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Fünftes Kapitel.

Ich will jetzt andere Hülfe suchen. – Geister,
So sagt man, fliegen dicht umher, wie Stäubchen
Im Sonnenstrahl. Wofern der Schwarzkunst Siegel
Und dieser Zauber sie vermag zu bannen,
Dann sollen sie mir rathen.

Jakob Duff.

Des Lesers Aufmerksamkeit muß jetzt wieder auf Halbert Glendinning gerichtet werden, welcher unmittelbar nach seinem Wortwechsel mit dem neuen Gast, Herrn Piercie Shafton, den Thurm von Glendearg verlassen hatte. Der alte Martin folgte ihm und bat ihn, nicht so schnell zu gehen.

»Halbert,« sagte der Alte, »Ihr werdet es nie erleben, graue Haare zu bekommen, wenn Ihr bei jedem Funken Feuer fangt.«

»Und warum sollte ich es wünschen, alter Mann,« fragte Halbert, »wenn ich eine Zielscheibe sein muß, nach welcher jeder Narr einen Pfeil des Spottes abschießen darf? Was hast du davon, alter Mann, daß du dich regst, schläfst, wachst, dein kümmerliches Mahl issest und auf dem harten Strohsack ruhst? Findest du es so schön, daß der Morgen dich zu deiner täglichen Arbeit weckt, und daß der Abend dich wieder als einen abgematteten Jämmerling hinstreckt? Wär' es nicht besser, einzuschlafen und nie mehr zu erwachen, als sich diesem ewigen Wechsel von Arbeit und Bewußtlosigkeit stumpfsinnig zu unterziehen?«

»Gott steh' mir bei,« erwiederte Martin; »es mag Wahrheit in dem sein, was Ihr sagt. Aber geht langsamer; meine alten Knochen können mit Euren jungen Beinen nicht Schritt halten; – geht langsamer; und ich will Euch sagen, warum das Alter, obwohl unangenehm, doch erträglich ist.«

»Sag an denn,« sprach Halbert, seinen Schritt mäßigend; »aber vergiß nicht, daß wir Wildprett suchen müssen, zur Erquickung der heiligen Männer da, nach den großen Anstrengungen einer Reise von drei Meilen diesen Vormittag. Wenn wir den Spießerkopf nicht erreichen, werden wir schwerlich ein Geweih zu Gesicht bekommen.«

»Wisse also, guter Halbert, den ich liebe wie meinen eignen Sohn, daß ich zufrieden bin, zu leben, bis der Tod mich abruft, weil es meines Schöpfers Wille ist. Und obwohl ich ein mühseliges Leben führe, im Winter von Frost gedrückt und im Sommer von der Hitze verbrannt, obwohl ich rauhe Speisen und ein hartes Lager habe, so denk' ich doch, daß, wär' ich auf dieser Welt von keinem Nutzen, Gott mich davon wegnehmen würde.«

»Du armer alter Mann!« versetzte Halbert. »Solch eine leere Einbildung von deiner vermeinten Nützlichkeit kann dich also mit einer Welt aussöhnen, wo du eine so jämmerliche Rolle spielst?«

»Meine Rolle war ziemlich eben so armselig,« entgegnete Martin, »meine Person war ziemlich eben so verachtet an dem Tag, wo ich meine Herrschaft und ihr Kind vorm Verderben in der Wildniß rettete.«

»Recht, Martin,« sprach Halbert; »da hast du wirklich Etwas gethan, was ein ganzes Leben voll Unbedeutendheit gut macht.«

»Und rechnet Ihr es für Nichts, Halbert, daß ich im Stande bin, Euch eine Lehre der Geduld und der Unterwerfung unter die Fügungen der Vorsehung zu geben? Ich denke, die grauen Haare auf dem alten Kopf haben ihren Nutzen, wär' es auch nur der, den jungen Kopf durch Lehre und Beispiel zu unterweisen.«

Halbert sah zu Boden, schwieg eine oder zwei Minuten und hob dann wieder an: »Martin findest du mich seit Kurzem irgend verändert?«

»Ganz gewiß,« antwortete Martin. »Ich habe Euch immer als einen hastigen, wilden, unüberlegten, barschen Jungen gekannt, bereit zu sprechen, was Euch in den Mund kam; aber jetzt kommt es mir vor, als hätte Euer Benehmen, ohne seine natürliche Raschheit verloren zu haben, eine gewisse Kraft und Würde gewonnen, die ihm früher abging. Es ist, wie wenn Ihr als ein Bauer eingeschlafen und als ein Edelmann aufgewacht wäret.«

»Du verstehst dich also darauf, ein Benehmen zu beurtheilen, ob es adelig oder nicht?« fragte Halbert.

