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Läßt sich ein holdes Weib bethören,
Und sieht zu spät, der Mann ist falsch.
Julian von Avenel sah mit Erstaunen das Benehmen des ehrwürdigen Fremden. »Hol' mich der Kuckuck,« sprach er, »diese neumodischen Glaubensmänner halten Fasttage; die alten pflegten diese Segnungen den Laien zu überlassen.«
»Wir wissen von keiner derartigen Regel,« versetzte der Prediger. »Wir halten dafür, daß unser Glaube nicht im Genuß oder Enthaltung von gewissen Speisen an gewissen Tagen besteht; und beim Fasten zerreißen wir unsere Herzen und nicht unsere Kleider.«
»Desto besser – desto besser für Euch selber und desto schlimmer für Gevatter Schneider,« sprach der Freiherr. »Aber komm, setz' dich, und wenn du schlechterdings ein Stück von deinem Amt zum Besten geben mußt, so brumme deinen Zauberspruch.«
»Freiherr,« sprach der Prediger, »ich bin in einem fremden Land, wo weder mein Amt noch meine Lehre bekannt ist, und wo, wie es scheint, beide gewaltig mißverstanden werden. Es ist meine Schuldigkeit, mich so zu verhalten, daß in meiner, obwohl unwürdigen Person, meines Meisters Würde geachtet werde und daß die Sünde nicht auf Erschlaffung der Bande der Zucht baue.«
»Holla, halt inne,« fiel der Freiherr ein. »Du bist hieher geschickt, um Schutz zu finden, aber nicht, denk' ich, um mir zu predigen oder mich zu meistern. Was willst du, Herr Prediger? Bedenke, daß du zu Einem sprichst, dessen Geduldsfaden etwas kurz ist, der eine kurze Gesundheit und einen langen Zug liebt.«
»Nun, mit einem Wort,« sprach Heinrich Warden, »ist diese Frau« – –
»Was?« fuhr der Freiherr auf. »Was hast du von dieser Dame zu sagen?«
»Ist sie deine Hausfrau?« fragte der Prediger, nachdem er sich einen Augenblick auf die beste Ausdrucksweise seines Gedankens besonnen hatte. »Ist sie mit einem Wort deine Gemahlin?«
Das unglückliche Weib drückte ihre beiden Hände auf's Gesicht, wie um es zu verbergen; allein das tiefe Erröthen ihrer Stirn und ihres Halses verrieth die gleiche Gluth auf ihren Wangen, und die hervorbrechenden Thränen, welche ihren Weg zwischen den zarten Fingern fanden, bezeugten ihren Schmerz sowohl wie ihre Scham.
»Nun, bei meines Vaters Asche!« rief der Freiherr sich erhebend und seinen Schemel mit solcher Heftigkeit wegstoßend, daß er wider die gegenüberstehende Wand fuhr. Augenblicklich aber bezwang er sich, und murmelte: »Was soll ich mir Ungelegenheiten machen wegen des Wortes eines Narren?« nahm seinen Sitz wieder ein und antwortete kalt und höhnisch: »Nein, Herr Priester oder Herr Prediger, Katharine ist nicht meine Gemahlin, – hör' auf mit deinem Gewimmer, du albernes Mensch! – Sie ist nicht meine Gemahlin, aber sie ist gehandfestet mit mir, und dieß macht sie zu einem eben so anständigen Weibe.«
»Gehandfestet?« wiederholte Warden.
