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Ehe wir dem Leser von der Zusammenkunft Buckingham's mit seinem beleidigten Souverän Nachricht geben, müssen wir zuvor noch das Gespräch mittheilen, das zwischen dem Herzog und Chiffinch auf der kurzen Fahrt zwischen York-Place und Whitehall stattfand.
Bei der Ausfahrt suchte der Herzog von dem Hofmanne die besondere Ursache seiner Vorladung nach dem Hofe zu erfahren. Chiffinch antwortete vorsichtig, er glaube, es sollten einige lustige Streiche ausgeführt werden, bei welchen der König des Herzogs Gegenwart wünschte.
Dieß befriedigte Buckingham nicht ganz, da er, sich seines raschen Vorhabens bewußt, nur Entdeckung befürchten mußte. Nach einem augenblicklichen Stillschweigen sagte er flüchtig: »Chiffinch, sagtet Ihr Jemanden, was der König diesen Morgen zu mir in Betreff der Lady sprach?«
»Mein gnädiger Herzog,« sagte Chiffinch verlegen, »gewiß, meine Pflicht gegen den König – meine Hochachtung gegen Eure Durchlaucht –«
»Ihr erwähntet die Sache also gegen Niemand?« sagte der Herzog ernsthaft.
»Gegen Niemand,« antwortete Chiffinch furchtsam, denn er war durch die zunehmende Strenge in dem Wesen des Herzogs schüchtern gemacht worden.
»Ihr lügt, wie ein Schurke!« sagte der Herzog. »Ihr sagtet es Christian.«
»Euer Durchlaucht,« sagte Chiffinch, – »Euer Durchlaucht – Euer Durchlaucht sollten sich erinnern, daß ich Euch Christian's Geheimniß mittheilte, daß die Gräfin von Derby angekommen wäre.«
»Und Ihr denkt, ein Stück Verrätherei mag das andre aufwiegen? Aber nein. Ich muß eine bessere Genugthuung haben. Seid versichert, ich will Euch das Gehirn aus dem Kopfe schlagen, ehe Ihr diesen Wagen verlaßt, wofern Ihr mir nicht die wahre Ursache sagt, warum ich an den Hof berufen bin.«
Als Chiffinch verlegen war, was er antworten sollte, näherte sich ein Mann, der bei dem Schein der Fackeln, die damals sowohl von den Lakeien, die hinten auf dem Wagen standen, als von den Bedienten, die zur Seite liefen, immer getragen wurden, leicht sehen konnte, wer im Wagen saß, und sang mit einer tiefen, männlichen Stimme den Refrain eines alten französischen Liedes von der Schlacht bei Marignan, worin das Deutsch-Französische der Schweizer nachgeahmt ist:
Tout est verlore
La tintelore,
Tout est verlore
Bei Gott.
»Ich bin verrathen,« sagte der Herzog, der augenblicklich erkannte, daß dieses Lied von einem seiner getreuen Geschäftsführer gesungen wurde, um ihm einen Wink zu geben, daß ihre Unternehmungen entdeckt wären.