»Allerdings, einigermaßen,« antwortete Martin. »Ich bin mit meinem Herrn, Walter Avenel am Hof, in Stadt und in Lager herumgefahren, wofür er mir freilich nicht mehr geben konnte, als eine Trift am Berg für ein halbes hundert Schafe. In diesem Augenblick, wo ich mit Euch rede, bemerke ich, daß meine Aussprache feiner ist, als gewöhnlich, und daß ich statt der mir so geläufigen nordischen Mundart mehr die städtische Sprache rede.«

»Und diese Veränderung in dir und mir kannst du dir nicht erklären?« fragte Halbert.

»Veränderung?« entgegnete Martin. »Bei mir ist es nicht sowohl eine Veränderung als vielmehr ein Wiedererwecken und Erneuern von Empfindungen und Ausdrücken, welche mir vor dreißig Jahren geläufig waren, ehe Tibb und ich unseren Haushalt angerichtet hatten. Sonderbar ist nur dabei, daß Eure Gesellschaft diesen erweckenden Einfluß auf mich hat, und daß ich früher nie dergleichen an mir bemerkt habe.«

»Glaubst du,« fragte Halbert, »Etwas an mir zu sehen, was im Stande wäre, mich aus diesem gemeinen, niedrigen, verachteten Stand zu erheben, so daß ich mit den stolzen Männern auf gleicher Linie stände, welche jetzt meine bäurische Armuth verachten?«

Martin besann sich einen Augenblick und sprach dann: »Sicherlich ist das möglich, so gewiß als auch wohl ein gebrochenes Schiff an's Land gekommen ist. Habt Ihr nie von Hug Dun gehört, der vor etwa fünfunddreißig Jahren aus dem Stift ausgewandert ist? Ein geschickter Kerl war Hug – konnte lesen und schreiben wie ein Priester und Schild und Schwert handhaben trotz dem besten Reisigen. Ich erinnere mich seiner noch genau; seinesgleichen ist nie in dem Stift S. Marien gesehen worden, aber die Erhöhung, welche Gott ihm verlieh, war auch beispiellos.«

»Und die war?« fragte Halbert mit vor Neugier funkelnden Blicken.

»Nichts Geringeres, als Leibdiener des Erzbischofs von S. Andrew's zu sein!« antwortete Martin.

Halbert machte ein langes Gesicht. »Ein Diener? – eines Priesters? War das Alles, wozu Kenntniß und Thätigkeit ihn erheben konnte?«

Martin seinerseits schaute seinen jungen Freund betreten an. »Wozu weiter,« sprach er, »hätte ihn das Glück erheben können? Der Sohn eines Kirchenhubers ist nicht der Stoff, aus welchem Ritter und Herren gemacht werden. Herzhaftigkeit und Schulwitz können, denk' ich, Bauernblut nicht in Edelmannsblut umwandeln. Ich habe überdieß gehört, daß Hug Dun seiner einzigen Tochter seine fünfhundert Pfund Schottisch hinterließ, und daß diese den Amtmann von Pittenweem heirathete.«

Halbert besann sich auf eine Entgegnung, da sprang ein Stück Rothwild über den Weg. In einem Augenblick war seine Armbrust angeschlagen, der Pfeil schwirrte, das Thier that einen Sprung in die Höhe und stürzte todt auf den Rasen.

