakter im Widerspruch zu stehen schien. Die Bejahrten pflegen überhaupt gern an den Freuden der Jugend Theil zu nehmen, so wie an deren Anstrengungen, wenn das Gemüth des Zuschauers in seiner natürlichen Stimmung beharrt, und nicht durch innern Neid und eitles Nacheifern gestört wird.
Quentin Durward konnte auch während seiner angenehmen Beschäftigung, nicht umhin, zu entdecken, daß das Gesicht seines Gastfreundes, das ihm anfangs so wenig einnehmend erschienen war, weit besser aussah unter dem Einflusse des vin de Beaulne, und es lag etwas Freundliches in dem Tone, womit er Meister Peter tadelte, daß er seinen großen Appetit belache, ohne selbst etwas zu essen.
»Ich muß fasten,« sagte Meister Peter, »und mag vor Mittag nichts essen, außer etwas Confekt und einem Trunk Wasser. Sagt jener Frau,« sagte er, sich zum Wirthe wendend, »daß sie mir's herbringt.«
Der Gastwirth verließ das Gemach, und Meister Peter fuhr fort: »nun, habe ich nicht Wort gehalten, hinsichtlich des versprochenen Frühstücks?«
»Es war die köstlichste Mahlzeit, die ich je gehalten,« sagte der Jüngling, »seit ich Glen-Houlakin verließ.«
»Glen – wie?« fragte Meister Peter; »wollt Ihr den Teufel citiren, daß Ihr so langgeschwänzte Wörter vorbringt?«
»Glen-Houlakin,« antwortete Quentin gutmüthig, »welches bedeutet Thal der Mücken, ist der Name unseres alten Erbgutes, mein lieber Herr. Ihr habt das Recht erkauft über das Wort zu lachen, wenn's Euch beliebt.«
»Ich hege nicht im mindesten die Absicht zu beleidigen,« sagte der alte Mann; »aber ich war eben im Begriff zu sagen, da Euch Euer Frühstück so gut gemundet hat, daß die schottischen Bogenschützen der Leibwache jeden Tag eben so gut, oder noch besser essen.«
»Kein Wunder,« sagte Durward, »denn wenn sie die ganze Nacht in den Schwalbennestern zubringen müssen, so haben sie nothwendig am Morgen einen seltenen Appetit.«
»Und vollauf, ihn zu befriedigen,« sagte Meister Peter. »Sie brauchen auch nicht, wie die Burgunder, auswendig fast nackt zu gehen, um sich inwendig zu sättigen. Sie kleiden sich wie Grafen und speisen wie Aebte.«
»Gut für sie,« sagte Durward.
»Und warum wollt Ihr nicht Dienst hier nehmen, junger Mann? Euer Oheim, das kann ich sagen, würde Euch gewiß einzureihen wissen, sobald eine Stelle offen wird. Und, hört wohl, ich interessire mich selbst ein wenig dabei, und möchte Euch nützlich sein. Ihr könnt vermuthlich eben so gut reiten, als den Bogen spannen?«
»Unser Stamm besteht so aus guten Reitern, wie nur je einer einen ehernen Schuh in einen stählernen Steigbügel gesetzt haben mag; und ich weiß nicht, wie's kommt, aber ich möchte Euer freundliches Anerbieten wohl annehmen. Aber seht, Nahrung und Zahlung sind nöthige Dinge, in meinem Falle jedoch denkt man auch an Ehre, Beförderung und tapfere Waffenthaten. Euer König Ludwig – Gott segne ihn, denn er ist Freund und Bundesgenosse Schottlands – liegt nun hier in diesem Schlosse, oder reitet nur von einer befestigten Stadt zur andern; und er gewinnt Städte und Provinzen durch politische Gesandtschaften, aber nicht durch herrliche Schlachten. Ich für mein Theil halte es nun mit den Douglassen, die immer im Felde liegen, weil sie lieber die Lerche singen, als die Maus quicken hören.«
»Junger Mann,« sagte Meister Peter, »urtheilt nicht voreilig von den Handlungen der Fürsten. Ludwig will das Blut seiner Unterthanen schonen, ohne für sein eignes besorgt zu sein. Er selbst hat sich als ein Mann von Muth zu Monthéry gezeigt.«
»Ei, das war vor einem Dutzend oder mehr Jahren,« antwortete der Jüngling. – »Ich möchte gern einem Herrn folgen, der seine Ehre stets so rein hält, wie sein Schild, und sich im Drange der Schlacht voran wagt.«
»Warum versuchtet Ihr's dann nicht zu Brüssel mit dem Herzoge von Burgund? Der hätte Euch alle Tage Gelegenheit gegeben, die Beine zu brechen; er hätt' Euch gewiß nichts vergeblich versuchen lassen – besonders wenn er gehört hätte, daß Ihr seinen Förster geschlagen habt.«
»Sehr wahr,« sagte Quentin, »mein unglückliches Geschick hat mir diese Thür verschlossen.«
»Nun, es gibt noch die Fülle Teufelskerle draußen, bei denen die tolle Jugend Dienst finden kann,« antwortete der Rathgeber. »Was meint Ihr zum Beispiel von Wilhelm von der Mark?«
»Wie?« riefDurward, »dem mit dem Barte dienen – dienen dem wilden Eber der Ardennen? Einem Häuptling von Wegelagerern und Mördern? Der um den Inhalt seiner Tasche willen einem Menschen das Leben nehmen kann? Der Priester und Pilgrim erschlägt, als wären es Landsknechte und Waffenträger? Das wäre ein Flecken auf meines Vaters Schilde auf ewig!«
»Wohl, mein junger Hitzkopf,« antwortete Meister Peter, »wenn Ihr den Sanglier für zu gewissenhaft haltet, warum folgt Ihr nicht dem jungen Herzog von Geldern?« Adolf, Sohn Arnold's und Katharinen's von Bourbon.
