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Achtzehntes Kapitel.

Nicht leben können und nicht sterben – O, wie hart!
Ihm nach, ihr Leute, schleppt ihn nach dem Kerker!

Maaß für Maaß.

Das öffentliche Gefängniß der Grafschaft – – shire war eines jener alterthümlichen Kerkerhäuser, welche Schottland bis in die neueste Zeit verunzierten. Als die Gefangenen mit ihrer Wache dort ankamen, ward Hatteraick, dessen Wildheit und Stärke wohlbekannt war, in die sogenannte Armesünderstube gelegt. Dies war ein geräumiges Gemach im höchsten Theile des Gebäudes. Ein runder Eisenstab, von der Stärke eines Mannesarmes überm Ellbogen, ging horizontal quer durch das Gemach, etwa sechs Zoll hoch über dem Boden, und seine beiden Enden waren gehörig in der Mauer befestigt. Hatteraick's Knöchel waren mit Fußeisen versehn, welche durch eine etwa vier Fuß lange Kette verbunden waren. An dieser Kette befand sich ein großer starker Eisenring, welcher um den beschriebenen Stab gelegt war. So konnte der Gefangene dem Stabe entlang von einer Seite des Zimmers zur andern gehen, konnte aber in anderer Richtung sich nicht weiter vom Stabe entfernen, als es die unbedeutende Länge der Kette gestattete. Waren die Füße eines Gefangenen auf solche Art gesichert, so nahm der Aufseher ihm die Handschellen ab, so daß seine Person mit Ausnahme der Füße völlig frei war. Ein Bett war dicht zur Seite des Stabes niedergelegt, so daß sich der gefesselte Gefangne nach Gefallen niederlegen konnte, obwohl immer auf die angegebene Art an der Eisenstange befestigt.

Hatteraick hatte noch nicht lange in diesem Gefängniß gesessen, als Glossin in dem nämlichen Hause anlangte. Aus Rücksicht auf seinen Stand und seine Bildung ward er nicht gefesselt, sondern in ein anständiges Gemach, unter Aufsicht Mac-Guffog's, gebracht; der letztere war, seitdem der Pöbel das Zuchthaus bei Portanferry zerstört hatte, hier als Unterkerkermeister angestellt. Als Glossin in diesem Gemach eingeschlossen war und Einsamkeit und Muße hatte, um alle Verhältnisse, die ihm widrig oder günstig waren, zu berechnen, so mußte er sich gestehn, daß er ein verzweifeltes Spiel spiele.

»Das Gut ist verloren,« sagte er, »da hilft nichts; Pleydell und Mac-Morlan werden meinen Antheil auf eine unbedeutende Kleinigkeit reduciren. Mein Charakter – aber wenn ich Freiheit und Leben behalte, so will ich schon Geld gewinnen, um Alles gut zu machen. Vom Morde des Zöllners wußt' ich nichts, bis der Schurke die That verübt hatte, und wenn ich auch einigen Vortheil von dem Schleichhandel zog, so ist dies noch kein Hauptverbrechen. Aber die Entführung des Knaben, – da werden sie mir härter auf den Leib rücken. Laß sehen. – Dieser Bertram war damals ein Kind – sein Zeugniß reicht nicht aus – der andere Kerl ist ein Ausreißer, ein Zigeuner und ein Ehrloser – Meg Merrilies, möge sie verdammt sein, ist todt. Jene heillosen Wechsel! Hatteraick brachte sie wahrscheinlich mit, um mir zu drohen oder Geld von mir zu erpressen. Ich muß diesen Schurken wo möglich sehen; ich muß ihn zur Standhaftigkeit ermahnen; muß ihn überreden, der Sache ein anderes Ansehn zu geben.«

Indem sein Geist über Pläne künftigen Betrugs sann, um damit frühere Schurkerei zu verhüllen, verging auf solche Weise die Zeit bis zum Abendessen. Mac-Guffog wartete bei dieser Gelegenheit auf. Er war, wie wir wissen, der alte und vertraute Bekannte des Gefangenen, der jetzt unter seiner Obhut stand. Nachdem Glossin ihm ein Glas Branntwein gegeben und seine Gesinnung durch einige Worte geprüft hatte, legte er ihm die Bitte vor, zu einer Zusammenkunft mit Dirk Hatteraick behilflich zu sein. »Unmöglich! durchaus unmöglich! es ist gegen die ausdrücklichen Befehle Mac-Morlan's und der Hauptmann« (so heißt der Oberkerkermeister eines Landesgefängnisses in Schottland) »würd' es mir nimmer vergeben.«

»Aber woher sollt' er es erfahren?« sagte Glossin, indem er ein paar Guineen in Mac-Guffog's Hand gleiten ließ.

