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Siebentes Kapitel.

Ein streng Gesetz, verbietend dem Geweihten
Mitleidig bei der Menschen Weh zu trauern;
Ein streng' Gesetz, das bei harmlosem Scherz
Verbot zu lächeln; doch viel strenger noch,
Wenn es die Ruthe der Tyrannenmacht
Hoch schwang, und diese Macht von Gott erflehte.

Das Mittelalter.

Der Richtersitz, welcher zum Verhör der unschuldigen und unglücklichen Rebecca errichtet war, nahm den erhöhten Theil am obern Ende der großen Halle ein.

Auf einem hohen Sitze, der Angeklagten gerade gegenüber, saß der Großmeister des Tempelordens in blendend weißen Gewändern, den mystischen Stab mit dem Symbol des Ordens in der Hand haltend. Zu seinen Füßen stand ein Tisch, woran zwei Schreiber, Kaplane des Ordens, saßen, deren Geschäft es war über die Vorgänge des Tages Protokoll zu führen. Die schwarzen Kleider, kahlen Köpfe und demüthigen Blicke dieser Geistlichen bildeten einen seltsamen Gegensatz zu dem kriegerischen Ansehen der Ritter. Die Präceptoren, von denen vier gegenwärtig waren, nahmen niedrigere Sitze ein, die etwas hinter dem ihres Obern zurückstanden, während die Ritter, die keinen solchen Rang in dem Orden bekleideten, auf noch niedrigeren Bänken saßen und ebenso weit von den Präceptoren entfernt waren, wie diese von dem Großmeister. Hinter diesen, aber noch auf der Erhöhung, standen die Knappen in weißen Anzügen von gröberem Stoffe.

Die ganze Versammlung zeigte einen feierlichen Ernst, und in den Gesichtern der Ritter konnte man Spuren militärischer Kühnheit bemerken, vereint mit dem feierlichen Benehmen, welches Personen geistlichen Standes ziemte, und in Gegenwart ihres Großmeisters gewiß an ihnen zu bemerken war.

Der übrige niedrigere Theil der Halle war mit Trabanten angefüllt und andern Dienstleuten, welche die Neugierde dorthin geführt hatte, um zugleich einen Großmeister und eine jüdische Zauberin zu sehen. Bei weitem der größere Theil dieser untergeordneten Personen in ihrem verschiedenen Range war mit dem Orden verbunden, und daher durch ihre schwarze Kleidung ausgezeichnet. Auch den Landleuten aus der Umgegend war der Zutritt nicht verweigert, denn es war Beaumanoir's Stolz, das erbauliche Schauspiel der Gerechtigkeit, die er ausübte, so öffentlich als möglich zu machen. Seine großen blauen Augen schienen sich zu vergrößern, als er sich in der Versammlung umsah, und sein Antlitz schien durch das Bewußtsein der Würde und des eingebildeten Verdienstes der Handlung, die er auszuführen im Begriff war, wie verklärt. Ein Psalm, den er selber mit tiefer voller Stimme begleitete, die das Alter nicht ihrer Kraft beraubt hatte, begann die Verhandlungen des Tages, und die feierlichen Worte: Venite exultemus Domino, welche die Templer so oft gesungen hatten, ehe sie den Kampf begannen mit irdischen Gegnern, waren von Lucas zur Einleitung zu dem bevorstehenden Triumph über die Mächte der Finsterniß, denn dafür hielt er ihn, für die passendsten angesehen worden. Die tiefen, langgehaltenen Töne, von hundert männlichen Stimmen erhoben, welche gewohnt waren sich zum Choralgesang zu vereinigen, stiegen zu der gewölbten Decke der Halle empor, und rollten unter ihren Bogen fort mit dem angenehmen aber feierlichen Schalle des Rauschens mächtiger Gewässer.