»Dem bösen Feind wollt' ich lieber folgen,« sagte Quentin. »Im Vertrauen gesagt – er ist eine schwere Bürde für die Erde – er ist der Hölle gewiß! Die Leute sagen, er halte seinen eignen Vater gefangen, und habe ihn sogar geschlagen – könnt Ihr so etwas glauben?«
Meister Peter schien etwas verlegen über den naiven Abscheu, mit welchem der junge Schotte von kindlicher Undankbarkeit sprach, und er antwortete: »Ihr wißt nicht, junger Mann, wie kurze Zeit die Blutverwandtschaften unter den hochgestellten Personen dauern;« dann veränderte er den gefühlvollen Ton, mit dem er begonnen hatte, und fügte heiter hinzu: »überdies, wenn der Herzog seinen Vater geschlagen hat, so steh' ich dafür, sein Vater hat ihn früher auch geschlagen, und so hebt sich das gegenseitig auf.«
»Ich bin erstaunt, Euch so reden zu hören,« sagte der Schotte, vor Zorn erröthend; »graue Haare, so wie die Euren, sollten doch passendere Gegenstände zum Scherz haben. Wenn der alte Herzog seinen Sohn in der Kindheit schlug, so hat er ihn nicht genug geschlagen: denn besser, er wäre unter der Ruthe gestorben, als daß er lebt, um die Christenwelt schamroth zu machen, daß solch' ein Ungeheuer getauft worden ist.«
»Auf diese Art,« sagte Meister Peter, »wie Ihr die Charaktere der Fürsten und Oberhäupter wägt, wär' es, glaub' ich, besser gewesen, wenn Ihr selber ein Häuptling geworden wäret; denn wo wird ein so Weiser einen Häuptling finden, der gut genug wäre, ihm zu befehlen?«
»Ihr lacht über mich, Meister Peter,« sagte der Jünglig gutgelaunt, »und vielleicht habt Ihr Recht. Doch Ihr habt einen Mann nicht genannt, der ein wackerer Anführer ist, und eine tapfere Schaar hier hält, unter dem auch ein Mann recht wohl Dienst suchen könnte.«
»Ich kann nicht errathen, wen Ihr meint.«
»Nun, ihn, der gleich Mahomed's Sarg (verflucht sei der Mahomed!) zwischen den zwei Magnetsteinen hängt; ihn, den man weder Franzosen noch Burgunder nennen kann, aber der zwischen beiden das Gleichgewicht zu halten weiß, den beide fürchten, dem beide dienen, so große Fürsten sie auch sind.«
»Ich kann nicht errathen, wen Ihr meint,« sagte Meister Peter nachsinnend.
»Nun, wen könnt' ich denn anders meinen, als den edlen Ludwig von Luxemburg, Grafen von Saint-Paul, Groß-Connetable von Frankreich? Dort behauptet er seinen Platz, mit seiner kleinen, tapfern Armee, trägt sein Haupt so hoch, wie nur je König Ludwig oder Herzog Karl, balancirt zwischen beiden, wie der Knabe, der auf der Mitte eines Brettes steht, während zwei andere auf beiden Enden schweben.«
»Der ist in Gefahr am schlimmsten von allen Dreien zu fallen,« sagte Meister Peter. »Und hört, junger Freund, der Ihr Plündern für ein so großes Verbrechen haltet, wißt Ihr nicht, daß Euer politischer Graf von Saint-Paul der Erste war, der das Beispiel gab, in Kriegszeiten im Lande zu sengen und zu brennen? und daß vor dieser schändlichen Verwüstung, die er einführte, offene Städte und Dörfer, die keinen Widerstand thaten, von beiden Seiten geschont wurden?«
»Nun wahrhaftig,« sagte Durward, »wenn das der Fall ist, so muß ich wohl anfangen zu glauben, daß eigentlich keiner von diesen großen Männern besser ist, als der andre, und daß, zwischen ihnen zu wählen, gerade dasselbe wäre, als wenn man sich zum Gehangenwerden den Baum auswählen sollte. Aber dieser Graf von Saint-Paul, dieser Connetable, hat sich durch bloße Übereinkunft in Besitz der Stadt gesetzt, welche ihren Namen von meinem verehrten Heiligen und Patron, Sanet Quentin, hat,« (hier bekreuzigte er sich,) »und mich dünkt, wenn ich darin wohnte, würde mir mein heiliger Patron auch eine freie Aussicht dort gelassen haben – er hat nicht so viel nach ihm Benannte, als Eure mehr populären Heiligen – und doch muß er jetzt mich armen Quentin Durward, seinen geistigen Pathen, ganz vergessen haben, da er mich den einen Tag ohne Nahrung gehen läßt, mich den nächsten Morgen der Beherbergung des heiligen Julian übergibt, so wie der zufälligen Artigkeit eines Fremden, die ich durch ein Untertauchen in den berühmten Fluß Cher oder einen seiner Nebenflüsse erkaufe.«
»Lästert die Heiligen nicht, mein junger Freund,« sagte Meister Peter. »Sanct Julian ist der treue Patron der Reisenden; und vielleicht hat der gepriesene St. Quentin mehr und besser für dich gesorgt, als du dir träumen läßt.«
Während er dies sagte, öffnete sich die Thür, und ein Mädchen, eher über als unter fünfzehn Jahren, trat herein mit einem Präsentirteller, mit Damast verdeckt, worauf eine kleine Schale stand, mit jenen getrockneten Pflaumen, die den Ruf der Stadt Tours stets erhöht haben, und einem Becher von sehr kunstreicher Arbeit, durch welche die Goldschmiede der Stadt von alter Zeit her berühmt waren, weil sie so viel Feinheit und Geschick darin darlegten, daß sie sich dadurch vor den andern Städten Frankreichs auszeichneten, und selbst die Geschicklichkeit der Hauptstadt übertrafen. Die Form des Bechers war so elegant, daß Durward gar nicht daran dachte, genauer zu untersuchen, ob das Material Silber war, oder, gleich dem, was vor ihm selbst stand, ein schlechteres Metall, jedoch so schön polirt, daß es dem edleren sehr ähnlich sah.