»Kennst du diesen Brauch nicht, heiliger Mann?« sprach Julian in demselben spöttischen Ton. »Nun so will ich dir ihn erklären. Wir Gränzer sind behutsamer, als Eure Lümmel im Binnenland, in Fife und in Lothian. Wir plumpen nicht in das Dunkel hinein – wir legen uns keine Handschellen an, bis wir wissen, wie sie sich tragen: wir nehmen unsere Weiber wie unsere Pferde auf Probe. Wenn wir gehandfestet sind, wie wir es nennen, dann sind wir Mann und Weib für ein Jahr und einen Tag. Ist diese Zeit verlaufen, dann steht es jedem Theil frei, sich einen anderen Gefährten zu wählen, oder aber, wenn es ihnen gefällt, rufen sie den Priester, daß er sie auf Lebenszeit traut. Das nennen wir handfesten Dieser Brauch hatte zum Theil seinen Grund in dem Mangel an Priestern. So lange die Klöster noch bestanden, wurden Mönche abgeordnet, regelmäßig die wilderen Gegenden zu bereisen und Diejenigen zu trauen, welche in dieser Art von Gemeinschaft lebten. Eine gleiche Gewohnheit herrschte auf der Insel Portland..«
»Nun,« versetzte der Priester, »ich sage dir, hochgeborner Herr, in brüderlicher Liebe für deine Seele, es ist eine ausschweifende, rohe und verderbte Gewohnheit, gefährlich, wenn man darin verharrt, ja verdammungswürdig. Sie knüpft dich an das schwächere Wesen, so lange sie Gegenstand des Begehrens ist; – sie löset dich, wenn sie Gegenstand des Erbarmens ist – sie gewährt der thierischen Lust Alles und der edleren und sanfteren Neigung Nichts. Ich sage dir: wer daran denken kann, eine solche Verbindung aufzulösen und das bethörte Weib und den hülflosen Sprößling dem Zufall preis zu geben, der ist ärger, als die Raubvögel, denn bei diesen bleiben die Männchen bei den Weibchen bis die Jungen fliegen können. Vor Allem, sage ich, ist es der reinen christlichen Lehre zuwider, welche das Weib dem Manne bezeichnet als Gehülfin bei seiner Arbeit, als Versüßerin seiner Noth, als helfende Genossin in Gefahr, als Freundin in Trübsal, nicht als Spielwerk seiner Mußestunden oder als eine Blume, die er, nachdem er sie gepflückt, nach Belieben wegwerfen kann.«
»Nun, bei allen Heiligen, eine gar tugendsame Kanzelrede!« spottete der Freiherr, »zierlich ausgedacht und gar artig vorgetragen vor einer wohlgewählten Versammlung. Hört, Herr Evangelischer! meint Ihr, Ihr hättet einen Narren vor Euch? Weiß ich nicht, daß Eure Secte emporgekommen ist durch den aufgedunsenen Heinrich Tudor, lediglich weil Ihr ihm geholfen habt, seine Käthe zu wechseln? Warum sollte ich mir nicht dieselbe christliche Freiheit mit der meinen nehmen? Still, Alter, segne die gute Speise und menge dich nicht in Sachen, die dich Nichts angehen. Du findest keinen Tölpel an Julian Avenel.«
»Er hat sich selber betölpelt und betrogen,« sprach der Prediger, »auch wenn er sich herabläßt, dieser armen Theilnehmerin an seinen häuslichen Sorgen die unvollkommene Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, welche noch möglich ist. Kann er sie noch zu dem Rang einer reinen unbefleckten Hausfrau erheben? – Kann er sein Kind von der Schmach befreien, seine Geburt einem Weibe zu verdanken, das gefehlt hat? Er kann freilich Beiden den Rang von Eheweib und von rechtmäßigem Kind verschaffen; aber in der öffentlichen Meinung sind ihre Namen beschmutzt und besudelt mit einem Flecken, welchen sein späteres Thun nicht auslöschen kann. Aber lasse ihnen, Freiherr von Avenel, lasse ihnen diese nachträgliche und unvollkommene Gerechtigkeit widerfahren. Heiße mich, Euch für immer verbinden und feiere den Hochzeitstag nicht mit Schmausen und Zechen, sondern mit Schmerz über vergangene Sünde und mit dem Entschluß, ein besseres Leben zu beginnen. Heilvoll wird dann der Zufall sein, der mich auf diese Burg geführt hat, obwohl ich komme, durch das Unglück hieher verschlagen, und nicht weiß, wohin mein Lauf geht, gleich dem Blatt, welches vom Nordwind gejagt wird.«
Die unscheinbaren und selbst groben Züge des eifernden Sprechers waren erwärmt und veredelt durch die Würde seiner Begeisterung. Der wilde Freiherr, so gesetzlos er war und so gewöhnt, jeden Zwang der Religion und des Sittengesetzes abzuschütteln, fühlte, zum ersten Mal vielleicht in seinem Leben, die Ueberlegenheit eines edleren Gemüthes. Er saß stumm und unschlüssig da, schwankend zwischen Zorn und Scham, und doch niedergedrückt durch das Gewicht des gerechten Tadels, welchen der Greis so kühn gegen ihn donnerte.
