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Nie geh' ich, frei von deinem Graus,
An jenem heil'gen Abend aus,
Wenn Geister aus Sumpf und See sich regen
Auf unsern Wegen.
Collins Ode an die Furcht.
Als es ruhiger im Lande geworden war, hätte die Frau von Avenel gern in das Haus ihres Gemahles zurückkehren mögen. Allein das stand ihr nicht frei. Unter der Regierung einer minderjährigen Königin galt das Recht des Stärkeren, und waren Handlungen widerrechtlicher Besitznahme häufig abseiten Solcher, welche viel Gewalt und wenig Gewissen hatten.
Julian Avenel, der jüngere Bruder des verstorbenen Walter, war von diesem Schlag. Er bedachte sich keinen Augenblick, von seines Bruders Haus und Land Besitz zu nehmen, sobald der Abzug der Engländer es ihm gestattete. Anfänglich erklärte er, es geschehe im Namen seiner Nichte; als aber die Freifrau mit einem Kind in das Haus seiner Väter zurückkehren wollte, bedeutete er ihr, Avenel, als ein Mannlehen, falle an den Bruder und nicht die Tochter des Verstorbenen. Der Philosoph des Alterthums wollte von einer Erörterung mit dem Kaiser, der über zwanzig Legionen gebot, Nichts wissen; so war auch die Wittwe von Avenel nicht in der Verfassung, einen Streit mit dem Führer von zwanzig Mooskleppern auszumachen. Julian war ein Kriegsmann, der im Fall der Noth einem Freund beistehen konnte, und der dafür gewiß war, auch für sich Beschützer unter den Mächtigen zu finden. Kurz, so klar auch das Recht der kleinen Marie auf die Besitzungen ihres Vaters war, ihre Mutter sah ein, daß sie, wenigstens für eine Zeitlang, der Anmaßung ihres Oheims weichen mußte.
Ihre Geduld und Nachsicht brachte ihr in so weit einigen Vortheil, daß Julian sich doch schämen mußte, sie ganz der Mildthätigkeit von Elspeth Glendinning zu überlassen. Eine Heerde Kühe und ein Stier (welche vermutlich von einem englischen Pächter vermißt wurden) trafen als ein Geschenk Julians auf der Weide von Glendearg ein; auch Kleider, Hausrath und etwas Geld ward geschickt – letzteres sparsam, da Leute wie Julian leichter zu Gut als zu Geld kommen konnten und darum die Zahlung meist in Gut leisteten.
Mittlerweile hatten die beiden Wittwen von Walter Avenel und von Simon Glendinning sich an einander gewöhnt und waren gar nicht geneigt, sich zu trennen. Die Freifrau durfte nicht darauf rechnen, eine sicherere Wohnung zu finden, als den Thurm von Glendearg, und außerdem war sie jetzt auch im Stand, das Ihrige zur Haushaltung beizutragen. Auf der andern Seite fühlte Elspeth sich geehrt und behaglich in der Gesellschaft einer Frau von solchem Rang, und war stets bereit, ihr größere Achtung zu beweisen, als diese gestatten wollte.
Martin und sein Weib dienten beiden Familien treulich in den ihnen angewiesenen Geschäften, und gehorchten beiden Frauen, wiewohl sie sich stets doch als die eigentlichen Diener der Freifrau ansahen. Diese Unterscheidung veranlaßte zuweilen kleine Mißhelligkeiten zwischen Dame Elspeth und Tibb, indem die Erstere auf ihr Hausrecht hielt, die Letztere geneigt war, gar zu viel Gewicht auf den Rang und die Herkunft ihrer Gebieterin zu legen. Beide jedoch ließen sich angelegen sein, solche kleine Zwiste vor der Freifrau zu verbergen, welcher die Hausfrau kaum weniger Ehrerbietung erwies, als die alte Dienerin. Auch kam es nie so weit, daß die Uneinigkeit den Hausfrieden gestört hätte; denn die Eine gab gewöhnlich nach, wenn sie die Andere heftig werden sah, und Tibb, obwohl sie oft den Streit veranlaßte, war doch meist so verständig, zuerst aufzuhören.