»Da liegt das Wildpret, welches unsere Dame braucht,« sagte Martin. »Wer hätte denken sollen, daß ein Hirsch in dieser Jahreszeit so tief die Schlucht herabkäme? Und ein fetter Kerl ist's, ausgewachsen, drei Zoll Fett auf der Brust. So habt Ihr eben überall Glück, Halbert, wo Ihr geht und steht. Wenn Ihr Euch darum bewerben wolltet, möcht' ich gut dafür stehen, daß Ihr Jäger beim Abt würdet und so stolz, wie nur Einer, in dem Purpurwams einherrittet.«

»St!« entgegnete Halbert; »ich will der Königin dienen oder Niemanden. Schaffe das Wildpret hinunter, denn sie erwarten es im Thurm. Ich will hinauf in's Moos. Ich habe ein paar Vogelpolzen im Gurt; vielleicht find' ich Geflügel.«

Er beschleunigte seine Schritte und war bald dem Alten aus dem Gesicht. Dieser sah ihm einige Augenblicke gedankenvoll nach, und sagte dann: »Aus dem Jungen könnte was Rechtes werden, wenn der Ehrgeiz ihn nicht zu Grunde richtet. – Der Königin dienen! – Je nun, sie hat am Ende schlechtere Diener, als er zu werden verspricht. Warum sollt' er seinen Sinn nicht auf hohe Dinge stellen? Wer nach der Spitze der Leiter zu klimmt, kommt wenigstens einige Sprossen aufwärts, und wer es auf einen goldnen Rock gemünzt hat, erwischt am Ende immer einen Aermel. – Aber komm liebes Hirschlein, du sollst auf meinen zwei Beinen etwas langsamer nach Glendearg gehen, als du eben noch auf deinen vier Läufen gesprungen bist. Nein, meiner Treu, wenn du so schwer bist, muß ich mich mit dem Besten von dir begnügen, das ist mit Ziemer und Eingeweide, und das Uebrige einstweilen dort am alten Eichbaum aufhängen und dann mit einem Gaul kommen, es zu holen.«

Während Martin mit dem Wildpret nach Glendearg zurückkehrte, setzte Halbert seinen Weg fort, freier athmend, seitdem er seines Begleiters ledig war. »Der Bediente eines stolzen, faulen Priesters! Leibknappe des Erzbischofs von S. Andrew's!« wiederholte er für sich. »Das und das große Glück, seine Tochter an den Amtmann von Pittenweem zu verheirathen, soll die Erhöhung sein, nach welcher ein braver Mann zu ringen hätte! Eine Erhöhung, die alle vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Hoffnungen des Sohnes eines Kirchenhubers krönen müßte! Bei Gott! wenn mir ihre nächtlichen Räubereien nicht zuwider wären, wollte ich lieber die Jacke anziehen und unter die Gränzreiter geh'n. Etwas aber muß ich thun. Hier will ich nicht länger leben, erniedrigt, der Hohn jedes faselnden Fremden aus dem Süden, der sich Etwas damit weiß, daß er klirrende Sporen an seinen braunen Stiefeln trägt. Dieses Ding, dies Gespenst – sei es, was es wolle, will ich noch einmal sehen. Seit ich mit ihr gesprochen, seit ich ihre Hand berührt habe, sind Gedanken und Gefühle in mir aufgegangen, von denen mein früheres Leben sich Nichts hatte träumen lassen. Soll ich, dessen strebendem Geiste die Schlucht meines Vaters zu enge ist, mir darin Hohn sprechen lassen von diesem höfischen Gecken – im Angesicht von Maria Avenel? Bei Gott! ich will es nicht dulden!«

Mit diesen Worten trat er ein in die versteckte Nebenschlucht der Corrie-nan-shian. Einige Augenblicke betrachtete er die Quelle und überlegte, mit welcher Miene ihn wohl das weiße Fräulein empfangen würde. Sie hatte ihm nicht ausdrücklich untersagt, sie wieder zu beschwören, und doch war es ihm, als läge ein Verbot in ihren Abschiedsworten, welche ihm anempfohlen hatten, eines anderen Führers zu warten. Lange jedoch besann er sich nicht. Kühnheit war sein vorherrschender Charakterzug, und bei der neuerdings eingetretenen höheren Spannung seiner Gefühle hatte dieselbe eher zu- als abgenommen. Er zog sein Schwert, streifte den Halbstiefel ab, verbeugte sich drei Mal langsam gegen den Baum, eben so oft gegen die Quelle und wiederholte wie das vorige Mal die Reime:

»Drei Mal zur Eiche,
Drei Mal zum Wasserquell.
Nieder dich neige,
Jungfrau von Avenel!

