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Der alte Landsitz Lidcotehall lag nahe bei dem gleichnamigen Dorfe und grenzte an den wilden, ausgedehnten Wald von Exmoor, in welchem ein reicher Wildstand vorhanden war; mancherlei alte, der Familie Robsart gehörige Rechte gaben Sir Hugh die Befugnis, seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, hier nachzugehen. Das alte Herrenhaus war ein niedriges, ehrwürdiges Gebäude, das einen beträchtlichen Bodenraum, von Morast umgeben, einnahm. Der Zugang und die Zugbrücke wurden von einem achteckigen Turm aus altem Ziegelwerk verteidigt, der aber mit Efeu und andern Kletterpflanzen so überwachsen war, daß man nur schwer erkennen konnte, aus was für Material er gebaut war. Die Winkel des Gebäudes waren mit Türmchen geschmückt, die in Gestalt und Größe eine wunderliche Verschiedenheit aufwiesen, und zufolgedessen mit jenen eintönigen Pfefferbüchsen aus Stein nicht die geringste Ähnlichkeit hatten, die zu dem gleichen Zwecke in moderner Gotik Verwendung finden. Einer dieser Türme war viereckig und diente als Glockenturm. Aber die Uhr an seinem Frontispiz stand jetzt still; ein Umstand, der besonders Tressilian höchst unangenehm berührte, weil der brave, alte Ritter, neben andern unschuldigen Eigentümlichkeiten, es nie unterlassen konnte, sich ganz genau um die Zeit zu kümmern, eine Mode, die man so häufig bei Leuten antrifft, die mit ihrer Zeit sonst nichts anzufangen wissen und sich von Langeweile schwer bedrückt fühlen. Bei Kaufleuten, wenn sie nichts zu tun haben, kann man ja auch die Beobachtung machen, daß sie dann von ihren Waren ein haarkleines Verzeichnis aufnehmen.
Der Zugang zu dem Hofe des alten Herrensitzes führte durch einen von dem vorerwähnten Turme überragten Torweg, und ein Flügel des mit Eisen beschlagenen Tors stand offen, ohne daß sich jemand darum zu kümmern schien. Tressilian ritt eilig über die Zugbrücke und in den Hof, wo er mit lauter Stimme die Dienstboten bei ihren Namen rief. Eine Zeitlang gab ihm bloß das Echo Antwort und das Geheul der Hunde, deren Pferch nicht weit von dem Herrensitze lag und von demselben Graben umgeben war. Endlich kam Will Badger, der alte und bevorzugte Diener des Ritters, der bei ihm den Kammerdienst versah und auch seinen Leibesübungen vorstand, zum Vorschein. Der rüstige, wetterharte Weidmann bezeigte große Freude, als er Tressilian erkannte.
»Gott Lob und Dank,« sagte er, »Junker Edmund, bist Du es denn in Fleisch und Bein? ... Dann kann es wohl sein, daß Du Sir Hugh gelegen und zu nutze kommst, denn mit ihm auszukommen, geht über Menschenwitz, das heißt über meinen und über den des Pfarrers und über den Meister Mumblazens.«
»Geht es denn schlechter mit Sir Hugh, seit ich weg bin, Will?« fragte Tressilian.
»Was das körperliche Befinden angeht, nein, da gehts im Gegenteil besser,« versetzte der Diener, »aber er ist wohl oben nicht mehr so, wie er war, er ißt und trinkt aber so, wie immer, dagegen schläft er nicht, oder vielmehr wacht nicht auf, denn er ist immer in einer Art von Dämmerstimmung, die weder Schlafen noch Wachen ist. Frau Swineford hat gedacht, es sei so was wie Schlagfluß. Aber nein, nein, Frau, hab ich gesagt, das Herz ists, das Herz!«
»Läßt sich denn sein Geist nicht aufheitern durch Zeitvertreib dieser Art oder jener?« fragte Tressilian.
»Er mag von allem Vergnügen nichts mehr sehen und hören,« versetzte Will Badger, »hat weder Domino noch Häufelspiel angerührt, noch mit Meister Mumblazen einen Blick getan in das große Traumbuch. Ich habe die Uhr ablaufen lassen in der Meinung, es möchte ihn ein bißchen aufrütteln, wenn er die Uhr einmal nicht schlagen hört; denn Ihr wißt doch, Junker Edmund, hinsichtlich der Zeit nahm er es immer sehr genau; aber er hat nie ein Wort darüber geäußert, und so darf man wohl die alte Klingel wieder in Gang setzen. Ich hab sogar die Courage gehabt, dem Bungay auf den Schwanz zu treten, und Ihr wißt recht gut, welchen Tanz zu andrer Zeit das für mich abgesetzt hätte – aber das Gewinsel des armen Kerls hat ihn diesmal so wenig gekümmert, wie das Geschrei einer Waldeule, die sich in unsern Schornstein verflogen hat. Wie gesagt, mir ist das ein Rätsel.«
»Du kannst mir ja das andre drin erzählen, Will. ... Inzwischen laß den Mann da in die Speisekammer führen und mit Achtung behandeln. Er ist nämlich einer von der Kunst.«
»Von was wohl für einer? Von der weißen oder schwarzen?« erwiderte Will Badger, »ich möchts wissen, um zu wissen, ob er mit seiner Kunst uns helfen kann oder nicht. Hier, Kellnerbub, guck Dir den Mann von der Kunst an und sieh zu, daß er Dir keinen von Deinen Löffeln maust,« setzte er im Flüsterton, zu dem Kellnerbuben gewandt, hinzu, »ich habs erlebt, daß mancher mit grundehrlichem Gesicht pfiffig genug war, so was zu machen.«
Darauf schob er Tressilian in ein niedriges Zimmer, sah jedoch auf seinen Wunsch erst nach, in welchem Zustande sich sein Herr befand, damit nicht die plötzliche Wiederkehr seines lieben Mündels und vermutlichen Schwiegersohns ihm allzu nahe gehen möge. Er kam alsbald zurück und sagte, Sir Hugh schlummere in seinem Lehnstuhl, aber Meister Mumblazen wolle Junker Tressilian auf der Stelle melden, wenn er aufwache.