Das unglückliche junge Weib schöpfte Hoffnung aus des Tyrannen Schweigen und scheinbarer Unschlüssigkeit. Sie vergaß in der schüchternen Erwartung, daß Julian sich erweichen lassen würde, ihre Angst und Scham, heftete ihre ängstlichen und bittenden Augen auf ihn, rückte immer näher und näher zu seinem Sitz und wagte endlich, ihre zitternde Hand auf seinen Mantel legend, die Worte auszusprechen: »O edler Julian, höre auf den guten Mann!«
Diese Worte waren zur unrechten Zeit gesprochen und brachten auf das unbändige Gemüth des stolzen Freiherrn gerade die entgegengesetzte Wirkung hervor. Grimmig sprang er auf und schrie: »Was? du alberne Strunze, du bläst mit diesem Landstreicher in ein Horn, nachdem du gesehen hast, daß er mir in meinem eignen Saal Hohn gesprochen hat? Fort mit dir! und wisse, daß ich gegen männliche und weibliche Heuchelei fest bin!«
Betäubt durch seine Donnerstimme und durch seine wüthenden Blicke fuhr das arme Mädchen zurück, ward blaß wie der Tod und schwankte, seinem Befehl gehorchend, der Thüre zu. Ihre Kräfte verließen sie, und sie stürzte auf den steinernen Boden in einer Weise, welche ihre Umstände hätten höchst gefährlich machen können. Das Blut strömte von ihrem Antlitz. – Bei diesem Anblick verlor Halbert Glendinning die Geduld. Mit einem Fluch sprang er auf, legte die Hand an sein Schwert und fühlte sich versucht, es dem grausamen und hartherzigen Bösewicht durch den Leib zu rennen. Aber Christie von Clinthill, welcher merkte, was in ihm vorging, umschlang ihn mit seinen Armen und riß ihn auf den Stuhl zurück.
Halberts Regung war nur augenblicklich, denn er sah wie Avenel selber, betroffen über die Folgen seiner Heftigkeit, die geängstigte Katharine aufhob und in seiner Weise zu trösten suchte.
»Ruhig,« sprach er, »gib dich zufrieden, du einfältiges Kind! Wenn ich auch auf den predigenden Landstreicher nicht höre, so hab' ich deswegen doch noch nicht gesagt, was vielleicht geschieht, wenn du mir einen gesunden Buben gebierst. Da – da – trockne deine Thränen – rufe deinen Weibsleuten. – He da! wo sind die Menscher? – Christie – Rowley – Hutchoon – schleift sie bei den Haaren herbei!«
Ein halbes Dutzend scheu und wild aussehende Weibsbilder rannten in den Saal und trugen Diejenige weg, welche man ihre Gebieterin oder auch wohl ihre Genossin nennen konnte. Sie gab kaum ein Lebenszeichen von sich, ausgenommen ein schwaches Aechzen und daß sie die Hand in der Seite hielt.
