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Siebentes Kapitel.

Nun wähle, Junge, zwischen Ehr' und Reichthum!
Da liegt das Geld, genug, dich durchzubringen
Im Tanz der Jugend und im Kampf der Mannheit,
Und Etwas für des Alters Ofenecke.
Doch nimmst du es, dann – Ehrgeiz lebe wohl!
Und jede Hoffnung, deine Lag' zu bessern,
Dich zu erheben über's Bauernvolk,
Das hackt und gräbt um's Brod.

Altes Schauspiel.

Wir müssen ein wenig bei dem Aeußeren und beim Benehmen des jungen Glendinnings verweilen, bevor wir übergehen zur Beschreibung seiner Zusammenkunft mit dem Abt von S. Marien in diesem Wendepunkt seines Lebens.

Halbert war jetzt etwa neunzehn Jahre alt, hochgewachsen, mehr behend als stark, aber von einem Knochenbau und Sehnengewebe, welche große Stärke versprachen für die Zeit des vollendeten Wachsthums. Er war vollkommen wohlgestaltet, und besaß, wie die meisten Leute dieser Art, eine gewisse Anmuth und Leichtigkeit in Haltung und Benehmen, in Folge deren die Länge seiner Gestalt nicht als das Hervorstechendste in seiner Erscheinung gelten konnte. Nur wenn er unter oder neben Anderen stand, bemerkte man, daß er mehr als sechs Fuß maß. Durch die Vereinigung ungewöhnlicher Größe, vollkommenen Ebenmaßes, Anmuth und Leichtigkeit des Benehmens, war der junge Erbe von Glendearg, trotz seiner bäurischen Herkunft und Erziehung, selbst Herrn Piercie Shafton entschieden überlegen, dessen Wuchs kleiner und dessen Glieder, wenn sich auch im Einzelnen Nichts an denselben aussetzen ließ, in weniger genauem Ebenmaße standen. Dagegen gab Herrn Piercie sein hübsches Gesicht einen bedeutenden Vorzug vor dem jungen Schotten. Des Ritters Züge waren regelmäßig, seine Hautfarbe herrlich; Halberts Gesichtszüge waren mehr ausdrucksvoll, als schön, auf seiner Haut hatten die »himmlischen Einflüsse«, denen er fortwährend ausgesetzt war, das Roth und Weiß in einander gemischt und zu Braun verdunkelt, welches Wangen, Hals und Stirn gleichmäßig färbte und nur auf ersteren ein dunkles Roth durchblicken ließ. Halberts Augen bildeten den ausgezeichnetsten Theil seines Gesichtes. Sie waren groß, lichtbraun und strahlten in Augenblicken der Erregung in so ungewöhnlichem Glanze, daß es fast schien, als ginge Licht von denselben aus. Sein dunkelbraunes Haar war kurz gelockt und hob die Gesichtszüge, welche eine größere Kühnheit und ein mehr geistiges Leben verriethen, als man nach seinen Verhältnissen hätte vermuthen sollen, und nach seinen früheren blöden, ungeschickten und linkischen Manieren.

Halberts Kleidung war nicht von der Art, daß sie eine an sich einnehmende Gestalt im vortheilhaftesten Lichte gezeigt hätte. Seine Jacke, seine Hosen und seine Mütze waren von grobem Landtuch. An dem Gürtel hing das bereits erwähnte Schwert, und zugleich enthielt derselbe fünf oder sechs Pfeile und Vogelbolzen, welche an der rechten Seite steckten, nebst einem großen Messer mit Hirschhorngriff. Vervollständigt war sein Anzug durch hirschlederne Stiefel, welche bis über die Kniee gingen, aber auch so getragen werden konnten, daß sie unter den Waden zusammengefaltet waren, damals die allgemeine Fußbekleidung der Jäger zum Schutz gegen Dornen und Spitzen.

Schwerer ist es zu beschreiben, in welcher Weise des jungen Glendinnings Seele durch seine Augen sprach, als er so plötzlich in die Gesellschaft derer gebracht wurde, die er von frühester Jugend an gewöhnt war, mit einer heiligen Scheu zu betrachten und zu verehren. Die Verlegenheit, welche sich bei ihm zeigte, hatte nichts Sklavisches an sich und ging nicht so weit, daß er die Fassung verloren hätte. Sie war nichts weiter, als das Gefühl eines hochherzigen, kühnen, aber ganz unerfahrenen Jünglings, der zum ersten Mal in den Fall kommt, für sich zu denken und zu handeln in solcher Gesellschaft und unter solchen unvortheilhaften Umständen. Sein Verhalten zeigte nicht die leiseste Spur von Vorwitz oder von Aengstlichkeit, welche ein Freund hätte wegwünschen mögen.

