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Vierzehntes Kapitel.

Und wie das Weib, nach bester Art,
Den Gruß vor'm König spricht;
Der König Arthur, tief erstaunt,
Erwiedert ihr ihn nicht.
»Und wer bist du,« so spricht das Weib,
»Daß du nicht sprichst mit mir?
Sir, leicht wohl heil' ich deinen Schmerz,
Schein' ich auch häßlich dir.«

The Marriage of Sir Gawaine.

Die feenhafte Braut Sir Gawain's war, während sie unter dem Einflusse des Zaubers ihrer bösen Stiefmutter stand, wahrscheinlich ältern Ansehens und weit häßlicher, als Meg Merrilies; aber ich zweifle, ob sie die wilde Erhabenheit besaß, welche eine aufgereizte Einbildungskraft den Zügen der letztern, markirt und ausdrucksvoll in ihrem eigenthümlichen Charakter, so wie den Bewegungen einer Gestalt mittheilte, welche, wenn man ihre sechs Fuß erwägt, gigantisch heißen konnte. Daher bebten auch die Ritter der Tafelrunde vor der Erscheinung der, zwischen »einer Eiche und einer grünen Stechpalme« postirten, häßlichen Dame nicht mit größerm Entsetzen zurück, als Lucy Bertram und Julie Mannering jetzt vor der Gestalt dieser galwegischen Sibylle auf dem Gebiete von Ellangowan.

»Um Gottes willen,« sagte Julie, ihre Börse ziehend, »gebt diesem schrecklichen Weibe etwas, und heißt es fortgehen.«

»Ich kann nicht,« sagte Bertram; »ich darf sie nicht beleidigen.«

»Was hält Euch hier zurück?« sagte Meg, die harten und rauhen Töne ihrer hohlen Stimme erhebend; »warum folgt Ihr nicht? – Muß Eure Stunde Euch zweimal rufen? – Gedenkt Ihr Eures Schwur's? – Sei es in Kirche oder Markt, bei Hochzeit oder Begräbniß« – und in drohender Stellung hielt sie ihren hagern Zeigfinger empor.

Bertram wandte sich gegen seine erschrockenen Begleiterinnen. »Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick; ein Versprechen verpflichtet mich, diesem Weibe zu folgen.«

»Gott im Himmel! einem tollen Weibe verpflichtet?« sagte Julie.

»Oder einer Zigeunerin, die ihre Bande im Holze bereit hat, dich zu ermorden?« sagte Lucy.

»Das war nicht gesprochen wie ein Kind von Ellangowan,sagte Meg zürnend zu Miß Lucy. »Nur die Uebelthäter fürchten Uebel.«

»Kurz, ich muß gehen,« sagte Bertram, »es ist durchaus nothwendig; wartet fünf Minuten auf mich auf dieser Stelle.«

»Fünf Minuten?« sagte die Zigeunerin, »fünf Stunden werden Euch nicht hieher zurückbringen.«

»Hören Sie das?« sagte Julie; »um Gottes willen, gehen Sie nicht!«

»Ich muß – ich muß – Mr. Dinmont wird Sie auf dem Rückwege begleiten.«

»Nein,« sagte Meg, »er muß mit Euch kommen; deswegen ist er hier. Er soll mit Herz und Hand Theil nehmen; und das kann er sehr wohl, denn seine Rettung hätt' Euch theuer zu stehen kommen können.«

»Freilich, Luckie, das ist sehr wahr,« sagte der wackere Pächter; »und eh' ich von des Capitains Seite weiche, will ich zeigen, daß ich das nicht vergessen habe.«

»O, ja,« riefen beide Damen zugleich, »Mr. Dinmont mag mit Ihnen gehen, wenn Sie einmal diesem seltsamen Rufe folgen müssen.«

»In der That, ich muß,« antwortete Bertram, »aber Sie sehen, daß ich guten Schutz habe – Adieu auf kurze Zeit; gehen Sie möglichst schnell nach Hause.«