So wie das unglückliche Geschöpf weggebracht war, trat der Freiherr an den Tisch, füllte und trank einen tiefen Becher Wein, und wandte sich, offenbar seinen Leidenschaften Gewalt anthuend, gegen den Prediger, welcher entsetzt über das Geschehene da stand. »Ihr seid zu scharf auf Uns eingegangen, Herr Prediger,« sagte er, »allein nach den Empfehlungen, die Ihr mir gebracht habt, kann ich nicht daran zweifeln, daß Eure Meinung gut war. Aber wir sind ein wilderes Volk als Eure Binnenländer in Fife und Lothian. Nehmt darum meinen Rath an: Sporet nicht ein ungebändigtes Roß, setzt die Pflugschaar nicht zu tief ein in einem neuen Boden. Predigt uns geistliche Freiheit, und wir wollen Euch zuhören, aber geistiger Knechtschaft wollen wir nicht Raum geben. – Setzt Euch also nieder und thut mir Bescheid in altem Sect, und wir wollen von anderen Dingen reden.«
»Zu Eurer Befreiung von geistlicher Knechtschaft bin ich gekommen,« hob der Prediger wieder im ermahnenden und strafenden Tone an, – »zu Eurer Befreiung von einer Knechtschaft, die härter ist, als alle irdischen Fesseln, – von der Gewalt Eurer bösen Leidenschaften.«
»Setz' dich,« sprach Avenel ungeduldig, »setz' dich, so lange das Spiel noch gut ist, oder bei meines Vaters Helmzier und bei meiner Mutter Ehre! – –«
»Wenn er sich nun nicht setzt,« flüsterte Christie Halberten zu, »dann möcht' ich keinen rothen Heller für seinen Kopf geben.«
»Hochgeborner Freiherr,« entgegnete Warden, »du stellst die Sache auf die Spitze. Allein wenn die Frage ist, ob ich dasjenige Licht, welches zu zeigen mir geboten ist, verbergen, oder ob ich das Licht dieser Welt verlieren will, dann ist meine Wahl getroffen. Ich sage zu dir wie der Heilige Täufer zu Herodes: es ist nicht recht, daß du dieß Weib hast. Ich sage es, obwohl Gefängniß und Tod dafür meiner warten, denn ich achte mein Leben für Nichts im Vergleich zu dem Dienst, zu welchem ich berufen bin.«
Julian Avenel, wüthend über diese Antwort, warf aus der rechten Hand den Becher, aus welchem er eben seinem Gast zutrinken wollte, und ließ aus der andern den Habicht fahren, welcher wild durch das Gemach flog. Seine Rechte fuhr nach dem Dolch. Doch sofort besann er sich und rief: »In den Kerker mit diesem frechen Strolch! – daß mir Niemand ein Wort für ihn spricht! Sieh' nach dem Falken, Christie, du Narr – wenn er fortfliegt, schicke ich Euch allesammt hinter ihm her! – Fort mit diesem heuchlerischen Träumer! – Schleift ihn weg, wenn er nicht geht!«
Beide Befehle wurden vollzogen. Christie hemmte den Flug des Habichts, indem er auf die herabhängenden Wurffesseln trat, und Heinrich Warden ward von zwei Spießgesellen des Freiherrn weggeführt, ohne die geringste Spur von Angst zu zeigen. Der Freiherr ging einige Zeit im finsteren Schweigen auf und ab, flüsterte dann einem der Knechte einen Auftrag zu, welcher sich vermuthlich auf den Zustand der unglücklichen Katharine bezog, schickte ihn damit fort und sprach endlich laut: »Diese vorwitzigen Pfaffen, die sich in Alles mengen! – Bei Gott, sie machen uns schlimmer, als wir ohne sie wären!«
Die Antwort, welche bald darauf der zurückkehrende Knecht brachte, schien einiger Maßen seinen Unmuth zu besänftigen. Er nahm seinen Platz am Tisch wieder ein und gebot seinen Leuten, desgleichen zu thun. Alle setzten sich schweigend nieder und begannen die Mahlzeit.
Während des Mahles bemühte sich Christie vergebens, seinen jugendlichen Gesellschafter zum Zechen oder wenigstens zum Gespräch zu bringen. Halbert Glendinning schützte Ermüdung vor, und wies jedes stärkende Getränk, als Haidebier, zurück, welches damals der gewöhnliche Tischtrunk war. Alle Bemühungen, heiter zu sein, waren erfolglos, bis der Freiherr, ungeduldig über das lange Schweigen, auf den Tisch schlug und ausrief: »He Ihr Herrn! Seid Ihr Gränzreiter und sitzt so stumm bei Eurem Mahl, wie eine Tischgesellschaft von Klosterbrüdern? – Singe Einer, wenn keiner reden will. Speisen, ohne Späße oder Sang und Klang genossen, verdauen sich schlecht. – Ludwig,« rief er einem der Jüngsten zu, »du bist doch sonst bei der Hand zu singen, wenn dich's Niemand heißt.«
Der junge Mensch blickte erst auf seinen Herrn, dann aufwärts nach der gewölbten Saaldecke, trank das neben ihm stehende Horn voll Wein aus und sang dann mit rauher, jedoch nicht übelklingender Stimme folgendes Lied nach der alten Weise: »Blaukappen ziehen wohl über die Gränze.«
Rühret Euch, Ettrick und Teviotdale,
Laßt im Gefild Eure Waffen erglänzen!