Er kniete nieder und küßte des Abtes Hand, stand auf, trat zwei Schritte zurück und verbeugte sich achtungsvoll im Kreise umher, sanft lächelnd, als ihm der Subprior, welcher allein ihn persönlich kannte, ermuthigend zunickte, – erröthend, als er dem ängstlichen Blick Mariens von Avenel begegnete, die bange der Feuerprobe entgegen sah, welcher ihr Pflegbruder unterworfen werden sollte. Schnell erholte er sich von der Verwirrung, in welche die Begegnung des Blickes ihn versetzt hatte, und stand ruhig da, wartend, bis es dem Abt gefiele, zu sprechen.

Seine freie Miene, seine edle Gestalt und anmuthige Haltung verfehlten nicht, die Geistlichen, vor welchen er stand, für ihn einzunehmen. Der Abt blickte umher und warf seinem Rathgeber, Pater Eustachius, einen gnädigen und billigenden Blick zu, obwohl er sonst wohl hätte geneigt sein mögen, die Stelle eines Bogenträgers oder Försters für sich allein und ohne Zuziehung des Subpriors zu besetzen, wäre es auch nur, um zu zeigen, daß er selbstständig handele. Allein das gute Aussehen des vorgeschlagenen jungen Mannes ließ ihn eher sich Glück wünschen wegen Auffindung eines der Beförderung so würdigen Subjectes, als daß er irgend einem andern Gefühle Raum gegeben hätte. Pater Eustachius genoß das Vergnügen, welches ein redliches Gemüth empfindet, wenn es einem Würdigen einen Vortheil zufallen sieht. Da er Halberten seit der Zeit nicht gesehen hatte, wo eine so wesentliche Veränderung in seinem Denken und Thun vorgegangen war, so zweifelte er nicht, daß die angebotene Anstellung dem Jüngling zusagen würde, der von jeher ein Freund des Waidwerks und ein Feind sitzender oder sonst gebundener Beschäftigung war. Der Küchenmeister und der Tafeldecker fanden so großes Wohlgefallen an Halberts einnehmendem Aeußeren, daß sie zu glauben schienen, die Besoldung, die Accidenzien und Nebeneinkünfte, die Spende, die Trift, der Rock und die Hosen könnten kaum besser angewandt werden, als bei der rührigen und anmuthigen Gestalt, die vor ihnen stand.

Herr Piercie Shafton, sei es, daß er in seinen Gedanken verloren war, sei es, daß er den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit nicht werth achtete, schien das allgemeine Wohlgefallen nicht zu theilen, welches des jungen Mannes Erscheinen erweckt hatte. Er saß da mit halbzugedrückten Augen und verschlungenen Armen, als wäre er in tiefere Betrachtungen versunken, als der gegenwärtige Auftritt veranlassen könnte. Allein trotz seiner scheinbaren Geistesabwesenheit bemerkte man einen Schimmer von Eitelkeit auf seinem hübschen Gesicht, einen gelegentlichen Wechsel seiner Stellung, geeignet, eine beifällige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und zuweilen einen verstohlenen Blick auf den weiblichen Theil der Gesellschaft, um zu erspähen, wie weit es ihm gelänge, ihre Augen zu fesseln, – und das Alles mit einer Anmuth, welche die Vergleichung zwischen ihm und zwischen Halberten mit seinen minder regelmäßigen, obwohl männlichen Muth und Kraft verkündenden Zügen entschieden zu des Ritters Vortheil ausfallen ließ.