Er drückte seiner Schwester die Hand, und nahm durch einen Blick noch zärtlichern Abschied von Julien. Fast betäubt von Ueberraschung und Furcht, beobachteten die jungen Damen mit besorgten Blicken den Weg, den Bertram, sein Gefährte und die außerordentliche Führerin einschlugen. Ihre hohe Gestalt bewegte sich über die winterliche Haide mit Schritten, so schnell, so groß und so fest, daß sie eher hin zu gleiten, als zu wandeln schien. Bertram und Dinmont, beide große Männer, kamen ihr scheinbar kaum an Höhe gleich, weil ihr längeres Gewand und ihr hoher Kopfputz sie noch größer erscheinen ließen. Sie schritt quer über die Haide, ohne sich seitwärts nach dem geschlängelten Pfade zu wenden, auf welchem die Wandrer die Unebenheiten und die kleinen Bäche umgingen, welche hier in verschiedenen Richtungen das Land durchschnitten. So entschwanden die kleiner werdenden Gestalten oft dem Auge, wenn sie in eine Vertiefung tauchten, und wurden wieder sichtbar, wenn sie wieder aus derselben emporstiegen. Es lag etwas Grauenvolles und Geisterhaftes in dem raschen und schnurgeraden Laufe, den sie verfolgte, gleichgiltig gegen die Hindernisse, die einen Reisenden gewöhnlich vom geraden Wege ablenken. Ihr Weg war so direkt und ward von ihr fast so schnell verfolgt, wie der eines Vogels in der Luft. Endlich erreichten sie jenes wilde Buschholz, welches sich von den Gränzen der Gemeindeweide bis nach der Gegend von Derncleugh erstreckte, und dort wurden sie nun dem Auge völlig entrückt.

»Das ist doch außerordentlich,« sagte nach einer Pause Lucy, indem sie sich an ihre Begleiterin wandte; »was kann er mit der alten Hexe zu thun haben?«

»Es ist grauenvoll,« antwortete Julie, »und erinnert mich an die Mährchen von Unholdinnen, Hexen und bösen Geistern, die ich in Indien hörte. Man glaubt dort an einen Augenzauber, wodurch diejenigen, die ihn besitzen, den Willen und die Bewegungen ihrer Opfer lenken. Was kann Ihr Bruder mit dem schrecklichen Weibe gemein haben, daß er uns wider unsern Willen, verläßt, um ihren Befehlen zu folgen?«

»Wir dürfen ihn wenigstens für sicher halten,« sagte Lucy; »denn nimmer würde sie diesen redlichen Dinmont, von dessen Stärke, Muth und Treue Henry so viel sprach, auffordern, einem Werke beizuwohnen, welches der Person seines Freundes nachtheilig sein sollte. Und nun wollen wir nach dem Hause zurückkehren, bis der Oberst heim kommt – vielleicht wird Bertram eher zurück sein; übrigens wird der Oberst am besten wissen, was zu thun ist.«

Eine stützte sich auf der Andern Arm, und so erreichten sie, obwohl wankenden Schrittes und von Furcht erfüllt, das Ende der Allee vor Woodbourne, als sie plötzlich Pferdegetrappel hinter sich hörten. Sie blieben stehen, denn ihre Ohren lauschten wachsam auf jeden Ton, und erblickten zu ihrem großen Vergnügen den jungen Hazlewood. »Der Oberst wird sogleich hier sein,« sagte er; »ich ritt voran, um mich Miß Bertram zu empfehlen, mit den aufrichtigsten Glückwünschen bei dem erfreulichen Ereigniß, welches in ihrer Familie stattgefunden hat. Mich verlangt, dem Capitain Bertram vorgestellt zu werden, um ihm für die wohlverdiente Lehre zu danken, die er meiner Voreiligkeit und Unart ertheilte.«

»Er hat uns so eben verlassen,« sagte Lucy, »und zwar auf eine Weise, die uns Grauen erweckte.«

In diesem Augenblick fuhr des Obersten Wagen heran, und hielt, als man die Damen erblickte, worauf Mannering und sein gelehrter Freund ausstiegen, um sich zu jenen zu gesellen. Sie erfuhren alsbald den neuen Grund zur Unruhe.