Er versuchte, sich aus dem Wagen zu stürzen, aber Cbiffinch hielt ihn mit fester Hand, doch ehrerbietig zurück. »Richtet Euch nicht selbst zu Grunde, Herr Herzog,« sagte er im Tone tiefer Unterwürfigkeit; »es sind Soldaten und Polizeidiener am Wagen, um die Ankunft Euer Durchlaucht in Whitehall zu erzwingen, und Eure Flucht zu verhindern. Sie zu versuchen, würde Eingeständniß der Schuld sein, und ich warne Euch sehr davor, – der König ist Euer Freund, – seid der Eurige.«
Nach kurzer Ueberlegung sagte der Herzog finster: »Ich glaube, Ihr habt Recht. Warum sollt' ich fliehen, da ich weiter keine Schuld habe, außer daß ich einige Feuerwerke zur Unterhaltung des Hofes, statt eines musikalischen Concerts, abschickte?«
»Und der Zwerg, der so unerwartet aus der Baßgeige kam –«
»War ein Maskenspiel meiner Erfindung,« sagte der Herzog, ob er gleich den Umstand jetzt zum ersten Male erfuhr. »Chiffinch, Ihr werdet mich für immer verbinden, wenn Ihr mir eine Minute lang eine Unterredung mit Christian verschafft.«
»Mit Christian, gnädiger Herr? – Wo könntet Ihr den finden? – Ihr sehet, wir müssen geradesweges nach Hofe.«
»Wahr,« sagte der Herzog, »aber ich denke, ich kann ihn nicht verfehlen, und Ihr, Herr Chiffinch, seid kein Polizeibeamter, und habt keine Vollmacht, mich als Gefangenen zurückzuhalten, oder mich zu hindern, mit Jemanden zu sprechen, mit dem mir's beliebt.«
Chiffinch erwiederte: »Mein gnädiger Herzog, Euer Genie ist so groß, und Eure Ausflüchte sind so zahlreich, daß es nicht mit meinem Wunsch und Willen geschieht, wenn ich gezwungen bin, einem so talentvollen und so beliebten Mann wehe zu thun.«
»Nein,« sagte der Herzog, »noch leb' ich,« und pfiff, da denn aus der kleinen (dem Leser schon bekannten) Messerschmiedsbude plötzlich Christian hervortrat, und im Augenblicke an der Seite der Kutsche war. » Alles ist verloren,« sagte der Herzog.
»Ich weiß es,« sagte Christian, »und alle unsere frommen Freunde sind auf die Nachricht auseinander. Zum Glück gaben der Oberst und die deutschen Schurken einen Wink. Alles ist wohlbehalten. – Ihr gehet zu Hof. – Höret, ich will folgen.«
»Ihr, Christian? das würde mehr freundschaftlich, als klug sein.«
»Warum? Was gibt es denn wider mich?« sagte Christian. »Ich bin unschuldig, wie das ungeborne Kind, – und das sind Euer Durchlaucht auch. Es ist nur ein Wesen, das unsere Schuld bezeugen kann; aber ich hoffe, es zu unserm Vortheil auf die Bühne zu bringen. – Ueberdieß, wenn ich nicht ginge, so würde sogleich nach mir geschickt werden.«
»Der Hausgeist gewiß, von dem ich Euch sprechen gehört habe?«
»Laßt's Euch in's Ohr sagen.«
»Ich verstehe,« sagte der Herzog, »und will Herrn Chiffinch nicht länger aufhalten. Denn er ist mein Führer, müßt Ihr wissen. – Wohlan, Chiffinch, laßt weiter fahren. – Vogue la Galère!« rief er aus, als der Wagen fortfuhr; »ich bin durch schlimmere Gefahren, als die jetzige, gesegelt.«
Ehe wir Buckingham in das Audienzzimmer begleiten, wo er eine so schwere Rolle zu spielen hatte, wird es nicht unschicklich sein, Christian, nach seiner kurzen Unterredung mit dem Herzog von Buckingham, zu folgen. Beim Zurückgehen in das Haus nahm Christian einen Umweg, der aus einer entfernten Allee und durch verschiedene Höfe führte, und eilte in ein niedriges, mit Matten belegtes Zimmer, wo Bridgenorth allein saß, und, bei dem Licht einer kleinen, messingenen Lampe, mit der heitersten Miene in der Bibel las.
»Habt Ihr die Peveril entlassen?« fragte Christian hastig.
»Ja,« antwortete der Major.
»Und unter welcher Bürgschaft – daß sie nicht zu Whitehall wider Euch Bericht abstatten?«
»Sie gaben mir freiwillig ihr Versprechen, als ich ihnen zeigte, daß unsre bewaffneten Freunde entlassen waren. Morgen, glaube ich, wollen sie erst Bericht abstatten.«
»Und warum nicht heute Abend, ich bitte Euch?« sagte Christian.
»Weil sie uns diese Zeit zum Entkommen einräumen wollen.«
»Warum benutzt Ihr sie denn nicht selbst? Warum seid Ihr noch hier?« fragte Christian.