Unter den weiblichen Mitgliedern der Familie hatte allein die Müllerstochter Muße, die liebenswürdigen Bewegungen des Herrn Piercie zu bewundern, denn Maria Avenel sowohl, wie Dame Glendinning warteten mit ängstlicher Spannung auf die Antwort, welche Halbert auf des Abtes Anerbieten geben würde, und erwogen bange die Folgen seiner vermuthlichen Ablehnung. Das Benehmen Edwards, eines sonst blöden, ehrfurchtsvollen und selbst ängstlichen Jungen, war liebevoll und edel. Er hatte unbemerkt in einem Winkel gestanden, nachdem der Abt, auf Anregung des Subpriors, ihm eine vorübergehende Aufmerksamkeit geschenkt und einige abgedroschene Fragen über seine Fortschritte im Donat und im Promptuarium parvulorum an ihn gerichtet hatte, auf die er gar nicht die Antwort abwartete. Jetzt schlich er aus seinem Winkel hinten herum in die Nähe seines Bruders, ließ seine rechte Hand in die linke des Jägers gleiten und gab durch einen sanften Druck, den Halbert herzlich erwiederte, zu erkennen, welchen Antheil er an seiner Lage nähme, und wie er entschlossen sei, sein Schicksal zu theilen.

So war die Gruppe geordnet, als der Abt nach einer Pause von drei Minuten, während welcher er langsam seinen Wein schlürfte, um mit gebührender Würde seinen Vortrag zu beginnen, sich endlich folgendermaßen vernehmen ließ:

»Mein Sohn, Wir, Euer rechtmäßiger Oberherr, von Gottes Gnaden Abt des Stiftes zu S. Marien, haben gehört von Euren mancherlei Gaben – a – hm – insbesondere die Jägerei betreffend, und von der waidmännischen Art, in welcher Ihr Euer Wild erlegt, richtig und wie ein Jäger soll, ohne des Himmels Geschenke zu verderben und das Fleisch ungenießbar zu machen, wie oft von nachlässigen Wildmeistern geschieht – a – hm.« Hier hielt er inne. Da er aber bemerkte, daß Halbert sein Kompliment nur mit einer Verbeugung erwiederte, so fuhr er fort: »Mein Sohn, wir loben Eure Bescheidenheit; nichtsdestoweniger wollen wir, daß du frei und offen zu uns sprichst in Betreff der von uns dir zugedachten Beförderung, indem wir dir das Amt eines Bogenträgers und Wildmeisters zu verleihen gedenken, sowohl für die Jagden und Forste, in welchen unser Haus einiges Recht besitzt durch die Stiftungen frommer Könige und Herren, deren Seelen nun die Früchte ihrer Wohlthaten gegen die Kirche genießen, als auch in denjenigen, welche unser ausschließliches Eigenthum auf ewige Zeiten sind. Kinee also nieder, mein Sohn, auf daß wir dich mit eigner Hand unverzüglich in dein Amt einführen.«

»Kniee nieder,« wiederholte der Küchenmeister auf der einen Seite; »kniee nieder,« sprach der Tafeldecker auf der anderen.

Allein Halbert blieb aufrecht stehen. »Wäre es,« sprach er, »um Dankbarkeit für Ew. Hochwürden Gnaden edelmüthiges Anerbieten auszudrücken, dann könnte ich nicht tief und lange genug knieen. Allein ich kann nicht niederknieen, um die Verleihung Eurer edlen Gabe zu empfangen, Gnädiger Herr Abt, da ich entschlossen bin, mein Glück anderweits zu suchen.«

»Was ist das?« rief der Abt, die Stirn runzelnd; »höre ich recht? und laßt Ihr, ein geborner Unterthan des Stiftes, Euch einfallen, meinen Dienst mit einem anderen zu vertauschen in einem Augenblick, wo ich Euch einen so großmüthigen Ausdruck meines Wohlwollens zugedacht habe?«

»Gnädiger Herr,« sprach Halbert, »es thut mir in der Seele wehe, zu denken, daß Ihr mich für fähig haltet, Euer gnädiges Anerbieten nicht zu würdigen, oder Euren Dienst mit einem anderen zu vertauschen. Allein Euer großmüthiges Erbieten beschleunigt nur die Ausführung eines von mir schon lange gefaßten Entschlusses.«

»Ei, ei, mein Sohn,« versetzte der Abt. »Sieh' da! Ihr habt ja recht frühe schon gelernt, Entschließungen zu fassen, ohne Diejenigen zu fragen, welche Eure natürlichen Vorgesetzten sind. Aber darf ich fragen, was dies für ein weiser Entschluß ist?«

»Meinem Bruder und meiner Mutter,« antwortete Halbert, »meinen Antheil an dem, weiland von meinem Vater, Simon Glendinning, besessenen Lehen von Glendearg zu überlassen, Ew. Gnaden zu bitten, gegen sie derselbe gütige und großmüthige Herr zu sein, wie Eure Vorfahren, die Aebte zu S. Marien, gewesen sind, und meinerseits mein Glück zu suchen, wo ich es am besten finden mag.«

Da wagte Dame Glendinning, von mütterlicher Angst getrieben, das Stillschweigen zu brechen mit dem Ausruf: »Ach du mein Sohn!« Edward, an seines Bruders Seite hängend, sprach halb und flüsterte halb: »Bruder! Bruder!«

Der Subprior nahm die Sache in ernst-tadelnder Weise, gemäß dem Antheil, welchen er stets an der Familie von Glendearg genommen hatte.