»Aber es fragt sich, ob er Euch kennt,« sagte der Weidmann, »denn er weiß ja von keinem Hunde in der Koppel den Namen mehr. Es mögen wohl acht Tage her sein, seit es mir vorkam, als sei es ein wenig besser geworden. Da sagte er nämlich: ›Sattle mir die alte Sorrel‹, und zwar ganz plötzlich, nachdem er aus dem großen silbernen Ehrenbecher seinen üblichen Nachttrunk genommen hatte, ›und schaff morgen die Hunde auf den Haselhorstberg‹. Jesus, waren wir da alle vergnügt, und draußen hatten wir ihn in aller Frühe, und er ritt munter und flott wie sonst; doch was er sagte, war weiter nichts, als daß der Wind aus Süden komme und daß die Witterung trügen werde. Und ehe wir die Hunde von der Koppel hatten, fing er an, um sich herum zu stieren, wie jemand, der plötzlich aus einem Traume aufwacht ... reißt sein Tier herum und rast zur Halle zurück und überläßts uns, ob wir weiter jagen wollen oder nicht.«
»Ihr erzählt uns eine gar trübe Geschichte, Will,« versetzte Tressilian, »aber Gott helfe uns weiter, von Menschen ist hier nichts mehr zu hoffen.«
»Dann bringt Ihr uns wohl keine Kunde vom jungen Fräulein Amy? Aber wozu brauche ich da zu fragen? Erzählt doch Eure Stirn, wie die Dinge stehen. Immer habe ich gehofft, daß, wenn sie jemand bringen könnte oder brächte, Ihr dieser jemand sein müßtet. Ach, jetzt ist alles vorbei und verloren. Treff ich aber diesen Varney mal in Pfeilschußweite, dann will ich ihm einen sein gespitzten Bolzen in den Leib jagen; das schwör ich bei Salz und Brot.«
Dieweil er so sprach, ging die Tür auf und Meister Mumblazen erschien, ein vertrockneter, dürrer, ältlicher Mann, dessen Wangen aussahen, wie ein Winterapfel, dessen graues Haar von einem kleinen Hütchen verdeckt wurde, das wie ein Kegel geformt war oder vielmehr wie ein Stachelbeerkorb, wie ihn die Obsthöker in London vor ihre Fenster hängen. Er war eine zu gesetzte Person, um auf eine bloße Begrüßung Worte zu verschwenden; darum lud er Tressilian, nachdem er ihn mit einem Nicken und einem Händedruck bewillkommnet hatte, ein, ihm in Sir Hughs großes Zimmer zu folgen, das der brave Ritter in der Regel bewohnte. Will Badger folgte ihnen, wenn man ihn auch nicht dazu aufgefordert hatte, weil er zu ängstlich besorgt war um seinen Herrn, und auf alle Fälle sehen wollte, ob ihn Tressilians Ankunft aus seinem apathischen Zustande reißen werde oder nicht.
In einem langen,, niedrigen, mit Jagdgerät und Jagdbeute reich verzierten Gemache, neben einem ganz aus Steinen gebauten Kamin, über dem ein Schwert und eine Rüstung hingen, beide verstaubt und lange Zeit nicht geputzt, saß Sir Hugh Robsart von Lidcote, ein Mann von stattlicher Größe, den bloß fleißige Motion vor Korpulenz bewahrt haben mochte. Es kam Tressilian so vor, als ob die Lethargie, unter der sein alter Freund zu leiden schien, schon in den wenigen Wochen seiner Abwesenheit dessen Umfang vermehrt habe, zum wenigsten hatte sie die Lebendigkeit seines Gesichtsausdrucks erheblich beeinträchtigt. Langsam folgten seine Augen, als er mit Meister Mumblazen in das Gemach trat, erst diesem bis zu einem großen Eichenpult, auf dem ein wuchtiger Band aufgeschlagen lag, dann heftete es sich, wie voll Ungewißheit, auf den Fremden, der mit Meister Mumblazen eingetreten war. Der Pfarrer, ein grauhaariger Herr, der in den Tagen der Königin Maria Beichtvater bei Hofe gewesen war, saß in einem andern Winkel des Gemachs, mit einem Buch in der Hand. Auch er nickte Tressilian trübe zu und legte sein Buch beiseite, um zu beobachten, welche Wirkung das Erscheinen desselben auf den mit Kummer beladenen alten Mann machen würde.
Als Tressilian, dem gleichfalls Tränen in den Augen ständen, sich dem Vater seiner angelobten Braut mehr und mehr näherte, schien Sir Hughs Verstand sich wieder zu beleben. Er tat einen schweren Seufzer, wie jemand, der aus einem Zustande von Starrsucht aufwacht, dann glitt ein leichter Krampf über seine Züge; ohne ein Wort zu sprechen, breitete er die Arme aus und schloß Tressilian, als dieser sich in seine Arme warf, an seinen Busen.
»So ist mir doch etwas noch geblieben,« waren die ersten Worte, die er hervorstieß, und während sie den Weg über seine Lippen nahmen, machte er seinen Empfindungen Luft in einem Weinkrampf, und die Tränen schossen ihm über seine sonnverbrannten Wangen und seinen langen, weißen Bart.