»Oder vielmehr, warum nehmt Ihr denn nicht die Flucht?« sagte Bridgenorth. »Wahrhaftig, Ihr steckt so tief, als ich.«
»Bruder Bridgenorth, ich bin der Fuchs, der hundert Manieren kennt, die Hunde zu hintergehen; Ihr seid das Reh, das sich bloß durch schnelle Flucht retten kann. Daher verliert keine Zeit – geht auf's Land – oder vielmehr, das Schiff von Zedekia, die gute Hoffnung, liegt im Flusse bereit, nach Massachusetts zu gehen – nehmt die Flügel der Morgenröthe und entfernt Euch – das Schiff kann mit der Fluth nach Gravesend hinabsegeln.«
»Und Euch, Bruder Christian,« sagte Bridgenorth, »soll ich die Aufsicht über mein Vermögen und meine Tochter überlassen? Nein, Bruder, meine gute Meinung muß erst wieder hergestellt sein, eh' ich Euch wieder trauen kann.«
»So geht Eure Wege, wie ein argwöhnischer Narr,« sagte Christian, in starker Versuchung, sich noch beleidigender auszudrücken; »oder vielmehr bleibt, wo Ihr seid, und laßt es auf den Galgen ankommen.«
»Es ist allen Menschen bestimmt, einmal zu sterben,« sagte Bridgenorth; »mein Leben ist ein lebendiger Tod gewesen. Meine schönsten Zweige sind mit der Axt des Försters abgehauen – der, welcher noch übrig ist, muß, wenn er blühen soll, anderwärts, und in einer Entfernung von meinem bejahrten Stamme, gepfropft werden. Je früher also die Wurzel die Axt fühlt, desto willkommner ist der Hieb. Es würde mir freilich gefallen haben, wär' ich dazu berufen gewesen, jenen ausschweifenden Hof zu einem reineren Charakter zu bringen, und das Joch des leidenden Volks Gottes zu erleichtern. Auch jener Jüngling – Sohn eines köstlichen Weibes, der ich das letzte Band verdanke, das meinen abgematteten Geist an die Menschheit kettet – hätte er mit mir an der guten Sache arbeiten können! – Aber diese Hoffnung, nebst allen meinen andern, ist für immer zerstört, und weil ich nicht würdig bin, ein Werkzeug zu einem großen Werke zu sein, so hab' ich wenig Verlangen, länger in diesem Thale des Kummers zu bleiben.«
»So lebt wohl, verzagter Thor!« sagte Christian in verächtlichem Tone. – »Daß das Schicksal mich mit solchen Bundesgenossen behängen mußte,« murmelte er, als er das Zimmer verließ; »dieser frömmelnde Narr ist unverbesserlich – ich muß zu Zarah; denn sie, oder Niemand, muß uns durch diese Klippen hindurch führen. Wenn ich nur ihr hitziges Temperament besänftigen und ihre Eitelkeit zu handeln erregen kann, – mit ihrer Gewandtheit, der Parteilichkeit des Königs für den Herzog, Buckinghams beispielloser Frechheit, und meiner eignen Hand am Steuerruder, könnten wir noch dem Ungewitter trotzen, das um uns finster heraufzieht. Aber was zu thun ist, muß bald gethan werden.«
In einem andern Zimmer fand er die Gesuchte – dieselbe, welche den Harem des Herzogs von Buckingham besucht, und nachdem sie Alexie aus ihrer dortigen Gefangenschaft befreit, ihre Stelle eingenommen hatte, wie bereits erzählt oder angedeutet worden ist. Sie war jetzt viel einfacher gekleidet, als damals, da sie den Herzog mit ihrer Gegenwart getäuscht hatte; aber ihr Anzug hatte noch immer etwas von dem morgenländischen Charakter, was ihrer dunkeln Gesichtsfarbe und ihrem feurigen Auge wohl entsprach. Sie hatte ihr Tuch an den Augen, als Christian eintrat; nahm es aber schnell hinweg, und mit einem ihm zugeworfenen Blick der Verachtung und des Unwillens fragte sie ihn, warum er sich hier eindrängte, wo seine Gesellschaft eben so wenig gesucht, als gewünscht würde?
»Eine Frage, die für eine Sklavin an ihren Gebieter ganz und gar nicht schicklich ist,« sagte Christian.
