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Wird mir Ruh, beut keine Zuflucht sich,
Hetzt stets, dem Bluthund gleich, mein Elend mich?
Darfst armer Jüngling, keinen Schutz du hoffen,
Schuh vor dem Tod? Es steht das Land dir offen.
Die guten Weiber.
Unsere Erzählung führt uns jetzt auf einen Augenblick zu jener Zeit zurück, wo der junge Hazlewood seine Wunde empfing. Dieser Vorfall hatte kaum stattgefunden, als die möglichen Folgen für Miß Mannering und Brown des letztern Gemüth heftig beunruhigten. Nach der Richtung des Gewehrlaufes in dem Momente, wo der Schuß losging, ließen sich zwar keineswegs tödtliche Folgen befürchten; aber in einem fremden Lande und gänzlich von den Mitteln entblößt, um seinen Stand und Charakter beweisen zu können, mußte er eine Verhaftung doch sorgfältig zu vermeiden suchen. Er entschloß sich daher für den Augenblick nach der benachbarten englischen Küste zu fliehen und dort wo möglich verborgen zu bleiben, bis er Briefe von seinen Freunden im Regiment und eine Geldsendung von seinem Geschäftführer erhalten würde; dann wollte er in seinem wahren Charakter auftreten und dem jungen Hazlewood und dessen Freunden jede Erklärung und Genugthuung gewähren, die sie verlangen könnten. Mit diesem Entschluß wanderte er rüstig vorwärts, nachdem er den Ort, wo das Ereigniß stattgefunden, verlassen hatte, und erreichte ohne irgend ein Abenteuer das Dorf, welches wir Portanferry genannt haben (der Leser würde es indeß unter diesem Namen vergebens auf der Landkarte suchen). Ein großes offenes Boot wollte soeben das Ufer verlassen, um nach dem kleinen Seehafen von Allonby in Cumberland zu steuern. In diesem Fahrzeug schiffte sich Brown ein und beschloß, jenen Ort zu seinem zeitweiligen Aufenthalt zu wählen, bis er Briefe und Geld aus England empfangen würde.
Im Laufe der kurzen Reise knüpfte er mit dem Steuermann ein Gespräch an, welcher der Eigenthümer des Boots und ein fröhlicher alter Mann war, der auch gelegentlich am Schleichhandel Theil genommen hatte, wie die meisten Fischer an dieser Küste. Nachdem sie über gleichgiltige Dinge gesprochen hatten, bemühte sich Brown, das Gespräch auf die Familie Mannering zu lenken. Der Schiffer hatte von dem Angriffe auf das Haus zu Woodburne gehört, mißbilligte jedoch das Verfahren der Schmuggler.
»Wie sich 's trifft, so müssen sie's hinnehmen; zum Henker! Ihr Verfahren wird die ganze Gegend wider sie aufhetzen. Nein, nein – als ich noch mit dabei war, ich wußte mit den Beamten besser auseinander zu kommen: – nahmen sie hier ein Stück Ladung, – nun gut, das war ihr Vortheil; – dort brachte dafür ein andrer die Güter glücklich durch, das war denn mein Vortheil. Nein, nein, eine Krähe sollte der andern nie die Augen aushacken.«
»Und was meint Ihr vom Oberst Mannering?« sagte Brown.
»Nun freilich, klug ist es gar nicht von ihm, sich in dergleichen zu mischen; ich tadle ihn gar nicht, daß er das Leben der Zöllner schützte, das war ganz recht; aber es paßte sich nicht für einen Gentleman, um der armen Leute Theebüchsen und Branntweinfässer zu fechten. Nun, er ist einmal ein großer Mann und ein Offizier, und die thun mit uns, was ihnen gut dünkt.«
»Und seine Tochter,« sagte Brown mit klopfendem Herzen, »ist im Begriff in ein großes Haus zu heirathen, wie ich hörte?«
»Wie, in das Haus Hazlewood?« sagte der Steuermann. »Nein, nein, das ist nur leeres Geschwätz. Jeden Sonntag, regelmäßig Jahr aus, Jahr ein, ritt der junge Mann mit der Tochter des verstorbenen Ellangowan nach Hause. Und meine Tochter Peggy, die in Woodbourne dient, sagt, sie wisse es ganz gewiß, daß der junge Hazlewood nicht an Miß Mannering denkt, ebenso wenig als Ihr selber.«
Bitter seine eigene voreilige Annahme des Gegentheils tadelnd, hörte Brown dennoch mit Vergnügen, daß das Mißtrauen hinsichtlich der Treue Juliens, welches er so schnell gefaßt hatte, wahrscheinlich völlig grundlos war. Und welche Meinung mußte sie in der Zwischenzeit von ihm hegen! oder was sollte sie von einem Benehmen denken, welches ihn ganz unbekümmert um ihre Gemüthsruhe und um ihr beiderseitiges Verhältniß erscheinen ließ? des alten Mannes Verbindung mit der Familie zu Woodbourne schien einen sichern Weg der Communication darzubieten, und diesen beschloß er zu benutzen.