Mittagsstrahl glänzt im Teich,
Glüht in dem Sturzbach hell.
Niedersteig, niedersteig,
Jungfrau von Avenel!«

Sein Auge ruhte auf dem Baum, als er die letzten Worte sprach, und nicht ohne einen unwillkührlichen Schauder sah er die Luft zwischen diesem und zwischen seinem Auge sich verdüstern und gleichsam verdichten zu einer Gestalt, durch welche hindurch, wie durch einen Flor, er noch die Umrisse des Baumes erkennen konnte. Die Erscheinung ward allmählig körperlicher, und wie früher stand das weiße Fräulein vor ihm, aber mit Mißfallen im Blick. Sie sprach und ihre Sprache war auch dießmal Gesang oder vielmehr ein zwischen Singen und Sprechen die Mitte haltender Vortrag, nur mit dem Unterschied gegen früher, daß bei dieser Gelegenheit die Verse zum Theil reimlos waren, als spräche sie jetzt vertraulicher, zum Theil aber auch wieder, wie früher, die lyrische Form hatten. Sie begann:

»Heut ist es, wo das Geschlecht der Fee'n
Sitzt einsam, beweinend sein herbes Loos,
Wo die Waldjungfrau seufzt zu des Windes Wehn,
Wo das Seefräulein klagt in des Meeres Schoos.
Heut ist der Tag, wo das Heil erschien,
Das zu theilen uns das Geschick versagt,
Wo den Söhnen des Staub's ward Erlösung verlieh'n,
Die kein Luft- oder Seegeist zu hoffen wagt.
Unheil ruht auf des Sterblichen Pfad,
Der am Morgen des Freitags sich zu uns naht.«

»Geist!« sprach Halbert unerschrocken, »es ist nutzlos, Einem zu drohen, der sein Leben für Nichts achtet. Dein Zorn kann höchstens tödten, und ich bezweifle selbst, ob deine Macht sich so weit erstreckt. Die Schrecken, mit welchen Eure Art Andere aus der Fassung bringen mag, sind gegen mich machtlos. Mein Herz ist wie durch Verzweiflung gegen Furcht gestählt. Wenn ich einem Geschlechte angehörte, welches, wie deine Worte besagen, mehr als das Deine Gegenstand der Fürsorge des Himmels ist, so gebührt es mir, dich zu rufen, dir zu antworten. Ich bin das edlere Wesen.«

Während er sprach, sah ihn die Gestalt mit grimmigem Blick an. Die Gesichtszüge, ohne gerade den früheren ungleich zu werden, waren wilder und verzerrt. Die Augen schienen Feuer zu sprühen, und leichte Zuckungen fuhren über das Antlitz hin, als wollte es sich in eine gräuliche Erscheinung verwandeln. Das Ganze glich den Gesichtern, welche die durch Opium verwirrte Einbildungskraft hervorzaubert, und welche, anfangs lieblich, bald wild und grotesk werden.

Als aber Halbert seine Anrede geendigt hatte, stand das Weiße Fräulein wieder mit demselben ruhigen blassen Antlitz, mit demselben gleichmäßigen schwermüthigen Blick vor ihm, den er von früher her an ihr gewohnt war. Er hatte erwartet, daß ihre Aufregung mit einer grausenhaften Verwandlung endigen würde. Sie aber legte die Arme auf die Brust zusammen und sprach:

»Kühner Jüngling! Heil sei dir,
Wagend, mich zu rufen hier,
Daß dein Herz nicht hat verzagt,
Daß dir nicht der Muth versagt,
Du nicht bebest zurück
Vor dem zornigen Blick
Den du geseh'n bei mir.
Ein Glied durfte beben,
Nur zucken so eben:
Geschehen wär's um dein Leben.
Obwohl ich geformt aus dem Himmelsblau,
Und mein Blut aus dem ungefallenen Thau,
und du geschaffen aus Staub und aus Koth:
Antworten muß ich auf dein Gebot.«