»Schon wieder Meg Merrilies!« sagte der Oberst; »sie ist gewiß ein geheimnißvolles und räthselhaftes Wesen; aber ich glaube, sie hat Bertram etwas mitzutheilen, wovon wir nichts wissen sollen.«

»Der Teufel hole das alte Weib,« sagte der Advokat; »wird sie nie die Sachen ihren eignen Gang gehn lassen, prout de lege, sondern muß stets ihre Hand dabei im Spiele haben? – dann fürchte ich, nach der eingeschlagenen Richtung, daß sie nach Ellangowan gehen – der Schurke Glossin hat uns gezeigt, über welche Bösewichter er zu gebieten hat. Hoffentlich ist der ehrliche Liddesdaler eine genügende Schutzwache.«

»Mit Ihrer Erlaubniß,« sagte Hazlewood, »würde ich mit Vergnügen nach derselben Richtung reiten, die jene einschlugen. Ich bin so gut in der Gegend bekannt, daß schwerlich ein Angriff in meiner Gegenwart unternommen werden dürfte, und ich werde solche Vorsichtsmaßregeln treffen, daß es nicht scheint, als beobachte ich Meg, oder wolle ihre Mittheilungen belauschen.«

»Auf mein Wort,« sagte Pleydell, doch so, daß ihn der junge Mann nicht hörte, »der junge Hazlewood, den ich vor wenig Jahren noch mit einem Milchgesicht und der Büchertasche kannte, wird ein stattlicher Bursch. Ich bin mehr um einen neuen Versuch gesetzmäßiger Unterdrückung, als offene Gewalt besorgt, und dieses jungen Mannes Gegenwart wird überhaupt sowohl Glossin, als seine Gehilfen abschrecken. – Also nur immer fort, junger Mann, so schnell als möglich; Sie werden sie etwa bei Derncleugh, oder wahrscheinlich im Warrochwalde finden.«

Hazlewood wandte sein Pferd. »Kommen Sie zum Mittagessen zu uns, Hazlewood,« rief der Oberst. Jener nickte, spornte sein Pferd und gallopirte davon.

Wir kehren nun zu Bertram und Dinmont zurück, welche noch immer ihrer geheimnißvollen Führerin durch Wald und Gestrüpp folgten: zwischen der offenen Haide und dem zerstörten Dorfe Derncleugh. Während sie den Weg zeigte, schaute sie nie nach den Nachfolgenden zurück, außer um sie wegen Saumseligkeit zu schelten, obwohl ihnen der Schweiß, trotz der kalten Jahreszeit, von der Stirn rann. Zuweilen sprach sie auch mit sich selbst in abgebrochenen Sätzen. »Das alte Haus soll wieder gebaut werden – der Eckstein werde gelegt – und hab' ich ihn nicht gewarnt? – Ich sagte ihm, ich sei geboren das zu thun, und wär' auch meines Vaters Kopf das einzige Hinderniß gewesen. Man verurtheilte mich – in Kerker und Gefängniß blieb ich meinem Vorsatz treu; – ich ward verbannt – ich blieb ihm treu in einem unfreundlichen Lande; – ich ward gepeitscht – ich ward gebrannt – Mein Vorsatz lag tiefer, als Geisel und rothglühendes Eisen reichen konnten – und nun ist die Stunde gekommen.«

»Capitain,« sagte Dinmont halb flüsternd, »ich hoffe, sie führt nichts Böses im Schilde! Ihre Worte scheinen nicht in Gottes Namen gesprochen, oder so wie bei andern Leuten. Zum Henker auch, man erzählt bei uns wohl, daß es solche Wesen wirklich gibt.«

»Fürchtet nichts, mein Freund,« flüsterte Bertram dagegen.

