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Sechstes Kapitel.

Vier Räume im Westflügel des alten Vierecks von Cumnor-Place waren auf das prunkvollste hergerichtet worden. Dies war die Arbeit von mehreren Tagen gewesen. Handwerker waren von London hergeschickt worden und durften das Haus nicht eher verlassen, als bis die Arbeit beendet war. Sie hatten die Gemächer in diesem Flügel des Gebäudes aus dem verfallnen Zustande eines halb in Trümmer gesunkenen Klosters in den Pomp und Glanz eines königlichen Palastes versetzt. All diese Arbeiten waren geheim gehalten worden, und bei Nacht waren die Arbeiter gekommen und wieder gegangen.

An dem Abend – von dem jetzt die Rede ist – war die neue und prachtvoll dekorierte Folge von Zimmern zum erstenmal erleuchtet, und zwar in einem Glanze, den man weit hätte sehen müssen, wenn nicht eichene Fensterläden und Vorhänge von Seide und Sammet verhindert hätten, daß auch der leiseste Schimmer nach außen gedrungen wäre.

In der Hauptsache waren es, wie wir gesehen haben, vier Zimmer, die ineinander liefen. Man gelangte zu ihnen auf einer großen, steilen Treppe von ungewöhnlicher Länge und Höhe, die an der Tür eines Vorzimmers endete, das sich wie eine Galerie ausnahm. Von diesem Vorzimmer aus kam man in das Speisezimmer, das nicht sehr groß war, aber so prächtig ausgestattet war, daß der Reichtum der Möbel den Beschauer blendete. Die ehedem so kahlen, geisterhaften Wände waren jetzt mit himmelblauem Sammet mit Silberstickerei behangen. Die Stühle waren aus Ebenholz und reich geschnitzt, die Polster entsprachen dem Wandbehang. An Stelle der silbernen Leuchter, die die Antichambre erhellten, hing hier ein großer Kronleuchter aus dem gleichen, kostbaren Metall. Der Boden war mit einem spanischen Teppich bedeckt, auf dem Blumen und Früchte in so glühenden und naturgetreuen Farben dargestellt waren, daß man sich fast scheute, den Fuß auf eine so kostbare Arbeit zu setzen. Der Tisch von altem englischen Eichenholz war bereits mit schneeweißem Linnen gedeckt.

Das dritte Zimmer war das sogenannte Gesellschaftszimmer. Es war mit feinsten Tapeten behangen. Der am meisten ins Auge fallende Sitz dieses Zimmers war eine Art Staatssessel, der sich um zwei Fuß etwa vom Boden erhob und groß genug für zwei Personen war. Ein Baldachin erhob sich darüber, der aus rotem Sammet war und mit Perlstickerei geziert war. An der Spitze trug er zwei Kronen, die wie die eines Earl und die einer Gräfin aussahen. Stühle mit Sammetbezug und ein paar Polster waren an Stelle der üblichen Rohrstühle in diesem Zimmer. Außerdem sah man darin Musikinstrumente, Stickrahmen und andere Artikel zum Zeitvertreib für Damen.

Das Schlafzimmer, das zu dieser prächtigen Reihe von Zimmern gehörte, war in weniger prunkendem Geschmack dekoriert, aber doch nicht weniger reich als die anderen. Zwei mit wohlriechendem Oel gespeiste Lampen verbreiteten zugleich einen kostbaren Duft und einen zitternden, zwielichtartigen Schimmer in dem stillen Gemach. Es war so dick mit Teppichen belegt, daß der lauteste Tritt nicht gehört werden konnte, und das reich mit Daunen gefüllte Bett war mit einer großen Decke von Seide und Gold bedeckt. Auf dem Toilettentisch stand ein schöner venetianischer Spiegel in einem Rahmen von Silberfiligran. Daneben stand eine goldene Sahnenschüssel für den Nachttrunk. Ein Paar Pistolen und ein in Gold gearbeiteter Dolch lagen in der Nähe des Kopfendes: das waren die Nachtwaffen, wie sie damals jedem in Ehren gehaltenen Gaste dargeboten wurden.