»Eigensinniger junger Mann,« sprach er, »welche Thorheit kann dich treiben, die zu deiner Hülfe ausgestreckte Hand zurückzustoßen? Welches träumerische Ziel hast du vor dir, das im Stande wäre, das von dir verschmähte anständige Auskommen zu ersetzen?«

»Vier Mark jährlich, ehrlich und redlich,« sprach der Küchenmeister.

»Kuhgras, Wams und Hosen,« fiel der Tafeldecker ein.

»Ruhig, meine Brüder,« sprach der Subprior. »Möge es Ew. Gnaden, ehrwürdiger Vater, gefallen, auf meine Bitte diesem hartköpfigen Jüngling einen Tag Bedenkzeit zu gestatten; ich will es dann auf mich nehmen, ihn zu belehren, was er in dieser Sache Ew. Gnaden, seiner Familie und sich selber schuldig ist.«

»Eure Güte, Hochwürdiger Vater,« sprach Halbert, »verpflichtet mich zu tiefgefühltem Danke; sie ist die Fortsetzung einer langen Reihe von Handlungen des Wohlwollens gegen mich, wofür ich meine Erkenntlichkeit ausspreche, da ich nichts Anderes zu bieten habe. Mein Mißgeschick, nicht Eure Schuld ist es, daß Eure Absichten vereitelt worden sind. Aber mein gegenwärtiger Entschluß steht unwandelbar fest. Ich kann das großmüthige Anerbieten des gnädigen Herrn Abtes nicht annehmen. Mein Schicksal ruft mich anderwärts hin, wo ich es entweder enden oder verbessern soll.«

»Bei Unserer lieben Frauen,« sprach der Abt, »ich glaube wirklich, der Junge ist verrückt, und Ihr, Herr Piercie, habt ihn richtig beurtheilt, als Ihr voraussagtet, er würde sich als ungeeignet zu der, ihm von Uns zugedachten Beförderung erweisen. Vielleicht kanntet Ihr sein ungefügiges Wesen schon?«

»Bei der heiligen Messe, nein,« antwortete der Ritter in seinem gewöhnlichen gleichgültigen Ton. »Ich habe ihn bloß nach seiner Geburt und Erziehung beurtheilt; denn selten kommt ein guter Falke aus einem Geierei.«

»Du bist selber ein Geier und ein Wannenweher obendrein!« versetzte Halbert, ohne sich einen Augenblick zu besinnen.

»Das sagst du in unserer Gegenwart und zu einem Mann von Ansehen?« rief der Abt mit zornglühendem Gesicht.

»Ja, gnädiger Herr,« antwortete der Jüngling, »in Eurer Gegenwart gebe ich diesem munteren Herrn den Schimpf zurück, welchen er ohne allen Grund auf meinen Namen geworfen hat. Mein braver Vater, der für sein Vaterland gefallen ist, verlangt dieß als ein Recht von seinem Sohn.«

»Unmanierlicher Junge!« sprach der Abt.

»Nein, gnädiger Herr,« nahm der Ritter das Wort, »verzeiht die ungebührliche Unterbrechung, und laßt mich Euch bitten, diesem bäurischen Menschen nicht zu zürnen. Glaubt mir, eben so bald wird der Nordwind einen Eurer Felsen von seiner Grundlage wegblasen, als irgend Etwas, was ich so gering achte, wie die flegelhafte Rede eines ungezogenen Bauerlümmels, die Galle von Piercie Shafton erregen wird.«

»Wie stolz Ihr auch seid, Herr Ritter,« sprach Halbert, »in Eurer vermeintlichen Ueberlegenheit, seid nicht allzu zuversichtlich, daß Ihr nicht erregt werden könnt.«

»Meiner Treue, durch Nichts, was du vorbringen kannst,« versetzte Herr Piercie.