Rege dich Eskdale, heraus Liddesdale!
Heut zieh'n die Blaukappen all' nach den Gränzen.
Lustig die Fahnen weh'n,
Unter den Bannern steh'n
Helme, berühmt schon im Uralterthum.
Ihr aus der Meeresbucht,
Ihr aus der milden Schlucht,
Auf für die Königin, Schottland zum Ruhm!
Kommt von der Höh', wo die Hirschkälber rennen,
Kommt aus der Schlucht, wo Ihr haus't mit dem Wild,
Kommt zu dem Fels, wo die Leuchtfeuer brennen,
Lustig mit Lanze und Bogen und Schild!
Hörner erklingen,
Streitrosse springen.
Auf, laßt im Feld Eure Waffen erglänzen!
England soll manche Nacht
Denken der blut'gen Schlacht,
Als man die Blaukappen sah auf den Gränzen.
Der Gesang, so kunstlos er auch war, athmete doch jenen kriegerischen Geist, welcher zu jeder andern Zeit Halberten mächtig ergriffen haben würde. Aber gegenwärtig hatte der Zauber des Liedes keine Macht über ihn. Er wandte sich an Christie mit der Bitte, ihn schlafen gehen zu lassen, eine Bitte, welche dieß würdige Individuum sich endlich herbeiließ zu erfüllen, da er keine Aussicht hatte, auf den zu Bekehrenden in seiner jetzigen Stimmung einen günstigen Eindruck zu machen. Aber kein Wachtmeister Geier, welcher je das Werbergeschäft betrieben hat, ist sorgsamer gewesen, daß sein Fang ihm entginge, als Christie von Clinthill war. Er führte Halberten in ein kleines Gemach, welches die Aussicht auf den See hatte, und worin sich ein Rollbett befand. Ehe er ihn hier allein ließ, betrachtete er sorgfältig die Eisenstangen vor dem Fenster, und als er zur Thür hinausgegangen war, verfehlte er nicht, den Schlüssel zwei Mal umzudrehen; Umstände, welche den jungen Glendinning überzeugten, daß man nicht im Sinn hatte, ihn nach seinem Belieben von Schloß Avenel abziehen zu lassen. Er hielt es indessen für klug, diese beunruhigenden Anzeigen zu erblicken, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Kaum fand er sich in ungestörter Einsamkeit, als er sich die Erlebnisse des Tages wieder vor der Seele vorüberführte. Zu seiner Ueberraschung fand er, daß seine eigne bedenkliche Lage und selbst der Tod Piercie's geringeren Eindruck auf ihn machte, als das ausgezeichnete, kühne und entschlossene Benehmen seines Gefährten, Heinrich Warden. Die Vorsehung, welche ihre Werkzeuge ihren Absichten anpaßt, hatte für die Sache der Reformation in Schottland eine Schaar von Predigern erweckt, mehr kraftvoll als klügelnd: kühnen Muthes, festen Glaubens, Verächter von Allem, was zwischen ihnen und ihrem Ziele lag, bemüht, ihre große Sache auf dem rauhesten Wege zu fördern, sobald dieser der kürzeste war. Das Lüftchen mag das Weidengezweig bewegen, aber um die Aeste der Eiche zu schütteln, dazu bedarf es des Sturmes. Für gebildete Zuhörer in einem mehr verfeinerten Zeitalter würde ihre Weise schlecht gepaßt haben, aber bei dem rohen Volk, zu welchem sie gesandt waren, hatte ihr Thun den vollständigsten Erfolg.