Als die Töne schwiegen, sah sich der Großmeister langsam im Kreise um und bemerkte, daß der Sitz eines der Präceptoren leer war. Brian de Bois-Guilbert, welcher ihn vorher eingenommen, hatte seinen Platz verlassen und stand jetzt am äußersten Ende einer von den Bänken, welche die Tempelritter einnahmen – die eine Hand erhob seinen Mantel, so daß er damit zum Theil sein Gesicht bedeckte, während die andere sein Schwert mit dem Kreuzgriff hielt und langsam mit der Spitze desselben, ohne es aus der Scheide zu ziehen, Linien auf den eichenen Fußboden beschrieb.

»Unglücklicher Mann!« sagte der Großmeister, nachdem er ihn mit einem Blick des Mitleids betrachtet hatte. »Du siehst, Conrad, wie dieses heilige Werk ihm zuwider ist. Dahin kann der leichtfertige Blick eines Weibes, von dem Fürsten dieser Welt unterstützt, einen tapfern und würdigen Ritter bringen! – Siehst Du wohl, er kann uns nicht anschauen; er kann sie nicht anblicken; und wer weiß durch welchen Einfluß von seinem Quäler bestimmt, er jene cabbalistischen Linien auf den Boden zeichnet? – Vielleicht wird auf diese Weise auf unser Leben und unsere Sicherheit abgezielt, doch wir speien ihn an und trotzen dem bösen Feinde. Semper Leo percutiatur!«

Dies sprach er insgeheim mit seinem Vertrauten Conrad Mont Fichet. Dann erhob der Großmeister seine Stimme und redete die Versammlung an.

»Ehrwürdige und tapfere Männer, Ritter und Präceptoren des heiligen Ordens, meine Brüder und meine Kinder! – Auch Ihr freigeborne und fromme Knappen, die Ihr nach der Ehre strebt, dieses heilige Kreuz zu tragen! – Und auch Ihr, christliche Brüder jeden Standes und Ranges! – Es sei Euch kundgethan, daß es kein Mangel an Macht ist, was uns veranlaßt hat, diese Versammlung zu halten; denn mit diesem Stabe ist uns die volle Macht übertragen worden, zu beurtheilen und zu richten, Alles, was das Wohl unseres heiligen Ordens betrifft. Der heilige Bernhard sagt im 59sten Kapitel unserer ritterlichen und religiösen Ordensregel, daß er nicht will, daß Brüder zum Rath sollen zusammenberufen werden, außer nach dem Willen und Befehl des Meisters. Wenn aber der Wolf einen Einfall in seine Heerde gethan, und ein Mitglied derselben entführt hat, so ist es um so mehr die Pflicht des Schäfers, seine Kameraden zusammenzurufen, damit sie mit Pfeilen und Schleudern den Räuber tödten, nach unserer wohlbekannten Regel, daß der Löwe beständig muß bekämpft werden. Wir haben demnach ein jüdisches Weib vor uns fordern lassen, mit Namen Rebecca, die Tochter des Isaac von York – ein Weib, berüchtigt wegen Zaubereien und teuflischer Heilkünste, wodurch sie das Blut in Aufruhr gebracht und das Gehirn verwirrt hat, nicht eines Bauern, sondern eines Ritters – nicht eines weltlichen Ritters, sondern eines dem Dienste des Tempels geweihten, nicht eines einfachen Mitgliedes des Ordens, sondern eines Präceptors desselben, eines der Ersten an Ehre und Rang, erhitzt und bethört hat. Unser Bruder Brian de Bois-Guilbert ist uns selbst und allen, welche uns jetzt hören, als ein treuer und eifriger Streiter des Kreuzes bekannt, durch dessen Arm manche tapfere Thaten im heiligen Lande vollbracht, und die heiligen Orte von der Verunreinigung durch das Blut der Ungläubigen gesäubert worden sind. Auch ist unseres Bruders Klugheit und Scharfsicht seinen Brüdern nicht weniger bekannt, als seine Tapferkeit und Disciplin. Wenn uns aber gemeldet wurde, daß ein so geehrter und ehrwürdiger Mann seines Charakters und seines Gelübdes so plötzlich vergessen, daß er sich mit einem Judenmädchen verband, und in dieser schlechten Gesellschaft einsame Orte durchwanderte, ihre Person mit Gefahr seiner eigenen vertheidigte, und durch seine Bethörung so weit verblendet und verführt wurde, daß er das Mädchen sogar in eins unserer Präceptorien brachte – was können wir anders sagen, als daß der edle Ritter von einem bösen Geiste besessen war, oder durch eine schreckliche Zauberei beherrscht wurde? – Könnten wir eine andere Vermuthung hegen, so würde weder Rang noch Tapferkeit, weder Ruhm noch irgend eine andere irdische Rücksicht uns hindern, ihn mit gerechter Strafe heimzusuchen, damit das Uebel entfernt werde, nach Anleitung des Textes: Auferte malum ex vobis. Denn mannigfach und schrecklich sind die Uebertretungen der Ordensregel in dieser beklagenswerthen Geschichte, und Bois-Guilbert müßte aus unserer Verbindung gänzlich ausgestoßen werden, und wäre er auch die rechte Hand oder das rechte Auge derselben.«