Der Schließer wog das Gold und blickte Glossin scharf an: – »Ja, ja, Mr. Glossin, Ihr kennt die Wege dieses Ortes nur zu gut. – Nun, zur Schließzeit will ich wieder kommen und Euch zu ihm hinauf führen – aber Ihr müßt die Nacht über bei ihm bleiben, denn ich muß dem Hauptmann die Schlüssel für die Nacht ausliefern und kann Euch erst am Morgen wieder herauslassen – dann will ich die Gemächer eine halbe Stunde früher als gewöhnlich besuchen, und Ihr könnt herausgehen und hübsch in Eurem eignen Stübchen sein, wenn der Hauptmann seine Runde macht.«

Als es vom benachbarten Kirchthurm zehn geschlagen hatte, kam Mac-Guffog, mit einer kleinen trüben Laterne versehn. Leise sagte er zu Glossin: »Zieht Eure Schuhe aus und folgt mir.« – Als Glossin aus der Thür getreten war, rief Mac-Guffog, als redete er zu einem Gefangenen drinnen, noch laut: »Gute Nacht, Sir;« darauf schloß er die Thür und zwar so geräuschvoll als möglich. Nun führte er Glossin eine steile und schmale Treppe empor, auf welcher man zur Thür der Armensünderstube gelangte. Er entriegelte sie und schloß auf, und indem er Glossin die Laterne gab, machte er diesem ein Zeichen, einzutreten, und schloß darauf die Thür hinter ihm mit derselben affectirten Genauigkeit.

In dem weiten dunkeln Gemach, in welches er nun eingeführt war, vermochte Glossin bei seinem schwachen Lichte anfangs nichts zu erkennen. Endlich konnte er undeutlich das Lager unterscheiden, welches am Boden zur Seite der großen Eisenstange befindlich war und worauf die Gestalt eines Mannes ruhte. Glossin näherte sich ihm. »Dirk Hatteraick!«

»Donner und Hagel! 's ist seine Stimme« sagte der Gefangene, sich aufrecht setzend und mit den Ketten klirrend, »dann ist mein Traum wahr gewesen! – Geht und laßt mich allein – das ist für Euch das Beste.«

»Wie! mein guter Freund,« sagte Glossin, »kann wirklich die Aussicht auf eine Gefangenschaft von wenigen Wochen Euren Muth niederbeugen?«

»Ja!« antwortete der Schurke mürrisch, »weil ich blos durch einen Strick daraus erlöst werden werde! – laßt mich allein – geht an Euer Geschäft und nehmt mir das Licht vom Gesichte weg!«

»Pfui! mein theurer Dirk, fürchtet nichts,« sagte Glossin – »ich habe einen herrlichen Plan, um Alles gut zu machen.«

»Zu allen Teufeln mit Euren Plänen!« erwiederte sein Kumpan, »Ihr habt mich um mein Schiff, meine Ladung, mein Leben gebracht mit Euren Plänen; und diesen Augenblick träumt' ich, Meg Merrilies schleppe Euch am Haar hieher, und gäbe mir das lange Messer, welches sie zu tragen pflegte – Ihr wißt nicht, was sie sagte. Sturm und Wetter! Ihr thut klug, wenn Ihr mich nicht in Versuchung führt!«

»Aber, Hatteraick, mein guter Freund, steht nur auf und redet mit mir,« sagte Glossin.

»Ich mag nicht!« antwortete der Barbar barsch – »Ihr habt all das Unheil angerichtet; Ihr wolltet nicht, daß Meg den Knaben behielt; sie würde ihn zurückgebracht haben, nachdem er Alles vergessen hatte.«

»Ei, Hatteraick, Ihr überlaßt Euch Grübeleien.«

»Wetter! wollt Ihr läugnen, daß die ganze verfluchte Geschichte zu Portanferry, wo Schiff und Mannschaft verloren ging, auf Euren Rath und zu Eurem Vortheil vor sich ging?«

»Aber die Güter – wie Ihr wißt« –

»Verflucht sei'n die Güter!« sagte der Schmuggler, »wir könnten mehr bekommen haben; aber der Teufel! das Schiff und die herrlichen Bursche zu verlieren, und mein eignes Leben, eines feigen Schurken wegen, der immer seine eignen schlechten Streiche durch andrer Leute Hände ausrichten läßt! Redet mich nicht mehr an – ich bin gefährlich.«

»Aber, Dirk – aber, Hatteraick, hört nur ein paar Worte.«

»Hagel! nein!«

»Nur ein Wort.«

»Tausend Donner! – nein!«

»Steht wenigstens auf, starrköpfiges, holländisches Vieh!« sagte Glossin, der die Fassung verlor und Hatteraick mit dem Fuße stieß.

»Blitz und Donnerwetter!« sagte Hatteraick aufspringend und jenen anpackend; »Ihr wollt es also haben?«

Glossin leistete Widerstand und rang mit ihm, aber, weil er von der Wuth des Angriffs überrascht war, mit so wenig Erfolg, daß er unter Hatteraick fiel, wobei er sich rückwärts mit dem Nacken heftig auf die Eisenstange schlug. Beide fuhren fort auf Tod und Leben zu ringen. Das Gemach, welches unmittelbar unter der Armesünderstube lag, war Glossin's Gefängniß und also jetzt leer; aber die Bewohner des zweiten Zimmers unten bemerkten die Erschütterung, welche Glossin's schwerer Fall hervorbrachte, und hörten auch ein Geräusch, wie wenn Jemand ränge und stöhnte. Aber alle dergleichen Töne des Schreckens waren an diesem Orte zu gewöhnlich, um besondre Theilnahme oder Neugier zu erwecken.