Die Gottheit, für die dieser Tempel geschmückt worden war, war die Kosten und die Mühe wert, die man hier aufgewendet hatte. Sie saß in dem Gesellschaftszimmer, das wir eben beschrieben haben, und betrachtete mit dem freudigen Auge natürlicher und unschuldiger Eitelkeit den Glanz, der ihr zu Ehren so plötzlich geschaffen worden war. Zum erstenmal an diesem Abend sah sie selber diesen Teil des Herrenhauses, der von den ihr bisher bekannten Gemächern so verschieden war, daß er ihr im Vergleich zu jenen wie ein verzauberter Palast erschien, denn sie war ängstlich davon fern gehalten worden, damit keiner der Arbeiter sie zu Gesicht bekommen sollte. Und sie betrachtete all diese Pracht mit der wilden, zügellosen Freude einer ländlichen Schönen, die sich plötzlich mit einem Luxus umgeben sieht, wie ihn ihre überschwenglichsten Wünsche sich nicht hatten träumen lassen, und zugleich auch mit dem feinen Gefühl eines liebenden Herzens, das sich bewußt ist, daß all der Zauber um sie her das Werk der großen Tausendkünstlerin Liebe ist.

Die Gräfin Amy – denn zu diesem Range war sie durch ihre geheime, aber feierliche Verbindung mit Englands stolzestem Grafen erhoben worden – war eine Zeitlang von Zimmer zu Zimmer geeilt und hatte jeden neuen Beweis von dem Geschmack ihres Liebhabers und Bräutigams bewundert, dann streckte sie sich im Gesellschaftszimmer auf einen der orientalischen Sessel und ruhte hier, halb sitzend, halb zurückgelehnt.

In dieser Haltung, mit einem Ausdruck halb lässiger Sorglosigkeit und halb gespannter Erwartung in dem feinen, ausdrucksvollen Gesicht hätte man wohl See und Land durchsuchen können, ohne etwas halb so Ausdrucksvolles oder halb so Liebreizendes wieder zu finden. Das Gewinde von Brillanten, das sich mit ihrem braunen, dunklen Haar vermischte, konnte sich nicht an Glanz mit dem haselbraunen Auge messen, das eine hellbraune, in feinster Zartheit gezeichnete Braue und lange Wimpern derselben Farbe zugleich erhellten und beschatteten. Nach der Hast, mit der sie eben durch die Zimmer geeilt war, und infolge der erregten Spannung und befriedigten Eitelkeit waren ihre feinen Züge in warme Glut getaucht. Die milchweißen Perlen ihres Halsbandes – desselben, das sie eben als ein Liebesangebinde von ihrem Liebhaber erhalten hatte – wurden an Reinheit von ihren Zähnen und der Farbe ihrer Haut übertroffen, nur an einigen Stellen hatte die Freude und Selbstzufriedenheit den Hals mit einem Schatten leichter Röte überzogen.

»Jeanette,« sagte Amy zu ihrer Zofe, »rufe Deinen Vater her und auch Varney, – ich will gegen niemand Groll hegen, und obwohl ich Ursache habe, mit beiden unzufrieden zu sein, so sollen sie doch beide selber daran schuld sein, wenn ich je eine Beschwerde wider sie beim Grafen anbringe. – Rufe sie hierher!«

Jeanette Foster gehorchte ihrer Herrin, und in wenigen Minuten trat Varney herein, mit der anmutigen Ungezwungenheit und der heiteren Stirn eines vollendeten Höflings, der geübt ist, unter dem Schleier äußerer Höflichkeit die eigenen Gefühle zu verbergen und die anderer zu durchschauen. Anton Foster trottete hinter ihm herein, die natürliche, finstere Gemeinheit seines Aeußeren schien noch auffallender, da er in seiner plumpen Weise versuchte, die Beklommenheit und das Mißvergnügen zu verbergen, mit dem er jetzt auf sie blickte, die er doch bisher in so strenger Zucht gehalten hatte – und nun saß sie in so prachtvollem Gewande und so prächtiger Umgebung, in der alles von der Liebe ihres Gatten sprach. Er machte der Gräfin eine unbeholfene Verneigung, wie sie der Verbrecher vor dem Richter macht, wenn er zugleich seine Schuld gesteht und um Erbarmen bittet.