»Ich habe nie im Leben gedacht, daß ich Gott für Tränen danken würde, die mein Herr vergießt,« sagte Will Badger, »aber jetzt tue ich es, ob ich gleich mit ihm um die Wette weinen möchte.«
»Ich will Dir keine Fragen stellen,« sagte der alte Ritter, »keine Fragen – keine, Edmund – Du hast sie nicht gefunden, oder so Du sie gefunden, so wäre es besser, sie wäre verloren.«
Tressilian war nicht imstande zu erwidern, außer daß er die Hände vor das Gesicht legte.
»Es ist genug ... es ist genug. Aber weine nicht um sie, Edmund. Ich habe Ursache zu weinen, denn sie ist meine Tochter ... Du hast Ursache, Dich zu freuen, daß sie Dein Weib nicht geworden ist. ... Du droben im Himmel, großer Gott! Du weißt am besten, was für uns gut ist ... es war mein Gebet zu Dir in der Nacht, daß ich Amy und Edmund als Paar sehe ... wäre meine Bitte erfüllt worden, so hätten sich zu meiner Bitternis jetzt noch Gewissensbisse gesellt.«
»Tröste Dich, Freund!« sprach der Pfarrer, sich zu Sir Hugh wendend, »es ist ja gar nicht möglich, daß die Tochter all unsrer Hoffnung, all unsrer Liebe das schlechte Geschöpf sein sollte, als das Du sie Dir denkst.«
»O, nein, nein,« erwiderte Sir Hugh mit Ungeduld, »ich täte unrecht, wenn ich sie rund heraus mit dem gemeinen Wort benennen wollte, das sie sich verdient hat ... nein! Es gibt sicher irgendeinen neuen hofmäßigen Ausdruck dafür, ganz gewiß, ganz gewiß! Ehre genug für die Tochter eines alten Devonshireedelmanns, daß sie die Liebste eines lustigen Hofmannes geworden ist ... noch dazu eines Varney ... eines Varney, dessen Großvater von meinem Vater ausgelöst wurde, als sein Vermögen zertrümmert wurde in der Schlacht von ... der Schlacht von ... wo Richard erschlagen wurde ... verschwunden ists aus meinem Gedächtnis! ... Und ich wette drauf, es kann mir keiner von Euch drauf helfen. ...«
»In der Schlacht von Bosworth,« sagte Meister Mumblazen, »die zwischen Richard Crookback und Henry Tudor, dem Großvater der Königin, die jetzt auf dem Throne sitzt, primo Henrici Septimi, und im Jahre eintausend vierhundert und achtundfünfzig post Christum natum geschlagen wurde.«
»Richtig ... genau so ...« sprach der alte Ritter, »ein jedes Kind weiß es.. Aber mein armes Gedächtnis hat es vergessen, mein armes Gedächtnis vergißt alles, wessen es sich erinnern sollte, und behält bloß, was es vergessen, ach, am ehesten vergessen sollte! Mein Hirn, Tressilian, mein Hirn hat mich im Stiche gelassen fast die ganze Zeit über, die Du weg warst, und auch jetzt rennt es schon wieder auf und davon!«
»Euer Ehren,« sagte der wackre Geistliche, »zöge sich besser in Euer Wohngemach zurück und versuchte eine kurze Zeit zu schlafen ... der Arzt hat einen beruhigenden Trank dagelassen ... und unser großer Arzt dort droben hat uns befohlen, Mittel, die die Erde spendet, zu brauchen, damit wir gekräftiget werden, die Prüfungen zu tragen, die er über uns verhängt.«
»Richtig, richtig, alter Freund,« sprach Sir Hugh, »und wir werden unsre Prüfungen männlich tragen ... wir haben ja doch bloß ein Frauenzimmer verloren. – Sieh, Tressilian,« ... bei diesem Worte zog er eine lange Locke blonden Haares aus seinem Busen – »sieh hier diese Locke! ... Ich sage Dir, Edmund, in jener selben Nacht, als sie verschwand, als sie mir guten Abend wünschte, wie es ihre Gewohnheit war, da hing sie an meinem Halse und herzte mich inniger als sonst; und ich, wie ein alter Narr, ich hielt sie an dieser Locke, hielt sie fest, bis sie die Schere nahm und die Locke abschnitt und sie in meiner Hand ließ ... als das ... als das ... das einzige, was ich je noch von ihr sehen sollte!«
Tressilian war außer stande zu sprechen, denn er empfand nur zu gut, welch ein Wirrwarr von Empfindungen den Busen des unglücklichen Flüchtlings in diesem grausamen Augenblick zerreißen mußte. Der Geistliche war im Begriff, das Wort zu nehmen, aber Sir Hugh kam ihm zuvor.
»Ich weiß, was Ihr sagen wollt, Herr Pfarrer! ... Schließlich ist es doch bloß eine Locke aus eines Weibes Haar ... und durch das Weib kam Schmach und Sünde und Tod in die Welt, in eine unschuldige Welt ... o, und unser gelahrter Herr Mumblazen kann von philosophischen Dingen auch genug sagen über des Weibes untergeordnete Bedeutung im All.«
» C'est l'homme,« sagte Meister Mumblazen, » qui se bast et qui conseille.«
»Richtig,« sagte Sir Hugh, »und wir wollen uns darum betragen wie Männer, die beides, Mut und Weisheit, in sich tragen. – Tressilian, Du bist genau so willkommen, wie wenn Du frohere Kunde brächtest. Aber wir haben zu lange gesprochen, ohne die Lippen zu feuchten ... . Amy, füll Edmund einen Becher Wein und einen andern mir!« ... Dann besann er sich im Augenblick, daß er jemand rief, der ihn nicht hören konnte, er schüttelte das Haupt und sagte zu dem Geistlichen:
»Dieses Herzeleid ist für ein verstörtes Gemüt, was die Lidcoter Kirche für unsern Park ist: wir können uns wohl eine Weile zwischen den Büschen und Sträuchern verlaufen, aber wir sehen doch immer den alten, grauen Turm und das Grab meiner Ahnen. Ach, trügen sie mich doch morgen schon diesen Weg!«
Tressilian und der Geistliche drangen zusammen in den erschöpften, alten Mann, sich zur Ruhe zu begeben, und erreichten es auch endlich, daß er sich ihren Bitten fügte. Tressilian blieb so lange an seinem Bette sitzen, bis er sah, daß sich der Schlummer auf seine Lider gesenkt hatte. Dann kehrte er zurück, um mit dem Prediger zu beraten, welche Schritte unter solchen unseligen Umständen zu tun seien.