Eben darum ward auch Halbert Glendinning, welcher den Gründen des Predigers Widerstand und Abscheu entgegengesetzt hatte, tief ergriffen von der Festigkeit seines Benehmens in dem Wortwechsel mit Julian von Avenel. Unhöflich mochte es sein und unvorsichtig war es jedenfalls, einen solchen Ort und eine solche Gesellschaft zu wählen, um einem Freiherrn Vorwürfe über seine Fehltritte zu machen, welcher sich im Besitz einer unabhängigen Gewalt befand. Dafür war aber auch das Benehmen des Predigers unbeugsam, fest, männlich und augenscheinlich auf die tiefste Ueberzeugung von Pflicht und Wahrheit gegründet. Glendinning, welcher Julians Benehmen mit dem tiefsten Abscheu betrachtet hatte, fühlte sich in demselben Maße zu dem wackeren Greise hingezogen, welcher lieber sein Leben auf's Spiel setzen, als den der Schuld gebührenden Tadel zurückhalten mochte. Dieser hohe Grad von Tugend schien ihm in der Religion dasselbe zu sein, was das Ritterthum von seinen Anhängern im Krieg erheischte: ein vollkommenes Aufgeben aller selbstsüchtigen Gefühle und eine Bereinigung aller Seelenkräfte zur Erfüllung einer Obliegenheit.
Halbert stand in dem Lebensalter, wo die jugendliche Seele am meisten für edle Regungen empfänglich ist und dieselben am besten in Anderen zu schätzen weiß. Er empfand, ohne zu wissen warum, den lebhaften Wunsch, daß dieser Mann, mochte er nun katholisch oder Ketzer sein, gerettet werden möchte. Mit diesem Gefühl vermischte sich die Neugier. Er hätte gern wissen mögen, worin doch diese Lehre bestände, die ihren Anhänger so ganz sich selber erzog und ihn als ihren geschwornen Kämpen, Ketten und Tod auf sich nehmen ließ. Man hatte ihm von Heiligen und Märtyrern erzählt, die in der Vorzeit, um ihres Glaubens willen, den Schrecken des Todes und der Folter getrotzt hatten. Allein ihre Begeisterung war längst eingeschlafen in der behaglichen Trägheit ihrer Nachfolger, und ihre Abenteuer wurden, wie die der irrenden Ritter, mehr zur Unterhaltung, als zur Erbauung gelesen. Ein neuer Antrieb war nöthig gewesen, um den religiösen Eifer wieder zu entzünden, und dieser Antrieb wirkte nun zu Gunsten eines reineren Glaubens. Ein Anhänger dieses Glaubens, und zwar einer der standhaftesten, war es, mit welchem der Jüngling zusammengetroffen.
Das Bewußtsein, daß er selber Gefangener in den Händen dieses wilden Häuptlings sei, verminderte keineswegs Halberts Theilnahme für seinen Leidensgefährten. Zugleich war er entschlossen, dessen Seelenstärke insofern nachzuahmen, daß weder Drohungen noch Leiden ihn bestimmen sollten, in die Dienste eines solchen Gebieters zu treten. Sein nächster Gedanke war, wie es wohl möglich sei, zu entkommen. Ohne große Hoffnung, seine Befreiung auf diesem Wege bewerkstelligen zu können, begann er doch das Fenster zu untersuchen. Das Gemach befand sich im ersten Stockwerk des Schlosses und nicht so weit von den Grundfelsen entfernt, daß nicht ein behender Mann aus demselben auf diesen hätte hinab kommen und von da in den See springen können, welcher klar und blau im sanften Licht des sommerlichen Vollmonds vor ihm lag. »Stände ich nur einmal auf dieser Klippe,« dachte er, »dann sollten Julian Avenel und Christie mich gesehen haben.« Die Größe der Fensteröffnung war hinreichend, aber die Gitterstangen schienen ein unübersteigliches Hinderniß zu bilden.