Aber der Anblick der jungen Person, die diesen Dienst leistete, zog Durward's Aufmerksamkeit weit mehr auf sich, als die kleinern Umstände der Bedienung, welche sie verrichtete.
Er machte alsbald die Entdeckung, daß eine Fülle langer, schwarzer Locken, die nach der Mädchensitte seiner eigenen Heimath ohne alle Verzierung waren, außer einem leichtgewobenen Kranz von Eichenlaub, einen Schleier um ein Gesicht bildeten, welches in seinen regelmäßigen Zügen, dunkeln Augen und sinnendem Ausdruck dem der Melpomene glich, obwohl ein schwaches Roth auf den Wangen und ein feiner Zug an Lipp' und Auge anzudeuten schien, daß Heiterkeit einem so ausdrucksvollen Gesichte nicht fremd war, obwohl sie nicht sein gewöhnlicher Ausdruck sein mochte. Quentin glaubte selbst zu erkennen, daß wohl drückende Umstände die Ursache sein möchten, warum ein so junges und holdes Gesicht ernster war, als es bei jugendlicher Schönheit gewöhnlich; und da die romantische Einbildungskraft der Jugend schnell damit ist, Schlüsse aus geringen Vordersätzen zu ziehen, so glaubte er aus dem, was folgt, folgern zu können, daß das Schicksal dieser schönen Erscheinung in Schweigen und Geheimniß gehüllt sei.
»Wie, Jacqueline!« sagte Meister Peter, als sie in's Zimmer trat – »warum dies? Hab' ich nicht verlangt, daß Dame Perette bringen sollte, was ich bedarf? – Pasques-dieu! – Ist sie oder hält sie sich für zu gut, mir zu dienen?«
»Sie ist unwohl,« antwortete Jacqueline in eiligem, doch demüthigem Tone; »unwohl und hütet ihr Zimmer.«
»Sie hütet es allein, hoffe ich?« erwiderte Meister Peter etwas eifrig; »ich bin ein vieux routier, und keiner von denen, bei welchen erdichtete Krankheit als Entschuldigung gilt.«
Jacqueline ward blaß, und zitterte sogar bei Meister Peters Antwort; denn allerdings hatte seine Stimme und sein Blick, die jederzeit rauh, stechend und unangenehm waren, wenn sie Zorn oder Argwohn ausdrückten, einen unheimlichen und beunruhigenden Ausdruck.
Die hochländische Chevalerie Quentin Durward's erwachte alsbald, und er beeilte sich, Jacquelinen entgegen zu kommen und sie von der Last zu befreien, die sie trug, und die sie ihm auch ohne Weigerung überließ, während sie mit schüchternem und ängstlichem Blicke das Gesicht des zornigen Bürgers beobachtete. Es war unmöglich dem durchdringenden und erbarmenflehenden Ausdruck ihrer Blicke zu widerstehn, und Meister Peter fuhr jetzt fort, nicht nur mit dem Tone verminderten Mißfallens, sondern auch mit so viel Artigkeit, als er in Mienen und Benehmen zu zeigen vermochte: »Ich tadele dich nicht, Jacqueline, und du bist auch zu jung, um das schon zu sein, was du dereinst noch leider werden mußt: ein falsches und verrätherisches Wesen, gleich allen übrigen deines leichtfertigen Geschlechts. Keiner wuchs je zum Manne heran, ohne daß er Gelegenheit gehabt hätte, euch Alle kennen zu lernen Es war einer der unliebenswürdigen Charakterzüge Ludwig's, und zwar einer der übelsten, daß er äußerst geringschätzig von dem Verstande, so wie von dem Charakter des schönen Geschlechts dachte.. Hier ist ein schottischer Cavalier, der dir das nämliche sagen wird.«
Jacqueline blickte einen Augenblick auf den jungen Fremden, als wollte sie Meister Peter gehorchen, aber dieser Blick, so momentan er auch war, kam Durward doch wie eine pathetische Aufforderung um Unterstützung und Mitleid vor; um mit der schnellen Beredtsamkeit der jugendlichen Gefühle, und der romantischen Verehrung des weiblichen Geschlechts, die ihm seine Erziehung eingeflößt, antwortete er eifrig: »er wolle seinen Handschuh sogleich hinwerfen für jeden Gegner, der ihm an Stand und Alter gleich sei, welcher sich unterstände, zu sagen, ein solches Gesicht, welches er vor sich sähe, könne von anderm als dem reinsten und treuesten Sinne beseelt sein.«
Das junge Mädchen ward todtenbleich und warf einen zweifelhaften Blick auf Meister Peter, bei dem das Bravado des jungen Ritters ein mehr höhnisches als beifälliges Lachen zu erregen schien. Quentin, dessen zweite Gedanken gewöhnlich die ersten verbesserten, wiewohl oft erst nachdem sich diese geäußert hatten, erröthete tief, daß er etwas gesagt habe, was als leere Prahlerei gedeutet werden könnte, und zwar in Gegenwart eines alten Mannes von friedlichem Gewerbe; und als eine Art gerechter und passender Buße dafür, beschloß er, geduldig das Lächerliche, dem er sich ausgesetzt hatte, zu ertragen. Er bot Becher und Messer Meister Petern dar, mit einem leichten Erröthen auf seinen Wangen, und mit demüthiger Miene, die er unter einem verlegenen Lächeln zu verhüllen suchte.