»So frag' ich dich denn,« sagte der Jüngling, »durch welchen Zauber ich so sehr in meinen Neigungen und Wünschen verändert bin, daß ich nicht mehr an Wild und Hund, an Pfeil und Bogen denke, daß mein Blut kocht über eine Beleidigung von Einem, neben dessen Steigbügel ich einige Tage früher einen ganzen Sommermorgen lang hergelaufen sein würde, zufrieden und geehrt durch ein einziges Wort von ihm? Warum suche ich jetzt, Fürsten und Herren und Rittern gleich zu werden? Bin ich derselbe, welcher gestern gleichsam zufrieden in Dunkelheit schlummerte und der heute zu Ruhm und Ehrgeiz erwacht ist? Sprich, sage mir, wenn du kannst, was diese Veränderung bedeutet. Bin ich verzaubert, oder war ich früher unter dem Einfluß eines Zaubers, daß ich mich jetzt als ein anderes Wesen fühle und doch weiß, ich bin derselbe? Sprich und sage mir, ob diese Veränderung durch dich hervorgebracht ist.«

Das Weiße Fräulein antwortete:

»Ein Mächt'gerer als ich, fürwahr,
Das Weltall lenkt auf's Beste.
Sein ist im Himmelsraum der Aar,
Die Turteltaub' im Neste.
Allein in seinen Händen ruht
Die Macht, zu lenken Menschenmuth
Von Gut zu Bös', von Bös' zu Gut,
In Hütt' und stolzer Veste.«

»Sprich nicht so dunkel,« sprach der Jüngling, vor Ungeduld erröthend; »laß mich wissen, was du meinst!«

Der Geist antwortete:

»Dein Herz frag, deß geheime Zell
Erfüllt Maria Avenel.
Frag deinen Stolz, warum er Schmach
Vor ihren Augen nicht leiden mag.
Frag ihn, woher dieß stete Ringen,
Zu Macht und Wissen dich aufzuschwingen;
Warum dein Stand dir zu niedrig ist,
Warum deinen Zeitvertreib du vergiß'st;
Warum du suchest in Kampf und Streit
Den Tod oder Glanz und Herrlichkeit?
Frag dein Herz, und es wird schnell
Seufzen aus geheimster Zell:
Für Maria Avenel.«

»So rathe mir denn,« sprach Halbert, noch immer tief erröthend, »du, die du mir gesagt, was ich selber mir zu sagen nicht wagte, wie soll ich meine Leidenschaft kund und geltend machen?«

Das weiße Fräulein erwiederte:

»Ich kann's nicht sagen.
Behell'ge du mich nicht mit derlei Fragen.
Wir sehen nur, was äußerlich sich zeigt,
Wenn Eure Leidenschaft bald ebbt bald steigt,
Betrachten dieses Schauspiels leeren Schimmer,
Wie Ihr des Nordlichts prächtiges Geflimmer,
Wenn tausend Feuerwimpel lang gezogen,
Hinwehen durch die Nacht am Himmelsbogen!
Ihr schauet an dieß wechselvolle Licht,
Allein Euch wärmen seine Strahlen nicht.«

»Aber dein eignes Schicksal,« entgegnete Halbert, »ist doch, wenn die Menschen nicht sehr irren, mit dem Loos von Sterblichen verknüpft?«

Die Erscheinung antwortete:

»Geheimnißvolle Bande knüpfen uns
Gefeite Wesen an die Menschenart.
Der Stern, so aufging über Avenels Haus,
Als Normann Ulrich diesen Namen annahm,
Derselbe Stern aus seinem Scheitelpunkt
Schoß einen Tropfen Demantthau herab,
Und dieser Quell empfing ihn, und ein Geist
Entstieg der Quelle, dessen Lebensziel
Erreicht ist, wenn Haus Avenel erlöscht
Und jener Stern, der's lenkt.«

»Sprich deutlicher,« entgegnete der junge Glendinning; »von diesem da versteh' ich Nichts. Sag, was hat die verhangnißvolle Verkettung deines Geschickes mit dem Hause Avenel zu schaffen? Sage insbesondere, welches Schicksal steht jetzt diesem Hause bevor?«

Das weiße Fräulein antwortete:

»Schau meinen Gürtel, diesen Faden Gold,
So dünn, als wie die leicht'sten Sommerfäden.
Läg' nicht ein Zauber d'rin, nicht halten könnt' er
Die doch so leichten Falten meines Kleides.
Und anfangs war ein Reif er, stark genug,
Zu fesseln jenen Kämpen Israels,
Als seine Locken unversehrt noch waren.
Zusammenschwand der Gurt, ward schwach und klein,
So wie die Größe von Haus Avenel sank.
Springt dieser schwache Draht, dann übergeb
Den Elementen ich die Kräfte wieder,
Die sie zum Leben einstens mir verliehn.
Frag mich darob nicht mehr; die Sterne wehren's.«