Die Gräfin grüßte Varney fast herzlich, so daß es schien, als erteile sie ihm volle Amnestie für alles, was sie je ihm vorzuwerfen gehabt hätte. Sie stand von ihrem Sitze auf, trat ihm zwei Schritt entgegen und hielt ihm die Hand hin, während sie sagte:

»Herr Richard Varney, Ihr habt mir heute morgen so willkommene Nachricht gebracht, daß ich wohl, wie ich fürchte, Euch nicht mit der den Wünschen meines Lords und Gatten entsprechenden Auszeichnung empfangen habe. Wir bieten unsere Hand, Herr, zur Versöhnung.«

»Ich bin unwürdig, diese Hand zu berühren,« sagte Varney, sich auf ein Knie niederlassend, »außer mit der Ehrfurcht, die der Untertan dem Fürsten entgegenbringt.«

Er berührte mit den Lippen die schönen, zarten Finger, die so reich mit Ringen und Juwelen beladen waren, dann erhob er sich in anmutiger Galanterie und wollte sie zu ihrem Staatssessel führen, aber sie sagte:

»Nein, guter Herr Richard Varney, dort nehme ich meinen Platz nicht eher ein, als bis mein Herr selber mich dorthin geführt hat. Ich bin vorderhand nur eine angeputzte Gräfin und will mir keine Würde anmaßen, ehe mich nicht der Mann dazu ermächtigt hat, von dem sie stammt.«

»Ich hoffe zuversichtlich, Mylady,« sagte Foster, »daß ich nicht Eure Ungnade auf mich geladen habe, indem ich meines Gebieters Befehle ausführte und Euch hier in strengem Gewahrsam hielt, denn ich habe damit ja doch nur meine Pflicht gegen meinen Herrn und mich selber getan – denn der Himmel hat, wie die heilige Schrift sagt, dem Manne die Oberhand und die Gewalt über das Weib gegeben – ich glaube, so heißt die Stelle, oder wenigstens so ähnlich.«

»Mir ist in diesem Augenblick eine so angenehme Ueberraschung geworden, Herr Foster,« antwortete die Gräfin, »daß ich Euch nicht im mindesten tadeln kann, daß Ihr mich in strenger Gehorsamkeit gegen Euern Herrn solange von diesen Gemächern ferngehalten habt, bis sie ein so neues und herrliches Aussehen angenommen hatten.«

»Ach ja, Lady,« sagte Foster, »es hat manche gute Krone gekostet, und damit nicht mehr darauf gehen möge, als unbedingt nötig ist, so lasse ich Euch bis zu meines Herrn Ankunft mit dem guten Meister Varney allein – ich glaube, er hat Euch was zu sagen von Euerm höchst edeln Lord und Gatten.«

Foster machte seine vierschrötige Verbeugung und ging, seine Tochter nahm einen Stickrahmen und setzte sich am äußersten Ende des Zimmers nieder. Varney nahm den niedrigsten Stuhl, den er finden konnte, stellte ihn neben den Diwan, auf dem die Gräfin sich wieder niedergelassen hatte, und saß eine Zeitlang schweigend da, die Augen auf den Boden geheftet.

»Ich glaubte, Herr Varney,« sagte die Gräfin, als sie sah, daß er nicht willens schien, die Besprechung zu eröffnen, – »Ihr hättet etwas von meinem Herrn und Gemahl mitzuteilen, wenigstens habe ich so Herrn Foster verstanden, und deshalb habe ich meine Zofe weggeschickt. Wenn ich mich irre, so will ich sie wieder an meine Seite rufen, denn ihre Nadel ist noch nicht so vollkommen im Kreuzstich, und es wird sich empfehlen, ihr dabei ein wenig auf die Finger zu sehen.«

»Lady,« sagte Varney, »Foster ist über mein Vorhaben zum Teil im Irrtum gewesen – ich wollte nichts von Euerm edeln Gemahl und meinem hochedeln Gönner bestellen – sondern ich sehe mich genötigt, über ihn mit Euch zu reden.«