»Fürchten? mich kümmert der Satan nicht,« sagte der wackere Pächter. »Mag sie Hexe oder Teufel sein, das ist dem Dandie Dinmont Alles gleich.«

»Halte Ruhe, Pächter,« sagte Meg, ernst über ihre Schulter blickend; »meint Ihr, dies sei für Euch Zeit und Ort zu sprechen?«

»Aber, liebe Freundin,« sagte Bertram, »da ich keinen Zweifel über Eure Treue und Freundschaft hege, die ich schon erprobt habe, so solltet Ihr dagegen auch mir einiges Vertrauen schenken – Ich möchte wissen, wohin Ihr uns führt.«

»Darauf gibt es nur eine Antwort, Henry Bertram,« sagte die Sibylle. »Ich schwur, meine Zunge sollt' es nimmer sagen, aber ich gebot meinem Finger nicht, es nie zu zeigen. Geht vorwärts und sucht Euer Glück, oder kehrt zurück und verliert es – das ist Alles, was ich zu sagen habe.«

»Also geht voran,« antwortete Bertram; »ich will nicht weiter fragen.«

Sie stiegen an der nämlichen Stelle in's Thal, an welcher früher Meg von Bertram geschieden war. Sie hielt einen Augenblick unter dem steilen Felsen still, wo er Zeuge jenes Begräbnisses gewesen war und stampfte auf den Boden, welcher trotz all' der Sorgfalt, die man angewandt hatte, Spuren von kürzlicher Aufwühlung zeigte. »Hier ruht einer,« sagte sie, »vielleicht wird er bald Nachbarn haben.«

Sodann ging sie am Bache hin, bis sie in das zerstörte Dörfchen kam, wo sie mit einem Blicke der innigsten, tiefsten Rührung vor einem der noch aufrecht stehenden Giebel still hielt und in einem minder abgebrochenen, aber noch immer feierlichen Tone sagte: »Seht Ihr dies schwarze verfallne Stück einer Hütte? – da hat mein Kessel vierzig Jahre gekocht – da hab' ich zwölf stattliche Söhne und Töchter geboren – wo sind sie nun? – wo ist das Laub, das auf jener alten Esche am Martinstag war? der Westwind hat es gestreift – und auch ich bin entblättert. – Seht Ihr jenen Weidenbaum? – 's ist jetzt nur noch ein geschwärzter Stumpf – darunter hab' ich manchen schönen Sommernachmittag gesessen, wenn er seine schönen Zweige über das kräuselnde Wasser hängen ließ. – Ich saß dort, und« (ihre Stimme erhebend) »hielt Euch auf meinem Knie, Henry Bertram, und sang Euch Lieder von den alten Baronen und ihren blutigen Kriegen – der Baum wird nie wieder grün sein, und Meg Merrilies wird nie wieder Lieder singen, weder heitre noch traurige. Aber Ihr werdet sie nicht vergessen, Ihr werdet ihretwillen die alten Wände wieder aufrichten lassen? – Und laßt Jemand hier wohnen, der fromm ist, und Jene aus einer andern Welt achtet und fürchtet – denn wenn je die Todten wieder unter die Lebendigen kommen, so will ich in diesem Thale manche Nacht gesehn sein, nachdem diese Gebeine Staub geworden sind.«

Die Mischung von Wahnsinn und wildem Pathos, womit sie diese letzten Worte sprach, indem sie den rechten Arm nackt ausstreckte, den Linken herabhängen ließ und unter den dunkelrothen Falten ihres Mantels verhüllte, dies dürfte selbst für unsre Siddons einen würdigen Gegenstand dargeboten haben. »Und nun,« sagte sie, sogleich den kurzen, ernsten und hastigen Ton, der ihr gewöhnlich eigen war, wieder annehmend – »nun zu unserm Werk, zu unserm Werk!«