Am Morgen, getreu seinem Versprechen, kam Mac-Guffog – »Mr. Glossin,« sagte er flüsternd.

»Ruft lauter,« antwortete Dirk Hatteraick.

»Mr. Glossin, um Gottes willen, kommt fort!«

»Ohne Beistand wird er das schwerlich thun,« sagte Hatteraick.

»Was gibt es da oben, Mac-Guffog?« rief der Hauptmann von unten.

»Kommt fort, um Gottes willen, Mr. Glossin!« wiederholte der Schließer.

In diesem Augenblicke kam der Oberkerkermeister mit einem Lichte. Groß war sein Erstaunen und sein Entsetzen, als er Glossin's Körper quer über dem Eisenstabe liegen sah, und zwar auf eine Weise, die sogleich anzeigte, er sei todt. Hatteraick lag, einen Schritt von seinem Opfer, ruhig auf dem Lager. Als man Glossin aufhob, fand man, er müsse seit einigen Stunden todt sein. Sein Körper zeigte die deutlichen Spuren eines gewaltsamen Todes. Das Rückgrat hatte an der Stelle, wo es sich mit dem Schädel verbindet, schon durch seinen ersten Fall schwere Verletzung empfangen. An der Kehle zeigten sich Spuren von Erdrosselung, und auch sein schwarzgewordenes Gesicht deutete dies an. Der Kopf war rückwärts über die Schulter gewandt, als ob der Hals mit verzweifelter Anstrengung umgedreht worden wäre. So schien es also, daß sein Gegner des Unglücklichen Kehle mit tödtlichem Griffe gefaßt und nicht eher losgelassen hatte, als bis alles Leben entflohen war. Die Laterne, zermalmt und in Stücke zerbrochen, lag neben dem Leichnam.

Mac-Morlan befand sich in der Stadt und kam sogleich, um den Leichnam zu untersuchen. »Wer brachte Glossin hieher?« fragte er Hatteraick.

»Der Teufel!« antwortete der Schurke.

»Und was machtet Ihr mit ihm?«

»Ich schickt' ihn vor mir zur Hölle,« erwiederte das Ungeheuer.

»Elender,« sagte Mac-Morlan, »Ihr habt einem Leben, welches ohne eine einzige gute That verfloß, durch den Mord Eures eignen unglücklichen Mitschuldigen die Krone aufgesetzt!«

»Gute That!« rief der Gefangene; »Donner! ich war stets meinen Schiffsherren treu – berechnete die Ladung stets bis auf den letzten Pfennig. Hört! laßt mich Feder und Tinte haben, und ich will einen Bericht über das Ganze an unser Haus schreiben; und laßt mich ein paar Stunden allein, wollt Ihr? – und laßt dies Stück Aas wegnehmen, Donnerwetter!«

Mac-Morlan hielt es für's Beste, ihm seinen Willen zu thun; er ward mit Schreibmaterialien versehn und allein gelassen. Als man die Thür wieder öffnete, fand man, daß dieser entschlossene Schurke der Gerechtigkeit vorgegriffen hatte. Er hatte eine Schnur aus dem Bette genommen und an einen Knochen, den Ueberrest seines gestrigen Mittagessens, befestigt. Diesen hatte er in den Spalt zwischen Steinen der Mauer eingeklemmt, so hoch er an derselben reichen konnte, wenn er auf der Eisenstange stand. Nachdem er die Schlinge bereitet hatte, war er entschlossen genug, seinen Körper zu senken, als wollte er auf die Knie fallen, und in dieser Stellung zu bleiben, bis keine Entschlossenheit mehr nötig war. Der Brief, den er an seine Herren geschrieben, betraf zwar hauptsächlich Handelsgeschäfte, enthielt aber doch so manche Anspielung auf den Junker von Ellangowan, wie er ihn nannte, und gewährte völlige Bestätigung Alles dessen, was Meg Merrilies und ihr Neffe berichtet hatten.

Indem wir von jenen beiden Elenden scheiden, sei nur noch hinzugefügt, daß Mac-Guffog seines Amtes entsetzt wurde, obwohl er die Erklärung gab, (die er durch einen Eid bekräftigen wollte) daß er Glossin sicher in seiner eignen Zelle am Abend vorher eingeschlossen habe, ehe er todt in Hatteraick's Gemach gefunden ward. Seine Geschichte fand indeß Glauben bei dem würdigen Mr. Skriegh und andern Freunden des Wunderbaren, welche steif und fest behaupteten, der Feind der Menschheit habe jene beiden Bösewichter in jener Nacht auf übernatürliche Weise zusammengebracht, auf daß sie den Kelch ihrer Schuld voll machen, und durch Mord und Selbstmord ihren Lohn empfangen möchten.



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