Meister Michael Mumblazen konnten sie von diesen Betrachtungen nicht ausschließen, und sie zogen ihn um so lieber dabei zu Rate, als sie nicht bloß alles von seinem Scharfsinn hoffen durften, als auch ihn als einen so großen Freund von Schweigsamkeit hielten, daß sie in seine Eignung zum Berater keinen Zweifel setzen konnten. Er war ein alter Junggeselle aus guter Familie, aber ohne Vermögen und mit dem Hause Robsart weitläufig verwandt. Zufolge dieser Beziehung war Lidcotehall wahrend der letztverflossenen zwei Jahrzehnte durch seinen Aufenthalt ausgezeichnet worden. Seine Gesellschaft war Sir Hugh angenehm, hauptsächlich seines großen Wissens wegen, das, wenn es sich auch in der Hauptsache auf Wappenkunde und Genealogie beschränkte, wie auf denjenigen Teil von Geschichte, der zu diesen Wissenschaften in Beziehung stand, doch dem wackern, alten Ritter so imponierte, daß er den alten Junggesellen nur ungern vermißt hätte. Außerdem war es ihm sehr recht, immer einen Freund in dem alten Junggesellen zur Hand zu haben, an den er sich wenden konnte, wenn sich sein eigenes Gedächtnis, wie es leider recht oft geschah, als schwach erwies und ihn betreffs Namen und Jahreszahlen irreführte, in welchen Fällen dann Meister Michael Mumblazen mit pflichtschuldiger Kürze und Diskretion einsprang und nachhalf. Dieser Herr gab auch wirklich oft in Fragen, die die moderne Welt angingen, in seiner prägnanten und heraldischen Redeweise guten Rat, der immer der Berücksichtigung wert war, oder, um sich in Will Badgers Sprache auszudrücken, er schoß das Wild, dieweil andere den Busch abklepperten.
»Wir haben eine schlimme Zeit mit dem wackern Ritter durchgemacht, Junker Edmund,« sagte der Geistliche. »Soviel habe ich nicht gelitten, seit ich von meiner geliebten Herde gerissen und gezwungen wurde, sie den römischen Wölfen Zu überlassen.«
»Das war in Tertio Mariae,« sagte Meister Mumblazen.
»Um Himmelswillen sagt uns bloß,« fuhr der Geistliche fort, »habt Ihr Eure Zeit besser angewandt, als wir die unsre, oder bringt Ihr irgendwelche Kunde von jenem unglücklichen Mädchen, das während so mancher Jahre die große Freude dieses niedergeschmetterten Hauses war, und nun sich als sein größtes Unglück erweist? Habt Ihr nicht wenigstens ihren Aufenthaltsort ausgekundschaftet?«
»Das ja,« erwiderte Tressilian. »Ist Euch Cumnorplace bekannt in der Nähe von Oxford?«
»Allerdings,« versetzte der Geistliche, »es war ein Zufluchtsort für die Mönche von Abingdon.«
»Die Wappen der Mönche habe ich,« bemerkte Meister Michael, »über einem steinernen Kamin in der Halle gesehen ... ein gezacktes Kreuz zwischen vier Hämmerchen.«
»Dort hat,« sagte Tressilian, »dieses unglückliche Mädchen seinen Aufenthalt genommen, und zwar in Gemeinschaft mit dem schurkischen Varney. Aber hatte nicht ein seltsames Mißgeschick obgewaltet, so hätte mein Schwert all unsre Schmach, wie auch die ihrige, an seinem unwürdigen Haupte gerächt.«
»Sei Deinem Gott im Himmel dankbar, daß er Deine Hand von Blut reingehalten, Du unbesonnener, junger Mann,« antwortete der Pfarrer. »Die Rache ist mein, spricht der Herr, ich will vergelten. Besser, wir sinnen, wie sie aus den schimpflichen Netzen dieses Schufts befreit werden könne.«
»In der Heraldik heißen diese Netze Laquai Amoris oder Lacs d'amour!« sagte Mumblazen.
