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Seit sie eingeritten in unseren Thoren
Mit Schulterstück und rostigen Sporen
Ist Aussaat und Arbeit so gut wie verloren,
So spricht Hans Uponland.
Handschrift von Bannantyne.
Die schottischen Gesetze, eben so weise und verständig abgefaßt, als nachlässig und kraftlos vollzogen, hatten vergebens gestrebt dem Schaden Einhalt zu thun, den der Ackerbau litt durch die Häuptlinge und Landherrn mit ihren bewaffneten Dienern. Jackmänner hießen diese Diener von den Jacken oder mit Eisendraht durchzogenen Wämsern, die sie als Rüstung trugen. Dieses kriegerische Gefolge benahm sich äußerst übermüthig gegen den betriebsamen Theil der Bevölkerung, lebte größtentheils von Plünderung, und war bereit, jeden Befehl seiner Gebieter zu vollziehen, wie gesetzwidrig derselbe auch sein mochte. Bei dieser Lebensweise verzichteten die Menschen auf die friedlichen Hoffnungen und regelmäßigen Arbeiten des Gewerbfleißes, um ein unruhiges, mißliches und gefährliches Geschäft zu treiben, welches freilich solchen Reiz hatte für die einmal daran Gewöhnten, daß sie unfähig wurden, sich einem anderen zu widmen. Daher die Klagen von Hans Upland, einer erdichteten Person, die einen Landmann vorstellt, welchem die Dichter jener Zeit ihre Satiren über Menschen und Sitten in den Mund legten:
Sie reiten daher mit großem Grimm
Durch Forst und Busch und Feld,
Mit Bogen, Schwert und Rand
Schild, in der Sprache des Nibelungenliedes..
Sie reiten quer durch's Kornfeld frei.
Der Teufel gesegne die Kumpanei!
Spricht Hans Uponland.
Christie von Clinthill, der Reitersmann, welcher eben bei dem Thurm von Glendearg anlangte, war Einer von der hoffnungsvollen Kumpanei, über welche der Dichter klagt. Seine Schulterstücke (Eisenbleche auf den Schultern) seine verrosteten Sporen und sein langer Spieß bezeichneten ihn als solchen. Seine eiserne Sturmhaube, keine der glänzendsten, war mit einem Steineichenzweig geziert, dem Abzeichen derer von Avenel. Ein langes zweischneidiges Schwert mit einem Griff von glänzendem Eichenholz hing an seiner Seite. Die Magerkeit des Rosses und das wilde hagere Gesicht des Reiters bewiesen, daß ihr Geschäft weder leicht noch gedeihlich war. Er grüßte die Dame Glendinning ohne viele Höflichkeit und den Mönch mit noch weniger, denn die wachsende Mißachtung der Mönchsorden hatte sich auch unter diesen ungeschlachten Menschen verbreitet, obwohl denselben vermuthlich die neue Lehre eben so gleichgültig war, wie die alte.
»Also unsere Gnädige Frau ist todt, Dame Glendinning?« sprach der Jackmann. »Eben hat Euch mein Herr einen fetten Ochsen zum Einschlachten für sie geschickt – jetzt kann er zum Leichenschmaus dienen. Ich hab' ihn in der oberen Klemme gelassen; er ist leicht kenntlich, mit der Scheere und mit dem Brenneisen gezeichnet. Je geschwinder das Fell herunter ist – und er ist speckfett – desto weniger Mühe habt Ihr mit ihm – verstanden? Gebt mir eine Metze Korn für meinen Gaul und Rindfleisch und Bier für mich, denn ich muß in's Kloster, wiewohl, der Mönch da könnte meine Botschaft ausrichten.«
»Deine Botschaft, du roher Gesell?« sprach der Subprior, die Stirne runzelnd.