Er schwieg. Ein leises Murmeln ging durch die Versammlung, und Alle erwarteten ängstlich, was der Großmeister weiter sagen werde.

»So groß sollte eigentlich die Strafe eines Tempelritters sein, der mit Absicht gegen die Ordensregel in so wichtigen Punkten gefehlt hat,« fuhr er fort. »Allein wenn der Satan durch Zauberei über den Ritter Macht gewonnen hat, so sind wir geneigter seinen Wankelmuth zu beklagen, als zu bestrafen; und indem wir ihm eine Buße auferlegen, wodurch er sich von seiner Ungerechtigkeit reinigen kann, wenden wir die ganze Schärfe unseres Unwillens auf das verfluchte Instrument, welches einen solchen Abfall bewirkt hat. Tretet also hervor und legt Zeugniß ab, die ihr von diesen unglücklichen Vergehungen Kenntniß habt, daß wir nach der Menge und Schwere derselben urtheilen können, ob unsere Gerechtigkeit sich durch die Strafe des ungläubigen Wesens befriedigen lasse, oder ob wir, wenn auch mit blutendem Herzen, zu fernerem Verfahren gegen unsern Bruder schreiten müssen.«

Es wurden nun verschiedene Zeugen aufgerufen, um zu bestätigen, welchen Gefahren sich Bois-Guilbert ausgesetzt habe, um Rebecca aus dem brennenden Schlosse zu retten, so wie die Vernachlässigung des Schutzes seiner eigenen Person bei dem Streben, sie vor Gefahr zu sichern. Die Männer erzählten Alles mit einer Uebertreibung, die gemeinen Leuten eigen ist, wenn sie durch ein merkwürdiges Ereigniß aufgeregt werden, und ihre natürliche Neigung zum Wunderbaren wurde sehr verstärkt durch die Bemerkung, daß ihr Zeugniß der hohen Person zu gefallen schien, zu deren Aufklärung es abgelegt wurde. Die Selbstaufopferung des Ritters bei Rebecca's Vertheidigung wurde nicht nur als weit über die Grenzen der Klugheit, sondern selbst über die des höchsten ritterlichen Eifers gehend dargestellt; so wie seine Verehrung gegen das, was sie sagte, wenn gleich ihre Sprache oft streng und vorwurfsvoll war, so übertrieben angegeben, daß sie bei einem Manne von seinem stolzen Charakter als ganz übernatürlich erscheinen mußte.

Nun wurde der Präceptor von Templestowe aufgefordert zu beschreiben, auf welche Weise Bois-Guilbert und die Jüdin in das Präceptorium gekommen seien. Malvoisin's Zeugniß wurde dabei streng im Auge behalten. Indem er sich aber dem Anscheine nach bemühte, Bois-Guilbert's Gefühle zu schonen, ließ er von Zeit zu Zeit Winke fallen, welche andeuteten, daß er zuweilen an Geistesabwesenheit leide, weshalb er auch so außerordentlich in das mitgebrachte Mädchen verliebt gewesen sei. Mit Seufzern gestand der Präceptor seine Zerknirschung, daß er Rebecca und ihrem Liebhaber im Präceptorium eine Zuflucht gestattet habe. »Aber meine Vertheidigung,« setzte er hinzu, »habe ich in meinem, dem ehrwürdigen Vater Großmeister abgelegten Bekenntnisse geführt; er weiß, daß die Beweggründe nicht schlecht waren, obgleich mein Benehmen nicht der Regel gemäß gewesen ist. Ich unterwerfe mich gern der über mich zu verhängenden Buße.«