»Hierbei, Freunde, rechne ich auf Eure Hilfe, auf Euren Beistand,« erklärte Tressilian. »Ich bin entschlossen, diesen Bösewicht direkt am Fuße des königlichen Thrones der Falschheit, und Hinterlist, der Verführung und des Bruchs der Gastfreundschaft anzuklagen. Die Königin wird mich hören, wenn auch der Earl von Leicester, der Gönner dieses Schurken, ihre rechte Hand ist.«
»Ihre Majestät hat ihren Untertanen ein erhabenes Beispiel von Enthaltsamkeit gegeben und wird ganz ohne Zweifel an diesem Verbrecher gegen das heilige Recht der Gastfreundschaft ein Exempel statuieren. Möchte es nicht aber besser sein, Du wendetest Dich zuerst an den Earl of Leicester, damit er selbst seinen Untertan in Strafe nehme? Gewährt der Earl of Leicester Dir recht, so ersparst Du Dir die Gefahr, Dir einen machtvollen Feind zu schaffen, was gar wohl der Fall sein könnte, wenn Du so ohne weiteres seinen Stallmeister und Günstling bei der Königin verklagst.«
»Mein Gemüt empört sich gegen Euren Rat,« erwiderte Tressilian, »ich kann es nicht über mich bringen, die Sache meines edlen Beschützers, die Sache der unglücklichen Amy, vor einer andern Instanz als meiner Königin anhängig zu machen. Leicester ist edel, das willst Nu sagen, nun, magst Du recht haben . , . aber er ist ein Untertan wie wir selbst, und ich mag nicht vor ihn die Klage bringen, da ich Besseres zu tun imstande bin. Dennoch will ich dessen, was Du mir gesagt, eingedenk bleiben. Vorderhand muß ich Euch bitten, daß Ihr mir beisteht, den lieben Sir Hugh zu überreden, mich zu seinem Beauftragten und Vertrauten in dieser Sache zu machen, denn nicht in meinem Namen, sondern in dem seinigen muß ich das Wort führen. Seitdem sie soweit gesunken ist, daß sie ihre Liebe diesem hohlen, lüderlichen Höfling schenkt, soll er ihr wenigstens diejenigen Rechte zuteil werden lassen, die in seinem Vermögen stehen.«
»Besser, sie stürbe coelebs und sine prole,« sagte Mumblazen, mit höherm Feuer, als sonst in seiner Rede zu finden war, »als daß das edle Wappenschild der Robsart mit demjenigen eines solchen Bösewichts per pale sich einte!«
»Falls es, wie mir nicht fraglich sein kann, Eure Absicht ist,« sagte der Geistliche, »den Ruf dieses unseligen, jungen Weibes wieder zu reinigen, so muß ich Euch von neuem ermahnen, Euch zu allererst an den Earl of Leicester zu wenden. Er ist in seinem Hause ganz ebenso unbeschränkter Gebieter und Herr, wie die Königin in ihrem Königreich, und wenn er dem Varney bedeutet, daß das und das zu geschehen habe, so wird doch die Ehre des Mädchens nicht so öffentlich breitgetreten.«
»Ihr habt recht, Ihr habt recht,« erwiderte Tressilian hastig, »und ich bin Euch dankbar, daß Ihr mich aufmerksam macht auf etwas, was ich in meiner Hast übersehen habe. Hätte ich doch nie im Leben gedacht, Leicester um eine Gunst angehen zu müssen; aber knien könnte ich vor diesem stolzen Dudley, wenn dadurch die Ehre dieses unglücklichen Mädchens um einen Schatten heller würde. Ihr wollt mir also beistehen, die nötigen Vollmachten von Sir Hugh Robsart zu erlangen?«
Der Geistliche versicherte ihn seines Beistandes, und der Heraldiker nickte.
»Ihr müßt Euch auch bereit halten, falls Ihr darum angegangen werdet, die offenherzige Gastfreundschaft, die unser lieber Gönner diesem verräterischen Bösewicht erwiesen hat, und die schurkische List, die derselbe aufgewendet hat, seine unglückliche Tochter zu verführen, zu bezeugen.«
»Zuerst, so hat es mir scheinen wollen,« äußerte der Geistliche, »hat sie sich aus seiner Gesellschaft nicht sonderlich viel gemacht, dagegen habe ich sie später öfter zusammen gesehen.«
» Siant im Wohnzimmer, und passant im Garten,« bemerkte Meister Mumblazen.
»Ich habe sie einmal zufällig getroffen,« sagte der Priester, »an einem Frühlingsabend im Südwalde – Varney war eingemummt in einen dunklen Mantel, so daß ich sein Gesicht nicht gesehen habe... sie gingen schnell auseinander, als sie es rascheln hörten, und ich sah noch, wie sie den Kopf wandte und ihm lange nachblickte.«
» Regardant mit den Augen,« sagte der Heraldiker, »und am Tage ihrer Flucht, was ja am Sankt Augustinstage war, da habe ich Varneys Diener in seiner Livree hinter der Kirchhofsmauer halten sehen, an der Hand das Roß seines Herrn und den Zelter von Madam Amy, proper gezäumt und gesattelt.«
»Und nun ist sie ausfindig gemacht in ihrem geheimen Zufluchtsorte,« sagte Tressilian, »der Schurke ist in flagranti ertappt, und ich wünschte nur, er möchte sein Verbrechen leugnen, daß ich ihm den Beweis auf dem Wege durch seine falsche Kehle erbringen könnte! Aber ich muß mich rüsten zu meiner Reise. Suchet Ihr, meine Herren, meinen Gönner dahin zu beeinflussen, daß er mir alle nötige Vollmacht gebe, um in seinem Namen auftreten und handeln zu können.«
Mit diesen Worten schritt Tressilian aus dem Zimmer.
