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Fünfundvierzigstes Kapitel.

Der alte Peveril blieb an der Thüre des königlichen Cabinets stehen; als ihn aber der König näher treten hieß, warf er sich, mit jedem Gefühl, das in der Erinnerung seines frühern und spätern Lebens in ihm sich regte, vor dem König auf die Kniee, ergriff seine Hand, und brach in lautes Weinen aus. Carl, der überhaupt tief fühlte, so lange er einen rührenden Gegenstand vor Augen hatte, überließ für einen Augenblick den Greis seiner Entzückung. Dann sagte er aber: »Wackrer Ritter Gottfried, es haben Euch harte Umstände betroffen; wir sind Euch Entschädigung schuldig, und werden Gelegenheit finden, unsere Schuld zu bezahlen.«

»Kein Leiden, keine Schuld,« sagte der Greis; »es bekümmerte mich nicht, was die Schurken von mir sagten; – ich wußte, sie konnten nie zwölf ehrliche Leute zusammenbringen, die ein Wort von ihren verdammten Lügen geglaubt hätten – aber eine so baldige Gelegenheit zu haben, Euer Majestät meine Ehrfurcht zu bezeigen, belohnt mich über Alles. Die Schurken wollten mich bereden, ich dürfte nicht nach Hofe kommen – haha!«

Der Herzog von Ormond bemerkte, daß sich der König stark entfärbte; denn in der That war vom Hofe aus dem Ritter Peveril der geheime Wink gegeben worden, auf's Land zu gehen, ohne in Whitehall zu erscheinen; und er argwöhnte überdieß, daß der muntre alte Ritter, nach den Beschwerden eines so unruhigen Tages, nicht ganz mit trockenem Munde von seinem Mittagstische aufgestanden sein möchte. »Mein alter Freund,« flüsterte er ihm daher zu: »Ihr vergesset, daß Euer Sohn vorgestellt werden muß – wollt Ihr mir diese Ehre erlauben?«

»Ich bitte Eure Durchlaucht demüthig um Verzeihung,« sagte der Ritter; »aber das ist eine Ehre, die ich mir selber zueigne, da ich besorge, daß ihn Niemand dem Dienste seiner Majestät so völlig übergeben und überliefern kann, als der Vater, der ihn gezeugt hat, zu thun berechtigt ist. – Julian, tritt hervor, und kniee. – Hier ist er – erlauben Eure Majestät – Julian Peveril – ein Sprosse von dem alten Stamm, ein tüchtiger, doch kaum so starker Baum, als der alte Stamm, da er am frischesten war. Nehmt ihn auf, Eure Majestät, als einen treuen Diener, à vendre et à pendre, wie die Franzosen sagen; wenn er Feuer oder Stahl, das Beil oder den Galgen, im Dienste Euer Majestät fürchtet, so entsage ich ihm – er ist dann nicht mein Sohn – ich verläugne ihn, und er mag auf die Insel Man, die Insel der Hunde, oder die Insel der Teufel gehen; was kümmert es mich!«

Carl winkte dem Herzoge von Ormond, und nachdem er mit seiner gewohnten Huld seine völlige Ueberzeugung versichert hatte, daß Julian die Diensttreue seiner Vorfahren und insbesondere seines Vaters, nachahmen würde, setzte er hinzu, er glaube, Ormond werde ihm etwas von Wichtigkeit für seinen Dienst mitzutheilen haben. Der Ritter Peveril machte seine militärische Verbeugung auf diesen Wink, und marschirte im Gefolge des Herzogs ab, welcher in Betreff der Begebenheiten des Tages mit ihm eine Untersuchung vornahm. Carl, der für's erste durch wenige Fragen sich überzeugt hatte, daß der Sohn nicht in derselben exaltirten Stimmung, wie der Vater, war, verlangte und empfing von ihm eine genaue Nachricht von allen auf das gerichtliche Verhör gefolgten Vorfällen.