»Das ist mir ein sehr willkommener Gesprächsgegenstand, Herr,« sagte die Gräfin, »ob Ihr mir nun etwas von meinem Gemahl oder über meinen Gemahl sagt. Aber seid kurz, denn ich erwarte ihn binnen kurzem.«

»Also kurz, Madam,« erwiderte Varney, »und frei heraus, denn, was ich zu sagen habe, erfordert Eile sowohl als Mut. Ihr habt heute Tressilian gesehen?«

»Ich habe ihn gesehen, Herr, und was solls damit?« antwortete die Dame ein wenig schroff.

»Nicht als ob es mich was anginge, Lady,« versetzte Varney unterwürfig. »Aber meint Ihr, geehrte Dame, daß Euer Lord es mit derselben Gleichgültigkeit vernehmen wird?«

»Und warum sollte er nicht? – Für mich war Tressilians Besuch eine unangenehme und schmerzliche Störung, denn er hat mir Nachricht gebracht, daß mein guter Vater krank sei.«

»Euer Vater krank, Madam!« antwortete Varney. »Was muß plötzlich gekommen sein, sehr plötzlich. Nenn der Bote, den ich auf Mylords Geheiß absandte, fand den guten Ritter auf der Jagd, wo er seine Hunde mit dem gewohnten jovialen Feldgeschrei losließ. Ich bin überzeugt, Tressilian hat diese Nachricht gefälscht. Er hat ja seine Gründe dazu, Madam, das weiß ich sehr wohl, Euch Euer, gegenwärtiges Glück zu verleiden.«

»Ihr tut ihm unrecht, Herr Varney,« erwiderte die Gräfin lebhaft, »Ihr tut ihm bitteres Unrecht. Er ist das freieste, offenste, zarteste Herz, das schlägt. Immer meinen ehrenwerten Lord ausgenommen, kenne ich keinen, dem Falschheit und Lüge verhaßter wären als Tressilian.«

»Ich bitte demütig um Verzeihung, Madam,« sagte Varney, »es war nicht meine Absicht, dem Herrn unrecht zu tun. Ich wußte nicht, wie sehr Euch seine Sache am Herzen liegt.«

»Ich muß Tressilian Gerechtigkeit erweisen,« unterbrach ihn die Gräfin, »den ich habe ihm arg mitgespielt, wie Ihr selber am besten wißt. Tressilians Gewissen ist von anderem Stoffe als Euer Höflingsgewissen. Diese Welt birgt bei all ihren Reichtümern nichts, was ihn von dem Wege der Wahrheit und der Ehre hinweglocken könnte. Um deswillen liebte ihn auch mein Vater – um deswillen würde auch ich ihn geliebt haben, wenn ich gekonnt hätte. Und doch hatte er, da er ja von meiner Heirat nicht unterrichtet ist, auch nicht weiß, mit wem ich vereinigt wurde, seiner Meinung nach so zwingende Gründe, mich von hier weg zu bringen, daß er wohl das Mißbefinden meines Vaters stark übertrieben haben mag – und wohl mögen Eure besseren Nachrichten mehr der Wahrheit entsprechen.«

»Das könnt Ihr mir glauben, Madam,« antwortete Varney, »ich gebe mich keineswegs als einen blinden Kämpen dieser selben nackten Tugend, der Wahrhaftigkeit, aus. Ich kann mich völlig damit einverstanden erklären, daß ihre Reize, sei es auch nur des Anstands wegen, mit einem Schleier verhüllt werden. Aber Ihr müßt geringer von meinem Kopf und meinem Herzen denken, als Ihr von einem Manne, den mein edler Lord Freund zu nennen geruht, füglich denken solltet – wenn Ihr meint, ich würde in eigensinniger und unnötiger Weise Eurer Ladyschaft mit einer Lüge aufwarten, die doch so bald ans Tageslicht kommen müßte.«