»Kennst du denn dieß Zeichen?« sprach der Jüngling, ihm die silberne Nadel vorhaltend, welche er von dem weißen Fräulein empfangen hatte.

Nie ist ein so plötzlicher Wechsel von spöttischer Heiterkeit zur wüthendsten Leidenschaftlichkeit gesehen worden, wie in diesem Augenblick bei Herrn Piercie Shafton. Es war der Unterschied zwischen einer Kanone, welche ruhig in ihrer Schießscharte liegt und zwischen demselben Geschütz, wenn die Lunte das Zündloch berührt. Er sprang auf, vor Wuth an allen Gliedern zitternd, die Gesichtszüge so entstellt durch die Leidenschaft, daß er eher einem Besessenen als einem vernünftigen Menschen glich. Mit geballten Fäusten fuhr er gegen Halberts Gesicht, welcher selber einigermaßen erschreckt war über die Raserei, welche seine Handlung veranlaßt hatte. Im nächsten Augenblick zog der Ritter seine Arme zurück, schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und rannte aus dem Gemach hinaus. Dieß Alles war so sehr das Werk einiger Augenblicke, daß Niemand Zeit hatte, sich darein zu legen.

Als Herr Piercie Shafton das Zimmer verlassen hatte, herrschte einen Augenblick lang stummes Staunen. Dann aber erhob sich von allen Seiten die Frage an Halbert, was er angestellt habe, um eine so gewaltsame Veränderung in dem Benehmen des englischen Ritters hervorzubringen.

»Ich habe ihm weiters Nichts gethan,« antwortete Halbert, »als was Ihr Alle gesehen habt. Bin ich verantwortlich für seine Anfälle toller Laune?«

»Junge!« herrschte der Abt ihm zu, »diese Ausflüchte helfen dir nichts. Dieß ist nicht der Mann dazu, sich aus seiner Fassung bringen zu lassen, ohne daß hinreichende Ursache vorhanden ist. Die Veranlassung kommt von dir, und du mußt sie kennen. Ich befehle dir, dafern du dich vor strengen Maßregeln bewahren willst, mir zu erklären, durch welches Mittel du unseren Freund in solche Aufregung gebracht hast. Wir wollen nicht, daß unsere Unterthanen unsere Gäste vor unseren eignen Augen zum Wahnsinn treiben, und daß uns die Art und Weise unbekannt bleibe, wie dieß bewerkstelligt worden ist.«

»Geruhen Ew. Hochwürden zu bemerken,« antwortete Halbert, »daß ich ihn lediglich nur dieß Wahrzeichen sehen ließ,« – und er übergab die Nadel dem Abt, welcher sie aufmerksam betrachtete, den Kopf schüttelte und sie dem Subprior überreichte.

Pater Eustachius betrachtete ebenfalls mit Aufmerksamkeit das geheimnißvolle Zeichen und sprach dann in strengem Tone zu Halbert: »Junger Mensch, wenn du nicht willst, daß wir dich im Verdacht gefährlicher Arglist haben sollen, so laß uns augenblicklich wissen, woher du dieß Zeichen hast, und inwiefern dasselbe Einfluß auf Herrn Piercie Shafton ausübt?« Es möchte für den so in die Enge getriebenen Halbert schwer gewesen sein, einer so kitzlichen Frage auszuweichen oder sie zu beantworten. Das Geständniß der Wahrheit hätte ihn in jener Zeit auf den Scheiterhaufen bringen können, während es ihm in unseren Tagen bloß den Ruf eines ausgemachten Lügners verschafft haben würde. Er ward aber glücklich aus der Verlegenheit gezogen durch die Rückkehr des Ritters, der bei seinem Eintritt die Frage des Subpriors vernahm.

Einer Antwort von Seiten Halberts zuvorkommend, flüsterte er diesem im Vorbeigehn zu: »Bewahre das Geheimniß, du sollst die Genugthuung haben, die zu suchen du dich erkühnt hast.«

Als er auf seinen Platz zurückkehrte, waren noch Spuren der Aufregung auf seinem Gesicht bemerkbar. Schnell aber sammelte er sich, blickte ruhig umher, und entschuldigte sein unschickliches Benehmen mit einem plötzlichen heftigen Unwohlsein. Alle sahen sich stumm und staunend einander an.