»Also kannst du in den Sternen lesen?« versetzte der Jüngling, »und kannst mir das Schicksal meiner Leidenschaft berichten, wenn du sie auch nicht zu unterstützen vermagst?«

Das weiße Fräulein antwortete:

»Matt strahlet Avenel's Stern, einst so hell,
Matt wie der Leuchtthurm, wenn der Morgen naht,
Und müd der Wächter seine Wart verläßt.
Ein Einfluß ist, bedauerlich und furchtbar,
Der abwärts seinen Lauf drängt. Schlimme Lust,
Grimm, Haß und Eifersucht zeigt der Aspect
Der seinem Dasein dräut.«

»Und Eifersucht?« wiederholte Halbert. »Es ist also so, wie ich fürchtete! Aber soll dieser englische Seidenwurm sich erkühnen, mir Hohn zu sprechen in meines Vaters Haus und in der Gegenwart Marien's? Gib mir die Möglichkeit, Geist, ihm zu begegnen, setze mich in Stand, den eitelen Unterschied des Ranges aufzuheben, um dessentwillen er mir den Kampf abschlägt. Setze uns auf gleichen Fuß, und laß die Sterne scheinen, mit welchem Aspect sie wollen: meines Vaters Schwert soll ihrem Einfluß die Wage halten.«

Sie antwortete, ohne Verzug wie zuvor:

»Wenn Unheil folgt, klag mich nicht an,
Daß ich dir deinen Willen gethan.
Dem, der in der Näh' der Sterne
Schwebt, sind Lieb' und Haß gleich ferne.
Je nach deinem Denken und Thun gedeiht
Meine Gabe zum Heil dir oder zum Leid.«

»Setze mich in Stand, meine verpfändete Ehre einzulösen,« rief Halbert, »mache mir möglich, meinem stolzen Nebenbuhler den Hohn zurückzugeben, den er gegen mich gerichtet hat, und laß das Uebrige gehen wie es will. Kann ich nicht Rache nehmen, nun dann will ich ruhig schlafen und Nichts von meiner Schmach wissen.«

Die Erscheinung ließ nicht auf eine Entgegnung warten:

»Will Piercie Shafton auf sich blähn,
Dann laß ihn dieses Zeichen sehn.
Es neigt sich die Sonne zum Himmelspol;
Gewährt ist dein Wunsch. Nun lebe wohl.«

Während sie diese Worte sprach, zog sie aus ihrem Haar eine silberne Nadel, um welche es gewickelt war, und gab sie Halberten. Darauf schüttelte sie ihre Locken, daß sie wie ein Schleier um ihre Gestalt fielen. Die Umrisse dieser Gestalt flossen allmählig in einander, wie ihr wallendes Haar, ihr Ansehen ward blaß, wie der Mond im ersten Viertel, ihre Gesichtszüge wurden unkenntlich, und sie zerging in der Luft.

Gewohnheit macht uns auch mit Wundern vertraut. Immerhin fühlte der Jüngling, als er sich bei der Quelle allein sah, dieselbe Gemüthsbewegung, wenn auch in geringerem Maaße, wie beim vormaligen Verschwinden der Erscheinung. Ein lebhafter Zweifel stieg in ihm auf, ob es geheuer sei, sich der Gabe eines Geistes zu bedienen, welcher gar nicht behauptete, zur Klasse der Engel zu gehören und, wer weiß, von viel schlimmerer Herkunft war, als er gestehen wollte. »Ich will,« sagte er, »mit Edwarden davon sprechen; der ist gelehrt und kann mir sagen, was ich thun soll. – Aber nein – Edward ist ängstlich und behutsam. – Ich will die Wirkung ihrer Gabe an Herrn Piercie Shafton erproben, wenn er mich nochmals höhnt, und nach dem Erfolg will ich beurtheilen, ob Gefahr dabei ist, sich Raths bei ihr zu erholen. Fort, nach Hause – und bald werden wir sehen, ob dieß Haus mich länger beherbergen soll; denn zum zweiten Mal werd' ich Hohn nicht dulden mit meines Vaters Schwert an der Seite und Marien als Zuschauerin meiner Schande.«



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