Die übrige Welt ward allmählig von den Bewohnern der einsamen Schlucht vergessen. Alice von Avenel dachte kaum daran, daß sie einst mit den stolzen Frauen der benachbarten Landherren auf gleichem Fuß gestanden hatte, außer etwa wenn sie an einem hohen Feiertage mit ihnen in der Klosterkirche zu St. Marien zusammentraf. Und auch dann hatte dieser Gedanke nichts Schmerzliches für sie. Sie hatte ihren Gemahl um seiner selbst willen geliebt; im Vergleich zu seinem unersetzlichen Verlust konnte sie Anderes, was ihr abging, nicht achten. Zuweilen dachte sie wohl daran, den Schutz der Königin Regentin, Maria von Guise, für ihr verwaisetes Kind in Anspruch zu nehmen, allein die Furcht vor Julian trat immer hindernd dazwischen. Sie bedachte, daß derselbe sich weder ein Gewissen daraus machen, noch Schwierigkeit finden würde, das Kind wegzuschnappen oder gar noch Schlimmeres zu thun, sobald er sähe, daß dessen Dasein ihm nachtheilig werden könne. Ueberdem führte er ein wüstes Leben, mischte sich in alle Fehden und Raubzüge, war überall bei der Hand, wo es eine Lanze zu brechen gab, und zeigte keine Lust, sich zu verheirathen. Das Schicksal, dem er unaufhörlich Trotz bot, konnte ihn über kurz oder lang von dem unrechtmäßigen Besitz entfernen. Alice von Avenel hielt es darum für gerathen, für jetzt alle ehrgeizigen Gedanken zurückzuweisen und ruhig in der öden, aber friedlichen Zufluchtsstätte zu bleiben, in welche die Vorsehung sie geführt hatte.
Auf Allerheiligenabend, nachdem die beiden Familien gerade drei Jahre beisammen gewohnt hatten, war der häusliche Kreis um das Torffeuer in dem kleinen Saal des Thurmes von Glendearg vereinigt. Zu jener Zeit fiel es Niemanden ein, daß Herrschaft und Dienerschaft abgesondert wohnen oder speisen müßten. Die einzige Auszeichnung war der bequemere Sitz am oberen Tischende in der Nähe des Feuers. Die Dienerschaft mischte sich, bescheiden zwar, jedoch freimüthig und ohne zum Schweigen verwiesen zu werden, in jedes Gespräch. So war es auch im Thurm von Glendearg. Nur ein paar Ackerknechte und die beiden Töchter des Einen, welche im Thurm Hausarbeit verrichteten, zogen sich Abends in ihre Hütten neben dem Thurm zurück. Nach ihrem Weggang verschloß Martin erst das eiserne Gatter, dann das innere Thor des Thurmes, und der häusliche Kreis ordnete sich in folgender Weise. Dame Elspeth saß am Rocken und spann, Tibb stand am Feuer und kochte die Molken in einem Kessel, welcher an einer Kette mit einem Haken im Kamin hing. Martin, Wagner, Schmied, Schuster und Schneider in einer Person, besserte Eins und das Andere aus und gab dabei auf die Kinder acht.
Die drei Kinder sprangen im Saal herum und hinter den Stühlen der Alten her, konnten auch in die anstoßenden Gemächer laufen, wo sich vortrefflich Versteckens spielen ließ. Diesen Abend jedoch schienen sie nicht geneigt, diese dunklen Oerter zu besuchen, und machten ihre Sprünge in der Nähe des Lichtes. Hier saß Alice von Avenel, dicht bei einem eisernen Leuchter mit einer unförmlichen hausmachenen Kerze, und las aus einem dicken Buch mit Schlössern vor, welches sie mit der größten Sorgfalt bewahrte. Lesen hatte sie als Kind in einem Nonnenkloster gelernt, hatte es aber in späteren Jahren selten anders geübt, als in diesem Buch, welches ihre ganze Bibliothek ausmachte. Die Familie horchte zu und dachte, es sei etwas Gutes, welches anzuhören verdienstlich sei, möchte man es verstehen oder nicht. Ihrer Tochter wollte Alice von Avenel das Geheimniß vollständiger mittheilen, doch mit der gehörigen Vorsicht, denn der Besitz der Kenntniß war damals mit Gefahr verknüpft.