Der Abt befahl, daß Alle, außer ihm, Herrn Piercie und dem Subprior das Gemach verlassen sollten. »Und,« fügte er hinzu, »behalte diesen verwegenen Jüngling im Auge, daß er nicht entweicht; denn wenn er durch Zauberei oder auf sonstige Weise Etwas gegen die Gesundheit unseres achtbaren Gastes unternommen hat, so schwöre ich bei meinem Meßgewand und bei meiner Inful, daß seine Strafe zum abschreckenden Beispiel dienen soll.«

»Gnädiger Herr und ehrwürdiger Vater,« sprach Halbert mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung, »fürchtet nicht, daß ich mich dem Urtheil entziehe. Ich denke, Ihr werdet am besten von dem Gestrengen Herrn selber erfahren, was die Ursache seiner Aufregung war, und wie geringen Antheil ich daran habe.«

»Sei versichert,« sagte der Ritter ohne aufzublicken, »ich werde dem Herrn Abt genügende Auskunft geben.«

Die Gesellschaft und mit ihr Halbert zog sich zurück und ließ den Abt, den Subprior und den Ritter allein.

Pater Eustachius konnte sich nicht enthalten, wider seine Gewohnheit zuerst das Wort zu nehmen. »Erklärt uns, edler Herr,« sprach er, »auf welche geheimnißvolle Weise die Vorzeigung dieses Tandes Euch dermaßen aufregen und Eure Geduld überwältigen konnte, nachdem Ihr Euch vorher gegen alle Reizung abseiten dieses eingebildeten und sonderbaren Jünglings unerschütterlich gezeigt hattet.«

Der Ritter nahm die silberne Nadel aus der Hand des guten Paters, betrachtete sie mit großer Ruhe, gab sie dem Subprior zurück und sprach: »In Wahrheit, ehrwürdiger Vater, ich muß mich wundern, wie die, Euren Silberhaaren und Eurem Rang geziemende Weisheit gleich einem kläffenden Hunde (entschuldigt die Vergleichung) auf der falschen Fährte anschlagen mag. Ich müßte doch wahrlich leichter zu bewegen sein, als das Espenlaub, welches bei dem geringsten Hauch des Himmels zittert, könnte ich durch ein Zeichen, wie dieses, berührt werden, welches für mich gerade so viel ist, wie dieselbe Quantität Silber in Groschen ausgemünzt. Die Wahrheit ist, daß ich von früher Jugend an einer Krankheit unterworfen bin, von welcher Ihr mich so eben habt heimgesucht werden sehen – einem grausamen Schmerz, der durch Mark und Bein geht, gleich wie ein guter Flamberg in der Hand eines braven Kriegers durch Fleisch und Sehnen haut; aber er geht schnell vorüber, wie Ihr selber beurtheilen könnt.«

»Aber,« nahm der Subprior das Wort, »dieß erklärt durchaus nicht den Umstand, daß der junge Mensch Euch dieß Stück Silber vorhielt, als ein Zeichen, wodurch Euch Etwas zu verstehen gegeben würde, und zwar, wie wir nothwendig vermuthen müssen, Etwas Unangenehmes.«

»Ew. Hochwürden steht es frei zu vermuthen, was Sie will. Mir gebührt es nicht, Euer Urtheil auf die rechte Fährte zu leiten, wenn es auf der falschen ist. Hoffentlich bin ich doch nicht gehalten, für die albernen Handlungen eines naseweisen Jungen Rede zu stehen?«

»Sicherlich,« versetzte der Subprior, »werden wir eine Untersuchung nicht fortsetzen, welche unserem ehrenwerthen Gaste unangenehm ist. – Indessen,« sprach er, an den Abt sich wendend, »dürfte dieser Vorfall den Plan ändern, welchen Ew. Gnaden in Betreff der Unterkunft unseres Gastes in diesem Thurm gefaßt hatte. Wir hatten diesen Ort gewählt, als Verborgenheit und Sicherheit gewährend, – zwei Umstände, welche wir bei unserem gegenwärtigen Verhältniß zu England nicht außer Acht lassen dürfen.«

»Allerdings,« sprach der Abt, »ist es gut, diese Bedenklichkeit zu erheben, ließe sie sich nur auch so leicht beseitigen. Ich wüßte im Stift keinen andern so passenden Zufluchtsort, und doch sehe ich nicht ab, wie ich diesen hier unserem ehrenwerthen Gast empfehlen kann im Betracht des unbändigen Muthwillens dieses eigensinnigen jungen Menschen.«