»Wohl gesprochen, Bruder Albert,« sagte Beaumanoir. »Dreizehn Paternoster sind von unserm frommen Stifter für die Morgenandacht und neun für die Vespern bestimmt; diese magst Du verdoppeln. Dreimal wöchentlich ist den Templern der Genuß des Fleisches gestattet; doch Du sollst Dich desselben die ganze Woche hindurch enthalten. Hast Du das sechs Wochen hintereinander beobachtet, so ist Deine Buße vollendet.«

Mit einem heuchlerischen Blicke der tiefsten Unterwürfigkeit verbeugte sich der Präceptor von Templestowe vor seinem Obern und nahm seinen Sitz wieder ein.

Herrmann von Grodarlike, der vierte gegenwärtige Präceptor, ein alter Krieger, dessen Gesicht mit mancher bedeutenden Narbe von türkischen Säbeln gezeichnet war, stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Großmeister und erhielt sogleich die Erlaubniß zu reden: »Ich möchte wohl, verehrter Vater, von unserm tapfern Bruder Bois-Guilbert selbst vernehmen, was er zu diesen wunderbaren Anklagen sagt, und wie er jetzt selbst seinen Umgang mit dem Judenmädchen betrachtet?«

»Brian de Bois-Guilbert,« sagte der Großmeister, »Du hörst die Frage, welche unser Bruder von Grodarlike von Dir beantwortet wünscht. Ich befehle Dir darauf zu antworten.«

Bois-Guilbert wandte sein Gesicht bei dieser Anrede zu dem Großmeister und schwieg.

»Er ist von einem stummen Teufel besessen,« sagte der Großmeister. »Hebe Dich weg, Satanas! Sprich, Brian de Bois-Guilbert, ich beschwöre Dich bei diesem Symbole unseres heiligen Ordens!«

Bois-Guilbert unterdrückte mit Mühe seine Verachtung und seinen Unwillen, da ihm, wie er wohl wußte, die Aeußerung desselben nichts würde geholfen haben.

»Brian de Bois-Guilbert,« entgegnete er, »antwortet nicht auf so unbestimmte und rohe Beschuldigungen. Ist aber seine Ehre gefährdet, so wird er sie mit seinem Leben und mit diesem Schwerte zu behaupten wissen, welches so oft für das Christenthum gefochten hat.«

»Wir verzeihen Dir, Bruder Brian,« sagte der Großmeister. »Daß Du Deine kriegerische Tapferkeit vor uns gerühmt hast, ist eine Lobpreisung Deiner eigenen Thaten, und kommt vom Teufel her, der uns stets versucht, unsere Verdienste selbst zu erheben. Allein Du hast unsere Vergebung.«

Aus den dunklen, stolzen Augen Bois-Guilberts flammte ein Blick der Verachtung und des Unwillens, doch erwiederte er kein Wort.

»Und nun,« fuhr der Großmeister fort, »da die Frage unseres Bruders von Grodarlike so unvollkommen beantwortet worden ist, setzen wir unsere Untersuchung fort, Ihr Brüder, und suchen mit Hülfe unseres Schutzheiligen dem Geheimnisse auf den Grund zu kommen. Laßt nun diejenigen vor uns erscheinen, welche noch etwas über das Leben und den Umgang dieses Weibes auszusagen haben.«

In dem untern Theil der Halle entstand ein Gemurmel, und als der Großmeister nach der Ursache fragte, sagte man ihm, es befinde sich in dem Haufen ein bettlägerig gewesener Mann, dem die Gefangene durch einen wunderthätigen Balsam den Gebrauch seiner Glieder vollkommen wiedergegeben habe.