Der Lärm der spielenden Kinder unterbrach von Zeit zu Zeit den Vortrag der Freifrau und zog den Schuldigen die Strafreden von Dame Elspeth zu.
»Könnten sie nicht ein Feld weiter gehen, wenn sie ein solches Getöse machen müssen, daß man die guten Worte der gnädigen Frau nicht hört.« Und die Zurechtweisung ward begleitet mit der Drohung, die ganze Sippschaft zu Bett zu schicken, wenn sie nicht pünktlich gehorchte. In Folge dieser Weisung spielten die Kinder erst etwas weiter von den Alten weg und mit weniger Geräusch, und als ihnen der Zwang zu lästig ward, fingen sie an, in die anstoßenden Gemächer hinüberzuschweifen. Auf einmal aber kamen die beiden Knaben mit offenem Mund in den Saal und berichteten, in der Speisekammer sei ein Geharnischter.
»Das muß Christie von Clinthill sein,« sprach Martin aufstehend. »Was kann ihn um diese Zeit hierher geführt haben?«
»Und wie soll er hereingekommen sein?« fragte Elspeth.
»Ach! was mag er suchen?« sprach Frau von Avenel, welche diesen, zum Gefolge ihres Schwagers gehörenden Mann wohl kannte, da er zuweilen dessen Botschaften in Glendearg ausrichtete. Unheimliche Gedanken stiegen in ihr auf. »Gnädiger Gott!« rief sie aufspringend, »wo ist mein Kind?« Alles lief nach der Speisekammer, der zwölfjährige Halbert mit einem rostigen Schwert bewaffnet, der Kleinere mit dem Buch der Freifrau. An der Thür der Kammer erblickten sie zu ihrer Beruhigung das Mädchen. Sie schien nicht im Geringsten beunruhigt oder bestürzt zu sein. Sie traten ein in die Speisekammer, aber kein Mensch war darin zu sehen.
»Wo ist Christie von Clinthill?« fragte Martin.
»Ich weiß nicht,« antwortete Mariechen; »ich habe ihn nicht gesehen.«
»Ei ihr ungezogenen Schlingel!« fing Dame Elspeth an, »warum kommt ihr denn wie Brüllochsen in den Saal gelaufen, die gnädige Frau zu erschrecken, die ohnedem nicht ganz wohl ist?« Die Knaben sahen sich verwirrt einander an, und ihre Mutter fuhr in ihrer Predigt fort: »Konntet ihr keine andere Nacht für Narrenstreiche finden, als Allerheiligenabend? und keine andere Zeit, als während die gnädige Frau uns von den Heiligen vorlas? Ich will keinen Finger mehr rühren, wenn ich euch nicht allen Beiden dafür gebe.« Der ältere Knabe heftete die Augen auf den Boden, der jüngere fing an zu weinen, aber Keiner sprach ein Wort. Die Mutter würde ihre Drohung vollzogen haben, wenn das Mädchen sich nicht in's Mittel gelegt hätte.
»Dame Elspeth, ich bin schuld, – ich habe ihnen gesagt, daß ich einen Mann in der Speisekammer geseh'n habe.«
»Und warum hast du das gethan?« fragte ihre Mutter, »und uns Alle so erschreckt?«
»Ich kann nichts dafür,« erwiederte Marie kleinlaut.