»Sagt vielmehr, eine schickliche, und die allerschicklichste Frage einer Gebieterin an ihren Sklaven! Wisset Ihr nicht, daß Ihr von der Stunde an, in der Ihr mir Eure unaussprechliche Niederträchtigkeit entdecktet, mich zur Gebieterin über Euer Loos gemacht habet? Während Ihr nur ein Dämon der Rache zu sein schienet, flößtet Ihr Schrecken ein, und zu guter Absicht; aber ein solcher schmutziger, kriechender Unhold des Verderbens, wie Ihr seid, kann nichts als Verachtung von einer Seele, wie die meinige ist, erwerben.«
»Artig gesprochen,« sagte Christian, »und mit gutem Nachdruck.«
»Ja,« antwortete Zarah, »ich kann reden – bisweilen – ich kann auch stumm sein; und das weiß Niemand besser, als Ihr.«
»Ihr seid ein verzogenes Kind, Zarah, und mißbraucht nur die Nachsicht, die ich gegen Eure grillenhafte Laune hege,« erwiederte Christian; »Euer Verstand ist zerrüttet worden, sobald Ihr in England gelandet seid, und das Alles bloß um Jemands willen, der sich um Euch gar nicht mehr bekümmert, und Euch verließ, um sich für eine, die er mehr liebt, in einen Streit einzulassen.«
»Darauf kommt nichts an,« sagte Zarah, offenbar ein sehr bitteres Gefühl zurückhaltend: »es macht nichts aus, daß er eine Andere mehr liebt; es gibt Keine, – nein, es gibt Keine, die ihn je so wahrhaft liebte, oder lieben kann, als ich.«
»Ich bedaure Euch, Zarah!« sagte Christian mit einigem Spott.
»Ich verdiente Euer Mitleiden,« antwortete sie, »wäre es meiner Annahme werth. Wem anders hab' ich mein Elend zu danken, als Euch? – Ihr zogt mich im Durst nach Rache auf, ehe ich wußte, daß Gutes und Böses etwas mehr als bloße Namen wären: – um Euren Beifall zu gewinnen, und die Eitelkeit, die Ihr erregt hattet, zu befriedigen, hab' ich Jahre lang mir eine Buße auferlegt, vor welcher Tausende sich entsetzt haben würden.«
»Tausende, Zarah!« antwortete Christian; »ja Hunderttausende, und eine Million noch dazu: das Geschöpf ist nicht auf Erden zu finden, das, nur ein sterbliches Weib, den dreißigsten Theil Eurer Selbstverläugnung auf sich genommen haben würde.«
»Ich glaube es,« sagte Zarah, ihre schmächtige, doch zierliche Gestalt emporrichtend; »ich glaube es – ich bin durch eine Prüfung gegangen, die Wenige ausgehalten hätten. Einer nur ist es,« setzte sie aufwärts blickend hinzu, »der mich nie verhöhnte, Einer, dessen Edelmuth das arme stumme Mädchen selbst wie seine Schwester behandeln konnte; der nie ein Wort von ihr sprach, außer zu ihrer Entschuldigung oder Vertheidigung – und Ihr sagt mir, ich dürfe ihn nicht lieben, und es sei Tollheit, ihn zu lieben! – So will ich denn toll sein; denn ich will ihn lieben bis zum letzten Athemzuge meines Lebens.«
»Besinnt Euch nur einen Augenblick, daß ich Euch statt des Verlusts dieser hoffnungslosen Zuneigung, eine so glänzende Laufbahn vorgeschlagen habe, daß es nur auf Euch ankömmt, die Frau, die wirkliche Gemahlin des fürstlichen Buckingham zu werden! Bei meinen Talenten – bei Eurem Witz und Eurer Schönheit – bei seiner leidenschaftlichen Liebe zu diesen Eigenschaften – könnte ein kurzer Zeitraum Euch zu dem Range von Englands Prinzessinnen erheben. Laßt Euch von mir leiten – er ist jetzt in einer gefährlichen Lage – bedarf alles Beistandes, seine Umstände wieder zu verbessern, vor Allem desjenigen, den allein wir ihm leisten können. Unterwerft Euch meiner Leitung, und das Schicksal selbst soll Euch nicht hindern, eine herzogliche Krone zu tragen.«