Der arme Mann, ein Sachse von Geburt, wurde vor die Schranken geschleppt, erschrocken über die mögliche Strafe, die er deswegen zu erwarten haben möchte, weil er sich durch die Mittel einer Jüdin habe heilen lassen. Vollkommen geheilt war er keineswegs, denn er konnte sich nur auf Krücken fortbewegen, um sein Zeugniß abzulegen. Ungern legte er dieses ab, und begleitete es mit vielen Thränen; indeß sagte er aus, daß er zu York gewohnt und für den Juden Isaac als Tischler gearbeitet habe, er plötzlich von einer heftigen Krankheit befallen worden, wodurch er genöthigt gewesen, das Bett zu hüten, bis er endlich durch die unter Rebecca's Anleitung gebrauchten Mittel, besonders durch einen wärmenden und nährenden Balsam einigermaßen wieder zum Gebrauch seiner Glieder gekommen sei. Ueberdies, sagte er, habe sie ihm ein Gefäß mit jener köstlichen Salbe und ein Stück Geld geschenkt, um in sein väterliches Haus bei Templestowe zurückkehren zu können. »Und,« setzte der Mann hinzu, »wenn es Ew. Ehrwürden erlaubt, so kann ich nicht denken, daß das Mädchen damit etwas Böses gegen mich im Sinne gehabt habe, obgleich sie das Unglück hat, eine Jüdin zu sein; denn selbst wenn ich ihr Mittel brauchte, betete ich mein Pater und Credo, und es wirkte dessenungeachtet nicht minder trefflich.«

»Schweig, Sclave,« sagte der Großmeister, »und geh! Solchen rohen Seelen, wie Du bist, mag es wohl anstehen, sich höllischen Kuren zu unterwerfen, und den Söhnen des Unglaubens ihre Arbeiten zu widmen. Ich sage Dir, der böse Feind kann Krankheiten erzeugen, blos in der Absicht, sie zu heilen, und dadurch den Glauben an seine höllische Kur zu begründen. Hast Du die Salbe noch, wovon Du gesprochen?«

Der Mann griff mit bebender Hand in den Busen und brachte eine kleine Büchse hervor, auf dem Deckel mit einigen hebräischen Buchstaben bezeichnet, welches der Versammlung für einen sichern Beweis galt, daß der Teufel der Apotheker gewesen. Beaumanoir nahm, nachdem er sich bekreuzigt hatte, die Büchse in die Hand, und erfahren in den meisten orientalischen Sprachen, las er mit leichter Mühe folgendes Motto auf dem Deckel: Er hat überwunden, der Löwe aus dem Stamm Juda. »Seltsame Gewalt des Satans, der die heilige Schrift zur Gotteslästerung machen kann, indem er Gift mit gesunder Nahrung vermischt! Ist denn kein Heilkundiger hier, der uns sagen kann, woraus diese Salbe eigentlich besteht?«

Zwei Aerzte, wie sie sich selbst nannten, der Eine ein Mönch, der Andere ein Barbier, erschienen und bekannten, daß sie von den Ingredienzien keins kennten, allein daß die Mischung nach Myrrhen und Kampfer röche, welches sie für morgenländische Kräuter hielten. Allein mit dem ächten Gewerbshasse gegen einen glücklichen Practikanten ihrer Kunst, gaben sie zu verstehen, daß, da die Arzenei ihre eigene Kenntniß übersteige, sie nothwendig aus unrechtmäßigen und magischen Mitteln bestehen müsse, denn sie verständen, obgleich sie keine Zauberer seien, jeden Zweig ihrer Kunst insoweit, als er mit gutem Gewissen von einem Christen ausgeübt werden dürfe. Als die medizinische Untersuchung beendet war, begehrte der Sachse demüthigst seine Arzenei zurück; doch der Großmeister machte zu diesem Gesuche ein sehr finsteres Gesicht.

»Wie heißt Du, Kerl?« fragte er den Krüppel.

»Higg, der Sohn Snell's,« antwortete der Mann.