»Um Gottes willen!« rief die arme Dame Glendinning, zitternd bei dem Gedanken an einen Streit zwischen Beiden. – »Christie! es ist der Subprior – hochwürdiger Herr, es ist Christie von Clinthill, des gnädigen Herrn oberster Jackmann; Ihr wißt von solchen Leuten ist nicht viel zu erwarten.«
»Ihr seid ein Diener des Freiherrn von Avenel?« sprach der Mönch, »und redet so unziemlich zu einem Klosterbruder des Stiftes zu S. Marien, dem Euer Herr so viel Dank schuldig ist.«
»Er will Euer Haus noch mehr Dank verdienen lassen, Herr Mönch,« erwiederte der Gesell. »Dieweil er gehört hat, daß seine Schwägerin auf dem Todbett lag, hat er mich geschickt, dem Vater Abt und der Bruderschaft zu entbieten, daß er den Leichenschmaus in ihrem Kloster halten will und sich dazu einladet mit zwanzig Pferden und etlichen Freunden auf drei Tage und drei Nächte – Speise für Roß und Mann auf Kosten des Stifts. Solches läßt er schuldiger Maßen vermelden, damit gebührliche Zurüstung bei Zeiten gemacht werde.«
»Freund,« sprach der Subprior, »bilde dir nicht ein, daß ich dem Pater Abt die Schmach anthun werde, eine solche Botschaft auszurichten. Meinst du, die Güter der Kirche seien durch heilige Fürsten und fromme Herren, die jetzt todt sind, dazu gestiftet, um in Saus und Braus verpraßt zu werden von jedem lüderlichen Laien, der mehr Diener hinter sich nachschleppt, als er ehrlicher Weise oder durch sein eignes Einkommen erhalten kann? Melde deinem Herrn vom Subprior zu S. Marien, daß der Primas an uns sein Gebot hat ergehen lassen, nicht länger solche erzwungene Gastfreiheit auf nichtige oder falsche Vorwände hin zu üben. Land und Gut ist uns gegeben, Pilger und fromme Leute zu unterstützen, nicht aber Schaaren roher Söldner zu mästen.«
»Das sagst du mir!« schrie zornig der Reisige, »das sagst du mir und meinem Herrn? Schaut zu, Herr Priester, und seht ob Ave und Credo Ochsen vor'm Wegtrieb und Heuschober vor'm Brennen bewahren.«
»Und du bedräuest das Erbe der heiligen Kirche mit Verheerung und Brand?« entgegnete der Subprior, »und das im Angesicht der Sonne? Ich rufe Alle, die mich hören, zu Zeugen auf für die Worte, die dieser Spitzbube gesprochen hat. Denke daran, wie Herr Jakob Bastard des vorigen Königs, Bruder der Königin, vergl. Theil III. Kap. 9. Deinesgleichen schockweise im schwarzen Loch bei Jeddart ersäuft hat. Bei ihm und bei dem Primas will ich Klage führen.«
Der Söldner fällte den Speer. Elspeth schrie um Hülfe: »Tibb Tacket! Martin! Wo seid Ihr? – Christie, um Gottes willen, bedenk', es ist ein Mann der heiligen Kirche!«
»Ich achte seinen Speer nicht,« sprach der Subprior. »Wenn ich erschlagen werde in der Vertheidigung der Rechte und Freiheiten meines Stiftes, wird der Primas Rache zu nehmen wissen.«
»Der soll seinen eignen Pelz wahren,« bemerkte Christie gleichgültig, indem er seinen Spieß an die Mauer stellte. »Wenn die Männer von Fife wahr gesprochen haben, die bei der letzten Fahrt mit dem Landpfleger hier waren, dann hat er eine Fehde mit Normann Leslie, und der wird ihm hart zu Leibe gehen. Wir kennen Normann als einen ächten Schweißhund, der die Fährte nicht verliert. Aber ich hatte nicht die Absicht, den heiligen Vater zu beleidigen,« fügte er hinzu, vielleicht denkend, er sei zu weit gegangen; »ich bin ein ungeschliffener Mann, zu Spieß und Steigbügel erzogen, und nicht gewohnt, mit Schriftgelehrten und Priestern zu schaffen zu haben, und ich bin bereit, um seine Vergebung und seinen Segen zu bitten, wenn ich was Unrechtes gesagt habe.«
»Um Gottes willen, Ew. Ehrwürden,« sprach die Wittwe bei Seite zu dem Subprior, »laßt ihm Eure Vergebung angedeihen. Wie sollen wir arme Leute ruhig schlafen in dunkeln Nächten, wenn das Stift in Fehde liegt mit Leuten, wie er?«
»Ihr habt recht, Dame,« sagte der Subprior, »Eure Sicherheit muß vor Allen Dingen in Betracht gezogen werden. – Söldner, ich vergebe dir; möge Gott dich segnen und dir Ehrlichkeit verleihen!«
Christie neigte halb wider Willen das Haupt und murmelte für sich: »das heißt so viel als: Gott laß dich Hungers verrecken. – Aber« – fügte er laut hinzu – »nun zu dem Auftrag meines Herrn, Herr Priester – welchen Bescheid soll ich ihm bringen?«
»Daß der Leichnam der Wittwe Walters von Avenel standesmäßig soll bestattet werden in der Gruft ihres tapferen Gemahles. Was den dreitägigen Besuch Eures Herrn mit solcher Gesellschaft und Gefolge betrifft, so hab' ich keine Befugniß, darüber etwas zu entscheiden; Ihr müßt Eures Gebieters Vorhaben dem Hochwürdigen Gnädigen Herrn Abt vortragen.«
»Das kostet mich einen Ritt weiter,« sprach der Knecht; »nun es geht in einem hin. – Nun Junge,« sprach er zu Halbert, der die Lanze in die Hand nahm, »wie gefällt dir so ein Spielzeug? Willst du mit mir gehen und ein Moosklepper werden?«
»Die Heiligen wollen es in Gnaden verhüten!« rief die Mutter voll Entsetzen, besann sich aber sogleich, daß diese Aeußerung dem wilden Burschen mißfallen dürfte, und beeilte sich, hinzuzufügen, daß sie seit Simons Tod keinen Speer oder Bogen oder sonstige tödtliche Waffe sehen könne, ohne zu zittern.