Nun führte sie die Begleiter nach dem Vorgebirg empor, wo der Kaim von Derncleugh lag, zog einen großen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Thür. Das Innere dieses Ortes war in besserer Ordnung, als früher. »Ich habe gehörig aufgeräumt,« sagte sie; »ich könnte wohl hier vor Nacht noch ausgestreckt liegen. – Es werden wenige, wenige bei Meg's Todtenwache sein, denn viele unsrer Leute werden tadeln, was ich gethan habe und thun will.«

Sie deutete nach einem Tisch, worauf einige kalte Küche befindlich war, und zwar zierlicher angeordnet, als man nach Meg's Gewohnheiten hätte erwarten sollen. »Eßt,« sagte sie, »eßt; ihr werdet es diese Nacht noch nöthig haben.«

Bertram aß aus Gefälligkeit einige Bissen; und Dinmont, dessen Appetit weder durch Abenteuer, Furcht, noch durch das Morgenessen geschwächt war, zeigte sich wie gewöhnlich, wenn es eine Mahlzeit galt. Darauf reichte sie Jedem ein Glas Branntwein, welches Bertram verdünnt, Dinmont aber rein trank.

»Wollt Ihr nicht selbst etwas zu Euch nehmen, Luckie?« sagte Dinmont.

»Ich werd' es nicht brauchen,« erwiederte die geheimnißvolle Wirthin. »Und nun,« sagte sie, »sollt ihr Waffen haben – sollt nicht mit unbewehrter Hand gehen – aber braucht sie nicht vorschnell – nehmt gefangen, aber schont das Leben – laßt das Recht walten – er soll sprechen, eh' er stirbt.«

»Wer soll gefangen werden? wer soll sprechen?« sagte Bertram erstaunt, indem er ein Paar dargebotene Pistolen nahm, welche er geladen und in gutem Stande fand.

»Die Steine sind gut,« sagte sie, »und das Pulver trocken – ich kenne dergleichen wohl.«

Darauf bewaffnete sie, ohne jene Fragen zu beantworten, Dinmont ebenfalls mit einer großen Pistole, und überließ beiden, sich Stöcke aus einem Bündel sehr verdächtig aussehender Knittel zu wählen, die sie aus einem Winkel herbeibrachte. Bertram nahm einen guten Stab und Dandie wählte eine Keule, die selbst für Herkules gut genug gewesen sein möchte. Darauf verließen sie miteinander die Höhle und Bertram benutzte dabei eine Gelegenheit, Dinmont zuzuflüstern; »es ist etwas Unerklärliches in all' diesen Dingen – aber wir müssen diese Waffe nicht brauchen, außer wenn es die Nothwendigkeit und ein rechtmäßiger Fall erfordert – handelt ganz nach meinem Beispiele.«

Dinmont antwortete mit einem schlauen Winke, und so fuhren sie fort über Bach und Steg, über Stock und Stein, den Fußtapfen ihrer Führerin zu folgen. Sie geleitete sie nach dem Warrochwalde, auf demselben Wege, den der verstorbene Ellangowan nach Derncleugh hin geritten war, als er sein Kind an jenem unseligen Abende suchte, wo Kennedy ermordet ward.