»Herr Varney,« sagte die Gräfin, »ich weiß, daß mein Herr Euch schätzt und Euch für einen treuen und zuverlässigen Lotsen in jenen Meeren hält, in denen er ein so großes und waghalsiges Segel gesetzt hat. Denkt daher nicht, daß ich etwa mit Euch selber ins Gericht hätte gehen wollen, indem ich die Wahrheit sagte zu Tressilians gunsten. Wie Ihr wohl wißt, bin ich auf dem Lande groß geworden und liebe schlichte, bäuerische Wahrheit mehr als höfische Komplimente, aber ich muß doch wohl meine Manier ändern, da ich jetzt in anderen Kreisen lebe.«

»Sehr wahr, Madam,« sagte Varney lächelnd, »eine Hofdame – und sei es die edelste, die tugendhafteste, die untadeligste am Hofe der Königin, würde es vermieden haben, die Wahrheit, oder das, was sie für die Wahrheit hielte, zum Lobe eines in Ungnade gefallnen Verehrers vor dem vertrauten Diener ihres edeln Gemahls offen herauszusagen.«

»Und warum,« sagte die Gräfin und errötete vor Unmut, »sollte ich nicht Tressilian vor dem Freunde meines Gatten – vor meinem Gatten selber – vor der ganzen Welt verteidigen, wie er es verdient?«

»Und wird Eure Ladyschaft heute abend,« sagte Varney, »mit derselben Offenheit meinem edeln Lord erzählen, daß Tressilian Euern vor aller Welt so ängstlich geheim gehaltenen Wohnort entdeckt und eine Unterredung mit Euch gehabt habe?«

»Ganz gewiß,« sagte die Gräfin. Es wird das erste sein, was ich ihm sage, und jedes Wort, das Tressilian gesagt und das ich ihm geantwortet habe, obendrein. Ich werde damit meine eigene Schmach aussprechen, denn Tressilians Vorwürfe – wenn sie auch weniger gerecht waren, als er selber meinte – ganz unverdient waren sie nicht. So will ich sprechen, wenn auch mit Schmerz, und nichts will ich verbergen.«

»Eure Lordschaft wird nach Belieben verfahren,« antwortete Varney, »aber meines Dünkens wäre es, da ja doch gar kein Grund zu einer solchen offenherzigen Enthüllung vorliegt, gerade so gut, Ihr erspartet Euch diesen Schmerz und meinem edeln Lord die Unruhe, und dem Herrn Tressilian – da ja bei der Sache eben doch auch an ihn gedacht werden muß – die Gefahr, die für ihn daraus entstehen kann. – Seht, Madam,« setzte er nach einer kleinen Pause mit einer aufrichtigen oder erkünstelten Offenheit hinzu, die von seinem sonstigen glatten, höfischen Wesen sehr abstach, »ich will Euch zeigen, daß auch ein Höfling die Wahrheit sprechen kann wie jeder andere, wenn es das Wohl derer gilt, die er ehrt und die ihm nahe stehen – ja, und brächte er sich selber dadurch in Gefahr.« Er wartete, wie auf ein Geheiß oder wenigstens eine Erlaubnis fortzufahren, da aber die Dame in Schweigen verharrte, sprach er, doch mit sichtlicher Vorsicht. »Schaut Euch um,« sagte er, »edle Lady, und gewahrt die Schranken und Gitter, mit denen dieser Platz umschlossen ist, und mit welch ängstlicher Sorge das prächtigste Juwel, das England aufweist, vor dem bewundernden Blick geheim gehalten wird. Seht, in welchen engen Kreis Euer Gehen und Stehen streng gebannt ist, und wie Euer Handel und Wandel eingeschränkt ist durch diesen vierschrötigen Foster. Bedenkt das alles und urteilt selber, was die Ursache sein kann.«

»Mylords Belieben,« antwortete die Gräfin, »es ist meine Pflicht, nach keinem anderen Grunde zu suchen.«

»Allerdings ist es sein Belieben,« sagte Varney, »aber wer einen Schatz besitzt, und wer diesen Schatz hoch und wert hält, der ist oft ängstlich bemüht, und zwar im selben Maße, als er ihn wert hält, den Schatz vor den räuberischen Händen anderer zu sichern.«

