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Zweites Kapitel.

»Also Will von Wallingford, das Großmaul,« sagte Lambourne, »ist auch dahingegangen?«

»Er ist gestorben wie ein feister Rehbock,« sagte einer von der Gesellschaft, »der alte Thatcham, des Herzogs stämmiger Förster in Donnington-Castle hat ihn mit einem Armbrustbolzen zur Strecke gebracht.«

»Wildpret hat er sein Leben lang gern gehabt,« sagte Michael. »Ich trinke ein Glas auf sein Andenken. Prosit, meine Herren!«

Als die Gesundheit dieses würdigen Entschlafenen getrunken war, erkundigte Lambourne sich nach Prance von Padworth.

»Hat baumeln müssen – vor zehn Jahren ist er unsterblich gemacht worden,« sagte der Krämer.

»Was? So haben sie den armen Prance an den Galgen geknüpft – und bloß, weil er gern bei Mondschein ausging? Ein Glas seinem Andenken, meine Herren! Alle lustigen Kerle haben das Mondlicht gern. Was ist aus Heinz mit der Feder geworden? Er wohnte unten in Yattenden und trug eine lange Feder – ich habe vergessen, wie er hieß.«

»Ah, Heinz Hempseed?« versetzte der Krämer. »Na, der war ja so eine Art vornehmer Herr, wie Du Dich erinnern wirst, und mischte sich gern in Staatsangelegenheiten, und da ist er wegen der Sache mit dem Herzog von Norfolk in die Klemme geraten, er wurde steckbrieflich verfolgt, flüchtete aus dem Lande und ist seit zwei oder drei Jahren nicht mehr gesehen worden.«

»Na, ich habe genug gehört,« entgegnete Michael Lambourne, »und habe schon gar keine Lust mehr, mich nach Toni Foster zu erkundigen, denn wenn Strick und Armbrustbolzen und Steckbriefe hier so an der Tagesordnung sind, dann ist ihnen der Toni sicherlich nicht entwischt.«

»Was für einen Toni Foster meinst Du denn?« fragte der Gastwirt.

»Na den, den sie Toni den Scheiterhaufenanstecker nannten, weil er ein Licht brachte, womit der Scheiterhaufen von Latimer und Rudley angebrannt werden konnte, denn der Wind hatte dem Henker die Fackel ausgelöscht und niemand wollte sie ihm für Geld und gute Worte wieder anbrennen.«

»Toni Foster lebt und es geht ihm gut,« sagte der Wirt, »aber ich rate Dir, Neffe, nenne ihn nicht den Scheiterhaufenanstecker, wenn Du ihn nicht fuchsteufelswild machen willst.«

»Wie! So schämt er sich wohl jetzt dessen?« rief Lambourne. »Er hat sich sonst immer groß damit getan und sagte, er sähe ebenso gern einen gebratenen Ketzer wie einen gebratenen Ochsen.«

»Ja, Vetter, das war zur Zeit der Maria,« versetzte der Wirt. »Damals war Tonis Vater noch Vogt beim Abt von Abingdon. Jetzt hat Toni eine Strenggläubige vom reinsten Wasser geheiratet und ist ein guter, eifriger Protestant geworden.«

»Und schaut sehr würdevoll drein und trägt den Kopf hoch und guckt seine alten Kameraden nicht mehr an,« sagte der Krämer.

»Jedenfalls ist er vermögend geworden,« sagte Lambourne. »Denn wenn jemand Geld allein hat und sein eigen nennt, dann geht er in der Regel denen aus dem Wege, die ihre Schatzkammern in anderer Leute Taschen haben.«

»Ein Großer vom Hofe,« sagte der Wirt, »der das Land dort von der Krone zu Lehen hatte, hat ihm das alte Herrenhaus Cumnorplace hinter dem Kirchhofe überlassen, und dort wohnt nun Toni und kümmert sich nicht mehr um die armen Schlucker von Cumnor, ganz als wäre er ein stolzer Ritter.«

»Nein,« sagte der Krämer, »bei Toni ist es nicht bloß Stolz. Da ist eine hübsche Frau im Spiele, und Toni ist so eifersüchtig, daß er selbst die Sonne kaum ihr Antlitz schauen lassen will.«