»Er ist zu hitzig,« sprach der Pfarrer, »und ich bitte unsern lieben Gott im Himmels, daß er ihm Geduld leihe, mit Varney zu handeln, wie es sich schickt.«
»Geduld und Varney,« sagte Mumblazen, »ist schlimmere Heraldik als Metall auf Metall. Denn er ist falscher als eine Sirene, räuberischer als ein Vogel Greif, giftiger als eine Viper und grausamer als ein kriechender Leu.«
»Und doch bezweifle ich sehr,« bemerkte der Pfarrer, »daß Sir Hugh Robsart in seinem dermaligen Zustande sein Vaterrecht über Madam Amy auf einen andern, sei es, wer es wolle, übertragen kann.«
»Euer Ehrwürden brauchen nicht daran zu zweifeln,« sagte Will Badger, der während dieser Worte eingetreten war, »denn mein Leben will ich einsetzen, daß er als ein andrer Mann erwachen wird, als er während dieser letzten dreißig Tage gewesen ist.«
»Ei, ei, Will,« meinte der Pfarrer, »hast Du denn solch festes Vertrauen zu, Doktor Diddleums Arznei?«
»Nicht im geringsten,« sagte Will, »denn der gnädige Herr hat niemals einen Tropfen davon eingenommen, hat doch die Hausmagd das Zeug ausgeschüttet. Aber ein Herr ist da, der mit Herrn Tressilian gekommen ist, der hat Sir Hugh eine Medizin gegeben, die ist zwanzigmal besser als jene. Ich habe mit ihm so unter der Hand geredet und muß sagen, ein besserer Viehdoktor oder einer, der von Pferds- und Hundskuren mehr versteht, als der, ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen, und so einer tut auch niemals einem Christenmenschen Schaden ... nein, sicher nicht!«
»Ein Viehdoktor! Ihr frecher Kujon ... und mit wessen Ermächtigung, bitte?« sagte der Geistliche, erstaunt und entrüstet aufstehend; »oder wer will sich verbürgen für diesen neuen Doktor?«
»Was die Ermächtigung anbetrifft, wie Eure Ehrwürden wohl zu bemerken gestatten, so stammt sie her von mir; und was die Bürgschaft anbetrifft, so bin ich wohl nicht ein Vierteljahrhundert in diesem Hause gewesen, ohne mir ein Anrecht darauf erworben zu haben, beurteilen zu können, was einem Menschen oder einem Stück Vieh heilsam und von Nutzen sein kann ... kann ich doch auch selbst ein Rezept verschreiben und ein Klystier geben, zur Ader lassen und Schröpfköpfe setzen, auch, wenns gerade sein muß, ein Bein abschneiden, ohne studierte Hilfe.«
Die Räte des Hauses Robsart erachteten es für geboten, Tressilian auf der Stelle hiervon Kenntnis zu geben; und Tressilian ließ sogleich Wieland, den Schmied, rufen und stellte, ihm die Frage ... unter vier Augen jedoch ... mit welcher Befugnis er sich herausgenommen habe, Sir Hugh Robsart eine Arznei zu reichen?
»Jenun,« versetzte der Schmied, »Euer Gnaden müssen sich doch darauf besinnen, daß ich Euch erzählt habe, ich hätte in die Kunst oder Mysterien meines Meisters ... ich meine den gelahrten Herrn Doktor Doboobie ... tiefern Einblick gewonnen als ihm recht gewesen. Und fürwahr, sein Gezanke und sein Grimm gegen mich rührten bloß daher, weil ich ihm so viel abgeguckt hatte ... gar manche Leute, ganz besonders eine schmucke, junge Witib aus Abingdon, wollten von seinen Rezepten nichts mehr wissen, sondern kamen zu mir und ließen sich von mir Arznei verschreiben.«
»Laß jetzt Deinen Firlefanz, Mensch,« rief Tressilian ernst und streng. »Hast Du uns genarrt oder gar etwas angestellt, was der Gesundheit Sir Hugh Robsarts schaden kann, so verlaß Dich drauf, daß Du Dein Grab in einer Zinngrube findest.«
»Ich habe zu geringe Kenntnis von dem großen Arcanum, Erz in Gold zu wandeln,« sagte Wieland festen Tones. »Aber weist Euren Befürchtungen die Wege, Junker Tressilian ... ich weiß genau, wie es um den Fall des guten Ritters steht, aus den Mitteilungen, die mir der Meister William Badger gemacht hat; und bin hoffentlich sattsam imstande, ihm eine lumpige Dosis Mandragora zu verabfolgen, die zusammen mit dem Schlafe, der drauf folgen muß, das einzige ist, was Sir Hugh Robsart braucht, damit sein aus dem Geschick geratenes Gehirn wieder instand kommt.«
»Ich verlasse mich drauf, Wieland, daß Du ehrliches Spiel mit mir treibst,« sagte Tressilian.
»Ehrlich, rechtlich und treu, wie der Erfolg es ausweisen wird,« erwiderte der Schmied; »was würde es mir wohl nützen, dem armen, alten Mann ein Leid anzutun, an dem Ihr ein so großes Interesse nehmt? Ihr, dem ich es verdanke, daß der Henkersknecht mit seinen sakrischen Zangen mir nicht jetzt Fleisch und Sehnen zerreißt? Mir mit seiner scharfen Pfrieme nicht jetzt Löcher in den Leib bohrt? ... Hol die Hände, die sein Henkerswerkzeug schmiedeten, der Satan! ... Ihr habt mich vor ihm bewahrt, und ich habe mich, meiner Treu! anheischig gemacht, Euch in Eurem Gefolge als getreuer Diener zu dienen, und verlange weiter nichts von Euch, als durch das Ergebnis aus des guten Ritters Schlummer einen Beweis meiner Ehrlichkeit zu liefern.«
Wieland, der Schmied, hatte richtig prophezeit. Der beruhigende Trank, den seine Kunst bereitet hatte, und der dem Ritter durch den vertrauensvollen Diener Will Badger gereicht war, übte die allergünstigsten Wirkungen. Der Patient, tat einen langen, gesunden Schlaf und erwachte, zwar seelisch niedergedrückt und sehr schwach bei Kräften, jedoch weit frischeren Geistes, als er die letzte Zeit über gewesen war. Er verstand sich nicht gleich dazu, dem Vorschlag seiner Freunde zuzustimmen, der dahin ging, Tressilian an den Hof zu schicken, um auf diesem Wege die Rückgabe der Tochter und die Wiederherstellung ihrer Ehre zu erreichen, soweit das letztere noch möglich war. »Laßt sie gehen,« sagte er, »sie ist bloß ein Falke, der nach dem Winde fliegt; mir wäre jeder Pfiff zu schade, sie wieder herzurufen.« Aber trotzdem er eine ganze Zeit diesen Grund aufrecht hielt, gelang es den Freunden zuletzt doch, ihn dahin zu überzeugen, daß es seine Pflicht sei, den Entschluß zu fassen, zu welchem ihn natürliche Zuneigung triebe, und darein zu willigen, daß alles zugunsten seiner Tochter von Tressilian versucht werde, was sich irgend tun lasse. Er unterschrieb also eine gerichtliche Vollmacht, die ihm der Pfarrer aufsetzte, denn in jenen schlichten Tagen war die Geistlichkeit häufig Beraterin ihrer Gemeinde in Gerichts- wie in Kirchen- oder Glaubenssachen.
