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Drittes Kapitel.

»John Driver, der Fuhrmann, war da und hat nach seinem Zaume gefragt,« rief Frau Saddletree ihrem Manne entgegen, als er den Fuß über die Schwelle setzte, nicht um ihn in einer Sache, die mehr ihn als sie anging, merken zu lassen, daß sie sich auch darum kümmere, sondern bloß, um damit groß zu tun, was alles in seiner Abwesenheit hätte besorgt werden müssen.

»Schön,« antwortete Bartel, ohne weiter etwas zu sagen.

»Der Laird von Girdingburst hat auch hergeschickt und fragen lassen, wann er die gestickte Satteldecke für seinen Rotfuchs haben könnte . . er ist dann auch selbst dagewesen – ein sehr netter und artiger junger Herr – und hat gesagt, daß er sie zum nächsten Pferderennen in Kelso haben müsse.«

»Schön, schön,« sagte Bartel wieder, ebenso lakonisch wie vorher.

»Seine Erlaucht Graf von Blazonbury, der ja immer gleich aus der Jacke fährt, hat geschimpft und gewettert, daß die Geschirre für seine sechs flandrischen Stuten noch immer nicht abgeliefert seien; er will sie mit den Federbüschen und Kronen, Satteldecken und Steigbügeln noch heute haben.«

»Schön, schön, schön, Frau,« antwortete Saddletree, noch immer die Ruhe wahrend; »wenn er's zu toll macht, so lassen wir ihn ins Tollhaus bringen . . alles ganz schön, Frau, alles ganz schön!«

»Nur schön, daß Du so denkst, Saddletree,« sagte seine Frau darauf, durch seine Gleichgiltigkeit langsam in Hitze geratend, »mancher sähe es doch für eine Schande an, wenn so viel Kunden in den Laden kämen und immer von einem Frauenzimmer abgefertigt werden müßten . . Du verstehst nun einmal nicht, Deine Leute in Zucht und Ordnung zu halten; denn kaum warst Du zum Hause hinaus, so liefen auch alle Gesellen und Jungen zum Galgen hin, den Porteous baumeln zu sehen, und da Du eben nicht zu Hause bleiben konntest . .«

»Schwatze keinen Unsinn, Weib,« versetzte er mit einer an den Jupiter erinnernden Miene, »Du weißt ja, daß ich anderswo zu tun hatte . . non omnia, – wie Ratsanwalt Croßmyloof sagte, wenn zwei Klienten seinen Rat zu gleicher Zeit haben wollten – non omnia possimus – pessimus – possimis – – Unser Rechtslatein würde freilich die Ohren des Herrn Butler wieder unangenehm berühren . . was es heißt, wissen wir aber . . es kann kein Mensch, und wäre er der Herr Oberrichter in Person – zweierlei auf einmal tun.«

»Gescheiter wär's schon, Saddletree,« antwortete seine bessere Hälfte, »Du versuchtest, wenn Du doch einmal von Rechtssachen soviel verstehen willst, für die arme Effie Deans was zu tun, die im Stockhause friert und hungert und alles Trostes ermangelt. Sie hat nämlich bei uns gedient, Herr Butler, und ich hab nie anders von ihr gedacht, als daß sie ein gar unschuldiges Mädelchen sei . . und was hat sie mir nicht alles genützt, in der Wirtschaft sowohl als im Laden . . sie hat die Kunden immer so höflich bedient und dabei immer die schönste Ordnung im Laden gehalten . . Weiß der Herr! es gab in ganz Schottland kein Mädchen, das ihr hätte gleich kommen können . . . sie konnte mit jedem gut fertig werden, und wenn er sich noch so unwirsch gebärdete; besser als ich, Herr Butler, denn ich bin mit den Jahren hartmäulig geworden und kann nicht mehr so gut mit den Leuten umgehen wie früher, man kriegt's eben auch satt, ewig sich mit soviel Volks auf einmal herumscheren zu müssen . . Sie können's mir glauben, die Effie fehlt mir an allen Ecken und Enden.«