»Puh!« entgegnete Christie, »du solltest einen anderen Mann nehmen und dir solche Possen aus dem Sinn schlagen. Was sagst du zu so einem stattlichen Jungen, wie ich? hm! dein alter Thurm da läßt sich schon vertheidigen und da herum fehlt's nicht an Klemmen und Felsen und Sümpfen und Dickichten, wenn einem scharf zu Leibe gegangen wird. Hier kann ein Mann wohnen und sein Dutzend Gesellen und eben so viel Wallache halten und leben von dem, was ihm vor die Hand kommt, und dich lieb haben, Alte.«
»Ach! Meister Christie,« sprach die Hausfrau, »wie mögt Ihr so zu einer hülflosen Frau reden, und der Tod ist obendrein im Hause!«
»Hülflose Frau! Hm! Ei gerade darum solltest du einen Gehülfen nehmen. Dein alter Freund ist todt – gut, so nimmst du einen anderen, der ein Bischen dauerhafter ist und der nicht am Pips stirbt, wie ein junges Huhn. Gewiß besser. – – Kommt Dame, laßt mich einen Imbiß nehmen, und wir wollen davon weiter reden.«
Obwohl Dame Elspeth wußte, von welchem Schlag der Bursche war, so daß sie ihn verabscheute und fürchtete, konnte sie doch nicht umhin, zu dieser Anrede zu schmunzeln. Sie flüsterte dem Subprior zu: »Man muß ihn um jeden Preis bei guter Laune zu halten suchen,« und ging in den Thurm, dem Söldner die verlangte Speise vorzusetzen, hoffend durch ein gutes Mahl und durch ihre eignen Reize den Burschen in eine solche Stimmung zu versetzen, daß der Wortwechsel zwischen ihm und seiner Ehrwürden sich nicht erneuerte.
Der Subprior seinerseits hatte auch keine Lust, einen unnöthigen Bruch zwischen dem Stift und einem Menschen wie Julian von Avenel zu veranlassen. Er sah, daß Mäßigung sowohl, wie Festigkeit nöthig war, um die wankende Sache der römischen Kirche zu halten, und daß, im Gegensatz zu früheren Zeiten, gegenwärtig die Streitigkeiten zwischen Geistlichkeit und Laien gewöhnlich zum Vortheil des Letzteren ausgingen. Deßhalb wollte er fernerem Streit durch seine Entfernung vorbeugen, vergaß aber nicht, sich in Besitz des Buches zu setzen, welches der Küster den Abend zuvor mitgenommen hatte, und welches auf so wunderbare Weise in die Schlucht zurückgebracht worden war.
Edward, der jüngere von Elspeths beiden Knaben, machte große Einwendungen gegen die Wegnahme des Buches. Marie würde wahrscheinlich desgleichen gethan haben; aber sie war jetzt in ihrer Schlafkammer mit Tibb, welche ihre schwachen Kräfte aufbot, das Fräulein wegen des Todes ihrer Mutter zu trösten. Zur Vertheidigung ihres Eigenthums erhob sich der jüngere Glendinning und erklärte mit einer Entschiedenheit, wie man sie noch nie an ihm bemerkt hatte: jetzt, wo die liebe Gnädige Frau todt sei, gehöre das Buch Marien, und Niemand anders, als sie dürfe es haben.