»Ihr seid ein närrischer junger Mann,« sagte Meister Peter, »und kennt die Weiber so wenig, als die Fürsten – deren Herzen« (hier bekreuzte er sich andächtig) »Gott in seiner Hand hält.«
»Und wer hält alsdann die der Weiber?« fragte Quentin, entschlossen, wofern es möglich wäre, sich nicht von dem angemaßten Uebergewicht dieses außerordentlichen alten Mannes, dessen leichtes und freies Benehmen einen Einfluß auf ihn geltend machte, wodurch er sich beschämt fühlte, unterdrücken zu lassen.
»Nun, darnach müßt Ihr wohl in einem andern Quartier nachfragen,« sagte Meister Peter ganz ruhig.
So sah sich Quentin abermals zurückgewiesen, wenn auch nicht gänzlich außer Fassung gebracht. »Gewiß,« sagte er zu sich selbst, »erweise ich diesem Bürger aus Tours nicht all' die Ergebenheit, die ich ihm um der elenden Verpflichtung eines Frühstücks willen schuldig bin, obwohl es ein recht gutes und kräftiges Mahl war. Hunde und Falken kann man allein durch Futter zähmen – der Mensch verlangt Liebe, wenn ihr ihn durch die Bande der Zuneigung und Verpflichtung fesseln wollt. Gleichwohl ist er ein außerordentlicher Mann; und die schöne Erscheinung, die jetzt eben verschwindet – sicher gehört ein so holdes Wesen nicht an diesen gemeinen Ort, gehört auch nicht dem geldsammelnden Kaufmanne selbst, obwohl er großes Ansehn bei ihr zu behaupten scheint, wie es wahrscheinlich mit ihm bei Allen der Fall ist, welche der Zufall in seinen kleinen Kreis führt. Es ist wunderbar, welche Begriffe von Bedeutsamkeit diese Flamländer und Franzosen von dem Reichthum hegen – und zwar so weit mehr, als es der Reichthum verdient, daß ich vermuthen kann, dieser alte Kaufmann schreibt die Höflichkeit, die ich seinem Alter zolle, der Kraft seines Geldes zu – ich, ein schottischer Edelmann von edler Abkunft und im Waffenrock, und er ein Handwerksmann von Tours!«
So waren die Gedanken, welche schnell im Innern des jungen Durward erwachten, während Meister Peter, zu gleicher Zeit Jacquelinens Kopf mit den langniederhängenden Flechten streichelnd, lächelnd sagte: »Dieser junge Mann wird mir dienen, Jacqueline – du kannst gehen. Deiner nachlässigen Verwandten werd' ich sagen, wie übel sie thut, dich so unnöthiger Weise dem Begaffen auszusetzen.«
»Es war nur, Euch aufzuwarten,« sagte das Mädchen. »Ich hoffe, Ihr werdet nicht unzufrieden mit meiner Verwandten sein, da –«
» Pasques-dieu!« sagte der Kaufmann, sie unterbrechend, aber nicht rauh, »willst du Worte mit mir wechseln, kleine Hexe, oder bleibst du nur stehen, um den jungen Mann da zu betrachten? – Geh – er ist Edelmann und sein Dienst genügt mir.«
Jacqueline verschwand; und so groß war der Antheil, den Quentin Durward an ihrem plötzlichen Verschwinden nahm, daß dadurch sein voriger Gedankengang unterbrochen ward, und er ganz mechanisch anhörte, wie Meister Peter mit dem Ton eines Mannes, der an's Befehlen gewöhnt ist, und sich sorglos in den großen Lehnstuhl hinwerfend sagte: »Setze das hier zur Seite.«
Der Kaufmann ließ darauf seine dunkeln Augenbrauen über die durchdringenden Augen niedersinken, so daß die letztern kaum sichtbar blieben, oder er schoß gelegentlich einen schnellen und lebhaften Blick unter denselben hervor, wie Strahlen der sinkenden Sonne hinter einer dunkeln Wolke, die von Zeit zu Zeit, aber einzeln und nur momentan hervorbrechen.