»Wie!« sagte Tressilian, der sich jetzt zum erstenmal in die Unterhaltung mischte, »sagtet Ihr nicht, dieser Foster sei verheiratet und mit einer Strenggläubigen!«

»Er war verheiratet, und zwar mit einer so strengen Protestantin, wie je eine Fleisch in der Fastenzeit gegessen hat, und wie Hund und Katze haben sie miteinander gelebt. Aber sie ist tot jetzt, Friede sei mit ihr, und Toni hat bloß so ein winziges Ding von einer Tochter. Nun heißt es, er werde die Fremde freien, von der die Leute so viel Wesens machen.«

»Und warum?« fragte Tressilian, »ich meine, warum machen die Leute so viel Wesens von ihr?«

»Ja, das weiß ich nicht,« erwiderte der Wirt, »bloß sagen eben die Leute, sie war so schön wie ein Engel. Niemand weiß, wo sie her ist, und alle Welt möchte gern wissen, warum sie so abgeschlossen und unter so strengem Gewahrsam gehalten wird. Ich meinesteils habe sie noch nie gesehen – Ihr habt sie wohl mal gesehen, Herr Goldfaden?«

»Freilich, freilich, alter Junge,« erwiderte der Krämer, »schaut, ich kam gerade von Abingdon geritten – und ritt unter dem östlichen Erkerfenster des alten Herrenhauses vorbei, wo alle die alten Heiligen und Historien aufgemalt sind – ich hatte nicht den gewöhnlichen Weg eingeschlagen, sondern einen Pfad durch den Park, denn die Hintertür war nur eingeklinkt, und ich dachte, als alter Bekannter könnte ich es mir schon erlauben, durch die Bäume zu reiten, sowohl weil ich da im Schatten war, denn es war ein sehr heißer Tag, als auch weil ich vor Staub geschützt war – ich hatte nämlich mein pfirsichfarbenes Wams mit der schweren Goldstickerei an.«

»Und dieses Wams,« sagte Michael Lambourne, »wolltest Du so gern einer jungen Dame in die Augen stechen lassen. – O, Du alter Sünder! Du läßt auch Deine alten Kniffe und Pfiffe im Leben nicht!«

»Das nicht – das nicht,« sagte der Krämer mit süßlichem Grinsen. »Das war ganz und gar nicht der Grund. Nur Neugierde, weißt Du, und auch so ein bißchen Mitleid im Grunde, – denn die arme junge Dame sieht von früh bis spät nichts als Toni Foster mit seinen finsteren, schwarzen Brauen, seinem Ochsenkopf und seinen krummen Beinen.«

»Und so wolltest Du ihr gern einen schmuckeren Burschen zeigen, in seidenem Wams – ein Bein, wie das einer Henne, wenns ein wenig zu kurz geraten ist, in Corduanschuhen, und ein rundes, grinsendes Fatzkengesicht, über dem ein seidener Hut mit Türkenfeder und goldener Spange sitzt? Haha! Du lustiger Krämer, wer gute Ware hat, zeigt sie auch gern den Leuten! Kommt, Ihr Herren, laßt nicht die Gläser stehen! Ich trinke auf lange Sporen, kurze Schuhe, volle Hüte und leere Schädel!«

»Nein, nun bist Du eifersüchtig auf mich, Michel,« sagte Goldfaden, »und doch hätte das Glück, das ich hatte, ebenso gut auch auf Dich wie auf jeden andern fallen können.«

»Hol der Kuckuck Deine Unverschämtheiten!« rief Lambourne. »Du willst doch nicht etwa Dein Griesbreigesicht und Deine Ladenschwengelmanier mit dem Antlitz und Wesen eines schneidigen Herrn und eines Soldaten vergleichen?«

»Nicht doch, lieber Herr,« wandte Tressilian ein, »laßt mich Euch ersuchen, den höflichen Bürger hier nicht zu unterbrechen, er erzählt seine Geschichte so gut, dünkt mich, daß ich ihm bis Mitternacht zuhören könnte.«

