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Zwölftes Kapitel.

– – – Meine Phantasie
Hat Niemand lieb, als Bertram nur allein;
Es ist um mich geschehn; ach, todt ist Alles,
Wenn Bertram fort ist. – –

Ende gut, Alles gut.

Zu der Stunde, die er am vorigen Abend bezeichnet hatte, saß der unermüdliche Jurist bei einem guten Feuer und zwei Wachskerzen, eine Sammetmütze auf dem Kopfe und in einen warmen seidenen Schlafrock gehüllt, geschäftig seine Memoranda hinsichtlich der Beweismittel und Andeutungen ordnend, welche den Mord des Frank Kennedy betrafen. Ein Bote war auch sogleich an Mac-Morlan geschickt worden, um dessen Gegenwart in Woodbourne, wichtiger Geschäfte wegen, so schnell als möglich gebeten ward. Dinmont, ermüdet von den Erlebnissen des vorigen Abends, und die Einrichtung in Woodbourne vorzüglicher als jene des Mac-Guffog findend, beeilte sich gar nicht aufzustehen. Die Ungeduld Bertram's würde diesen wohl früher in Bewegung gesetzt haben, aber Oberst Mannering hatte die Absicht blicken lassen, ihn an diesem Morgen auf seinem Zimmer zu besuchen, und er mochte es daher nicht verlassen. Vor dieser Zusammenkunft hatte er sich gekleidet, da ihn Barnes, auf Befehl seines Herrn, mit Wäsche u. s. w. versehen hatte, und nun wartete er mit Spannung auf den verheißenen Besuch seines Wirthes.

Bald verkündigte ein leises Pochen den Obersten, mit welchem Bertram eine lange und befriedigende Unterhaltung hielt. Jeder verbarg jedoch dem Andern einen Umstand. Mannering vermochte sich nicht zu überwinden, von der astrologischen Weissagung zu reden; und Bertram schwieg, aus leicht begreiflichen Gründen, von seiner Liebe zu Julie. In jeder andern Hinsicht war das Gespräch auf beiden Seiten offen und angenehm, und hatte endlich, was den Obersten betraf, sogar etwas Herzliches. Bertram maß sein Betragen sorgfältig nach dem seines Wirthes, und nahm die dargebotene Freundlichkeit vielmehr mit Dankbarkeit und Vergnügen an, als daß er sie mit Eifer gesucht hätte.

Miß Bertram befand sich im Gesellschaftszimmer, als Simson mit freudestrahlendem Gesicht hereinstolperte; dieser Umstand war so ungewöhnlich bei ihm, daß Lucy anfangs glaubte, es habe ihm Jemand irgend eine Lüge aufgeheftet, die ihn in solches Entzücken versetze. Nachdem er eine Zeitlang dagesessen hatte, und zwar mit rollenden Augen und offenem Munde, gleich dem an Merlin's großem Holzkopfe, begann er endlich: – »und was denken Sie von ihm, Miß Lucy?«

»Von wem, Mr. Simson?« sagte die junge Dame.

»Von Harr – nein – von dem, den Sie kennen?« fragte der Dominie wieder.

»Den ich kenne?« erwiederte Lucy, durchaus nicht begreifend, was er meinte.

»Ja, von dem Fremden, der, wie Sie wissen, gestern Abend in der Postkutsche kam – der nach dem jungen Hazlewood schoß – ha, ha, ho!« so sagte der Dominie, mit einem Lachen, das wie ein Gewieher klang.

»Wirklich, Mr. Simson,« sagte seine Schülerin, »Sie haben sich einen seltsamen Gegenstand zur Belustigung gewählt – ich denke nichts von dem Manne, ich hoffe blos, daß der Anfall ein zufälliger war und daß wir keine Wiederholung desselben fürchten müssen.«

»Zufällig! ho, ho, ha!« wieherte Simson wieder.