»Es ist ein schönes Geschöpf,« sagte der alte Mann endlich, das Haupt erhebend und Quentin fest und starr anblickend, als er die Frage stellte: »Ein holdes Mädchen, um Dienerin in einer Herberge zu sein? – sie könnte das Haus eines ehrlichen Bürgers zieren; aber sie hat schlechte Erziehung, ist von niederer Herkunft.«
Es ereignet sich bisweilen, daß ein zufälliger Schuß ein stattliches Schloß in die Luft sprengt, und der Architekt hegt bei solchen Gelegenheiten wenig Wohlwollen gegen den, der den Schuß sandte, obwohl der Schaden von Seiten des Beleidigers ganz unabsichtlich war. Quentin war in Verlegenheit, und wäre gern böse gewesen – ohne selbst zu wissen warum, – auf diesen alten Mann, nur weil er ihm erklärt hatte, das reizende Geschöpf sei weder mehr noch weniger, als worauf ihre Beschäftigung hindeutete: die Dienerin in einem Wirthshaus; allerdings eine höhere Dienerin und wahrscheinlich Nichte des Wirths, oder so etwas; doch immer nur eine Dienerin, und verpflichtet als solche, sich mit den Launen und Gewohnheiten der Gäste zu vertragen, vorzüglich mit denen des Meister Peter, der jedenfalls mancherlei Grillen hatte, und reich genug war, um sich der Nachgiebigkeit gegen dieselben zu versichern.
Der Gedanke, der zögernde Gedanke kehrte jetzt in ihm wieder, daß er dem alten Herrn den Unterschied ihres Standes andeuten und ihm zu verstehen geben müsse, daß, wie reich er immer sein möchte, sein Reichthum ihn doch nicht auf gleiche Höhe mit einem Durward von Glen-Houlakin setzen könne. Doch, wie oft er mit solchem Vorsatze auf Meister Peter's Gesicht blickte, so blieb doch, trotz des zu Boden geschlagenen Blickes, der gedrückten Züge und der schlechten und elenden Kleidung, noch Etwas, was den jungen Mann verhinderte, das Uebergewicht, welches er über den Kaufmann zu besitzen wähnte, geltend zu machen. Im Gegentheil, je öfter und fester Quentin auf ihn blickte, um so stärker ward seine Neugier, zu wissen, wer oder was dieser Mann eigentlich wäre; und er hielt ihn im Stillen zum mindesten für einen Syndicus oder eine hohe Magistratsperson zu Tours, oder doch für Jemand, der auf die oder jene Art gewohnt war, besondere Achtung zu fordern und zu empfangen.
Währenddem schien der Kaufmann von Neuem in tiefes Nachdenken zu sinken, aus dem er sich nur erhob, um mit bedächtiger Miene das Zeichen des Kreuzes zu machen, und Etwas von den getrockneten Früchten nebst einem Stückchen Biscuit zu genießen. Darauf gab er Quentin ein Zeichen, daß ihm dieser den Becher reichen sollte, doch fügte er, als Quentin denselben präsentirte, noch hinzu: »Ihr seid ein Edelmann, sagt Ihr?«
»Wohl bin ich das,« erwiderte der Schotte, »wenn fünfzehn Generationen mich dazu machen können – ich hab' Euch das schon vorhin gesagt. Aber thut Euch deßwegen keinen Zwang an, Meister Peter, denn es ward mir immer als Pflicht der Jüngern gelehrt, den Bejahrtern beizustehn.«
»Eine treffliche Lehre,« sagte der Kaufmann, indem er den Beistand des Jünglings bei Darreichung des Bechers annahm und diesen aus einem Gefäß füllte, welches aus demselben Material wie der Becher gemacht schien, ohne daß er dabei eine von den Bedenklichkeiten in Hinsicht der Schicklichkeit geäußert hätte, die Quentin hervorrufen zu wollen schien.
»Der Teufel hole die Ruhe und Vertraulichkeit dieses alten Bürgers,« sagte Quentin nochmals zu sich selbst; »er benutzt den Dienst eines adeligen schottischen Herrn mit so wenig Umständen, wie ich es bei einem gemeinen Manne von Glen-isla thun würde.«
Unterdessen hatte der Kaufmann seinen Becher mit Wasser geleert, und sagte zu seinem Gesellschafter: »Aus dem Eifer, mit dem Ihr den vin de Beaune zu genießen scheint, schließe ich, daß Ihr mir nicht gern in dieser elementarischen Flüssigkeit Bescheid thun würdet. Aber ich habe ein Elixir bei mir, welches selbst Fleckenwasser in die köstlichsten Weine Frankreichs verwandeln kann.«
Bei diesen Worten zog er eine große Börse aus dem Busen, aus dem Fell einer Seeotter gefertigt, und schüttete einen Haufen kleiner Silberstücke in den Becher, bis dieser, der zu den kleinsten gehörte, mehr als zur Hälfte voll war.
»Ihr habt Grund, dankbarer zu sein, junger Mann,« sagte Meister Peter, »beides, Euerm Patron St. Quentin, wie auch St. Julian, als Ihr es bis jetzt schient. Ich würde Euch rathen, Almosen in ihrem Namen zu geben. Bleibt in diesem Wirthshaus, bis Ihr Euren Verwandten, den Balafré, gesehen habt, der am Nachmittag von der Wache frei sein wird. Ich will ihm wissen lassen, daß er Euch hier finden kann, denn ich habe Geschäfte im Schlosse.«
Quentin Durward würde etwas gesagt haben, um sich zu entschuldigen, daß er die verschwenderische Freigebigkeit seines neuen Freundes nicht annehmen dürfe; aber Meister Peter senkte seine dunkeln Brauen, richtete seine gedrückte Gestalt mit mehr Würde empor, als er bis jetzt gezeigt hatte, und sagte in gebieterischem Tone: »Sagt nichts, junger Mann, sondern thut, was Euch befohlen ist!«
Mit diesen Worten verließ er das Gemach, indem er beim Weggehen ein Zeichen machte, daß ihm Quentin nicht folgen solle.