»Eine Krone von Distelwolle, mit Distelblättern durchflochten,« sagte Zarah. »Ich kenne kein schlechteres Wesen, als Euren Buckingham! Ich sah ihn auf Euer Verlangen – sah ihn, da er, als ein Mann, sich hätte großmüthig und edel zeigen sollen. Was fand ich in ihm? – einen armseligen Wollüstling – seine größte Annäherung an Leidenschaft glich dem Feuer eines elenden Stoppelfeldes, das wohl sengen oder rauchen, aber weder wärmen noch verzehren kann. Christian! läge seine Krone diesen Augenblick zu meinen Füßen, ich wollte eher eine Krone von vergoldetem Pfefferkuchen aufheben, als meine Hand nach ihr ausstrecken.«
»Ihr seid toll, Zarah – bei allem Eurem Geschmack und Talent seid Ihr ganz toll! Aber laßt Buckingham bei Seite. – Seid Ihr mir nichts schuldig in dieser Bedrängniß? – mir, der Euch aus den Händen Eures grausamen Herrn, des Luftspringers, befreite, um Euch in Bequemlichkeit und Wohlstand zu versetzen?«
»Christian, ich verdanke Euch viel,« antwortete sie. »Hätt' ich dieß nicht gefühlt, so würd' ich, wie ich oft zu thun versucht war, Euch bei der stolzen Gräfin angegeben haben, welche Euch auf den Mauern des Schlosses Rushin würde haben aufhängen lassen.«
»Ich bin herzlich froh, daß Ihr so viel Nachsicht gegen mich gehabt habet,« gab Christian zur Antwort.
»Die hab' ich in Wahrheit und Aufrichtigkeit gehabt,« erwiederte Zarah – »nicht für Eure Wohlthaten gegen mich – so wie sie waren, war jede selbstsüchtig und aus den eigennützigsten Absichten entstanden. Ich habe sie tausendfältig durch die Ergebung in Euren Willen vergolten, die ich mit der größten persönlichen Gefahr gezeigt habe. Aber bis auf neulich achtete ich Eure Geisteskräfte – Eure beispiellose Beherrschung der Leidenschaft – die Kraft des Verstandes, die ich Euch stets über alle Andere, vom frömmelnden Bridgenorth an, bis auf den ausschweifenden Buckingham, habe behaupten gesehen – hierin allerdings hab' ich meinen Meister anerkannt.«
»Und diese Fähigkeiten,« sagte Christian, »sind unbeschränkt, wie immer; und mit Eurem Beistand sollt Ihr die stärksten Netze, welche die Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft je zur Beschränkung der natürlichen Würde des Menschen geflochten haben, wie ein Spinnengewebe zerreißen sehen.«
Sie antwortete nach einer Pause: »Während ein edler Beweggrund Euch anfeuerte – ja, ein edler, doch ungesetzmäßiger – denn ich war geboren, die Sonne zu sehen, vor welcher die bleichen Töchter Europa's grauet – konnt' ich Euch dienen – ich hätte, während Rache oder Ehrgeiz Euch geleitet hätte, Euch folgen können – aber Liebe zum Reichthum, und durch was für Mittel erworben! – welche Sympathie kann ich dafür haben? – Habt Ihr nicht den Kuppler für die Lüsternheit des Königs machen wollen, obgleich der Gegenstand Eure eigene verwaiste Nichte war? – Ihr lächelt? lächelt wieder, wann ich Euch frage, ob Ihr nicht meine eigne Entehrung beabsichtigtet, als Ihr mir auftrugt, in dem Hause jenes elenden Buckingham zu bleiben. – Lächelt auf diese Frage, und beim Himmel, ich durchbohre Euch das Herz!« Und sie steckte die Hand in den Busen und zeigte ihm zum Theil das Gefäß eines kleinen Dolchs.