Julian erzählte mit der Offenheit und Genauigkeit, welche der Gegenstand, bei einer solchen Audienz verhandelt, erforderte, Alles, was sich, bis zu dem Eintritt bei Bridgenorth, zugetragen hatte; und seine Majestät war mit der Art und Weise seines Berichtes so sehr zufrieden, daß er Arlington Glück wünschte, zu diesen dunkeln und geheimnißvollen Begebenheiten das Zeugniß wenigstens eines verständigen Mannes gewonnen zu haben. Als aber Bridgenorth in der Erzählung auftreten sollte, trug Julian Bedenken, ihn namentlich anzuführen; und ob er gleich die Kapelle, die er mit bewaffneten Männern angefüllt gesehen, und die heftige Sprache des Predigers erwähnte, so setzte er doch mit Ernsthaftigkeit hinzu, daß, dessen allen ungeachtet, die Männer, ohne es zu einem Gewaltschritte kommen zu lassen, auseinander gingen, und alle den Ort verlassen hatten, eh' er und sein Vater in Freiheit gesetzt wurden.

»Und Ihr ginget ruhig nach der Fleetstraße zur Mittagsmahlzeit, junger Mann,« sagte der König ernsthaft, »ohne einer obrigkeitlichen Behörde von der gefährlichen Versammlung Nachricht zu geben, die in der Nähe unsers Schlosses gehalten wurde, und ihre Absicht auf gewaltsame Maaßregeln nicht verhehlte?«

Der junge Peveril erröthete und schwieg. Der König runzelte die Stirne, und ging seitwärts, um sich mit Ormond zu besprechen, welcher ihm sagte, daß der Vater von der Sache nichts gewußt zu haben scheine.

»Und der Sohn – es thut mir leid, es zu sagen,« erwiederte der König, »scheint weniger geneigt, die Wahrheit zu sagen, als ich erwartet hätte. Junger Mann,« fuhr er, sich an Julian wendend, fort. »Euer Benehmen ist weniger offen, als ich von Eures Vaters Sohn erwartete. Ich muß wissen, wer dieser Mann ist, mit dem Ihr so vertrauten Umgang hattet. Ihr kennt Ihn doch?«

Julian gestand, daß er ihn kenne, bat aber, auf ein Knie niedersinkend, seine Majestät um Verzeihung, daß er seinen Namen verschwiege. »Ich bin,« sagte er, »unter dieser Bedingung meiner Haft entlassen worden«

»Das war, nach Eurem Geständniß, ein erzwungenes Versprechen,« antwortete der König, »und ich kann nicht genehmigen, daß Ihr es haltet; es ist Eure Pflicht, die Wahrheit zu sagen. – Fürchtet Ihr Euch vor Buckingham, so soll sich der Herzog entfernen.«

»Ich habe keinen Grund, den Herzog von Buckingham zu fürchten,« sagte Julian; »der Vorfall, den ich mit einem seiner Diener hatte, war des Mannes eigene Schuld, und nicht die meinige.«

»Potz tausend!« sagte der König. »Nun fängt mir an, ein Licht aufzugehen – ich glaube, ich erinnere mich Eurer Physiognomie. – Wart Ihr nicht derselbe, den ich an jenem Morgen bei Chiffinch traf? – Die Sache ist mir seitdem entfallen; aber nun besinn' ich mich, Ihr sagtet damals, Ihr seid der Sohn jenes wackern Baronets dort.«

»Es ist wahr,« sagte Julian, »daß ich Eure Majestät im Hause des Herrn Chiffinch traf, und ich bin bestürzt darüber, daß ich das Unglück hatte, Eurer Majestät Mißfallen zu erregen; aber –«

»Nichts mehr davon, junger Mann – nichts mehr davon. – Aber ich besinne mich, Ihr hattet jene schöne tanzende Sirene bei Euch. – Buckingham, ich setze Gold gegen Silber, daß sie es war, die aus der Baßgeige herauskommen sollte?«

»Eure Majestät haben recht gerathen,« sagte der Herzog; »und ich vermuthe, sie hat mir einen Streich gespielt, und den Zwerg an ihre Stelle gesetzt; denn Christian glaubt –«

»Verdammt sei Christian!« sagte der König hitzig – »ich wünschte, man brächte ihn her, den allgemeinen Schiedsrichter.« – Während er noch sprach, meldete man Christian.