»Mir ist so,« sagte nach einigem Zögern Herr Butler, »als hätt ich das Mädchen schon einmal in Eurem Laden gesehen . . blond, nicht wahr? und von bescheidenem Wesen?«

»Ja, ja, blond war sie, die Arme, und bescheiden auch,« antwortete Frau Saddletree; »ob ihr guter Geist von ihr gewichen, oder ob sie die sündige Tat in einem Moment geistiger Umnachtung vollbracht hat, mag unser lieber Herrgott im Himmel wissen . . wenn sie aber schuldig ist, dann muß die Versuchung wohl gar schwer gewesen sein . . und ich möchte den heiligsten Eid darauf leisten, daß sie in diesem Augenblick nicht bei vollem Bewußtsein gewesen ist.«

»Ist's nicht die Tochter vom David Deans, dem Pächter vom Leonarder Park, und hat sie nicht eine Schwester?« fragte jetzt Butler, nachdem er eine Weile im Laden herumgerannt war, so geschwind und erregt, wie es ein so ernster und gesetzter Herr nur irgend sein kann.

»Ganz recht, Herr Butler . . um zehn Jahre älter ist sie, die arme Jeanie! ist erst vor kurzem noch bei mir im Laden gewesen, um wegen ihrer armen Schwester mit mir zu reden . . und konnte ich ihr denn was anders sagen, als daß sie wiederkommen möchte, wenn mein Mann da sei? Es geschah ja nicht in der Meinung, mein Mann könne ihr was nützen oder schaden, denn das wird wohl niemand können – sondern bloß, um sie ein bißchen noch hinzuhalten, denn Kummer läßt ja doch nie lange auf sich warten.«

»Da bist Du aber im Irrtum, Frau,« antwortete Saddletree, »denn ich hätte ihr schon Auskunft geben können, die ihr genützt hätte . . ich hätte ihr den Paragraphen 1669 zu lesen gegeben, wonach sich ihre Schwester dadurch, daß sie die Schwangerschaft verheimlicht und es unterlassen hat, das Kind polizeilich anzumelden, des versuchten Kindesmordes . .«

»Ich hoffe zu dem barmherzigen Gott,« sagte Butler, »daß sich das Mädchen von dieser Schuld losmachen werde!«

»Ich auch, Herr Butler, ich auch,« sagte Frau Saddletree, »hätte ich doch für sie gut gesagt, wie für mein eigen Fleisch und Blut, aber Du lieber Gott, Herr Butler, ich bin im vergangenen Sommer ein ganzes Vierteljahr bettlägerig gewesen und kaum ein einziges Mal aus meiner Stube gekommen. Mein Mann aber könnte dreist in einer Entbindungsanstalt sein und wüßte doch nicht, weshalb die vielen armen Weiber dorthin gebracht werden . . Daher ist's gekommen, daß ich die arme Effie wenig oder gar nicht zu Gesicht bekommen habe . . andernfalls hätte ich schon die Wahrheit aus ihr herausgeholt! Wir denken aber immer, daß ihre Schwester sie wird entlasten können.«

»Im Parlament,« sagte Saddletree, »ist so lange von nichts anderm als ihrem Schicksal gesprochen worden, bis der Fall Porteous aufs Tapet kam, und ein brillanter Fall ist's ja auch, so interessant versuchter Kindesmord an sich schon ist . . seit dem Falle mit der Hebamme Luckie Smith, die anno 1697 vom Leben zum Tode gebracht wurde, noch nicht wieder dagewesen!«

»Aber, Herr Butler,« fragte die wackere Frau, »was ist denn Ihnen? Sie sehen ja käseweiß auf einmal aus . . darf ich Ihnen eine Herzstärkung anbieten?«

»Danke, danke!« antwortete Butler, dem es aber sichtlich schwer wurde, zu sprechen, »ich bin gestern zu Fuß von Dumfries herübergekommen, und heute haben wir's übermäßig warm.«