»Aber, liebes Kind,« sprach der Pater sanft, »wenn es kein Buch ist, das sich zum lesen für Marien eignet, so wirst du doch nicht wollen, daß sie es behält?«
»Die Gnädige Frau hat es gelesen,« versetzte der junge Kämpe für Eigenthum, »also kann es nicht schlimm sein. Es darf nicht weggenommen werden. – Wo steckt nur Halbert? – gewiß horcht er auf die Eisenfresser-Geschichten des lustigen Christie. Sonst will er immer fechten und jetzt ist er nicht bei der Hand.«
»Ei Edward, du wirst doch nicht mit mir fechten wollen, einem Priester, und alten Mann?«
»Und wenn Ihr der Papst wäret und so alt wie die Hügel, sollt Ihr Mariens Buch nicht wegnehmen ohne ihre Erlaubniß. Ich will mich dafür schlagen.«
»Aber sieh, mein Kind,« sprach der Mönch, dem die Entschlossenheit und Treue des Knaben gefiel, »ich nehme das Buch nicht weg, ich borge es nur, und ich lasse dafür mein schönes Meßbuch zurück zum Pfand, daß ich es wiederbringe.«
Edward schlug neugierig das Meßbuch auf und betrachtete die Bilder, mit denen es geschmückt war. »Sanct Georg und der Drache – das wird dem Halbert gefallen, und da S. Michael, der sein Schwert über dem Haupt des Bösen schwingt, – das wird Halberten auch zusagen. Und siehe da S. Johann der sein Lamm in der Wüste führt, mit seinem Kreuzlein von Rohr und mit Tasche und Stab – das soll mein Liebling sein. Aber wo finden wir Eins für das arme Mariechen? – Da ist ein schönes Weib, die weint und jammert.«
»Das ist Sankt Marie Magdalena, die ihre Sünden bereut, mein liebes Kind,« sprach der Pater.
»Das paßt nicht für unsere Marie, denn sie macht keine Fehler, und ist nie böse gegen uns, als wenn wir etwas Unrechtes thun.«
»Komm,« sagte der Pater; »so will ich dir eine Maria zeigen, welche sie und Euch, und alle guten Kinder beschützt. Sieh, wie schön, ihr Rock übersäet mit goldenen Sternen.«
Der Knabe verlor sich in der Bewunderung des Bildes der Jungfrau, welches der Subprior ihm aufschlug. »Das,« rief er, »ist gerade wie unsere liebe Marie, und ich denke, ich will Euch das schwarze Buch mitnehmen lassen, in welchem keine so schönen Sachen sind, und Ihr laßt unserer Marie dafür dieses. Aber Ihr müßt versprechen, das Buch wiederzubringen, guter Vater – denn es fällt mir ein, ihr wird doch das am liebsten sein, was ihrer Mutter gehört hat.«
»Ganz gewiß komm' ich zurück,« sprach der Mönch ausweichend, »und vielleicht lehr' ich Euch auch schreiben und lesen so schöne Buchstaben, wie du hier geschrieben siehst, und sie blau, grün und gelb malen und mit Gold verzieren.«
»Ach ja! und so schöne Bilder machen, wie diese Heiligen und besonders diese zwei Marien.«
»Mit ihrem Beistand kann ich Euch auch das lehren, so weit Ihr Geschick dazu habt.«
»Ach,« rief Edward, »dann male ich Mariens Bild – und vergeßt nicht, das schwarze Buch wiederzubringen; das müßt Ihr mir versprechen.«
Der Subprior eilte, von dem hartnäckigen Jungen loszukommen und seinen Rückweg nach dem Kloster anzutreten, ohne weiter mit dem Moosklepper in Berührung zu kommen. Er versprach, was Edward verlangte, bestieg sein Maulthier und ritt von dannen.
Der Novembertag neigte sich zum Ende, als der Subprior seinen Heimweg antrat, denn die Schwierigkeit des Weges und die mancherlei Verzögerungen in dem Thurm hatten ihn länger aufgehalten, als er gewollt hatte. Ein kalter Ostwind sausete zwischen den dürren Blättern und wehte sie herunter.