Alles, was zu seiner zweiten Reise notwendig war, wurde vierundzwanzig Stunden nach seiner Rückkehr nach Lidcotehall hergerichtet; bloß einen wesentlichen Umstand hatte man außer acht gelassen, an den Tressilian erst durch Meister Mumblazen erinnert wurde. »Ihr begebt Euch zu Hofe, Junker Tressilian,« sagte er: »Ihr werdet doch wohl nicht außer acht lassen, daß Euer Wappenschild argent und or sein muß, denn andere Felder gelten dort nicht.«
Die Bemerkung war ebenso richtig wie beunruhigend. Um eine Sache bei Hofe zu führen, war auch in den goldnen Tagen der Königin Elisabeth Bargeld ebenso unentbehrlich, wie zu allen spätern Zeiten, und gerade das war bei den Bewohnern von Lidcotehall recht knapp vertreten. Tressilian selbst war arm, die Einkünfte des guten Sir Hugh Robsart gingen, und zwar immer schon im voraus, durch seine gastfreundliche Lebensweise drauf, und schließlich stellte sich die Notwendigkeit heraus, daß der Heraldiker, der den Zweifel wachgerufen hatte, ihn selbst heben mußte. Meister Michael Mumblazen brachte nämlich einen Beutel mit Geld zum Vorschein, der annähernd dreihundert Pfund in Gold und Silber in Münzen verschiedener Prägung enthielt. Es waren die Ersparnisse von etwa zwanzig Jahren, die er jetzt, ohne eine Silbe darüber zu verlieren, dem Dienste des Gönners weihte, dessen Freundschaft ihm Dach und Fach gegeben und dem er es zu danken hatte, daß er sich diese Summe hatte sparen können. Tressilian nahm das Geld in Empfang, ohne sich eine Sekunde zu besinnen, und ein gegenseitiger Händedruck war alles, wodurch der eine seiner Freude, seine ganze Habe solchem Zwecke zu weihen, der andre dem Troste, auf solch unerwartete Weise das Haupthindernis für den Erfolg beseitigt zu sehen, Ausdruck gab.
Als sich Tressilian am andern Morgen zur Abreise rüstete, erbat sich Wieland, der Schmied, kurzes Gehör. Er gab der Hoffnung Ausdruck, Tressilian sei mit der Medizin zufrieden gewesen, die er Sir Hugh Robsart eingegeben, und knüpfte hieran die Bitte, ihn mit nach Hofe begleiten zu dürfen. Daran hatte nun Tressilian selbst schon wiederholt gedacht, denn die Klugheit, Beschlagenheit in allen möglichen Dingen und Willigkeit zu allen Dingen, die der Bursche auf der ersten Reise bewiesen hatte, die sie zusammen gemacht hatten, legte Tressilian den Wunsch nahe, ihn mitzunehmen. Aber Wieland stand in Gefahr, von den Häschern der Justiz aufgegriffen zu werden, und hieran erinnerte ihn Tressilian, indem er gleichzeitig der Zangen des Henkers und des Haftbefehls Erwähnung tat, den der Richter in Händen hatte. Wieland, der Schmied, jedoch lachte dazu.
»Ei, Sir,« sagte er, »sehet doch! Ich habe ja meinen Arbeitskittel, schon vertauscht gegen die Livree eines Gefolgsmannes, aber abgesehen hiervon guckt Euch doch meinen Schnurrbart an, jetzt hängt er herunter und jetzt zwirble ich ihn in die Höhe und färbe ihn mit einer Tinktur, die ich zu mischen verstehe; und nun will ich den Teufelskerl sehen, der mich wiedererkennt.«
Diese Worte begleitete er mit der dazu gehörigen Gebärde, und in knapp einer Minute stand er, zufolge dieser an sich vorgenommenen Wandlungen, als ein ganz andrer da. Nichtsdestoweniger nahm Tressilian noch immer Anstand, sich seiner Dienste zu versichern. Um so dringender aber wurden die Bitten des Schmieds.
»Ich schulde Euch Leib und Leben,« rief er, »und möchte gern einen Teil der Schuld abtragen, zumal ich von Herrn Will Badger erfahren habe, welch gefährliches Unternehmen Ihr vorhabt. Ich bin zwar kein Hitzkopf, kein Raufbold, der seines Herrn Sache mit Schwert und Schild zu führen liebt. Weit eher gehöre ich' zu jenen andern, die das Ende einer Mahlzeit dem Anfang eines Handgemenges vorziehen. Immerhin weiß ich, daß ich recht wohl imstande bin, in, einer Sache Euch, gestrenger Herr, bessere Dienste zu leisten, als jeder, der das Schwert und den Dolch zu führen versteht. Und diese Sache ist eben die, um derentwillen Ihr jetzt ausziehen wollt. Mein Kopf ist so viel wert, wie hundert Fäuste.«
Aber, noch immer besann sich Tressilian, kannte er doch diesen sonderbaren Patron erst so kurze Zeit; auch war er noch im Zweifel, ob er und wie weit er auf ihn bauen dürfe, sich aus ihm einen Begleiter zu machen, der ihm wirklich von Nutzen sein könne. Ehe er in dieser Sache zu einem bestimmten Entschlüsse gelangte, wurde im Schloßhofe Pferdegetrappel laut, und Meister Mumblazen trat mit Will Badger eilig in Tressilians Zimmer. Beide sprachen laut und erregt miteinander.