»Setzen Sie sich doch ein bißchen,« sagte Frau Saddletree, ihm mit der Hand herzlich auf die Schulter klopfend, »wie können Sie sich nur immer soviel zumuten! Sie holen sich noch einmal den Tod, passen Sie auf! . . Aber werden Sie denn die Anstellung bekommen? Darf man etwa schon gratulieren?«

»Ja und nein!« versetzte der junge Mann, nicht ohne Verlegenheit; aber Frau Saddletree ließ nicht locker, halb aus Neugierde, halb aus Anteilnahme . . »Was? Sie wissen noch nicht, ob Sie die Schule in Dumfries bekommen werden?« fragte sie weiter; »und haben sich doch den ganzen Sommer schon drum geplackt?«

»Nein, Frau Saddletree,« sagte er, doch mit weit mehr Ruhe und Fassung als vordem . . . »ich bekomme die Stelle nicht! Der Laird von Blackbane hat einen natürlichen Sohn, und den hat er Geistlicher werden lassen. Nun weigert sich aber die Klerisei, ihn zu ordinieren . . und deshalb . .«

»Genug, genug!« sagte die Frau; »wenn so ein Laird einen verarmten Vetter hat oder gar einen unehelichen Jungen, dann wird allemal Rat geschafft für eine anständige Versorgung . . Und nun sind Sie wieder in Libberton und warten auf den Tod des Herrn Whackbairn? aber der kann so alt werden wie Sie!«

»Das kann wohl sein,« versetzte Butler, seufzend; »und wie käme ich dazu, es anders zu wünschen?«

»Freilich, freilich,« sagte Frau Saddletree, »es ist eine garstige Sache, solche abhängige Lage! und Sie verdienten es doch wahrlich besser! Ich kann es gar nicht fassen, wie Sie das alles so ertragen können!«

» Quos diligat, castigat ,« erwiderte Butler, »in widrigen Zufällen erblickte schon der Heide Seneca ein Heil. Die Heiden hatten ihre Philosophie, die Juden ihre Offenbarung, meine liebe Frau Saddletree, um sich in den Tagen der Trauer aufzurichten; uns Christen aber ist ein besserer Trost zu teil geworden als allen andern – und trotzdem . .«

Er schwieg und seufzte.

»Ich weiß schon, was Sie sagen wollen,« versetzte Frau Saddletree, ihren Mann anblickend, »und trotzdem wir Bibel und Gebetbuch haben, fehlt es uns doch zuweilen an Geduld . . Aber Sie dürfen mir jetzt nicht fort. Sie sehen ja gar zu angegriffen aus . . nein, nein! bleiben Sie nur hübsch bei uns und essen Sie einen Teller Suppe mit!«

Herr Saddletree legte sein Lieblingsbuch, Balfours Werk »Ueber Rechtsfragen«, beiseite, um der Einladung seiner Frau Nachdruck zu geben; aber der Lehrer lehnte die Einladung ab und ging auf der Stelle.

»Es muß doch seine besondere Bewandtnis mit dem Herrn Butler haben,« meinte Frau Saddletree, indem sie ihm die Straße hinauf nachblickte, »er ist doch gar so betrübt über das Unglück, das Effie Deans betroffen hat, und ich wüßte wirklich nicht, daß sie Bekanntschaft gehabt hätten . . Nachbarskinder waren sie ja, als David Deans noch Pächter vom Laird von Dumbiedike war, und daß Herr Butler mit dem Vater oder sonst einem von der Verwandtschaft näher bekannt gewesen, mag ja sein . . Aber so steh doch nur auf, Saddletree, Du sitzest ja auf der Halfter, die geflickt werden soll . . Da kommt endlich der Willie, unser Lehrbursch, heim . . Schlingel, was mußt Du den ganzen Tag hinter Leuten her sein, die gehenkt werden sollen? Wie möchte Dir's zu Mute sein, wenn Du 'mal an die Reihe kämest? und wenn Du Dich nicht gewaltig besserst, kann's Dir eher passieren als nicht . . He! was stehst Du noch da und flennst, als ob Dir's gleich ans Leben ginge? Marsch, hinein; und betrage Dich nächstes Mal besser! die Peggy soll Dir einen Teller Suppe geben, wirst wohl tüchtigen Hunger mit heimgebracht haben? Na, das kann man sich denken!« Sich zu ihrem Manne wendend, setzte sie noch hinzu: »Aber rede nicht erst, Saddletree, der Junge hat ja weder Vater mehr noch Mutter . . es ist bloß Christenpflicht, daß man sich seiner recht annimmt!«