»Kannst nichts dafür, Marie? Du verursachst diesen unnöthigen Lärm und kannst nichts dafür? Was soll das bedeuten, Kind?«
»Es war wirklich ein Geharnischter in der Speisekammer,« sprach Marie; »und weil ich darüber betroffen war, rief ich dem Halbert und Edward zu – –«
»Sie hat es selber gesagt,« fiel Halbert ein; »ich würd' es nicht gesagt haben.«
»Und ich auch nicht,« setzte Edward wetteifernd hinzu.
»Fräulein Marie,« sprach Elspeth, »Ihr habt uns nie etwas gesagt, was nicht wahr ist; sprecht, war es ein Allerheiligenabend-Spaß? und macht es kurz.« Frau von Avenel sah aus, als wollte sie sich ins Mittel legen, wußte aber nicht wie; Elspeth aber war zu sehr im Eifer, um es zu bemerken, und fuhr fort in ihrem Verhör. »War es Christie von Clinthill? Ich wollte für eine Mark nicht, daß er in der Nähe wäre, ohne daß man genau wüßte wo.«
»Es war nicht Christie,« antwortete Marie; »es war – es war ein Edelmann, ein Edelmann mit glänzendem Brustharnisch, so wie ich Einen vor langer Zeit gesehen habe, als wir noch zu Avenel wohnten.«
»Wie sah er aus?« fragte Tibb, die jetzt Theil an dem Verhör nahm.
»Mit schwarzem Haar, schwarzen Augen und einem schwarzen Zwickelbart« – antwortete das Kind – »und mit einer Perlenschnur, mehrfach um seinen Hals geschlungen und über den Brustharnisch herunterhängend; und er hatte einen schönen Falken mit silbernen Schellen auf seiner linken Faust stehen, mit einer carmesinrothen seidenen Kappe auf dem Kopf – –«
»Um Gottes willen, fragt nicht weiter!« sprach angstvoll die Dienerin zu Elspeth; »seht die gnädige Frau an.« Frau von Avenel nahm Marien bei der Hand, drehte sich rasch um und ging in den Saal, so daß die Uebrigen nicht weiter bemerken konnten, welchen Eindruck die Erzählung des Kindes auf sie machte, die hiermit abgebrochen war. Was Tibb dachte, ersah man daraus, daß sie sich wiederholt bekreuzte und Elspethen in's Ohr flüsterte: »Heilige Mutter Gottes, steh' uns bei! das Mädchen hat seinen Vater gesehen!«
Zurückgekehrt in den Saal, fanden sie die Freifrau, ihre Tochter auf dem Schoos haltend und wiederholt küssend. Bei ihrem Eintritt stand sie wieder auf, als wollte sie nicht beobachtet sein, und zog sich in das kleine Gemach zurück, wo sie und ihr Kind in einem Bett beisammen schliefen.
Die Knaben wurden ebenfalls in ihre Kammer geschickt, und Niemand blieb bei dem Feuer, als die treue Tibb und Dame Elspeth, beide brave Leute und ächte Gevatterinnen. Natürlich knüpften sie sogleich ein Gespräch über die vermeinte übernatürliche Erscheinung an, welche diesen Abend die Familie beunruhigt hatte.
»Ich wollte lieber, es wäre der Teufel selber gewesen – Gott sei bei uns! – als Christie von Clinthill; im ganzen Land heißt es, er sei einer der meisterhaftesten Diebe, die je auf einem Gaul gesessen sind.«
»Ei was, Dame Elspeth,« entgegnete Tibb; »von Christie habt Ihr nichts zu fürchten; Kröten halten ihre eignen Löcher rein. Ihr Kirchleute macht so ein Wesen daraus, wenn ein Mann sich ein Bischen umthut, um zu leben! Unsere Gränzherren würden mit wenig Leuten hinter sich einherreiten, wenn die leichthändigen Jungen aus dem Weg geschafft wären.«
»Besser, sie ritten mit gar keinem, als daß sie die Gegend so beunruhigten, wie sie thun,« sprach Elspeth.