»Ein Reiter ist in den Hof geritten auf dem flinksten Grauschimmel, der mir je vor Augen gekommen ist,« sagte Will Badger, seinem Gefährten das Wort abgewinnend. »Er trägt am Arm ein silbernes Schild und drauf erblickt man einen feurigen Drachen, der im Munde einen Ziegelstein halt.«
»Drunter ist eine Grafenkrone,« sprach Meister Mumblazen, »er bringt einen Brief an Euch, mit demselben Wappen gesiegelt.«
Tressilian nahm den Brief, dessen Aufschrift lautete:
»An den gestrengen Herrn Tressilian, unsern geliebten Vetter.«
Und darunter stand:
-»Reite! Reite!« nach damaligem Brauche als Weisung für den Boten, »so flink Du kannst!«
Tressilian brach den Brief auf und fand den folgenden Inhalt: »An Junker Tressilian, unsern geliebten Freund und Vetter.
Wir befinden uns zurzeit so schlecht und auch sonst in so unglücklichen Umständen, daß wir von unsern Freunden diejenigen um uns zu sehen wünschen, denen wir unser besonderes Vertrauen schenken dürfen. Zu diesen zählen wir an erster Stelle unsern lieben Herrn Tressilian als einen der uns am nächsten stehenden, und zwar dem Herzen wie der Verwandtschaft nach, dem guten Willen und der raschen Fertigkeit nach. Weshalb bitten wir Euch, Ihr möget so gütig sein, Euch nach unsrer geringen Wohnung zu begeben, nach Say's Hof bei Deptford, wo wir weiter mit Euch sprechen wollen über Dinge, die wir dem Papier nicht anvertrauen mögen. Und so entbieten wir Euch unsern Gruß und begrüßen Euch als unsern herzlieben Vetter
Ratcliffe, Earl of Sussex.«
»Schick auf der Stelle den Boten herauf, Will Badger,« sagte Tressilian, und als der Mann eintrat, rief er ihm entgegen: »Ah, Steffen, Du bists! Nun, sprich, wie geht es meinem lieben Herrn?«
»Sehr schlecht, Junker Tressilian,« versetzte der Bote, »und darum wünscht er eben, der guten Freunde mehr um sich zu haben.«
»Aber was fehlt denn dem guten Herrn eigentlich?« fragte Tressilian, nicht ohne lebhafte Unruhe, »ich habe ja gar nichts davon gehört, daß er krank sei.«
»Das weiß ich nicht, Junker,« entgegnete der Mann; »er ist krank, recht krank. Die Doktors stehen da, wie die Kühe vorm Scheunentor, und in seinem Hause gibt es manch einen, der was von Hexerei vermutet, wenn nicht gar noch etwas Schlimmeres dahinter steckt.«
»Wie tritt denn das Leiden auf?« fragte Wieland, der Schmied, indem er hastig vortrat.
»Wie denn? Was denn?« sagte der Bote, der den Sinn der Worte des Schmieds nicht recht verstand.
»Ich meine, was ihm fehlt? Wo das Uebel sitzt? Wie sich die Krankheit zeigt?« sagte der Schmied.
Der Diener sah Tressilian an, wie wenn er sich erst vergewissern wollte, ob er auf solche von einem Fremden gestellte Fragen auch antworten dürfe, und als er eine bejahende Gebärde wahrnahm, zählte er nun eiligst den Verfall auf, der an den Kräften des Ritters eingetreten sei, die nächtlichen Schweiße, den Appetitmangel, das Erscheinen von Ohnmächten und so weiter.
»Dazu hat sich wohl auch,« fragte der Schmied, »ein quälender Schmerz im Magen gesellt und ein schleichendes Fieber?«
»Ganz genau,« bestätigte der Bursche, ziemlich verwundert.
»Ich weiß, woher das Leiden stammt,« erklärte der Schmied, »und weiß auch, wie es entstanden ist. Euer Herr hat vom Manna des heiligen Sankt Nikolaus gegessen. Ich weiß auch« die Kur ... mein Herr soll nicht sagen können, daß ich mich in seinem Laboratorium herumgedrückt hatte, ohne was zu lernen.«
»Was ist der Sinn solcher Worte?« fragte Tressilian, die Stirn in Falten legend. »Wir sprechen von einem der vornehmsten Männer Englands. Bedenke das! Witze und Späße anzubringen ist das kein Fall.«
»Da sei Gott vor,« sagte der Schmied. »Ich sage ja nur, und das halte ich aufrecht, daß ich die Krankheit des hohen Herrn kenne und heilen kann. Erinnert Euch doch dessen, was ich für Sir Hugh Robsart getan.«
»Wir wollen auf der Stelle aufbrechen,« sagte Tressilian. »Gott ruft uns.«
Demzufolge machte er schnell Sir Hugh Robsart und dessen Hausgenossen Mitteilung von diesem neuen Grunde zur Beschleunigung der Abreise, ohne jedoch weder der argwöhnischen Befürchtungen des Sendboten, noch der Zusicherungen Wielands, des Schmieds, Erwähnung zu tun. Sir Hugh Robsart begleitete ihn mit seinen Segenswünschen und seinem Gebet, und in Begleitung des Schmieds und des Sussexschen Sendboten machte sich Junker Tressilian auf den Ritt nach London.