Während er mit lebhafter, durch Seelenstärke und Entschlossenheit genährter Hoffnung zum Fenster hinaus sah, vernahm er Töne von unten herauf. Er horchte und erkannte die Stimme des in seiner Einsamkeit betenden Predigers. Sofort dachte er darauf, mit diesem in Verkehr zu treten. Er versuchte es zuerst mit Flüstern. Da dieß aber unbeantwortet blieb, so sprach er lauter und bald vernahm er die Worte: »Bist du es, mein Sohn?« Wardens Stimme war jetzt deutlicher, als wie er sie zuerst gehört hatte, denn derselbe hatte sich dem Luftloche genähert, welches durch die ungeheuer dicke Mauer ging, und nur ein spärliches Licht in seinen Kerker fallen ließ. Da diese Oeffnung sich gerade unter Halberts Fenster befand, so verstattete die Nähe beiden Gefangenen, sich halblaut zu unterhalten. Halbert erklärte dem Prediger seine Absicht zu entfliehen und die Möglichkeit dazu, sobald nur die Eisen vor dem Fenster weg wären. »Versuche deine Kraft, mein Sohn, in Gottes Namen!« sagte der Prediger. Halbert folgte ihm, mehr in Verzweiflung, als in Hoffnung. Aber zu seinem großen Erstaunen und einigermaßen zu seinem Schrecken ging die Stange nahe am Boden auseinander. Der längere Theil bog sich ohne große Anstrengung hinaus, ging aus der Höhlung, in welcher das obere Ende saß, heraus und blieb Halberten in der Hand. Augenblicklich flüsterte er hinunter, aber so stark wie sich nur immer flüstern läßt: »Bei Gott, die Stange hat in meiner Hand nachgegeben!«
»Danke Gott, mein Sohn, anstatt bei ihm zu schwören,« antwortete Warden aus seinem Kerker.
Ohne große Mühe zwängte sich Halbert durch die so wunderbar entstandene Oeffnung, befestigte seinen Gurt an einer der Stangen und ließ sich daran auf den Felsenvorsprung hinab, auf welchen des Predigers Luftloch hinausging. Durch dieß ließ sich indeß kein Weg für den Gefangenen finden, denn es bestand lediglich in einer Schießscharte für kleines Gewehr.
»Ist denn kein Mittel, Vater, wodurch ich Euer Entkommen befördern kann?« fragte Halbert.
»Nein, mein Sohn,« antwortete der Prediger. »Wohl aber könntest du dahin wirken, daß mein Leben gesichert wird.«
»Das will ich aus allen Kräften thun,« sprach der Jüngling.
»Nun so besorge mir einen Brief, den ich auf der Stelle schreiben will, denn ich habe Feuerzeug, eine Kerze und Schreibzeug in meiner Tasche. Eile gen Edinburgh, und unterwegs wirst du eine Schaar Reisige treffen, welche nach Süden zieht. Gib ihrem Anführer diesen Brief und berichte ihm, in welchem Zustand du mich verlassen hast. Vielleicht wird die Ausrichtung dieser Botschaft dir selber von Nutzen sein.«
In einer oder zwei Minuten schimmerte das Licht einer Kerze durch die Schießscharte, und nicht lange, so schob der Prediger mit seinem Stab einen Zettel durch die Oeffnung. »Gott segne dich, mein Sohn,« sprach der Greis, »und vollführe das Wunderwerk, welches er begonnen hat.«
»Amen!« antwortete Halbert feierlich, und wandte sich um nach dem Wasser.
Einen Augenblick war er unschlüssig, ob er versuchen sollte, nach dem Rand des Wassers hinunterzuklettern. Allein die Steilheit des Felsens machte trotz der Helle der Nacht dieß Unternehmen zu gefährlich. Er legte die Hände über dem Kopf zusammen und stürzte sich mit einem kühnen Sprung von der schroffen Höhe so weit als möglich hinaus in die Luft, um nicht auf einer felsigen Untiefe aufzufahren. Kopfüber langte er auf der Wasserfläche an und sank tief in den See unter. Aber stark, mit einer guten Lunge versehen und des Tauchens gewohnt, wie er war, kam er nach einer Minute wieder zum Vorschein und schwamm, ungeachtet des Gewichtes seines Schwertes, wie ein Wasservogel nordwärts durch den See. Als er an's Land gestiegen war, blickte er zurück nach der Burg und bemerkte, daß es dort Lärm gegeben hatte. Lichter schimmerten von Fenster zu Fenster, er hörte wie die Zugbrücke herabgelassen wurde und wie bald darauf Hufschlag auf dem Damm ertönte. Allein eine Verfolgung in der Nacht machte ihm keine Sorgen. Er wand seine nassen Kleider aus, eilte nach dem Moorgrund und nahm mit Hülfe des Polarsterns seine Richtung nach Norden.