»Aber wer sollte dann die Südländer abhalten,« versetzte Tibb, »wenn Ihr die Lanzen und Schwerter wegnehmt? Ich denke, wir alten Weiber mit Rocken und Spinnrad können's nicht thun, auch die Mönche nicht mit Glock' und Buch.«
»Ja die Lanzen und Schwerter haben sie abgehalten! Ich bin einem Südländer, das war Stawarth Bolton, mehr Dank schuldig, als irgend einem Gränzreiter, der St. Andreas' Kreuz getragen hat. Ich denke, ihr Hin- und Herkleppern und ehrlicher Leute Habe wegnehmen ist eine Hauptursache des Bruchs zwischen uns und England gewesen, und ich weiß, es hat mich einen guten Mann gekostet. Sie sprachen von der Heirath des Prinzen und unserer Königin, aber es ist eben so wahrscheinlich, daß das Wegtreiben der Heerden aus Cumberland sie gleich Drachen über uns gebracht hat.« Unter anderen Umständen würde Tibb nicht verfehlt haben, auf Bemerkungen zu antworten, die ihr verletzend für ihre Landsleute vorkamen; allein sie bedachte, daß Elspeth die Frau vom Hause war, bezwang ihren vaterländischen Eifer und beeilte sich, die Rede auf etwas Anderes zu bringen.
»Und ist es nicht sonderbar,« sagte sie, »daß die Erbin von Avenel ihren Vater in dieser heiligen Nacht gesehen haben soll?«
»Ihr meint also, es war ihr Vater?« fragte Elspeth Glendinning.
»Was soll ich sonst denken?« entgegnete Tibb.
»Es kann etwas Schlimmeres gewesen sein unter seiner Gestalt,« sprach Dame Glendinning.
»Das weiß ich nicht,« sagte Tibb, »aber seine Gestalt war's, darauf will ich schwören, leibhaftig, wie er auf die Vogelbeize zu reiten pflegte. Denn da er Feinde im Land hatte, legte er selten den Brustharnisch ab, und überhaupt, denk' ich, ein Mann sieht gar nicht einem Mann gleich, wenn er nicht Stahl auf der Brust und an der Seite hat.«
»Ich versteh' nichts von Eurem Brust- und nichts von Eurem Seitenharnisch,« bemerkte Dame Glendinning; »aber das weiß ich, Gesichte auf Allerheiligenabend bringen kein Glück; ich habe selbst eins gehabt.«
»Wirklich, Dame Elspeth?« fragte die alte Tibb, und rückte ihren Schemel näher zu dem großen Sessel ihrer Freundin; »das möcht' ich hören.«
»Nun so hört, Tibb,« sprach Dame Glendinning. »Als ich so ein junges Ding von zwanzig Jahren war, da lag es nicht an mir, wenn ich bei irgend einer Lustbarkeit in der Umgegend fehlte.«
»Das war natürlich,« fiel Tibb ein; »aber seit der Zeit seid Ihr ernsthafter geworden, sonst würdet Ihr nicht so schlechte Stücke auf unsere guten Jungen halten.«
»Ich habe Dinge erlebt, die mich und jede Andere ernsthaft machen konnten,« versetzte die Hausfrau. »Also weiter, Tibb. Einem Mädchen, wie mir, konnt' es nicht an Liebhabern fehlen, denn ich war nicht so garstig, daß die Hunde mir nachgebellt hätten.«
»Wie hätte das sein sollen,« sprach Tibb. »Ihr seid noch immer eine hübsche Frau.«
»Verrücktes Zeug,« sprach die Hausfrau und rutschte ihrerseits ihren Ehrensitz etwas näher zu Tibbs Stühlchen; »über hübsch bin ich hinaus; aber damals konnt' ich dafür gelten, denn ich war nicht so armselig, daß ich nicht ein Läppchen Band an meinem Schnürriemen hängen gehabt hätte. Mein Vater war Schaffner zu Littledearg.«
»Das habt Ihr mir früher schon einmal gesagt. Aber wie war's mit Allerheiligenabend?«