»Laßt ihn seine Aufwartung machen,« sagte der König. »Doch hört – mir fällt Etwas ein. – Sagt doch, Herr Peveril, ist jene Tänzerin nicht in Diensten der Gräfin von Derby?«

»Als solche habe ich sie Jahre lang gekannt, Eure Majestät,« antwortete Julian.

»So wollen wir die Gräfin herrufen,« sagte der König. »Es ziemt sich, daß wir erfahren, wer diese kleine Fee eigentlich ist; und wenn sie jetzt so unbeschränkt dem Winke Buckinghams und dieses Herrn Christian zu Gebote steht – so denk' ich, es würde nur menschenfreundlich sein, die Gräfin davon wissen zu lassen, weil ich zweifle, daß sie in diesem Falle sie in ihrem Dienste wird behalten wollen. Zudem (fuhr er seitwärts sprechend fort) ist dieser Julian, der sich in diesen Sachen durch sein hartnäckiges Stillschweigen verdächtig macht, auch vom Hofstaate der Gräfin. Wir wollen diesen Dingen auf den Grund kommen, und Allen Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Die schleunig her beschiedene Gräfin von Derby kam zu einer Thür in das königliche Cabinet herein, gerade als Christian und Zarah, oder Fenella, zu der andern hereingeführt wurden. Der alte Ritter von Martindale, der noch früher in das Audienzkabinet zurückgekommen war, wurde kaum, selbst durch die Zeichen, die ihm die Gräfin gab, zurück gehalten; so sehr begierig war er, seine alte Freundin zu bewillkommen; als aber Ormond ihm freundlich die Hand auf den Arm legte, bewog er ihn still sitzen zu bleiben.

Nach einer tiefen Verneigung vor dem Könige, bezeigte die Gräfin auch dem übrigen anwesenden hohen Adel ihre Aufmerksamkeit, lächelte gegen Julian Peveril, und blickte mit Ueberraschung auf die unerwartete Erscheinung Fenella's. Buckingham biß sich in die Lippe; denn er sah, daß die Einführung der Gräfin von Derby wahrscheinlich jede Vorbereitung, die er zu seiner Vertheidigung ausgedacht hatte, verwirren und zerstören würde, und warf einen verstohlenen Blick auf Christian, dessen Auge, als es auf die Gräfin geheftet war, dunkel flammte.

»Ist Jemand in dieser Versammlung, den Euer Gnaden wieder erkennen,« sagte der König huldreich, »außer Euren alten Freunden Ormond und Arlington?«

»Ich sehe, mein gnädigster König, zwei würdige Freunde von der Familie meines Mannes,« antwortete die Gräfin, »Ritter Gottfried Peveril und seinen Sohn; der Letztere war ein ausgezeichnetes Mitglied von dem Hofstaate meines Sohnes.«

»Sonst Niemand?« fuhr der König fort.

»Ein unglückliches Mädchen meines Hauses, das von der Insel Man zu derselben Zeit verschwand, als Julian Peveril in wichtigen Geschäften abreiste. – Man glaubte, sie wäre von einer Klippe in die See gefallen.« –

»Hatten Euer Gnaden irgend einen Grund – verzeiht mir eine solche Frage –« sagte der König, – »eine unschickliche Vertraulichkeit zwischen Herrn Peveril und derselben jungen Person zu argwöhnen?«

»Mein Fürst!« sagte die Gräfin, von Unwillen sich entfärbend, »mein Haus ist von gutem Ruf.«

»Nein, meine Gräfin, erzürnt Euch nicht,« sagte der König; »ich fragte nur, – solche Dinge fallen auch wohl in den besten Familien vor.«

»In der meinigen nicht, Sire,« versetzte die Gräfin. »Ueberdieß ist Julian Peveril unfähig zu Verständnissen mit einem unglücklichen Geschöpf, das durch sein Unglück fast von der Menschheit geschieden ist.«

Zarah blickte sie an, und drückte die Lippen zusammen, als wollte sie die Worte, die sich hervordrängen wollten, zurückhalten.