Wenn es nöthig wäre, ein Vorbild für Julian Avenel, diesen rohen, unbändigen und grausamen Gränzhäuptling, in einem Zeitalter nachzuweisen, welches deren nur zu viele zeigt, so ließe sich der Herr von Black Omiston auswählen. Er war ein Freund und Vertrauter von Bothwell und ein Helfershelfer zum Morde von Heinrich Darnley. In seinen letzten Augenblicken schien er, gleich anderen großen Verbrechern, ein reuiger Sünder zu sein. Der Bericht von seinem Geständniß besagt: »Da verschiedene Herren und Diener in seinem Gemache waren, sprach er: Um Gotteswillen, setzet Euch und betet für mich, denn ich bin auch sonst (das heißt, abgesehen von seinem Antheil an Darnley's Tode), ein großer Sünder gewesen, wofür Gott an diesem Tage mich straft. Denn unter allen Menschen auf Erden bin ich einer der stolzesten und hochmüthigsten gewesen, und unrein an meinem Leibe. Vor Allem habe ich das Blut eines gewissen Michael Hunter mit eignen Händen vergossen. Ach! der besagte Michael hatte mich unter sich liegen, und hatte eine Gabel in der Hand, und hätte mich tödten können, und that es nicht. Das that mir am allerwehesten in meinem Gewissen. So hab' ich auch im Zorn einen armen Mann um eines Pferdes willen aufgehängt – sammt anderen bösen Thaten, wofür ich meinen Gott um Erbarmen bitte. Es ist kein Wunder, daß ich gottlos gewesen bin, angesehen die gottlose Gesellschaft, in der ich immer gelebt habe, absonderlich in den letzten sieben Jahren, wo ich keine zwei gute Menschen und keine gute That gesehen habe, sondern vielmehr alle Art von Bosheit, und doch wollte Gott, daß ich nicht verloren ginge.« – Siehe die ganze Beichte in den Verhandlungen über Staatsverbrechen.
Ein anderes würdiges Subject von der Gränze von etwas untergeordnetem Rang, Namens Geordy Bouene, war ein ähnliches Muster von Verworfenheit. Er war in die Hände von Herrn Robert Carey, Markwart auf der Ostmark von England, gefallen, welcher folgenden Bericht von seinem Geständnisse gibt:
»Als Alles ruhig und die Nachtposten aufgeführt waren, nach dem Abendessen, gegen zehn Uhr, nahm ich die Livree eines meiner Leute und zog sie an und nahm zwei andere von meinen Dienern in ihren Livreen mit mir, und wir Drei, als Leute des Markwarts, begaben uns in die Wohnung des Großprofoßen, wo Bouene sich befand, und wurden in sein Gemach eingelassen. Wir setzten uns zu ihm und sagten ihm, wir hätten ihn zu sehen begehrt, weil wir gehört hätten, daß er ein tüchtiger Mann und treu gegen seinen Freund sei, und es thue uns leid, daß unser Herr sich nicht bewegen lassen wollte, ihn zu begnadigen. Er erwiederte von freien Stücken, er habe lange genug gelebt, um so viele Bubenstücke zu verüben, wie er verübt hätte, und erzählte uns bei der Gelegenheit, daß er bei den Eheweibern von vierzig Männern theils in Schottland, theils in England gelegen, daß er sieben Engländer mit eigner Hand getödtet und grausam umgebracht, daß er sein ganzes Leben mit Huren, Saufen, Stehlen und Uebung schwerer Rache für geringe Beleidigungen zugebracht habe. Er schien sehr reuig zu sein und verlangte nach einem Priester zum Trost seiner Seele. Wir versprachen dieß sein Begehren unserem Herrn zu hinterbringen, welcher dasselbe gewiß sofort bewilligen würde. Wir nahmen Abschied von ihm, und sofort verordnete ich, daß Meister Selby, ein sehr ehrbarer Prediger, zu ihm ginge und ihn nicht verließe bis zu seiner Hinrichtung, am nächsten Morgen. Denn nachdem ich selber sein Geständniß gehört, war ich entschlossen, ihm unter keiner Bedingung das Leben zu lassen; verfügte deßhalb, daß er nächsten Morgen, sobald das Thor aufgemacht würde, zur Hinrichtung hinausgeführt würde, was denn auch geschah.« – Memoiren des Herrn Robert Carey, Grafen von Monmuth.