»In der That, Mr. Simson,« sagte Lucy ein wenig gereizt, »Sie sind diesen Morgen ungewöhnlich lustig.«

»Ja, das bin ich gewißlich! ha, ha, ho! sehr spaßhaft – ho, ho, ha!«

»So ungewöhnlich spaßhaft, mein lieber Sir,« fuhr die junge Dame fort, »daß ich wohl eher den Grund Ihrer Lustigkeit kennen möchte, als mich blos mit Ihren Wirkungen zu unterhalten.«

»Sollen ihn kennen, Miß Lucy,« erwiederte der arme Abel – »erinnern Sie sich Ihres Bruders?«

»Guter Gott! wie können Sie mich fragen? – Niemand weiß besser, als Sie, daß er am Tage meiner Geburt verloren ging.«

»Sehr wahr, sehr wahr,« antwortete der Dominie, traurig bei dieser Erinnerung; »ich war außerordentlich vergeßlich – ja, ja – zu wahr – Aber Sie erinnern sich Ihres würdigen Vaters?«

»Wie könnten Sie daran zweifeln, Mr. Simson? es ist ja erst wenig Wochen her« –

»Wahr, wahr – ja, zu wahr,« erwiederte der Dominie, während sein ungeheures Lachen zu einem leisen Kichern herabsank, – »ich werde bei dieser Erinnerung nicht weiter spaßhaft sein – aber sehen Sie den jungen Mann an!«

Bertram trat in diesem Augenblick in´s Zimmer. »Ja, betrachten Sie ihn wohl – er ist Ihres Vaters lebendiges Ebenbild; und da euch Gott eurer theuren Eltern beraubt hat – O, meine Kinder, liebt einander!«

»Es ist in der That meines Vaters Gesicht und Gestalt,« sagte Lucy erbleichend; Bertram eilte, sie zu unterstützen – der Dominie wollte ihr Wasser in's Gesicht spritzen, (welches er in der Eile aus der kochenden Theekanne nahm) als zum Glück sich ihre Wangen wieder rötheten, und sie so vor der Anwendung jenes übeln Heilmittels geschützt ward. »Ich beschwöre Sie, mir zu sagen, Mr. Simson,« sagte sie, mit schwankender aber feierlicher Stimme, »ob dies mein Bruder ist?«

»Er ist's – er ist's! – Miß Lucy, 's ist der kleine Harry Bertram, so gewiß, als Gottes Sonne am Himmel steht!«

»Und das ist meine Schwester?« sagte Bertram, all den Gefühlen brüderlicher Liebe Raum gebend, die so lange in ihm geschlummert hatte, weil der Gegenstand fehlte, dem er sie zuwenden konnte.

»Sie ist's – sie ist's! – es ist Miß Lucy Bertram,« rief Simson, »die Sie, durch meine geringe Hilfe, vollkommen finden werden in der Sprache Frankreichs, Italiens und selbst Spaniens – sie liest und schreibt ihre Muttersprache vollkommen, versteht Arithmetik, so wie doppelte und einfache Buchhaltung – ich schweige von ihren Talenten im Zuschneiden, Nähen, Haushalten, welches, um jedem sein Recht zu lassen, sie nicht von mir erlernte, sondern von der Haushälterin – auch maße ich mir nicht ihre Bildung auf Saiteninstrumenten an, denn diese hat sie durch den Unterricht einer ehrbaren, jungen, tugendsamen, bescheidenen und sehr witzigen Dame, – Miß Julie Mannering – in bedeutendem Maße erworben – Suum cuique tribuito.«

»Also du bist die Einzige,« sagte Bertram zu seiner Schwester, »die mir übrig geblieben ist! – In letzter Nacht, oder vielmehr an diesem Morgen, gab mir Oberst Mannering eine Schilderung unsers Familienunglücks, aber er sagte mir nicht, daß ich meine Schwester hier finden würde.«