»Psch! Hochwürdige Herren, – was denkt Ihr von mir?« fiel der Ritter ein. »Ich versichere Euch, bei meiner Ehre, ich würde hier bleiben, wenn ich zu wählen hätte. Was! Ich habe Nichts gegen den Jungen, wenn er auch einmal einen Funken Muth zeigt, und wenn auch dieser kleine Blitz an meinen Kopf fährt. Ich achte den Burschen darum. Ich erkläre förmlich, daß ich hier bleiben will. Er soll mir helfen ein Stück Wild erlegen. Ich muß nothwendig gut Freund mit ihm sein, wenn er ein solcher Schütz ist, und bald wollen wir dem gnädigen Herrn Abt einen Sechsender hinunterschicken, so kunstgerecht erlegt, daß selbst der Pater Küchenmeister damit zufrieden sein soll.«

Herr Piercie sprach dieß mit so vieler scheinbaren guten Laune und Ungezwungenheit, daß der Abt weiter kein Wort über das Vorgefallene verlor, sondern zu Aufzählung der Geräthe, Vorhänge, Mundvorräthe und so weiter überging, welche er dem Ritter heraufschicken wollte. Dieser Vortrag, gewürzt durch einen Becher Wein, füllte die Zeit aus bis zu dem Augenblick, wo der Hochwürdige seiner Schaar Befehl gab, sich zur Rückkehr nach dem Kloster zu rüsten.

»Da wir,« bemerkte er, »im Verlauf dieser unserer beschwerlichen Fahrt unsere Mittagsruhe Die Mittagsruhe war unentbehrlich für die Mönche, welche auch während der Nacht den Gottesdienst zu versehen hatten. Die Prime war der Gottesdienst unmittelbar nach Mitternacht. verloren haben, so soll Denjenigen unter unseren Begleitern, welche aus Müdigkeit nicht im Stande sein werden, der Prime beizuwohnen, hiermit aus Gnaden Ablaß verwilligt sein.«

Nachdem er so seinen Getreuen eine Wohlthat gespendet hatte, welche ganz annehmbar war, und nachdem Alles zur Abreise in Bereitschaft gesetzt war, ertheilte der gute Abt der versammelten Haushaltung seinen Segen, reichte der Dame seine Hand zum Kuß und küßte selber Marien und das Müllermädchen auf die Wange, als diese kamen, ihm dieselbe Huldigung darzubringen. Halberten gebot er, sich im Zaum zu halten, und dem englischen Ritter in allen Stücken zu Diensten zu stehen; den jüngeren Edward ermahnte er, discipulus impiger atque strenuus Ein fleißiger Schüler. zu sein. Von Herrn Piercie Shafton nahm er höflich Abschied und empfahl ihm, sich hübsch zu Hause zu halten, damit er nicht von den englischen Gränzern wegstipizt würde. Nach Erfüllung dieser Höflichkeitspflichten setzte er sich nach dem Hof in Bewegung, wohin ihm die ganze Hausgenossenschaft folgte. Mit einem schweren Seufzer, der einem Aechzen nahe kam, hob sich der ehrwürdige Vater auf seinen Zelter, dessen dunkelpurpurne Decke bis auf die Erde reichte, pries sich glücklich, daß der vernünftige Schritt seines Thieres nicht ferner durch die Bocksprünge von Piercie's Streitroß gestört werden würde, und trabte langsam von dannen seinem Kloster zu.

Als der Subprior aufgestiegen war, suchte sein Auge den jungen Halbert, welcher, durch einen Vorsprung der äußeren Seite der Hofmauer theilweise verdeckt, abgesondert dastand und den abziehenden Trupp betrachtete. Unbefriedigt durch seine Auskunft über die geheimnißvolle Geschichte mit der silbernen Nadel, und doch voll Theilnahme für den Jüngling, von welchem er eine vortheilhafte Meinung hatte, war der würdige Mönch entschlossen, die nächste Gelegenheit zu ergreifen, um diese Sache zu ergründen. Für dießmal warf er Halberten einen ernsten, warnenden Blick zu und hob den Finger gegen ihn in die Höhe, als er durch ein Zeichen Lebewohl sagte. Und dann schloß er sich an seine Gefährten an und folgte seinem Oberen die Schlucht hinab.



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