Als Meg Merrilies diesen Wald erreicht hatte, durch welchen der winterliche Seewind jetzt rauh und rauschend pfiff, schien sie einen Augenblick deßwegen inne zu halten, um sich auf den Weg zu besinnen. »Wir können den nächsten Weg gehn,« sagte sie und fuhr fort vorwärts zu schreiten, aber mehr im Zickzack und nicht mehr in so steter, direkter Richtung, wie früher. Endlich brachte sie sie aus dem Labyrinthe des Waldes nach einem kleinen offenen Platze, etwa den vierten Theil eines Morgen umfassend; er war von Bäumen und Büschen eingeschlossen, die seine wilde und unregelmäßige Begränzung bildeten. Selbst im Winter war dies ein geschützter und traulich abgeschiedener Ort; aber wenn er im Frühlingsgrün prangte, wo die Erde all' ihre wilden Blumen hervorbringt, wo die Zweige ihre blüthenschweren Aeste breiten und die Hängebirken, die hoch über das Unterholz ragten, ihre langen und belaubten Zweige herniederwehen lassen, um die Sonnenstrahlen abzuhalten, dann mußte es gewiß ein passender Ort für einen jungen Dichter sein, um sein erstes Sonett zu schaffen, oder für ein Paar Liebende, um einander die ersten süßen Geständnisse zu machen. Jetzt erweckte der Ort freilich ganz andre Betrachtungen. Bertram's Miene ward, nachdem er umhergeblickt, düster und unruhig. Meg sah ihn, nachdem sie für sich geflüstert hatte, »das ist der Ort,« mit einem schrecklichen Seitenblick an, – »Erinnert Ihr Euch daran?«

»Ja,« antwortete Bertram, »vollkommen.«

»Ja,« fuhr seine Führerin fort, »auf diesem selbigen Ort fiel der Mann vom Pferde – ich stand im nämlichen Augenblick dort hinter dem Hollunderbusch. Er kämpfte sehr, sehr, und er rief sehr um Erbarmen – aber er befand sich in deren Händen, die jenes Wort nie kannten! – Nun will ich Euch den Weg weiter zeigen – als Ihr ihn das letzte Mal zurücklegtet, lagt Ihr in diesen Armen.«

Sie führte sie nun auf einem langen und gewundenen Pfade hin, der meist mit Buschholz überwachsen war, bis sie sich, ohne merklich bergab gestiegen zu sein, plötzlich am Seestrande fanden. Meg wandelte sehr schnell voran zwischen Brandung und Felsen, bis sie zu einem merkwürdigen Felsenfragment kamen, das von dem übrigen Gestein abgesondert lag. »Hier,« sagte sie mit leisem und kaum hörbarem Flüstern, »hier ward der Leichnam gefunden.«

»Und die Höhle,« sagte Bertram im nämlichen Tone, »ist dicht dabei – führt Ihr uns dahin?«

»Ja,« sagte die Zigeunerin mit entschiedenem Tone. »Faßt beide Muth im Herzen – folgt mir, wenn ich hineinkrieche – ich habe das Brennholz so gelegt, daß es Euch verbirgt. Bleibt versteckt dahinter, bis ich sage: die Stunde und der Mann sind beide gekommen: dann fallt über ihn her, ergreift seine Arme und bindet ihn, bis ihm das Blut aus den Spitzen der Finger spritzt.«

»Ich will's, bei meiner Seele,« sagte Henry, »wenn es der Mann ist, den ich vermuthe – Jansen?«

»Ja, Jansen, Hatteraick, und noch zwanzig andre Namen sind sein.«

»Dinmont, jetzt müßt Ihr mir beistehn,« sagte Bertram, »denn dieser Kerl ist ein Teufel.«

»Zweifelt nicht an mir,« sagte der rüstige Landmann – »aber gern möcht' ich erst ein Gebet verrichten, eh' ich der Hexe nachkrieche in die Höhle, die sie öffnet – es wäre doch ein arges Ding, die schöne Sonne und die freie Luft zu verlassen, und ermordet zu werden, gleich einem Fuchs unter der Erde, in einem Kerker, wie der hier. Aber meiner Treu, es müssen tüchtige Dachshunde sein, die Dandie würgen wollen; und, wie gesagt, der Teufel hol' mich, wenn ich Euch verlasse.« Dies ward mit so leiser Stimme als möglich gesprochen. Der Eingang war nun offen. Meg kroch auf Händen und Knieen hinein, Bertram folgte, und Dinmont, nachdem er dem Tageslicht noch einen bekümmerten Blick geschenkt, da er dessen Herrlichkeit jetzt verließ, bildete den Nachtrab.



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