»Ich weiß nicht, wie es ist,« sagte der König. – »Was Euer Gnaden sagen, kann in der Hauptsache wahr sein; doch hat der Geschmack sonderbare Launen. Dieß Mädchen verliert sich von der Insel Man, sobald der Jüngling dieselbe verläßt, und wird im St. James-Park, hüpfend und tanzend wie eine Fee, gefunden, sobald er in London erscheint.«

»Unmöglich!« sagte die Gräfin; »sie kann nicht tanzen.«

»Ich vermuthe,« sagte der König, »sie versteht sich auf noch mehr Künste, als Euer Gnaden wissen, oder gut heißen würden.«

Die Gräfin richtete sich empor, und schwieg voll Unwillen.

Der König fuhr fort: »Kaum ist Peveril in Newgate, als, nach der Angabe des ehrwürdigen kleinen Herrn, dieß lustige Mädchen sogar da sich befindet. Nun, ohne zu untersuchen, wie sie da hereinkam, glaube ich doch menschenfreundlich, daß sie einen bessern Geschmack hatte, als des Zwergs wegen dahin zu kommen. – Aha! Ich glaube Herrn Julian hat das Gewissen gerührt!«

Julian stutzte wirklich, während der König sprach; denn ihm fielen die mitternächtlichen Besuche in seiner Zelle ein.

Der König sah ihn scharf an, und fuhr dann fort: »Nun wohl, meine Herren, Peveril wird zu seinem Verhör gebracht, und ist kaum in Freiheit, als wir ihn in dem Hause finden, wo der Herzog von Buckingham seine sogenannte Maskerade veranstaltete. – Wahrhaftig, ich halte es fast für gewiß, daß dieß Mädchen Seiner Durchlaucht den Streich spielte, und den armen Zwerg in die Baßgeige steckte, um unterdessen die Zeit bei Herrn Julian Peveril zuzubringen. – Meint Ihr nicht so, Herr Christian? Ist etwas Wahres an meiner Vermuthung?«

Christian warf einen verstohlenen Blick auf Zarah, und las etwas in ihrem Auge, das ihn verlegen machte. »Er wisse es nicht,« sagte er; »er habe allerdings diese unvergleichliche Tänzerin angestellt, die vorgeschlagene Rolle bei dem Maskenspiel zu übernehmen; und sie habe mitten unter einem Schauer von flammenden, und sehr künstlich mit Räucherwerk zur Dämpfung des Pulvergeruchs verbundenen Feuer hervorkommen sollen; aber sie habe, er wisse nicht, warum – ausgenommen, weil sie sehr eigensinnig und launisch sei – gewiß den Plan durch Unterschiebung des korpulenteren Zwergs verdorben.«

»Es wäre mir lieb,« sagte der König, »dieß kleine Mädchen hervortreten, und auf die Art, wie sie sich auszudrücken vermag, über diese räthselhafte Sache Zeugniß ablegen zu sehen. Versteht sich hier Jemand auf ihre Zeichensprache?«

Chiffinch antwortete, er wüßte Etwas davon, seitdem er mit ihr in London bekannt geworden wäre. Die Gräfin sprach nicht, bis sie der König fragte, und erklärte dann trocken, daß sie nothwendig gewisse Mittel zur Mittheilung gegen ein Mädchen habe, das so viele Jahre unmittelbar um ihre Person gewesen sei.

»Ich sollte meinen,« sagte Carl, »daß eben dieser Herr Julian Peveril, nach Allem, was wir gehört haben, den nähern Schlüssel zu ihrer Sprache haben müßte.«

Der König sah erst Peveril an, der über die in des Königs Bemerkung liegende Folgerung wie ein Mädchen erröthete; dann wandte er seine Augen schnell auf die vorgebliche Stumme, auf deren Wange eine schwache Farbe verflog. Einen Augenblick darauf trat Fenella oder Zarah, auf ein Zeichen der Gräfin, hervor, und nachdem sie knieend die Hand ihrer Gebieterin geküßt hatte, stand sie da mit über die Brust geschlagenen Armen, und mit einer demüthigen Miene, die von der, welche sie im Harem des Herzogs von Buckingham hatte, eben so verschieden war, als die Miene einer Magdalene von der einer Judith. Doch war dieß die geringste Probe von ihrem Talent zur Gewandtheit, denn sie spielte die Rolle des stummen Mädchens so gut, daß Buckingham bei allem seinem Scharfblick unentschieden blieb, ob das vor ihm stehende Wesen dasselbe sein könnte, das, in einer andern Tracht, einen so tiefen Eindruck auf seine Einbildungskraft gemacht hatte, oder ob sie wirklich das unvollkommene Geschöpf wäre, welches sie jetzt vorstellte. Sie hatte auf einmal Alles an sich, was den Mangel des Gehörs bezeichnen, und Alles, was die wunderbare Geschicklichkeit zeigen konnte, mit der die Natur so oft den Mangel vergütet.