»Freilich, freilich,« sagte Saddletree, »wir befinden uns ihm gegenüber, so lange er nicht minderjährig ist, in loco parentis . Habe ja schon im Sinne gehabt, mich vom Waisenamt, da kein Vormund ernannt worden, loco tutoris stellen zu lassen, fürchte bloß, die Kosten des Verfahrens möchten sich nicht rem versam verhalten, denn ob der Junge was hat, was die Verwaltung lohnen möchte, ist mir nicht bekannt.«

Er schloß den Satz mit einem wichtigtuerischen Gehüstel, wie jemand, der eine Rechtsfrage mit apodiktischer Sicherheit gelöst zu haben meint.

»Was soll denn der arme Junge im Vermögen haben?« erwiderte Frau Saddletree; »Lumpen hat er gehabt, als ihm die Mutter starb, und die blaue Kutte, die ihm Effie aus einem alten Mantel von mir zurechtgeschneidert hat, war das erste ordentliche Stück, das er auf dem Leibe gehabt hat! . . Die arme Effie! Mit all Deiner Rechtsweisheit kannst Du mir also nicht reinen Wein darüber schenken, ob Gefahr für ihr Leben vorhanden, sofern ihr der Beweis geliefert wird, daß ein Kind dagewesen ist?«

»Nun,« versetzte Saddletree, herzensfroh, daß seine Frau sich endlich einmal mit einer Rechtsfrage an ihn wandte, »es gibt zweierlei Fälle von murdrum oder murdragium oder, wie ihr es vulgariter oder populariter nennt, Mord . . Das heißt, ich meine, es gibt davon verschiedene Arten, beispielsweise einen murthrum Frauensmißbrauch.«

»Das ist wohl diejenige Weise, die von den Adligen uns Handelsleuten gegenüber verbrochen wird,« meinte die Frau, »das heißt, wenn sie uns indirekt zwingen, unsere Läden zu schließen . . aber das ist doch nicht Effies Fall, und ich frage Dich doch danach.«

»Bei Effie oder Euphemia Deans,« nahm Saddletree wieder das Wort, »liegt mutmaßlicher Mord vor, das heißt ein solcher, den das Gericht auf gewisse Indizien oder Verdachtsgründe stützt.«

»So müßte Effie, wenn sie ihren Zustand nicht jemand mitgeteilt hätte, an den Galgen, auch wenn das Kind tot auf die Welt gekommen wäre oder nur im Augenblick der Geburt gelebt hätte?« fragte die Frau voller Angst.

»Entschieden,« erklärte Saddletree, »denn dies Gesetz ist von Ihren königlichen Majestäten erlassen worden, in der Absicht, das abscheuliche Verbrechen der heimlichen Geburt aus der Welt zu schaffen . . Mit diesem Mordkapitel befaßt sich das Gericht mit Vorliebe, weil es sich seine Existenz besonders auf den Leib zugeschnitten hat.«

»Wenn das der Fall ist,« erwiderte Frau Saddletree, »dann verdienten ja die Gerichte selbst gehängt zu werden, und wenn mal ein Advokat dafür an die Reihe käme, würde auch niemand eine Träne vergießen.«

Peggy rief zum Essen, und so hatte die Unterhaltung ein Ende, was vielleicht recht gut war, denn sie hätte sonst wohl einen Abschluß gefunden, der für Recht und Gesetz weniger schmeichelhaft gewesen wäre, als sich Herr Saddletree, beider erklärter Bewunderer, beim Beginne hätte träumen lassen.


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