»Das,« sagte Lucy, »überließ er diesem Herrn, einem der sanftesten und treuesten Freunde, welcher meines Vaters lange Krankheit linderte, bei seinem Ende gegenwärtig war, und, unter dem härtesten Geschick, nie seine verwaiste Tochter verlassen wollte.«

»Gott segne ihn dafür!« sagte Bertram, Simsons Hand drückend, »er verdient die Liebe, mit welcher ich selbst den schwachen Schatten seines Andenkens ehrte, welches mir aus der Kindheit geblieben.«

»Und Gott segne euch beide, meine theuren Kinder,« sagte Simson; »wär' es nicht euretwillen gewesen, so würd' ich gern (hätt' es dem Himmel gefallen) mein Haupt zur Seite meines Wohlthäters zur Ruhe gelegt haben.«

»Aber ich hoffe,« sagte Bertram, »ich hoffe mit Zuversicht, wir werden noch Alle bessere Tage sehen. All' unser Leid soll gut gemacht werden, da mir der Himmel Mittel und Freunde sendet, um mein Recht zu behaupten.«

»Freunde fürwahr!« wiederholte Simson, »und gesandt, wie Sie richtig sagen, von Ihm, den ich Sie früh als den Quell alles Guten betrachten lehrte. Da ist der berühmte Oberst Mannering aus Ostindien, ein Mann des Krieges von Jugend auf, aber nichtsdestoweniger ein Mann von großer Gelehrsamkeit, wenn man seine geringe Gelegenheit, sich Gelehrsamkeit zu sammeln, erwägt; und ferner ist da der berühmte Advokat Pleydell, ebenfalls ein sehr gelehrter Mann, nur daß er sich zu geringfügigem Tand herabläßt; und dann ist da Mr. Andrew Dinmont, der meines Wissens zwar keine tiefe Gelehrsamkeit besitzt, der aber, gleich den alten Patriarchen, kundig ist dessen, was Heerden und Viehzucht betrifft – Schließlich bin ich selbst noch da, der die treffliche Gelegenheit, Gelehrsamkeit zu sammeln, (die ihm in reicherm Maaße geboten ward, als den vorbesagten schätzbaren Personen) nicht, wenn ich selber so sprechen darf, vernachlässigt hat, insofern nämlich meine armen Fähigkeiten mich in Stand setzten, jene zu nützen. Gewiß ist, kleiner Harry, daß wir schleunig unsre Studien wieder beginnen müssen. Ich will von der Grundlage beginnen – Ja, ich will Ihre Erziehung von unten auf anfangen, von der wahren Kenntniß der englischen Grammatik bis zu jener der hebräischen und chaldäischen Sprache.«

Der Leser wird bemerken, daß Simson bei dieser Gelegenheit weit verschwenderischer mit Worten war, als er sich bisher damit gezeigt hatte. Der Grund war, daß er beim Wiederfinden seines Zöglings, sich sogleich im Geiste in die Zeit ihres frühern Beisammenseins zurück versetzte, und in seiner Ideenverwirrung fühlte er nun das stärkste Verlangen, den Buchstabierunterricht mit dem jungen Bertram wieder anzufangen. Dies war um so spaßhafter, da er sich gegen Lucy nicht ein solches Lehreransehen gab. Aber sie war unter seinen Augen groß geworden und hatte sich allmälig seiner Leitung entzogen durch Zunahme an Jahren und Kenntnissen, so wie durch die stille Ueberzeugung, wie sehr er selber an feinen Sitten unter ihr stehe: so betrachtete er nun Harry als auf demselben Punkte stehend, wo er ihn verlassen hatte. Dieses Gefühl der wiederkehrenden Autorität verleitete ihn zu dem, was bei ihm Wortreichthum war; und wie man selten mehr als gewöhnlich spricht, ohne sich Blößen zu geben, so gab er denen, die er anredete, deutlich zu verstehen, daß er zwar den Meinungen und Befehlen aller derjenigen, mit denen er zusammenkäme, sich nachgiebig unterwerfe, aber dabei immer die innere Ueberzeugung hege, er stehe im Punkte der Ge-lehr-sam-keit (so sprach er das Wort gewöhnlich aus) unendlich höher, als jene alle miteinander. Diesmal fiel diese Andeutung jedoch auf taube Ohren, denn Bruder und Schwester waren zu sehr mit Fragen und Antworten über ihre frühern Schicksale beschäftigt, als daß sie dem würdigen Dominie hätten Aufmerksamkeit schenken können.