»Mehr Gunst als ich verdiene,« antwortete der junge Herr Goldfaden. »Da ich Euch aber Vergnügen mache, Herr Tressilian, so will ich fortfahren trotz aller Sticheleien dieses wackern Soldaten, der vielleicht in den Niederlanden mehr Hiebe als Sold bekommen hat. – Also, Herr, als ich unter dem großen gemalten Fenster vorbeiritt, und den Zügel lose auf dem Nacken meiner Mähre ruhen ließ, teils zu meiner Bequemlichkeit, teils um desto besser Umschau halten zu können, da höre ich, wie ein Fenster aufgemacht wird, und bei meiner Ehre, Herr, da stand vor mir das schönste Weib, das je meine Augen geschaut haben. Und ich glaube doch, ich habe schon eine Menge hübscher Weiber gesehen, und mit ebenso gutem Urteil wie andre.«

»Darf ich fragen, wie sie aussah?« sagte Tressilian.

»O, Herr,« antwortete Meister Goldfaden, »mein Wort darauf, sie war gekleidet wie eine vornehme Dame – ein sehr zierliches und niedliches Kleid, wie es der Königin selber angestanden hätte. Es war aus ingwerfarbigem Atlas, – mag meiner Schätzung nach die Elle gut dreißig Schillinge gekostet haben – das Futter war aus dunkelrotem Taffet, besetzt war es mit breiten Streifen von Gold und Silber. Und ihr Hut, Herr, war entschieden das beste in der Putzbranche, was ich in dieser Gegend gesehen habe. Er war aus lohgelbem Taffet, bestickt mit Skorpionen aus venetianischem Golde, mit einer Franse von Gold ringsherum. – Ich sage Euch, Herr, ein Putzstück von einzig dastehender Aufmachung.«

»Ich habe nicht danach gefragt, was sie anhatte,« sagte Tressilian, der während dieser Ausführungen ein wenig ungeduldig geworden war, »ich habe nach ihrem Gesicht gefragt – nach der Farbe ihres Haares – nach ihren Zügen.«

»Was ihre Gesichtsfarbe anbetrifft,« versetzte der Krämer, »da kann ich keinen genauen Bescheid geben, aber ich habe gesehen, daß sie einen Fächer mit ganz eigentümlicher Einlegearbeit in der Hand trug, und was dann wieder die Farbe ihres Haares anbetrifft, so kann ich dafür einstehen, daß sie, ob es nun dunkel oder blond gewesen sein mag, ein Netz von grüner Seide, mit Gold durchwirkt, darüber trug.«

»Ein richtiges Schnittwarenhändler-Gedächtnis!« lachte Lambourne. »Der Herr fragt ihn nach der Schönheit der Dame und er faselt von ihren feinen Kleidern.«

»Ich sage Dir,« antwortete der Krämer, »ich hatte wenig Zeit, sie mir anzusehen, denn als ich gerade im Begriff stand, ihr guten Tag zu sagen, und zu diesem Zweck mein Gesicht zu einem Lächeln zurecht gelegt hatte ...«

»Wie ein Affe, der eine Nuß aufbeißt,« warf Michael Lambourne ein.

»Da kam plötzlich,« fuhr Goldfaden fort, ohne sich an den Zwischenruf zu kehren, »Toni Foster selber mit einem Knüttel in der Hand ...«

»Und hat Dir hoffentlich Deine Tracht versetzt für Deine Unverschämtheit,« sagte sein Spottvogel.

»Das wäre leichter gesagt als getan,« antwortete Goldfaden entrüstet, »nein, nein, es ist kein Schädel eingeschlagen worden – allerdings er hat mit seinem Knüttel gedroht und gesagt, es solle was setzen, und hat mich gefragt, warum ich nicht auf der Heerstraße ritte, und ich hätte ihm schon ordentlich das Fell versohlt, wenn nicht die Dame dabei gewesen wäre, denn ich fürchtete, sie könnte in Ohnmacht fallen.«

»Ei, Du sollst leben, mein schwachmütiger Sklave!« sagte Lambourne. »Welcher abenteuerliche Ritter hat je daran gedacht, daß seine Dame sich entsetzen könne, wenn er wider Riesen, Drachen oder Zauberer vor ihren Augen, und zu ihrer Befreiung kämpfte? Aber was rede ich zu Dir von Drachen, der Du ja schon vor einer Fledermaus Reißaus nehmen würdest!«