»Also ich hatte mehr Freier als Einen, aber ich schenkte keinem meine Gunst. Es war auf Allerheiligenabend, daß Pater Niclas, der Kellermeister (der Vorfahr vom jetzigen Pater Clemens), seine Nüsse knackte und sein Braunbier mit uns trank, so lustig wie möglich. Da wollten sie, ich sollt' einen Spuck machen, um zu erfahren, wer mich heirathen würde, und der Mönch sagte, es sei nichts Unrechtes dabei, und wenn's wär', wollt' er mich absolviren. Also ich in die Scheuer, drei Mal das Gewicht meiner Wenigkeit in Korn zu worfeln, – Gott! mir ahnte nichts Gutes; aber ich hab' immer einen kecken Muth gehabt. Ich hatte noch nicht das letzte Gewicht ausgeworfelt, und der Mond schien hell auf die Tonne, da kam herein die Gestalt meines theuren Simon Glendinning, der jetzt die ewige Ruhe hat. In meinem Leben hab' ich ihn nicht deutlicher geseh'n, als damals; er hielt einen Pfeil in die Höhe, als er an mir vorüberging, und ich rannte entsetzt davon. Sie hatten lange zu thun, bis sie mich wieder zu mir selbst brachten, und sie wollten mich weis machen, es sei eine zwischen Pater Niclas und Simon abgekartete Sache gewesen, und der Pfeil bedeute Cupidos Geschoß, wie es der Pater nannte, und oft, nach unserer Verheirathung, wollte Simon es mir einreden – der gute Mann! er wollte nicht gesagt haben, daß er außer Leibes gesehen worden sei. Aber merkt das Ende, Tibb; wir heiratheten uns, und der graue Gänseflügel ist am Ende eben doch sein Tod gewesen!«
»Wie von manchem braven Mann,« fügte Tibb hinzu; »ich wollt' in der ganzen weiten Welt gäb's so keinen Vogel, wie eine Gans, außer der Brut, die wir am Bach haben.«
»Aber sagt mir doch, Tibb,« fing Dame Glendinning wieder an, »was lies't Eure Gnädige Frau nur immer aus dem dicken schwarzen Buch mit den silbernen Schlössern? Es sind zu viele gute Worte d'rin, als daß es von Jemand Anderem, als einem Priester herrühren könnte. – Wenn's von Robin Hood handelte, oder wenn's Lieder von David Lindsay wären, dann wüßte man eher, was man dazu sagen sollte. Ich habe keineswegs einen Argwohn auf Eure gnädige Frau, aber es könnte mir nicht gefallen, daß in meinem anständigen Hause Geister oder Kobolde spuckten.«
»Ich hab' schlechterdings keinen Grund, gegen meine gnädige Frau mißtrauisch zu sein, oder gegen irgend eins ihrer Worte und Werke, Dame Glendinning,« entgegnete die treue Tibb, etwas verletzt. »Und was das Kind betrifft, so ist bekannt, daß es auf Allerheiligenabend vor neun Jahren geboren ist, und die, so auf Allerheiligenabend geboren sind, sehen zuweilen mehr, als andere Leute.«
»Und das sollte die Ursache sein, warum das Kind so wenig Aufhebens machte von dem, was es sah? Wenn das meinem Halbert vorgekommen wäre, der doch gewiß ein herzhafter Junge ist, – von Edward will ich gar nicht reden – er würde die ganze Nacht in einem Stück fort geheult haben. Aber es scheint, Fräulein Marie ist solche Gesichte gewohnt.«
»Das mag wohl sein,« sprach Tibb, »denn auf Allerheiligenabend ist sie geboren, und ich kann Euch sagen, unser alter Leutpriester hätte gern gehabt, die Nacht wäre vorüber und Allerheiligentag angebrochen. Trotz dem ist das gute Kind wie andere Kinder, wie Ihr selber sehen könnt, und ausgenommen in dieser heiligen Nacht und früher einmal, da wir in dem langwierigen Sumpf auf dem Weg hierher waren, wüßt' ich nicht, daß sie mehr gesehen hätte, als andere Leute.«