Als Oberst Mannering Bertram verließ, ging er nach Juliens Zimmer, und schickte deren Mädchen fort. »Mein lieber Vater,« sagte sie, als er eintrat, »du hast unsre letzte Nachtwache vergessen, und hast mir kaum Zeit gelassen, das Haar zu kämmen, obwohl du gesehen haben mußt, wie sehr sie mir bei all den verschiedenen Wundern, die statt fanden, zu Berge standen.«

»Jetzt will ich nur mit dem Innern deines Kopfes zu thun haben, Julie; binnen wenig Minuten will ich die Außenseite der Sorgfalt deiner Mrs. Mincing wieder überlassen.«

»Himmel, lieber Vater,« erwiederte Miß Mannering, »bedenke, wie verwirrt all' meine Gedanken sind, und du meinst sie in wenig Minuten auszukämmen! Wenn Mrs. Mincing dies in ihrem Fache thun wollte, sie würde mir das Haar zur Hälfte ausraufen.«

»Wohlan, sage mir,« fuhr der Oberst fort, »wo die Verwirrung liegt, ich werde versuchen, sie mit gebührender Behutsamkeit auseinander zu wickeln.«

»O, überall,« sagte die junge Dame, – »das ganze ist ein wilder Traum.«

»Gut, ich will ihn zu enträthseln suchen.« – Er gab eine kurze Skizze von dem Schicksal und den Aussichten Bertram's, und Julie hörte mit einer Theilnahme zu, die sie umsonst zu verbergen suchte – »Nun,« schloß der Vater, »sind jetzt deine Gedanken über diesen Gegenstand klarer?«

»Verworrener denn je, lieber Vater,« sagte Julie. – »Hier kommt dieser junge Mann aus Indien, nachdem man ihn todt glaubte, gleich Aboulfouaris, dem großen Reisenden, zu seiner Schwester Canzade und seinem verständigen Bruder Hour. Ich irre mich, glaub' ich, in der Geschichte – Canzade war seine Frau – aber Lucy mag die eine vorstellen und der Dominie den andern. Und dann erscheint dieser muntere, tolle, schottische Advokat, wie ein Pantomimiker am Ende einer Tragödie – Und sodann, wie ergötzlich wird es sein, wenn Lucy ihr Vermögen wieder bekommt!«

»Nun, ich denke,« sagte der Oberst, »der geheimnißvollste Theil der ganzen Sache ist, daß Miß Julie Mannering, die ihres Vaters Besorgniß über das Schicksal dieses jungen Mannes, Brown, oder Bertram, wie wir ihn jetzt zu nennen haben, kennen mußte, – daß Julie ihn bei dem Vorfall mit Hazlewood getroffen haben sollte, ohne doch jemals ein Wort gegen ihren Vater davon zu erwähnen, ja daß sie es vielmehr duldete, als man diesen jungen Herrn als eine verdächtige Person und als Meuchelmörder verfolgte.«

Julie, die schnell ihren ganzen Muth zusammengenommen hatte, um die Unterredung mit ihrem Vater zu bestehen, war nun unfähig, über sich selbst zu scherzen; schweigend senkte sie den Kopf, nachdem sie umsonst versucht hatte, abzuläugnen, daß sie damals Brown wieder erkannt habe.