Nach ihrer eigenen Weise befragt, bestätigte Zarah Christians Erzählung in allen Stücken, und gab zu, daß sie den Plan zu einem Maskenspiel durch Unterschieben des Zwergs gestört hatte; die Ursache dieser That aber anzugeben, weigerte sie sich, und die Gräfin drang nicht weiter in sie.

»Alles,« sagte Carl, »spricht den Herzog von Buckingham von so einer abgeschmackten Beschuldigung frei; das Zeugniß des Zwergs ist zu fantastisch, und das der beiden Peveril's trifft den Herzog nicht im Geringsten; das des stummen Mädchens widerspricht völlig der Möglichkeit seiner Schuld. Mich dünkt, meine Herren Geheimenräthe, wir sollten ihm zu erkennen geben, daß er von einer Beschwerde freigesprochen wird, die zu lächerlich ist, um je eine ernsthaftere Untersuchung zu verdienen, als wir in der Eile bei dieser Gelegenheit angestellt haben.«

Arlington drückte mit einer Verbeugung seine Genehmigung aus. Ormond aber sprach offen: »Euer Majestät, ich würde in der Meinung des Herzogs von Buckingham, bei seinen bekannten glänzenden Talenten, herabsinken, wenn ich sagte, daß ich in meinem Herzen von dieser Sache völlig überzeugt wäre; ich unterwerfe mich dem Geist der Zeiten, und ich räume ein, es würde höchst gefährlich sein, auf solche Anklagen, als wir zu sammeln im Stande gewesen sind, den Charakter eines so eifrigen Protestanten, als Seine Durchlaucht ist, in Anspruch zu nehmen. – Wär' er ein Katholik gewesen, unter solchen verdächtigen Umständen würde der Tower noch ein zu gutes Gefängniß für ihn gewesen sein.«

Buckingham verbeugte sich gegen den Herzog von Ormond, mit einer Bedeutung, die selbst sein Triumph nicht verbergen konnte. – » Tu me lo pagherai Du sollst mir dafür büßen.!« murmelte er in einem Tone tiefer und unauslöschlicher Empfindlichkeit; aber der alte wackere Irländer, der schon seinem höchsten Ingrimm Trotz geboten hatte, bekümmerte sich wenig um diese Aeußerung seines Unwillens.

Der König, der nun den andern Edelleuten einen Wink gab, sich in die Gesellschaftszimmer zu verfügen, hielt den Herzog von Buckingham auf, als er ihnen folgen wollte, und als sie allein waren, fragte er ihn in einem bedeutenden Tone, der dem Herzog alles Blut in's Gesicht trieb: »Wann war es, Georg, da Euer brauchbarer Freund, Oberst Blood, ein Musikus wurde? – Ihr schweigt?« fuhr er fort, »läugnet den Vorwurf nicht ab, denn jenen Schurken vergißt man nie, wenn man ihn einmal gesehen hat. Nieder auf die Kniee, Georg, und gesteht nur, Ihr habt mein nachgiebiges Temperament mißbraucht. – Sucht keine Entschuldigung, – keine wird Euch zu Gute kommen. Ich sah den Mann selbst unter jenen Deutschen, wie Ihr sie nennt, und Ihr wißt, was ich nothwendig von einem solchen Umstande glauben muß.«