»Ei was hat sie denn in dem Sumpf gesehen,« fragte Dame Glendinning, »außer Wasserhühnern und Haidekraut?«
»Das Kind sah Etwas, wie ein weißes Fräulein, das uns den Weg wies,« antwortete Tibb, »als wir drauf und dran waren, zwischen dem Moosgestrüpp zu versinken; – gewiß ist, Struppel wollte nicht vorwärts, und ich weiß, Martin glaubt, er hat was gesehen.«
»Und was mochte das weiße Fräulein sein?« fragte Elspeth weiter. »Habt Ihr eine Vermuthung darüber?«
»Das ist was Bekanntes, Dame Elspeth,« sprach Tibb. »Hättet Ihr unter großen Leuten gelebt, wie ich, dann brauchtet Ihr nicht darnach zu fragen.«
»Ich habe stets mein eignes Haus über dem Kopf gehabt,« versetzte Elspeth mit einigem Nachdruck; »und wenn ich nicht bei großen Leuten gewohnt habe, so haben große Leute bei mir gewohnt.«
»Ja! ja! Dame,« sprach Tibb, »ich bitt' um Verzeihung; es war nicht böse gemeint. Aber Ihr mögt wissen, daß großen Leuten nicht mit den gewöhnlichen Heiligen gedient ist (gelobt seien sie!) wie Sanct Antonius, Sanct Luthbert und so weiter, die auf jedes Sünders Geheiß erscheinen. Sie haben eine eigne Art Heilige oder Engel oder Gott weiß was; und was die weiße Jungfrau von Avenel betrifft, so ist sie im ganzen Lande bekannt. Man sieht sie immer jammern und weinen, wenn Jemand von der Familie stirbt, wie es zwanzig Leute gehört haben vor dem Tod von Walter Avenel, Gott hab' ihn selig!«
»Wenn sie weiter nichts kann, als das,« entgegnete Elspeth etwas spöttisch; »dann brauchen sie, denk' ich, ihr nicht viel Gelübde zu thun. Kann sie ihnen nichts weiter nutzen, und hat sie nichts Besseres zu thun, als auf sie Acht zu geben?«
»Manch guten Dienst kann die weiße Jungfrau außerdem ihnen leisten, und hat sie geleistet in den alten Geschichten,« versetzte Tibb; »aber zu meiner Zeit erinnere ich mich Nichts, außer daß das Kind sie in dem Sumpf sah.«
»Ja, ja, Tibb,« sprach Dame Glendinning, aufstehend und die eiserne Lampe anzündend, »das sind große Vorrechte Eurer großen Leute. Mir sind Unsere Liebe Frau und Sanct Paulus als Heilige gut genug, und ich bin gut dafür, sie lassen mich in keinem Sumpf stecken, aus dem sie mir helfen können, angesehen ich jede Lichtmeß vier Wachskerzen an ihre Kapellen gebe; und wenn man sie bei meinem Tod nicht weinen sieht, so steh' ich doch dafür, daß sie freundlich lächeln zu meiner fröhlichen Auferstehung, die Gott uns Allen verleihen möge. Amen!«
»Amen!« sprach Tibb. »Jetzt wär' es Zeit, daß ich das Bißchen Torf noch auflege, denn das Feuer ist ganz herunter gebrannt.«
Sie machte sich emsig an dies Geschäft. Die Wittwe Glendinnings warf noch einen sorgsamen Blick im Saal herum, um zu sehen, ob Alles an seinem rechten Platz wäre, wünschte Tibb gute Nacht und ging zu Bette.
»Der Teufel ist in dem Ding,« sprach Tibb für sich; »weil sie das Weib eines Hahnenjunkers gewesen ist, dünkt sie sich meiner Seel mehr, als die Kammerjungfer einer Frau von diesem Schlag!« Nachdem sie so ihrem unterdrückten Unmuth Luft gemacht hatte, begab sich Tibb gleichfalls zur Ruhe.