»Keine Antwort! – nun, Julie,« fuhr der Vater ernst aber sanft fort, »erlaube mir zu fragen, ob dies das einzige Mal war, daß du Brown seit seiner Rückkehr aus Indien gesehen hast? – Noch keine Antwort. Natürlich muß ich dann vermuthen, daß es nicht das erste Mal war – Noch keine Erwiederung. Julie Mannering, wirst du so gut sein, mir zu antworten? War er der junge Mann, der unter dein Fenster kam, und sich mit dir während deines Aufenthalts in Mervynhall unterhielt? Julie – ich befehle – ich bitte dich, aufrichtig zu sein.«

Miß Mannering erhob ihr Haupt. »Ich war, Vater – ich glaube – ich bin es noch – sehr thöricht; es ist vielleicht sehr hart für mich, daß ich diesem Herrn, der, obwohl nicht ganz die Ursache, doch der Mitschuldige meiner Thorheit war, in deiner Gegenwart begegnen muß.« – Hier hielt sie wieder inne.

»Also seh' ich,« sagte Mannering, »daß er der Urheber der Serenade in Mervynhall war?«

In der Art dieser Frage lag etwas, was Julien wieder etwas mehr Muth einflößte – »Er war es allerdings, Vater; und that ich auch sehr Unrecht, wie ich oft dachte, so hab' ich doch eine Entschuldigung.«

»Und wie lautet die?« antwortete der Oberst schnell und etwas streng.

»Ich wage nicht, sie zu nennen, Vater – aber« – Sie öffnete ein Kästchen und legte ihm einige Briefe in die Hand – »ich will dir dies geben, damit du siehst, durch wen dieses Einverständniß sich entspann, und wer dazu aufmunterte.«

Mannering trat mit den Papieren an's Fenster – sein Stolz verbot ihm, sich weiter zurückzuziehen – er überblickte einige Stellen der Briefe mit unstetem Auge und bewegtem Gemüth – seine Charakterstärke kam ihm indeß bei Zeiten zu Hilfe: die Philosophie der Stoiker, die, aus Stolz erwachsen, doch häufig Früchte der Tugend trägt. Er wandte sich wieder an seine Tochter, mit so fester Miene, als ihm seine Gefühle anzunehmen gestatteten.

»So weit ich nach einem flüchtigen Blick in diese Briefe urtheilen kann, Julie, enthalten sie eine große Entschuldigung – du hast wenigstens einem von deinen Eltern gehorcht. Laß uns ein schottisches Sprichwort annehmen, welches der Dominie neulich anführte: ›Laßt geschehen sein, was geschehen, und was kommt, wird glücklich gehen.‹ – Ich will dir nie den frühern Mangel an Vertrauen zum Vorwurf machen – beurtheile künftig meine Absichten nach meinen Handlungen, die dir bisher gewiß keinen Grund zur Klage gaben. Bewahre diese Briefe – sie waren nie für mein Auge bestimmt, und ich möchte nicht gern mehr davon lesen, als ich schon, auf deinen Wunsch und zu deiner Rechtfertigung, las. Und nun, sind wir Freunde? oder vielmehr, verstehst du mich?«

»O, mein theurer, edler Vater,« sagte Julie, sich in seine Arme werfend, »wie konnte ich dich jemals einen Augenblick mißverstehen?«

»Nichts mehr davon, Julie,« sagte der Oberst; »wir waren beide zu tadeln. Wer zu stolz ist, die Liebe und das Vertrauen zu fordern, worauf er auch ohne Bitten Anspruch machen kann, wird sich oft täuschen und verdient das vielleicht. Es ist genug, daß ein so theures und so tief beklagtes Glied meiner Familie in's Grab sinken mußte, ohne mich zu kennen; laß mich nicht auch das Vertrauen eines Kindes verlieren, welches mich lieben muß, wenn es sich selber wahrhaft liebt.«

»O, keine Besorgniß – keine Furcht!« antwortete Julie; »laß mich nur deine und meine Billigung haben, und keine Regel, die du mir vorschreibst, kann so schwer sein, daß ich sie nicht befolgen sollte.«