»Glaubt Ihr, daß ich schuldig gewesen bin, – höchst strafbar mein Fürst und mein König,« sagte der Herzog, im Gewissen gerührt niederknieend; – »glaubt, daß ich irre geleitet, – daß ich wahnsinnig war, – glaubet Alles und Jedes, nur nicht, daß ich fähig war, oder als Mitschuldiger mitwirken konnte, Eurer Person ein Leid zuzufügen.«

»Ich glaube es nicht,« sagte der König, »ich gedenke Eurer als des Gefährten meiner Gefahren und meiner Verbannung, und bin so weit entfernt, zu glauben, daß Ihr es schlechter meint, als Ihr sagt, daß ich vielmehr überzeugt bin, Ihr gesteht mehr, als Ihr zu unternehmen je gesonnen waret.«

»Bei Allem, was heilig ist,« sagte der Herzog, noch knieend, »wär' ich nicht, bis auf Leben und Vermögen, mit dem niederträchtigen Christian verwickelt worden –«

»Nein, wenn Ihr wieder Christian auf die Bühne bringt,« sagte der König lächelnd, »so ist es für mich Zeit, mich zu entfernen. Wohlan, Villiers, steht auf, ich vergebe Euch, und empfehle Euch bloß eine Handlung der Buße, – Heirath, und Zurückziehung auf Euren Landsitz.«

Der Herzog stand beschämt auf, und folgte dem König zur Gesellschaft, bei welcher Carl, an die Schulter des reuigen Herzogs sich lehnend, eintrat, und ihm so viel Huld bewies, daß die schärfsten anwesenden Beobachter zu zweifeln geneigt wurden, ob es irgend einen wirklichen Grund zum Argwohn gegen den Herzog habe geben können.

Die Gräfin von Derby hatte sich unterdessen mit dem Herzog von Ormond, mit den beiden Peveril's, und mit ihren andern Freunden besprochen, und wurde durch einmüthigen Ausspruch, obgleich mit beträchtlicher Schwierigkeit überzeugt, daß es zur Ehrenrettung ihres Hauses hinlänglich wäre, sich selbst so am Hofe gezeigt zu haben, und daß es, nachdem sie dieß gethan, ihre weiseste Maaßregel sein würde, sich nach ihren Besitzungen auf der Insel zurückzuziehen, ohne die Empfindlichkeit einer mächtigen Partei ferner zu reizen. Sie nahm in gehöriger Form vom Könige Abschied, und bat um seine Erlaubniß, das hülflose Geschöpf mitzunehmen, das so seltsam aus ihrem Schutze in eine Welt entwichen war, wo ihr Zustand sie jeder Art von Mißgeschick aussetzte.

»Wollen Euer Gnaden mir verzeihen?« sagte Carl. »Ich habe Euer Geschlecht lange studirt, – ich müßte mich irren, wenn das Mädchen nicht eben so wohl fähig wäre, für sich selbst zu sorgen, als irgend Eins von uns.«

»Unmöglich!« sagte die Gräfin.

»Möglich und sehr wahr,« flüsterte der König. »Ich will Euch den Augenblick von der Thatsache überführen, wiewohl der Versuch zu delikat ist, um von irgend Jemanden, außer Euer Gnaden, angestellt zu werden. Dort steht sie, und sieht aus, als wenn sie eben so wenig hörte, als der Marmorpfeiler, an den sie sich lehnt. Nun, wenn Ihr versuchen wollt, entweder Eure Hand an die Gegend des Herzens oder wenigstens an den Arm des Mädchens zu legen, so daß Ihr die Bewegung des Blutes fühlen könnt, wenn der Puls zunimmt, so winkt dem Herzog von Ormond, Julian Peveril solle sich entfernen, – und ich will Euch im Augenblick zeigen, daß sich ihr Puls auf gesprochene Laute regen kann.«

Die Gräfin, sehr befremdet und besorgt vor einem beunruhigenden Scherz von Seiten Carl's, doch unvermögend, ihre Neugierde zu unterdrücken, stellte sich zu Fenella, wie sie ihre kleine Stumme nannte, und versuchte, indem sie ihr Zeichen gab, ihr die Hand an ihren Handknöchel zu legen.