»Gerade so,« sprach der Mönch, »werden auch unsere Aussichten in diesem Erdenthale trostloser, je weiter der Strom der Jahre fließt. Wenig hab' ich mit meiner Reise gewonnen, außer der Gewißheit, daß die Ketzerei mit ungewöhnlicher Regsamkeit bei uns geschäftig ist, und daß Hohn gegen die geistlichen Orden und die Lust, Kirchengut zu plündern, welche im Osten Schottlands so allgemein sind, auch in unserer Nähe sich zu verbreiten anfangen.«
Der Hufschlag eines Pferdes hinter ihm unterbrach seine Betrachtungen. Nicht lange, so sah er neben sich den wilden Reiter, den er im Thurm zurückgelassen hatte.
»Guten Abend mein Sohn und benedicite,« sprach er zu ihm. Aber der rohe Söldner dankte kaum mit einem leichten Nicken, stieß seinem Pferd die Sporen in die Seiten und jagte vorwärts. »Und hier,« fuhr Eustach in seinen Betrachtungen fort, »ist eine andere Plage der Zeit, ein Gesell, geboren das Land zu bebauen, aber durch die heillosen, unchristlichen Spaltungen im Lande in einen kecken, lüderlichen Räuber verwandelt. Die Landherren von Schottland sind jetzt zu meisterlichen Dieben und Spitzbuben geworden, unterdrücken den Armen mit offener Gewalt, plündern die Kirche durch Erpressung und Verköstigung in Abteien und Prioreien ohne Scheu und Scham. Ich fürchte, ich komme zu spät, um dem Abt zu rathen, diesen kecken Einlagerern Sich einlagern ( to sorne) bedeutet in Schottland: freies Quartier erzwingen. Es ist durch ein Gesetz vom Jahr 1445 dem Diebstahl gleichgestellt. Die mächtigen Häuptlinge bedrückten die Klöster vielfältig und schwer durch Erpressungen dieser Art. Das Stift Aberboothwick klagte über einen Grafen von Angus, der es regelmäßig jedes Jahr ein Mal mir einem Troß von tausend Pferden heimsuchte und dablieb, bis alle Wintervorräthe des Klosters aufgezehrt waren. die Stirn zu bieten. Ich muß eilen.« Und damit setzte er seine Reitgerte in Bewegung, sein Maulthier anzutreiben. Dieses aber, anstatt rascher zuzutraben, sprang plötzlich seitwärts, und alle Bemühungen des Reiters, es vorwärts zu bringen, waren fruchtlos.
»Bist auch du vom Zeitgeiste angesteckt?« sprach der Mönch. »Du warst doch sonst ein gutes, folgsames Thier, und jetzt bist du so stätig, wie nur irgend ein wilder Jackmann oder ein verstockter Ketzer.«
Während er so mit dem scheuen Thier zürnte, sang eine weibliche Stimme ihm in's Ohr oder wenigstens ganz in seiner Nähe:
»Guten Abend, Herr Priester! so spät mögt Ihr reiten,
Auf stattlichem Maulthier, im Mantel, dem weiten?
Ob Ihr reitet durch's Thal nun, ob über die Höh'n,
Ich muß Euch beständig zur Seite steh'n.
Ich such', ich such'
Das schwarze Buch;
Ich soll es wiederbringen im Flug.«
Der Subprior schaute rings umher, aber weder Busch noch Hecke war in der Nähe, worin sich eine Sängerin hätte verstecken können. »Möge Unsere Liebe Frau Erbarmen mit mir haben!« sprach er; »ich fürchte, ich bin von Sinnen gekommen. Doch wie sollten meine Gedanken sich in sonderbare Reime ordnen, die ich verachte, wie sich in Musik setzen, die ich nicht treibe, oder wie sollte der Ton einer weiblichen Stimme sich in einem Ohr bilden, das so lange gegen deren Klang gleichgültig gewesen ist. Dieß macht meinen Verstand zu Schanden und bestätigt fast die Erscheinung, die Philipp, der Küster, gehabt haben will. – Komm, gutes Maulthier, begib dich auf den Weg und laß uns von hinnen ziehen, so lange wir noch unserer Sinne mächtig sind.«
Aber das Maulthier stand wie angewurzelt, wich zurück von der Stelle, auf welche es der Reiter drängte, und gab durch die zurückgelegten Ohren und fast aus den Höhlen heraustretenden Augen zu erkennen, daß es von heftigem Entsetzen ergriffen war.