»Nun, Sohn Snell's,« sagte der Großmeister, »so wisse, daß es besser ist, bettlägerig zu sein, als Wohlthaten anzunehmen von Ungläubigen, vermöge einer Arznei, nach der Du aufstehen und gehen kannst; besser, die Ungläubigen mit Gewalt ihrer Schätze zu berauben, als von ihnen Wohlthaten zu empfangen, oder ihnen um Lohn zu dienen. Geh, und thue wie ich gesagt habe.«

»Mit Eurer Ehrwürden Erlaubniß,« sagte der Mann, »die Lection kommt für mich zu spät, da ich ein Krüppel bin; doch ich will es meinen beiden Brüdern sagen, welche bei dem reichen Rabbi Nathan Ben Samuel dienen, daß Eure großmeisterliche Gnaden gesagt haben, es sei dem Gesetz gemäßer, ihn zu berauben, als ihm treu zu dienen.«

»Fort mit dem elenden Schwätzer!« sagte Beaumanoir, der nicht vorbereitet war, diese praktische Anwendung seiner allgemeinen Regel sogleich zu widerlegen.

Higg, der Sohn Snell's, zog sich in den Haufen zurück, aber da er an dem Schicksal seiner Wohlthäterin Theil nahm, so verweilte er still, bis er ihr Urtheil vernähme, selbst auf die Gefahr hin, dem düstern Blicke des strengen Richters abermals zu begegnen.

Jetzt befahl der Großmeister Rebecca sich zu entschleiern. Jetzt öffnete sie zum erstenmal ihre Lippen und sagte ruhig, aber mit Würde, es sei nicht Sitte der Töchter ihres Volks, ihr Angesicht zu enthüllen, wenn sie allein wären in einer Versammlung von Fremden. Der sanfte Ton ihrer Stimme und die Milde ihrer Antwort erregte in der Versammlung ein Gefühl des Mitleids und der Theilnahme. Allein Beaumanoir, dem die Unterdrückung jedes Gefühls der Menschlichkeit, das mit seiner vermeintlichen Pflicht streiten konnte, ein Verdienst zu sein schien, wiederholte den Befehl, daß das Opfer der Gerechtigkeit solle entschleiert werden. Schon waren die Wachen im Begriff, ihr den Schleier zu entreißen, als sie vor den Großmeister trat und sagte: »Um der Liebe willen, die Ihr für Eure Töchter hegt – doch,« fuhr sie sich besinnend fort, »Ihr habt ja keine Töchter – nun, bei dem Andenken an Eure Mutter, bei der Liebe zu Euren Schwestern, beschwöre ich Euch, laßt mich nicht so in Eurer Gegenwart behandelt werden. Ich will Euch gehorchen,« fügte sie mit dem Ausdruck duldenden Grams und einem Tone hinzu, der Beaumanoir's Herz selbst fast geschmolzen hätte, »Ihr seid die Aeltesten unter Eurem Volke, und auf Euren Befehl will ich das Gesicht eines unglücklichen Mädchens zeigen.«

Sie schlug den Schleier zurück und blickte sie mit einem Ausdruck an, in dem sich Schaam und Würde vereinten. Ihre ungemeine Schönheit erregte ein Gemurmel des Erstaunens, und die jüngern Ritter sagten es sich durch Blicke, daß Brian's beste Vertheidigung in der Macht ihrer Reize liege, und keiner eingebildeten Zauberei bedürfe. Allein Higg, der Sohn Snell's, fühlte am tiefsten die Wirkung, welche der Anblick seiner Wohlthäterin hervorbrachte. »Laßt mich fort!« rief er den Trabanten an der Thür der Halle zu, »laßt mich fort! Noch einen Blick von ihr und ich sterbe, denn ich habe Theil an ihrem Untergange!«

»Sei ruhig, armer Mann,« sagte Rebecca, als sie seinen Ruf vernahm, »Du hast mir durch Deine Entdeckung der Wahrheit kein Leid gethan, noch vermagst Du mir durch Deine Klagen zu helfen. Sei ruhig, ich bitte Dich; geh nach Hause und rette Dich selbst!«

Die Trabanten wollten Higg hinausführen, denn sie fürchteten, sein Jammern und Klagen möchte ihnen Vorwürfe und ihm selbst Strafe zuziehen. Allein er versprach, sich still zu verhalten, und so wurde ihm gestattet zu bleiben.