In diesem Augenblicke kam der König zu ihnen, und sagte: »Es ist eine gräßliche That geschehen, – der Bösewicht Christian hat den jungen Peveril erstochen!«

Das stumme Zeugniß des Pulses, der so heftig schlug, als wäre eine Kanone am Ohr des armen Mädchens gelöset worden, begleitete ein so lauter Schrei des Entsetzens, daß der gutmüthige Monarch selbst darüber erschrak, und zum Mitleiden gerührt, ausrief: »Ich scherzte bloß, Julian befindet sich wohl, mein schönes Mädchen. Ich gebrauchte nur den Zauberstab einer gewissen blinden Gottheit, Cupido genannt, um einer tauben und stummen Untergebenen seiner Herrschaft den Gebrauch ihrer Fähigkeiten wieder zu verschaffen.«

»Ich bin verrathen,« sagte sie mit niederwärts geheftetem Blick, »ich bin verrathen! – Und es ist Recht, daß die in ihren eigenen Schlingen gefangen wird, die ihr Leben dem Verrathe Anderer widmete. – Aber wo ist mein Lehrer in der Ungerechtigkeit? – Wo ist Christian, der mich die Rolle einer Kundschafterin bei dieser arglosen Dame spielen lehrte, bis ich sie beinahe in seine blutigen Hände überliefert hätte?«

»Dieß bedarf,« sagte der König, »einer geheimeren Untersuchung. Laßt Alle, die nicht unmittelbar in diese Sache verwickelt sind, sich aus dem Zimmer entfernen, und Christian wieder vor uns bringen. – Elender Mensch!« fuhr er gegen Christian fort, – »was für Betrügereien sind es, die Ihr gespielt habt, und mit welchen außerordentlichen Mitteln« –

»Sie hat mich also verrathen?« sagte Christian, » – verrathen, mich, bis zum Kerker und Tode, und bloß wegen einer eitlen Leidenschaft, die nie befriedigt werden kann! – Aber wisse, Zarah,« setzte er, mit finsterm Ernst sie anredend, hinzu: »Wenn mein Leben durch dein Zeugniß verwirkt wird, so hat die Tochter den Vater gemordet.«

Das unglückliche Mädchen starrte ihn mit Erstaunen an. »Ihr sagtet,« stammelte sie endlich heraus, »ich sei die Tochter Eures hingerichteten Bruders.«

»Dieß geschah zum Theil, um dich für die Rolle zu gewinnen, die du in meinem angelegten Drama der Rache spielen solltest – zum Theil, um das zu verbergen, was die Menschen die Schande deiner Geburt nennen. Aber meine Tochter bist du! und aus dem morgenländischen Himmelsstriche, unter dem deine Mutter geboren war, hast du den wilden Strom der Leidenschaft, den ich nach meinen Absichten zu lenken suchte, der aber, in einen andern Kanal geleitet, deinen Vater zum Verderben geführt hat. – Meine Bestimmung wird vermuthlich der Tower sein?«

Er sprach diese Worte mit großer Gelassenheit, und schien kaum die Beängstigung seiner Tochter zu achten, die sich ihm zu Füßen geworfen hatte, und höchst bitterlich weinte und schluchzte.

»Dieß darf nicht sein,« sagte der König, von dieser traurigen Scene zum Mitleid erweicht. »Wenn Ihr es zufrieden seid, Christian, dieß Land zu verlassen, so liegt ein Schiff im Flusse bereit, nach Neu-England abzugeben. – Geht, bringt Eure schwarzen Ränke in andre Länder.«

»Ich könnte den Urtheilsspruch bestreiten,« sagte Christian dreist; »und wenn ich mich ihm unterwerfe, so geschieht es aus eigener freier Wahl. – Eine halbe Stunde hätte mich mit jener stolzen Frau ausgeglichen, aber das Schicksal hat der Wage wider mich den Ausschlag gegeben. – Steh' auf, Zarah, nicht mehr Fenella! Sage der Gräfin von Derby, daß, wenn Eduard Christians Tochter, die Nichte ihres ermordeten Schlachtopfers, ihr als Dienstbote diente, es nur aus Absicht auf Rache geschah, die so jämmerlich, so jämmerlich vereitelt ist. – Nun siehst du deine Thorheit – du wolltest jenem undankbaren Laffen folgen – alle andern Gedanken fahren lassen, um auch nur die geringste Aufmerksamkeit bei ihm zu gewinnen; und nun bist du ein verlorner Wegwurf, verlacht und beschimpft von denen, welchen du auf den Nacken hättest treten können, wenn du dich mit mehr Klugheit benommen hättest! – Aber komm, du bist doch meine Tochter – es gibt noch andre Himmel, als den, welcher sich über Britannien wölbt.«