Während der Subprior bald durch Drohungen, bald durch gute Worte das unfolgsame Thier zu seiner Pflicht zurückzuführen sich bemühte, hörte er wieder dicht bei sich dieselbe Stimme:
»Herr Subprior, ei! wie so mochtet Ihr reiten,
Das Buch einer todten Frau zu erbeuten.
Zurück reite, Alter, sei weise und klug;
Ist lieb dir dein Leben, gib wieder das Buch.
Zurück! Zurück!
Vor des Mörders Tück',
Im Namen des Meisters gebiet ich, zurück!
»Im Namen meines Meisters,« sprach der staunende Mönch, »in dem Namen, vor welchem alle erschaffenen Wesen zittern, beschwör' ich dich, mir zu sagen, was du bist, das mich so umschwebt.«
Dieselbe Stimme antwortete:
»Was weder gut ist, noch umgekehrt!
Was weder zu Himmel noch Hölle gehört:
Ein Ringel im Duft, eine Blase im Schaum:
Zwischen wachendem Denken und schlafendem Traum;
Was ein Aug' erblickt,
Halb zugedrückt,
Wo die Sonne hinter die Berge rückt.«
»Das ist mehr, als bloße Phantasie,« rief der Subprior, alle Kräfte seines Geistes zusammennehmend, während, seiner natürlichen Unerschrockenheit zum Trotz, die fühlbare Gegenwart eines übernatürlichen Wesens in seiner Nähe sein Blut erstarren machte, sein Haar emporsträubte. »Ich gebiete dir,« sprach er mit lauter Stimme, »sei dein Auftrag welcher er wolle, dich weg zu heben und mich nicht weiter zu stören! – Lügengeist, du kannst nur die schrecken, welche das Werk lässig treiben.«
Augenblicklich antwortete die Stimme:
Herr Prior, Ihr habt über mich keine Macht.
Gleich der Sternschnuppe schieß ich dahin durch die Nacht,
Ich tanz' auf dem Strom', ich flieg' gleich dem Aar,
Ich reit' durch die Welt auf dem munteren Mahr.
Nochmals, nochmals,
In der Krümmung des Thals,
Am Bächlein begegn' ich dir nochmals.
Der Weg war jetzt nicht länger versperrt. Denn das Maulthier richtete sich auf aus seiner angstvollen Stellung und gab Hoffnung, daß es vorwärts zu bringen sein möchte, während sein kalter Schweiß und sein Zittern an allen Gliedern den Schrecken bewies, welchen es ausgestanden.
»Ich habe sonst immer das Dasein von Kabalisten und Rosenkreuzern bezweifelt,« dachte Eustach, »aber, bei meinem Orden, ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll! Mein Puls schlägt ruhig, meine Hand ist kühl, mein Geist ist von Nichts beschwert, als von Sünde, mein Gedankengang ist geordnet, wie sonst auch. Entweder ist einem bösen Feind verstattet, mich zu berücken, oder die Berichte des Paracelsus, des Cornelius Agrippa und Anderer, die von der Geheimwissenschaft handeln, sind nicht grundlos. – In der Krümmung des Thals! – Wohl möcht' ich ein zweites Zusammentreffen vermeiden; aber ich bin im Dienst der Kirche begriffen, und die Pforten der Hölle sollen Nichts über mich vermögen.«
So ritt er fürbaß, aber mit Vorsicht und nicht ohne Besorgniß, denn er kannte weder die Weise, in welcher, – noch die Stelle, an welcher sein Ritt durch seine unsichtbare Begleiterin wieder unterbrochen werden möchte. Er zog eine Meile das Thal hinab ohne fernere Unterbrechung. Aber an der Stelle, wo der Bach sich plötzlich wendet und dem steilen Berg so nahe kommt, daß kaum ein schmaler Weg für ein Pferd bleibt, ward das Maulthier wieder von denselben Symptomen des Schreckens heimgesucht, welche vorher seinen Gang unterbrochen hatten. Jetzt besser bekannt mit der Ursache seiner Stätigkeit, machte der Priester keine Anstrengung, es in Bewegung zu setzen, sondern wandte sich an den Gegenstand, welcher wie vorher seiner Meinung nach ihm den Weg versperrte, mit der, von der römischen Kirche für solche Fälle vorgeschriebenen Bannformel.
Zur Antwort auf sein Gebot sang die Stimme:
Furchtlos macht ein frommes Streben,
Froh und keck ein wüstes Leben.
Liege du
Hier in Ruh'.
Schau! dein Gegner kommt herzu.