»Was soll all dies Geschwätz, Herr Varney?« entgegnete die Dame. »Wollt Ihr mich glauben machen, mein edler Herr sei eifersüchtig? Und wenn es wahr wäre, ich weiß ein Heilmittel gegen Eifersucht: jederzeit Mylord die Wahrheit sagen und mein Gemüt und mein Gedächtnis rein wie einen Spiegel halten, so daß er, wenn er hinein sieht, seine eignen Züge widergespiegelt sieht.«

»Ich verstumme, Madam,« antwortete Varney. »Und da ich gar keine Veranlassung habe, mich um Tressilian zu sorgen, der gern mein Herzblut vergösse, wenn er nur könnte, so werde ich mich auch leicht mit dem Gedanken aussöhnen, was wohl dem Herrn widerfahren könnte, wenn Ihr so offenherzig verratet, daß er in Eure Einsamkeit frech eingedrungen ist. Ihr kennt ja Mylord so viel besser als ich und könnt am besten beurteilen, ob er diese Beleidigung ungesühnt hingehen lassen wird.«

»Wenn ich denken sollte, daß ich selber Tressilian ins Verderben stürzen würde,« sagte die Gräfin, »ich, die ich ihm schon soviel Herzeleid bereitet habe – das wäre freilich für mich ein Grund, doch zu schweigen. Doch was hülfe es? Hat ihn doch Foster und wohl auch noch jemand anders gesehen! Nein, nein, Varney, dringt nicht weiter in mich. Ich will die ganze Sache Mylord erzählen und will Tressilians Torheit so beredt entschuldigen, daß mein edler Herr in seiner Großmütigkeit ihm nicht zürnen soll.«

»Foster kennt Tressilian nicht von Ansehen,« sagte Varney, »und ihm und seinem Burschen kann ich leicht irgend was weis machen, was das Erscheinen eines Fremden hinreichend erklärt.«

Die Dame zauderte einen Moment, dann antwortete sie:

»Wenn es wahr ist, Varney, daß Foster noch nicht weiß, daß der Mann, den er gesehen hat, Tressilian ist, dann wäre es mir freilich recht unlieb, wenn er erführe, was ihn ja gar nichts angeht. Ich habe so schon genug unter seiner Strenge zu leiden, und ich möchte nicht, daß er sich auch noch zum Richter in meinen Privatangelegenheiten aufwürfe.«

»Was hat der griesgrämige Bursche mit den Angelegenheiten Eurer Ladyschaft zu tun?« erwiderte Varney. »Nicht mehr als der Kettenhund, der seinen Hof bewacht! Wenn er Eurer Ladyschaft in irgend was zuwider ist, so habe ich Einfluß genug, Euch an seiner Stelle einen Seneschall zu verschaffen, der Euch angenehmer sein wird.«

»Herr Varney, laßt dieses Thema,« sagte die Gräfin, »wenn ich mich über die Diener zu beschweren habe, mit denen Mylord mich umgeben hat, so will ich es nur gegen ihn persönlich tun. – Horch! Ich höre Pferdegetrappel. Er kommt! Er kommt!« rief sie und sprang entzückt auf.

»Ich kann nicht glauben, daß er das ist,« sagte Varney, »Ihr könnt doch nicht durch diese verhängten Fenster hindurch den Tritt seines Pferdes hören.«

»Haltet mich nicht auf, Varney! Er ist es.«

»Aber Madam, Madam!« rief Varney ängstlich, ihr in den Weg tretend, »ich denke doch, was ich in untertänigstem Diensteifer gesagt habe, wird nicht zu meinem Verderben angewendet werden? Ich hoffe, mein treuer Rat wird nicht zu meinem Nachteil ausgelegt werden? Ich flehe Euch an ...«

»Seid getrost, Mann, seid getrost!« sagte die Gräfin, »und laßt mein Kleid los – mich aufzuhalten! Das ist doch wirklich zu dreist! – Gebt Euch doch zufrieden – ich denke gar nicht an Euch!«

In diesem Augenblick flogen die Flügeltüren weit auf, und ein Mann von majestätischer Erscheinung, in die Falten eines langen Reitmantels gehüllt, trat herein.


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