»Und wenn ich lächle,« sagte Christian, »so geschieht es nur aus Verachtung einer so gehässigen Beschuldigung. Euch will ich nicht den Grund angeben, aber es gibt auf Erden kein lebendiges Wesen, über dessen Sicherheit und Ehre ich so wachen wollte, als über die Eurige. Euch als Buckinghams Weib zu sehen wünscht' ich freilich; und durch Eure Schönheit und Euren Witz zweifelte ich nicht, die Partie zu Stande zu bringen.«
»Eitler Schmeichler,« sagte Zarah, die jedoch durch eben die Schmeichelei, die sie verspottete, insgeheim besänftigt! zu werden schien, »Ihr wollt mich bereden, es wäre aufrichtige Liebe, die, wie Ihr erwartetet, der Herzog mir antragen sollte. Wie wagt Ihr auf einem so groben Betruge zu bestehen, wo Zeit, Ort und Umstände die Lüge ausweisen? – Wie wagt Ihr es, der Sache wieder zu erwähnen, da Ihr wohl wißt, daß zu der erwähnten Zeit die Herzogin noch am Leben war?«
»Am Leben, aber auf ihrem Sterbebette,« sagte Christian. – »Wie nun, wollt Ihr Euch von mir leiten lassen und mir folgen?«
Zarah oder Fenella (denn unsere Leser müssen lange schon die Identität dieser zwei Personen geahnt haben) schlug die Augen nieder, und schwieg eine lange Zeit. »Christian,« sagte sie endlich in einem feierlichen Tone, »wenn meine Begriffe von Recht und Unrecht roh und unzusammenhängend sind, so liegt die Schuld für's Erste an dem wilden Feuer, das meine heimathliche Sonne meinen Adern mittheilte; nächstdem an meiner Kindheit, die ich unter dem Treiben, den Streichen und Künsten der Gaukler und Marktschreier zubrachte; und an einer Jugend voll List und Täuschung, nach der Art, die Ihr mir vorschriebt, wobei ich zwar Alles hören, aber mich Niemandem mittheilen sollte. Die letzte Ursache meiner Verirrungen, Christian, wenn es solche waren, liegt in Euch allein; durch Eure Intriguen kam ich in das Haus jener Dame, und Ihr lehrtet mich, es sei meine erste große Pflicht auf Erden, meines Vaters Tod zu rächen; und ich sei verbunden, diejenige zu hassen und zu beleidigen, von der ich gespeist oder gepflegt wurde. Ich glaube auch – denn ich will offen mit Euch sprechen – Ihr würdet nicht so leicht in dem Kinde, dessen erstaunliche Gewandtheit das Glück jenes Marktschreiers machte, Eure Nichte entdeckt, noch so leicht ihn bewogen haben, sich von seiner Sklavin zu trennen, hättet Ihr nicht, um Eurer eigenen Absichten willen, mich unter seine Aufsicht gegeben, und Euch das Recht vorbehalten, mich zurück zu fordern, wann es Euch gefiele.«
»Ihr thut mir Unrecht, Zarah,« sagte Christian – »ich fand Euch in einem außerordentlichen Grade fähig, das zur Rache des Todes Eures Vaters nöthige Unternehmen auszuführen – ich weihte Euch demselben, so wie ich mein eignes Leben und meine Hoffnungen demselben weihete; und Ihr hieltet die Pflicht für heilig, bis diese thörichte Neigung zu einem Jüngling, der Eure Base liebt –«
»Der – meine – Base – liebt,« wiederholte Zarah langsam, und als wenn die Worte unbewußt ihren Lippen entschlüpften. »Gut – es mag so sein! Ich will Euch noch weiter folgen, aber nehmt Euch in Acht – plagt mich nicht mit Zurechtweisungen gegen den Schatz meiner geheimen Gedanken – ich meine die fast hoffnungslose Zuneigung zu Julian Peveril – und braucht mich nicht als Gehülfin zu irgend einer Schlinge, die Ihr ihm legen wollt. Ihr und Euer Herzog werden die Stunde sehr bitter bereuen, in der Ihr mich aufreizt.«