Der Subprior horchte, den Kopf nach der Seite gewandt, von welcher die Töne herzukommen schienen. In diesem Augenblick war es ihm, als ob Etwas gegen ihn anrenne, und ehe er den Gegenstand entdecken konnte, ward er mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt aus dem Sattel geworfen. Bevor er den Boden erreichte, war er besinnungslos. Lange blieb er so liegen. Die letzten Sonnenstrahlen hatten noch den Gipfel der fernen Höhe vergoldet, als er fiel, und als er wieder zu sich kam, stand der Mond in bleichem Schimmer über der Landschaft. Er erwachte mit einem Entsetzen, dessen er einige Minuten lang nicht Meister werden konnte. Endlich setzte er sich im Grase auf und überzeugte sich, daß er keinen Schaden genommen hatte, abgerechnet Erstarrung in Folge der Kälte. Die Bewegung eines Gegenstandes in seiner Nähe machte, daß sein Blut wieder zum Herzen strömte; er fuhr empor und erkannte zu seiner Beruhigung, daß das Geräusch von den Fußtritten seines Maulthiers herrührte. Das friedliche Thier war ruhig bei seinem ohnmächtigen Herren geblieben, weidend auf dem dichten Rasen an dieser Stelle.
Mit einiger Mühe richtete er sich wieder völlig auf, bestieg sein Thier und ritt, über sein wildes Abenteuer nachsinnend, vollends die Schlucht hinab bis zu ihrer Ausmündung in das breite Thal des Tweed. Die Zugbrücke fiel auf seinen ersten Ruf. So sehr hatte er das Herz des groben Wärters gewonnen, daß Peter selber mit einer Laterne erschien, ihm über den unsichern Weg hinüber zu leuchten.
»Meiner Treu, Herr,« sprach er, dem Pater in's Gesicht leuchtend, »Ihr seht gar erschöpft und tödtlich bleich aus – freilich, Leute aus der Zelle werden schon durch eine Kleinigkeit stark angegriffen. Wie ich da vor Euch stehe – ich bin, ehe sie mich auf diesem Pfeiler zwischen Wind und Wasser aufgepflanzt haben, meine dreißig schottische Meilen vor dem Frühstück geritten, und dabei haben meine Wangen geblüht, wie wilde Rosen. Wollt Ihr nicht einige Speise zu Euch nehmen oder einen Becher gebranntes Wasser?«
»Ich darf nicht,« antwortete Eustach; »ich habe ein Gelübde gethan. Aber ich danke Euch für Eure Güte und bitte Euch, das was ich nicht annehmen darf, dem nächsten armen Pilger zufließen zu lassen, der bleich und matt hierher kommt, das wird diesem hier wohl thun und Euch in der Ewigkeit.«
»Meiner Treu, das will ich thun,« sprach Peter Brückenwart, »dir zu Lieb. Sonderbar, wie dieser Subprior Einem das Herz abgewinnt mehr als irgend ein Anderer von diesen Edelleuten in der Kutte, die an Nichts denken, als an Fressen und Saufen! – he! Weib! hörst du; dem nächsten Pilger, der herüber kommt, geben wir einen Becher gebranntes Wasser und eine Kruste Brod. Hebe dafür den Bodensatz im letzten Plutzer Krug. und den mißrathenen Haferkuchen auf, den die Kinder nicht haben essen können.«
Während Peter diese mildthätigen und doch auch haushälterischen Weisungen gab, ritt der Subprior, auf dessen Verwendung der Brückenwart sich zu einer so ungewöhnten Handlung der Freigebigkeit entschlossen, langsam dem Kloster zu. Auf dem Weg hatte er mit seinem Herzen zu kämpfen, einem Feind, den er als furchtbarer kannte, denn irgend einen, welchen Satan äußerlich ihm entgegenstellen konnte.
Er fühlte sich stark versucht, die sonderbare Begebenheit, welche ihm zugestoßen war, zu verheimlichen. Das Eingeständniß derselben kam ihm um so schwerer an, da er ein so strenges Urtheil über Pater Philipp gefällt hatte, und da er jetzt zugeben mußte, daß Das, was Diesem in den Weg gekommen war, ähnlicher Art gewesen sei, wie Das, was er selber überstanden hatte. Seine Ueberzeugung hiervon ward noch mehr befestigt, als er nach dem Buch suchte, welches er im Thurm von Glendearg in den Busen gesteckt hatte, und fand, daß es verschwunden war, was während seiner Ohnmacht geschehen sein mußte.