»So mach Du Dich doch daran, Maulheld Michel,« antwortete Goldfaden. »Da drüben ist das verzauberte Haus und der Drache und die Dame, alles steht Dir zu Diensten, wenn Du die Courage hast, es mit ihnen aufzunehmen.«

»Ei, das tat ich um ein Maß Sekt,« sagte der Soldat. »Oder halt – mit meiner Leinenwäsche ist es jammervoll bestellt – willst Du ein Stück holländisch Linnen gegen die fünf Goldstücke hier wetten, daß ich hingehe und morgen Toni Foster zwinge, mich seiner schönen Gästin vorzustellen?«

»Ich nehme Deine Wette an,« sagte der Krämer, »und ich glaube, wenn Du auch so unverschämt wärst wie der Teufel selber, diesmal gewinn ich! Unser Wirt soll die Einsätze an sich nehmen, und ich will Gold zum Pfande setzen, bis ich das Linnen schicke.«

»Ich mische mich nicht in solch eine Geschichte,« sagte Gosling. »Neffe, trink Du Deinen Wein in Ruhe und laß Dich nicht auf solche Wagnisse ein. Ich sage Dir, Meister Foster hat Einfluß genug, daß er Dich ins Gefängnis nach Oxford schicken lassen oder Deine Beine mit dem Fußeisen bekannt machen kann.«

»Das hieße eine alte Bekanntschaft erneuern,« sagte der Krämer, »denn Michels Schienbeine und die Fußblöcke sind schon von früher her einander nicht fremd. Aber er soll nicht von seiner Wette zurücktreten, oder er muß Abstand zahlen.«

»Abstand?« rief Lambourne. »Ist mir viel zu schofel! Aus Tonis Wut mach ich mir gar nichts! Und ich will seiner Schönen einen Besuch abstatten, ob es ihm nun recht ist oder nicht.«

»Ich würde gern die Hälfte Eurer Wette auf mich nehmen,« sagte Tressilian, »wenn Ihr mir erlaubtet, Euch bei dem Wagnis zu begleiten.«

»Was würde das für Euch für einen Vorteil haben, Herr?« antwortete Lambourne.

»Gar keinen Vorteil, Herr,« sagte Tressilian; »nur Zeuge der Geschicklichkeit und Tapferkeit würde ich sein, die Ihr an den Tag legen würdet. Ich bin ein Reisender, der nach seltsamen Begegnungen und ungewöhnlichen Vorkommnissen fahndet, wie ehedem, die Ritter nach Abenteuern und Waffentaten.«

»Na, wenn Ihr mit ansehen wollt, wie man einen Hering ausnimmt,« antwortete Lambourne, »mir ist es einerlei, wie viele mitansehen, was ich leisten kann. Und so trinke ich hier auf das Gelingen meines Unternehmens, und wer mir nicht darauf Bescheid tut, den erkläre ich für einen Schurken, und ich will ihm die Beine abschlagen bis zu den Knieschnallen.«

Dem Trunk, den Lambourne hierauf leerte, waren so viele andre schon vorausgegangen, daß seine fünf Sinne bereits verwirrt waren. Er schrie dem Krämer ein paar unzusammenhängende Flüche zu, weil dieser in sehr begreiflicher Weise sich weigerte, mit ihm auf den Verlust seiner eigenen Wette anzustoßen.

»Willst Du Grünschnabel mit mir rechten!« rief Lambourne. »Wart', ich will Dich in fünfzig Ellen Tressen zerschneiden.«

Aber als er das Schwert zu ziehen versuchte, um diesen mannhaften Entschluß auszuführen, packten ihn der Kellner und der Hausknecht und schleppten ihn in sein Zimmer, wo er sich nach Herzenslust nüchtern schlafen konnte.

Die Gesellschaft ging auseinander, und die Gäste nahmen Abschied, darüber war freilich der Wirt mehr erfreut als die Burschen, von denen mancher noch gern mehr von dem Wein, der ihnen nichts kostete, getrunken hätte.


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