Einer von den beiden Soldaten, welche Malvoisin als Zeugen stellte, behauptete gesehen zu haben, daß sie eine Kur an einem Verwundeten verrichtet habe, der mit ihm nach dem Schlosse Torquilstone gebracht worden sei. »Sie machte,« sagte er, »verschiedene Zeichen über die Wunde und sprach gewisse geheimnißvolle Worte aus, die ich, Gott sei Dank, nicht verstand, da löste sich die Eisenspitze eines Armbrustbolzens von selbst aus der Wunde, das Bluten hörte auf, die Wunde schloß sich und in einer Viertelstunde konnte der schwer Verwundete sich auf den Wall begeben und mich bei Bedienung einer Maschine unterstützen, womit Steine herabgerollt wurden.« Diese Angabe gründete sich wahrscheinlich auf die Thatsache, daß Rebecca den verwundeten Ivanhoe gepflegt hatte, als er sich auf dem Schlosse Torquilstone befand. Allein es wurde um so schwerer, die Genauigkeit des Zeugen au bezweifeln, da er, um die Angabe durch ein sinnliches Zeichen zu beglaubigen, die nämliche Spitze des Bolzens aus dem Busen nahm, welche angeblich auf so wunderbare Weise aus der Wunde gezogen war, und da das Eisen eine volle Unze wog, bestätigte es vollkommen die, wenn auch wunderbare Erzählung.

Der andere Soldat war auf einer nahen Bastion Zeuge gewesen von der Scene zwischen Rebecca und Bois-Guilbert, als sie im Begriff war, sich von der Spitze des Thurmes herabzustürzen. Um nicht hinter seinem Kameraden zurückzubleiben, erzählte er, er habe gesehen, wie sich Rebecca auf die Zinnen des Thurmes gestellt und hier die Gestalt eines milchweißen Schwans angenommen habe, und in dieser Verwandlung dreimal um das Schloß Torquilstone herumgeflogen sei; hierauf habe sie sich wieder auf den Thurm gesetzt und ihre weibliche Gestalt wieder angenommen.

Der Großmeister sammelte nun die Stimmen und fragte Rebecca in feierlichem Tone, was sie gegen das Verdammungsurtheil, welches er auszusprechen im Begriff sei, einzuwenden habe?

»Euer Mitleid anzuflehen,« sagte die liebenswürdige Jüdin mit bebender Stimme, »würde ebenso nutzlos sein, als ich es für kleinlich halte. Anzuführen, daß Kranke und Verwundete einer andern Religion zu unterstützen und zu heilen, dem Stifter unsers beiderseitigen Glaubens nicht mißfällig sein könne, würde hier gleichfalls wenig helfen; zu behaupten, daß das, was diese Männer (denen es der Himmel verzeihen möge!) gegen mich gesprochen haben, zum Theil ganz unmöglich sei, würde mir gleichfalls wenig nützen, denn Ihr glaubt nun einmal an die Möglichkeit; noch minder möchte es mir Vortheil bringen, zu erklären, daß die Eigenheiten meiner Kleidung, meiner Sprache und Sitten blos die meines Volkes sind – ich würde sagen meines Landes, allein wir haben ja kein Vaterland! Eben so wenig mag ich mich vertheidigen auf Kosten meines Verfolgers, der dort steht und den Erdichtungen und Vermuthungen lauscht, welche den Tyrannen in das Schlachtopfer zu verwandeln scheinen. Gott richte zwischen ihm und mir! Aber lieber wollte ich mich zehn solchen Strafen unterwerfen, als Ihr gegen mich zu erkennen für gut finden möget, als die Beschuldigungen ertragen, welche dieses Belialskind gegen mich, die Freund- und Vertheidigungslose und seine Gefangene, vorzubringen sich unterfangen hat. Doch er ist Eures Glaubens, und die geringste Versicherung von ihm würde die feierlichsten Betheuerungen der unglücklichen Jüdin aufwiegen. Ich wende daher die gegen mich vorgebrachte Beschuldigung gegen ihn selbst. Auf Dich, Brian de Bois-Guilbert, berufe ich mich, ob diese Anklagen nicht alle eben so falsch als übertrieben und verläumderisch sind?«

Es entstand eine Pause. Aller Augen wandten sich gegen Bois-Guilbert. Er schwieg.