»Gestehe ich diese sonderbare Heimsuchung,« dachte er, »so werd' ich zum Gespött bei allen meinen Brüdern – ich, den der Primas hiehergeschickt hat, um sie zu beaufsichtigen und ihren Thorheiten Einhalt zu thun. Ich gebe damit dem Abt einen Vortheil über mich, den ich ihm nie wieder abgewinnen kann, und der Himmel weiß, wie er ihn in seinem Unverstand mißbrauchen mag zur Schmach und zum Schaden der heiligen Kirche. – Aber wenn ich meine Schande nicht bekenne, mit welcher Stirn kann ich es dann wagen, Andere zu ermahnen und zurechtzuweisen? Gestehe stolzes Herz, daß das Wohl der Kirche dir hier weniger am Herzen liegt, als der Wunsch, einer Demüthigung zu entgehen. Ja, Gott hat dich gerade darin gestraft, worin du am unerschütterlichsten zu sein glaubtest, in deinem geistlichen Stolz und fleischlichen Wissen. Du hast die Unerfahrenheit deiner Brüder verlacht, – unterwirf dich nun selber ihrem Hohn, – erzähle, was sie nicht glauben werden, versichere, was sie eitler Furcht, vielleicht eitler Lüge zuschreiben werden, dulde die Schande eines albernen Träumers oder eines argen Betrügers! – Es sei so. Ich will meine Schuldigkeit thun und meinem Oberen eine vollständige Beichte ablegen. Wenn die Erfüllung dieser Pflicht meine Wirksamkeit in diesem Hause vernichtet, dann wird Gott und Unsere Liebe Frau mich an einen Ort senden, wo ich ihnen besser dienen kann.«
Wer die Macht des Ehrgeizes kennt, wird diese fromme und edelmüthige Entschließung Eustachs nach ihrem vollen Werthe zu würdigen wissen. In jedem Stand ist dem Menschen die Achtung von Seinesgleichen wichtig, für den Mönch aber, abgeschnitten von andern Wegen des Ehrgeizes, von Freunden und Verwandten, ist die Stelle, die er in der Achtung seiner Brüder einnimmt, Alles. Und bei Eustach konnte der Gedanke, welche Schadenfreude er dem Abt und den meisten anderen Mönchen durch ein Geständnis bereiten würde, welches ihn, den bisherigen Gebieter im Kloster, in ein lächerliches, vielleicht gar verbrecherisches Licht stellen würde, – dieser Gedanke konnte bei Eustach nicht die Pflicht überwiegen, die sein Glaube ihm auflegte.
Als er mit diesem strengen Pflichtgefühl sich dem äußeren Thor des Klosters näherte, war er überrascht, Fackelschein und in demselben Mannschaft zu Fuß und zu Roß versammelt zu sehen, in deren Gedränge sich Mönche, an ihren weißen Scapulieren in der Nacht kenntlich, geschäftig hin und her bewegten. Der Subprior ward mit einem einstimmigen Freudengeschrei empfangen, welches ihm bewies, daß um seinetwillen diese Anstalten gemacht worden waren.
»Da ist er! da ist er! Gott sei Dank – da ist er, gesund und wohl!« erscholl es von Seiten der Dienerschaft, während die Mönche riefen: » Te Deum laudamus – das Blut deiner Knechte ist theuer in deinen Augen!«
»Was ist? Kinder! was ist? Brüder!« fragte Eustachius, als er am Thor abstieg.
»Nein, Bruder, wenn du es nicht weißt, wollen wir es dir nicht eher sagen, als bis du im Refectorium bist,« antworteten die Mönche. »Für jetzt nur so viel, daß der Gnädige Herr Abt diese unsere treuen und eifrigen Unterthanen aufgeboten hat, augenblicklich auszurücken, um dich vor drohender Gefahr zu bewahren. – Macht die Bauchgurten los, Kinder, und geht auseinander, und morgen mag Jeder von Euch in die Klosterküche schicken, eine Drittelelle Rindsbraten Ein alter Mann erzählte dem Verfasser aus der Ueberlieferung, daß die Mönche eines Klosters in seiner Nachbarschaft Rindbraten Ellen- und Fußweise auszutheilen pflegten. und einen Krug Doppelbier abzuholen.«
Die Lehenleute gingen unter Freudengeschrei auseinander, und die Mönche führten mit gleichem Jubel den Subprior in das Refectorium.