Der junge Schotte blieb erstaunt stehen, und wußte nicht, was er von alledem denken sollte. Seine erste und auch sehr natürliche, wenn auch nicht würdigste Bewegung war, in den silbernen Becher zu gucken, der gewiß über die Hälfte voll Silberstücke war, etwa einige Dutzend an Zahl, deren Quentin bisher nie zwanzig sein genannt hatte, so lange er lebte. Aber stand es auch mit seiner Würde, als Edelmann, im Einklang, das Geld von diesem reichen Plebejer anzunehmen? – Das war eine versuchende Frage; denn obwohl er sich eines guten Frühstücks versichert hatte, so hatte er doch nicht genug, um entweder damit nach Dijon zurückzureisen, im Falle er es mit des Herzogs von Burgund Zorne wagen und in seinen Dienst treten wollte, oder nach St. Quentin, wenn er sich für den des Connetable St. Paul entschied; denn der einen dieser Mächte, wo nicht dem König von Frankreich, war er entschlossen seinen Dienst anzubieten. Vielleicht war es der klügste Entschluß unter diesen Umständen, den er faßte, indem er beschloß, sich durch den Rath seines Oheims bestimmen zu lassen; unterdessen steckte er das Geld in seinen sammetnen Falkenbeutel, rief den Wirth des Hauses, um ihm den Becher zurückzustellen, indem er zu gleicher Zeit beschloß, diesem einige Fragen über diesen freigebigen und gebieterischen Kaufmann vorzulegen.
Der Mann vom Hause erschien sogleich, und war er auch nicht mittheilend, so zeigte er sich doch gesprächiger, als er anfangs geschienen. Er lehnte es bestimmt ab, den Becher zurückzunehmen. Es sei keiner von den seinigen, sagte er, sondern dem Meister Peter gehörig, der ihn seinem Gaste auch geschenkt habe. Er besäße allerdings selber vier silberne hanaps, die ihm seine Großmutter, seligen Andenkens, hinterlassen habe, aber keiner gleiche dieser schönen, vortrefflichen Arbeit mehr, als der Pfirsich einer Rübe, es sei dies einer von den berühmten Bechern von Tours, gefertigt von Martin Dominique, einem Künstler, auf den Paris stolz sein dürfte.
»Aber ich bitte, sagt, wer ist dieser Meister Peter, welcher Fremden solche ansehnliche Geschenke macht?« – sagte Durward, jenen unterbrechend.
»Wer Meister Peter ist?« sagte der Wirth, und ließ dabei die Worte so langsam aus dem Munde fallen, als destillirte er sie.
»Ja,« sagte Durward hastig und bestimmt, »wer ist der Meister Peter, und warum verschwendet er seine Gaben auf diese Weise? Und wer ist der fleischerähnliche Kerl, den er vorausschickte, um Frühstück zu bestellen?«
»Ja, mein guter Herr, was den Meister Peter betrifft, so hättet Ihr dem die Frage selbst vorlegen sollen; aber was den Herrn anlangt, der das Frühstück bei mir bestellte, so behüte uns vor seiner nähern Bekanntschaft der Himmel.«
»In dem Allen liegt etwas Geheimnißvolles,« sagte der junge Schotte. »Der Meister Peter sagte mir, er sei ein Kaufmann.«
»Nun,« sagte der Wirth, »hat er Euch das gesagt, so ist er auch ganz gewiß ein Kaufmann.«
»Und womit treibt er Handel?«
»O, mit mancherlei schönen Sachen,« sagte der Wirth, »und besonders hat er Seidenmanufacturen hier angelegt, die eben so prächtige Gegenstände liefern, als die Venetianer aus Indien und China bringen. Ihr werdet die Reihen von Maulbeerbäumen gesehen haben, als Ihr hieher kamt; die sind alle auf Meister Peter's Befehl gepflanzt, um die Seidenwürmer zu füttern.«
»Und die junge Person, die das Confekt hereinbrachte, wer ist sie, mein guter Freund?« sagte der Gast.
»Meine Hausgenossin, Herr, mit ihrer Aufseherin, einer Art von Base oder Verwandten, glaub' ich,« antwortete der Wirth.
»Und pflegt Ihr Eure Gäste zur Bedienung Anderer zu benutzen?« fragte Durward; »denn ich bemerkte, daß Meister Peter Nichts aus Euren Händen oder denen Eurer Diener nehmen mochte.«
»Reiche Leute haben ihre Launen, denn sie können dafür bezahlen, « sagte der Wirth; »dies ist nicht das erste Mal, daß Meister Peter den rechten Weg gefunden hat, um vornehme Leute seinem Winke dienen zu lassen.«
Der junge Schotte fühlte sich durch diese Aeußerung etwas verletzt; aber, seine Empfindlichkeit verbergend, fragte er, ob er hier ein Zimmer auf einen Tag oder vielleicht noch länger erhalten könne.