»Sprich,« sagte sie, »wenn Du ein Mann bist! Wenn Du ein Christ bist, sprich! Ich beschwöre Dich bei dem Kleide, welches Du trägst, bei dem Namen, den Du geerbt hast, bei dem Ritterthum, dessen Du Dich rühmst, bei der Ehre Deiner Mutter, bei dem Grabe und den Gebeinen Deines Vaters! Ich beschwöre Dich, sag, sind diese Dinge der Wahrheit gemäß?«

»Antworte ihr, Bruder,« sagte der Großmeister, »wenn der böse Feind, mit dem Du ringst, Dir diese Macht gestattet!«

In der That schien Bois-Guilbert von widerstreitenden Leidenschaften bewegt, welche seine Züge verzerrten, und nur mit erzwungener Stimme rief er endlich, Rebecca anblickend: »Das Blatt! – Das Blatt!«

»Ja,« sagte Beaumanoir, »dies ist in der That ein Zeugniß! Das Opfer ihrer Zauberkünste kann blos den Namen des unglücklichen Blattes nennen; die darauf geschriebenen Zauberformeln sind gewiß die Ursache seines Schweigens.«

Allein Rebecca deutete die dem Templer abgenöthigten Worte anders, und indem sie ihr Auge auf das Stück Pergament heftete, welches sie noch immer in der Hand hielt, las sie schnell, daß darauf mit arabischen Buchstaben geschrieben stand: » Fordere einen Kämpfer!« Die Bemerkungen, welche über Bois-Guilbert's seltsame Antwort in dumpfem Murmeln durch die Versammlung liefen, gaben Rebecca Zeit, das Blatt, wie sie glaubte, unbemerkt zu lesen und zu vernichten. Als das Gemurmel aufgehört hatte, begann der Großmeister von Neuem:

»Rebecca, Du kannst aus dem Zeugnisse des unglücklichen Ritters, über den, wie wir wohl bemerken, der böse Feind noch zu viel Gewalt hat, keinen Vortheil ziehen. Hast Du also sonst noch etwas zu sagen?«

»So habe ich denn nur noch ein Mittel, mein Leben zu retten, selbst nach Euren Gesetzen,« sagte Rebecca. »Das Leben ist mir zwar sehr verbittert worden, indeß ist es eine Gabe Gottes, die ich nicht von mir stoßen will, wenn er selbst mir die Mittel zur Rettung zeigt. Ich läugne die Anklage, und behaupte meine Unschuld! Ich erkläre die Erstere für falsch und nehme das Recht der Entscheidung durch Zweikampf in Anspruch, – es wird ein Kämpfer für mich erscheinen.«

»Wer aber, Rebecca,« sagte der Großmeister, »wird denn für eine Zauberin eine Lanze brechen? Wer der Kämpfer einer Jüdin werden wollen?«

»Gott wird mir einen Kämpfer erwecken,« entgegnete Rebecca. »Es ist unmöglich, daß in dem fröhlichen England, dem gastlichen, edelmüthigen, freien, wo so Manche bereit sind, ihr Leben für die Ehre auf's Spiel zu setzen, nicht Einer sein sollte, der es für die Gerechtigkeit wagte! Genug, ich fordere Rechtsspruch durch den Zweikampf! Hier liegt mein Pfand!«

Mit diesen Worten zog sie den gestickten Handschuh von der Hand und warf ihn vor dem Großmeister hin, mit einem Ausdruck, in dem sich Einfalt und Würde vereinten, und der allgemeines Erstaunen und Bewunderung erregte.



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