»Haltet ihn zurück,« sagte der König, »wir müssen wissen, auf welche Art dieß Mädchen zu jenen Gefangenen in unserm Gefängniß Zugang fand.«

»Ich verweise Ew. Majestät an Euren protestantischen Kerkermeister und an die protestantischen Pairs, die, um von der Tiefe des papistischen Complots vollkommene Kenntniß zu erlangen, diese künstlichen Oeffnungen erfanden, damit die Gefangenen bei Nacht oder bei Tage besucht werden könnten. Seine Durchlaucht der Herzog von Buckingham kann Ew. Majestät beistehen, wenn Ihr geneigt seid, die Untersuchung anzustellen.«

»Christian,« sagte der Herzog, »Ihr seid der unverschämteste Schurke von der Welt.«

»Unter den Bürgerlichen kann ich's sein,« antwortete Christian, und führte seine Tochter hinaus.

»Gebt auf ihn Acht, Selby,« sagte der König; »verliert ihn nicht aus dem Gesicht, bis die Schiffe absegeln; er soll es nur auf eigne Gefahr wagen, nach Britannien zurückzukommen. Wollte Gott, wir würden auch so gut alle andere eben so gefährliche Menschen los! Und ich wünschte auch,« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »daß alle unsre politischen Intriguen und fieberhaften Beunruhigungen eben so harmlos als jetzt aufhörten. Hier ist ein Complot, ohne einen Tropfen Blut, und hier sind alle Bestandtheile eines Romans, ohne seinen Schluß. Hier haben wir eine herumirrende Inselfürstin (ich bitte meine Gräfin von Derby um Verzeihung), einen Zwerg, eine Zauberin aus dem Mohrenlande, einen unbußfertigen Schurken, und einen reuigen Adeligen gehabt, und doch endigt Alles ohne Strang oder Heirath.«

»Nicht ganz ohne die letztere,« sagte die Gräfin, welche während des Abends zu geheimer Unterredung mit Julian Peveril Gelegenheit gehabt hatte. »Ein gewisser Major Bridgenorth, der, weil Ihre Majestät fernere Untersuchungen über diese Umstände aufgeben, die er außerdem abzuwarten gesonnen war, wie wir hören, England für immer zu verlassen beschlossen, hat kraft des Gesetzes das Eigenthumsrecht über die alten Erbgüter Peveril's erlangt, welche er den Besitzern, nebst andern vielen schönen Ländereien, unter der Bedingung zurückzugeben wünscht, daß unser Julian sie als Heirathsgut seines einzigen Kindes annehmen will.«

»Bei meiner Treue,« sagte der König, »sie muß eine schlechte Dirne sein, wenn Julian sie unter solchen schönen Bedingungen anzunehmen genöthigt werden muß.«

»Sie lieben einander wie Liebende der neuesten Zeit,« sagte die Gräfin, »aber der tapfere alte Ritter will nichts von der Verbindung mit einer Puritanerin wissen.«

»Unsre königliche Empfehlung soll das schon in Ordnung bringen,« sagte der König; »Ritter Gottfried Peveril würde nicht so oft auf unsern Befehl Beschwerden übernommen haben, um jetzt unsre Anempfehlung auszuschlagen, wenn sie kommt, um ihn für allen seinen Verlust zu entschädigen.«

Wenige Wochen nachher läuteten die Glocken von Martindale-Moultrassie zur Verbindung der Familien, von deren Gütern dieser zusammengesetzte Name herstammt; das Feuer des Leuchtthurms des Schlosses loderte hoch über Hügel und Thal, und ermunterte zur Freude alle Nachbarn des Umkreises.


Druck der C. Hoffmann'schen Officin in Stuttgart.

 


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