»Jawohl,« antwortete der Wirth; »so lange es Euch gefällt, Ihr habt nur zu befehlen.«
»Wär' es wohl erlaubt,« fragte er weiter, »den Damen meine Achtung zu bezeigen, deren Hausgenosse ich doch nun werde?«
Der Wirth war ungewiß, was zu antworten sei. »Sie gehen nicht aus,« sagte er, »und empfangen Niemand zu Hause.«
»Vermuthlich mit Ausnahme Meister Peters?« sagte Durward.
»Es steht nicht bei mir, Ausnahmen zu nennen,« antwortete der Mann fest, aber achtungsvoll.
Quentin, der sehr hoch von seiner eigenen Wichtigkeit dachte, doch aber einsah, wie sehr er von Mitteln entblößt war, sie zu unterstützen, und sich auch durch des Wirths Antwort etwas beleidigt fühlte, zögerte nicht, sich einer zu jener Zeit sehr gewöhnlichen Auskunft in solchen Fällen zu bedienen. »Tragt den Damen,« sagte er, »eine Flasche Auvernat, nebst der Versicherung meiner Ergebenheit hin, und sagt, daß Quentin Durward, aus dem Hause Glen-Houlakin, ein schottischer Kavalier und Edelmann, der jetzt ihr Hausgenosse, um die Erlaubniß bitte, ihnen persönlich seine Ehrfurcht melden zu können.«
Der Bote ging und kam fast augenblicklich wieder, mit dem Danke der Damen, welche die dargebotene Erfrischung ablehnten, und zugleich bedauerten, daß sie den Besuch des schottischen Kavaliers nicht annehmen könnten, da sie ganz incognito hier wohnten.
Quentin biß sich auf die Lippen und genoß ein Glas von dem verschmähten Auvernat, den der Wirth auf den Tisch gesetzt hatte. »Wahrhaftig,« sagte er zu sich selbst, »das ist ein seltsames Land, Kaufleute und Handwerker sind an Benehmen und Pracht Edelleuten gleich, und kleine reisende Weiberchen, die ihren Hof in einem Wirthshaus halten, geberden sich wie verkleidete Prinzessinnen! Aber das Mädchen mit den schwarzen Augenbrauen muß ich wieder sehen, oder es geht hart her;« und so wie er diesen klugen Entschluß gefaßt hatte, befahl er, ihn in das Zimmer zu führen, welches er sein nennen sollte.
Der Gastwirth geleitete ihn sogleich eine hohe Wendeltreppe empor, und von da einer Gallerie entlang, auf welcher sich viele Thüren öffneten, gleich den Zellenthüren eines Klosters, eine Aehnlichkeit, welche unser junger Held, der sich gerade nicht mit Vergnügen an eine frühere Probe des Klosterlebens erinnerte, weit entfernt war, sehr zu bewundern. Ganz am Ende des Ganges stand der Wirth still, suchte einen Schlüssel aus dem großen Bündel, welchen er am Gürtel trug, öffnete eine Thür, und ließ seinen Gast das Innere eines Thurmgemachs sehen, das zwar klein, aber reinlich und still, mit einem Feldbette und wenigen Zimmergeräthen ausgestattet, übrigens in ungewöhnlich guter Ordnung war, und so im Ganzen wie ein kleiner Palast erschien.
»Ich hoffe, Eure Wohnung hier wird Euch gefallen, lieber Herr,« sagte der Wirth. »Ich bin verpflichtet, jedem Freunde Meister Peters gefällig zu sein.«
»O glückliches Eintauchen!« rief Quentin Durward, indem er einen Freudensprung auf den Dielen that, sobald sich der Wirth entfernt hatte – »nie noch erschien das Glück in einer bessern, oder nässern Gestalt. Ich bin trefflich überschwemmt worden von meinem guten Glück.«
Dies sagend ging er nach dem kleinen Fenster, welches, da der Thurm beträchtlich aus der Hauptlinie des Gebäudes hervorragte, nicht allein einen hübschen Garten, von ziemlicher Größe, der dem Wirth gehörte, beherrschte, sondern auch jenseit der Gränze desselben eine freundliche Pflanzung jener Maulbeerbäume überschauen ließ, die Meister Peter zur Ernährung der Seidenwürmer angelegt hatte. Kehrte man aber den Blick von diesen fernern Gegenständen ab und sah gerade entlang der Wand, so befand sich der Thurm Quentin's einem andern Thurme gegenüber, und das kleine Fenster, an welchem er stand, beherrschte ein ähnliches Fenster in einer gleichen Hervorragung des Gebäudes. Nun würde es aber schwierig für einen Mann sein, der zwanzig Jahre älter als Durward wäre, zu sagen, warum ihn diese Oertlichkeit mehr interessirte, als der hübsche Garten und die freundliche Maulbeerpflanzung; denn ach! Augen, die man vierzig Jahr und darüber gebraucht hat, blicken mit Gleichmuth auf ein kleines Thurmfenster, obwohl der Flügel halboffen ist, um Luft einzulassen, während das Gitter halbgeschlossen ist, um die Sonne abzuhalten, oder vielleicht auch einen neugierigen Blick – ja, mag auch auf der einen Seite des Fensters eine Laute hangen, theilweis von einem leichten meergrünen seidenen Schleier bedeckt. Aber in Durward's glücklichem Alter sind dergleichen Nebendinge, wie sie ein Maler nennen würde, eine genügende Grundlage, um hundert Lustschlösser und geheimnißvolle Vermuthungen darauf zu bauen, bei deren Erinnerung der reife Mann lächelt, indem er seufzt, und seufzt, während er lächelt.