»Ich kümmere mich nicht um diese Peverils,« sagte Christian – »ich kümmere mich nicht einen Strohhalm um ihr Schicksal, außer in wiefern es das Schicksal der bestimmten Frau berührt, deren Hände roth sind von Eures Vaters Blut. Glaubt mir, ich kann das Schicksal dieser Frau und das der Peverile trennen. Ich will Euch später sagen, wie. Der Herzog mag unter den Leuten der Stadt für witzig, und unter den Soldaten für tapfer, und unter den Hofleuten für fein und gewandt gelten, warum aber solltet Ihr, bei seinem hohen Range und unermeßlichen Vermögen, eine Gelegenheit wegwerfen, die, da ich sie jetzt benutzen könnte –«
»Sprecht davon nicht,« sagte Zarah, »wenn Ihr unsern Waffenstillstand – bedenkt, es ist kein Frieden – wenn Ihr, sag' ich, unsern Waffenstillstand nur eine Stunde lang dauern lassen wollt.«
»Dieß also,« sagte Christian mit dem letzten Versuche auf die Eitelkeit des Mädchens – »dieß ist sie, welche sich einer solchen Ueberlegenheit über menschliche Leidenschaft rühmt, daß sie gleichgültig und ungerührt durch die Säle der Glücklichen, und durch die Gefängnißzellen des Gefangenen, ohne Bekanntschaft und unbekannt – weder an den Freuden des einen, noch an den Leiden des andern theilnehmend – wandeln könnte, mit sichern, doch stillen Schritten den einen zum Trotz, und von den andern unbemerkt, ihre eigenen Pläne verfolgend!«
»Meine eigenen Pläne!« sagte Zara. – » Eure Pläne, Christian – Eure Pläne, den überfallenen Gefangenen Mittel abzuzwingen, um sie zu überführen – Eure eigenen Pläne, die Ihr mit Mächtigern, als Ihr selbst seid, schmiedet, die Geheimnisse der Menschen auszuforschen, um dieselben als Stoff zur Anklage zu gebrauchen, damit die große Täuschung der Nation aufrecht erhalten werde.«
»Ein solcher Beitritt wurde Euch freilich, als meiner Geschäftsführerin zu Theil, um eine große Nationalveränderung zu befördern,« sagte Christian. »Aber welchen Gebrauch machtet Ihr davon? keinen andern, als Eure unsinnige Leidenschaft zu nähren.«
»Unsinnig!« sagte Zarah – »wäre der, an den ich mich wandte, weniger als unsinnig gewesen, er und ich wären damals weit entfernt von den Beunruhigungen geblieben, die Ihr uns Beiden zuzoget. Ich hätte für Alles gesorgt; und wir hätten schon die Küsten Britanniens für immer aus dem Gesicht verloren.«
»Und der elende Zwerg vollends,« sagte Christian – »war es Eurer würdig, das arme Geschöpf mit schmeichelnden Erscheinungen zu täuschen? – ihn mit Betäubungsmitteln einzuschläfern? War das auch meine That?«
»Er war mein ausersehenes Werkzeug,« sagte Zara stolz. »Ich erinnerte mich Eurer Ermahnungen nur zu wohl, ihn nicht als solches zu gebrauchen. Doch verachtet ihn nicht zu sehr. Ich sage Euch, daß ich jenen Zwerg, mit dem ich im Gefängniß meinen Scherz trieb, – jene armselige Mißgeburt der Natur, eher zum Manne erwählen wollte, als Euren Buckingham heirathen; der eitle schwarze Zwerg hat doch das warme Herz und edle Gefühl, worein ein Mann seine höchste Ehre setzen sollte.«
»Nun so gehet in Gottes Namen Euren eigenen Weg,« sagte Christian; »und um meinetwillen mag Niemand wieder einem Frauenzimmer den Gebrauch ihrer Zunge verbieten, weil er ihr es reichlich damit vergüten muß, daß er ihr das Vorrecht, nach ihrem eigenen Willen zu handeln, einräumt. Wer hätte es gedacht? Aber das Füllen hat den Zaum fahren lassen, und ich muß nothwendig folgen, da ich es nun nicht leiten kann.«
Unsere Erzählung kehrt nun an den Hof des Königs Carl zu Whitehall zurück.