»Wohlan, meine Liebe,« sagte er, sie auf die Stirn küssend, »ich denke, es wird nichts gar zu Heroisches von dir gefordert werden. Was die Bewerbungen dieses jungen Herrn betrifft, so erwarte ich erstlich, daß alle geheime Correspondenz – die kein junges Mädchen einen Augenblick unterhalten kann, ohne sich in ihren eigenen Augen, wie in denen ihres Geliebten, zu erniedrigen, – ich verlange, sag' ich, daß heimliche Correspondenz jeder Art aufgegeben werde, und daß du Mr. Bertram hinsichtlich des Grundes an mich weisest. Du wirst natürlich auch die Ursache davon wissen wollen. Erstlich wünsche ich den Charakter dieses jungen Herrn genauer zu beobachten, als es die Umstände, und auch vielleicht meine Vorurtheile mir früher gestatteten – auch möchte ich gern seinen Rang bestätigt sehen. Nicht als ob ich um die Wiedererlangung des Gutes Ellangowan besorgt wäre, obwohl ein solcher Gegenstand nirgends, außer in Romanen für gleichgiltig gehalten wird; aber gewiß ist Henry Bertram, Erbe von Ellangowan, mag er das Vermögen seiner Ahnen besitzen oder nicht, eine ganz andere Person, als Vanbeest Brown, Niemands Sohn. Seine Ahnen, wie mir Mr. Pleydell sagt, sind in der Geschichte, indem sie den Bannern ihrer Fürsten folgten, ausgezeichnet, während die unsern bei Cressy und Poitiers fochten. Kurz, ich gebe und versage meine Billigung nicht, aber ich erwarte, daß du ehmalige Fehler gut machst; und da du nun leider nur noch zu einem deiner Eltern deine Zuflucht nehmen kannst, so wirst du dadurch deine Kindespflicht erfüllen, daß du das Vertrauen in mich setzest, welches mein Wunsch, dich glücklich zu machen, als eine kindliche Schuld von dir zu fordern hat.«

Der erste Theil dieser Rede bewegte Julien nicht wenig; das in Vergleich gestellte Verdienst der Ahnen Bertram's und Mannering's erregte ein heimliches Lächeln, aber der Schluß war von der Art, daß er ein Herz besonders rühren mußte, welches für edelsinnige Gefühle so empfänglich war. »Nein, mein theurer Vater,« sagte sie, ihm die Hand reichend, »nimm die Versicherung, daß du von diesem Augenblick an die erste Person sein sollst, die ich über Alles um Rath fragen werde, was Brown – ich wollte sagen Bertram – betrifft, so wie mich selbst; und nichts soll von mir unternommen werden, außer was du weißt und billigst. Darf ich fragen – ob Mr. Bertram ein Gast in Woodbourne bleiben wird?«

»Gewiß,« sagte der Oberst, »so lange es seine Angelegenheiten räthlich machen.«

»Dann aber, Vater, wenn du erwägst, was bereits geschehen ist, wirst du einsehen, daß er einen Grund für meine Zurückhaltung erwarten wird – ich denke, es wird die Aufmunterung sein, die er vielleicht von mir erhalten zu haben glaubt.«

»Ich erwarte, Julie,« sagte Mannering, »daß er mein Haus achten, daß er die Dienste erwägen wird, die ich ihm zu leisten wünsche, – und so wird er sich gewiß nicht auf eine Weise betragen, worüber ich mich mit Grund beklagen könnte; und ich erwarte von dir, daß du ihm bemerklich machst, was sich für euch beide ziemt.«

»Ich verstehe dich nun, Vater, und werde dir unbedingt gehorchen.«

»Ich danke dir, liebes Kind; meine Sorge«, (hier küßte er sie) »gilt nur dir. – Nun wische diese Zeugen des Vorgefallenen von deinen Augen, und komm zum Frühstück.«



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