Da man vermuthen kann, daß unser Freund Quentin ein wenig mehr von seiner schönen Nachbarin, der Besitzerin des Schleiers und der Laute, zu wissen wünschte, – da man vermuthen kann, daß er wenigstens gern wissen wollte, ob sie vielleicht die nämliche sei, die er in demüthiger Dienstleistung bei Meister Peter gesehn, so läßt sich leicht begreifen, warum er nicht in ganzer Breite und Länge sein Gesicht und seine Person im eigenen Fenster zur Schau stellte. Durward verstand die Kunst besser, Vögel zu fangen; und indem er seine Person geschickt auf der einen Seite seines Fensters zu verbergen wußte, während er nur durch das Gitter des Ladens schaute, genoß er das Vergnügen, einen weißen, runden, schönen Arm zu sehen, der das Instrument herabnahm, und ebenso ward auch seinen Ohren gleich nachher ein Theil des Lohnes für sein geschicktes Benehmen.
Das Mädchen des kleinen Thurms, des Schleiers und der Laute, sang genau solch' eine Weise, wie wir gewohnt sind anzunehmen, daß sie von den Lippen der hochgebornen Damen der Ritterzeit geflossen sei, während Ritter und Minnesänger lauschten und schmachteten. Die Worte enthielten weder so viel Sinn, Geist, noch Phantasie, um die Aufmerksamkeit von der Musik abzuziehen, noch zeigte die Musik so viel Kunst, um alle Empfindung von den Worten abzulenken. Das Eine schien zu dem Andern zu passen; und wenn das Lied ohne die Weise recitirt worden, oder die Weise ohne die Worte gespielt worden wäre, so hätte Keines von beiden Werth gehabt. Es dürfte sich daher kaum ziemen, Worte anzuführen, die weder gesprochen noch gelesen, sondern nur gesungen werden sollten. Doch hatten solche Proben alter Poesie stets einen gewissen Zauber für uns; und da der Ton für immer verloren ist – wenn es nicht Bishop gelingt, die Noten aufzufinden, oder irgend eine Lerche Stephens die Weise trillern lehrt – so wollen wir unser Ansehn und den Geschmack der Dame von der Laute daran wagen, indem wir die Verse aufschreiben, einfach und schlicht wie sie sind: –
»Graf Guy, die Stunde naht, es geht
Die Sonne vom Gefild,
Orangenduft der Laube weht,
Der Hauch der See weht mild.
Tags sang die Lerch' in Einsamkeit –
Kehrt nun beim Gatten ein;
Luft, Blum' und Vogel kennt die Zeit –
Doch wo Graf Guy mag sein?
»Es stiehlt des Dorfes Maid sich fort
Und lauscht des Schäfers Sang;
Zur Schönen, hoch am Fenster dort,
Tönt Ritters Lautenklang.
Der Liebe Stern, und jeder Stern
Entsendet seinen Schein;
Und Alle huldigen ihm gern –
Doch wo Graf Guy mag sein?«
Was immer der Leser von diesem einfachen Liedchen denken mag, es äußerte auf Quentin doch eine mächtige Wirkung, als es, mit himmlischen Tönen vermählt, von einer süßen und schmelzenden Stimme gesungen ward, und die Klänge sich mit dem sanften Lufthauch mischten, der duftig vom Garten wehte, und während zugleich die Gestalt der Sängerin nur zum Theil und undeutlich sichtbar war, so daß sich ein Schleier geheimnißvollen Zaubers über das Ganze breitete.
Beim Schluß des Liedes konnte der Lauscher nicht umhin, sich kühner als bisher zu zeigen, um durch einen schnellen Versuch mehr zu sehen, als er bis jetzt hatte entdecken können. Augenblicklich endete da die Musik – das Fenster schloß sich, und ein dunkler, von Innen vorgezogener Vorhang machte jeder ferneren Beobachtung von Seiten des Nachbars im nächsten Thurme ein Ende.
Durward war gekränkt und verwundert über die Folgen seiner Voreiligkeit, aber er tröstete sich mit der Hoffnung, daß die Dame der Laute weder der Uebung auf einem Instrument so leicht vergessen könnte, welches ihr lieb zu sein schien, noch so grausam sein würde, dem Vergnügen der frischen Luft und des offnen Fensters zu entsagen, und das blos aus der Absicht, um die süßen Töne, welche sie schuf, nur für ihre eignen Ohren zu versparen. Es war auch wohl ein Bischen persönlicher Eitelkeit, welches sich in diese trostreichen Gedanken mischte. Wenn, wie er scharfsinnig vermuthete, ein schönes, dunkellockiges Mädchen den einen Thurm bewohnte, so mußte sie nothwendig auch bemerken, daß ein hübscher, junger, schwärmender, blondhaariger Ritter, und zwar ein Glücksritter, der Bewohner des andern war; und Romanzen, diese klugen Lehrmeisterinnen, hatten ihn schon früh belehrt, daß, wenn auch Mädchen schüchtern wären, sie sich doch weder des Antheils, noch der Neugier bei ihres Nachbars Angelegenheiten entschlagen könnten.
Während Quentin diesen weisen Betrachtungen nachhing, meldete ihm eine Art von Diener oder Aufwärter des Wirthshauses, daß ihn ein Kavalier unten zu sprechen wünsche.