»Eure Tochter ist Dienstmädchen in Woodbourne? – Ich kannte Miß Mannering in Indien, und obwohl ich jetzt nur einen tiefern Rang im Leben behaupte, so habe ich doch viele Gründe, zu hoffen, sie würde sich mit Wohlwollen meiner erinnern. Ich hatte einen unglücklichen Zwist mit ihrem Vater, der mein Commandant war, und ich bin überzeugt, die junge Lady würde sich gern Mühe geben, ihn mit mir zu versöhnen. Vielleicht könnte Eure Tochter einen darauf bezüglichen Brief der Lady übergeben, ohne jedoch zwischen ihrem Vater und ihr eine Mißhelligkeit zu verursachen.«
Der alte Mann, der jede Art von Schmuggelei liebte, bürgte bereitwillig dafür, daß der Brief treulich und geheim bestellt werden solle; als sie daher zu Allonby ankamen, schrieb Brown an Miß Mannering, gab die tiefste Reue über das zu erkennen, was seine Raschheit verursacht, und beschwur sie, ihm eine Gelegenheit zu geben, wo er sich vertheidigen und Verzeihung für seine Unhöflichkeit erbitten könnte. Er hielt es nicht für rathsam, die Umstände einzeln anzuführen, die ihn irre geleitet hatten, und im Ganzen bemühte er sich, so allgemeine Ausdrücke zu wählen, daß, wenn der Brief in unrechte Hände käme, es dennoch schwierig sein sollte, den wahren Inhalt zu verstehen oder dem Schreiber auf die Spur zu kommen. Der alte Mann übernahm es, diesen Brief treulich seiner Tochter in Woodbourne zu übergeben, und da seine Geschäfte ihn selbst oder sein Boot bald wieder nach Allonby bringen mußten, so versprach er ferner, eine Antwort, die ihm die junge Dame anvertrauen würde, gehörig zu bestellen.
Nachdem nun unser verfolgter Reisender in Allonby gelandet war, suchte er sich so einzurichten, wie es einerseits seine derzeitige Armuth, und andrerseits auch sein Wunsch, so unbemerkt als möglich zu bleiben, erforderte. Er legte sich daher den Namen und das Gewerbe seines Freundes Dudley bei, indem er den Pinsel hinlänglich in der Gewalt hatte, um seinem Wirth in Allonby den angenommenen Charakter glaubwürdig erscheinen zu lassen. Er gab vor, sein Gepäck von Wigton zu erwarten; und indem er sich möglichst eingezogen in seiner Wohnung hielt, erwartete er die Beantwortung der Briefe, die er an Delaserre, an seinen Geschäftsführer und an seinen Oberstleutnant gesandt hatte. Vom Geschäftsführer verlangte er eine Geldsendung; Delaserre beschwur er, sich womöglich in Schottland zu ihm zu gesellen; und vom Oberstleutnant verlangte er ein solches Zeugniß über seinen Rang und sein Betragen im Regimente, daß er damit seinen Charakter als Gentleman und Offizier unwiderleglich darthun könne. Seine mißlichen pecuniären Verhältnisse bedrängten ihn so sehr, daß er deßwegen an Dinmont schrieb und ein kleines Darlehen verlangte, indem er nicht zweifelte, daß er, bei der geringen Entfernung von etwa dreißig Stunden, bald eine günstige Antwort auf sein Gesuch erhalten werde, welches er nur deßwegen wage, weil er, kurz nach ihrer Trennung, beraubt worden sei. Darauf erwartete er mit großer Ungeduld, wiewohl ohne bedeutende Besorgniß, die Antworten auf diese verschiedenen Briefe.
Es muß, zur Entschuldigung seiner Correspondenten, bemerkt werden, daß die Post damals weit saumseliger war, als seit Mr. Palmers sinnreicher Erfindung; und was insbesondere den wackeren Dinmont betrifft, so erhielt dieser während eines Vierteljahrs selten mehr als einen Brief, (außer während der Zeit, wo er in einen Proceß verwickelt war, wo er regelmäßig nach der Stadt zum Postamt schickte) und seine Correspondenz blieb gewöhnlich einige Monate an des Postmeisters Fenster stecken, zwischen Flugschriften, Pfefferkuchen, Balladen und dergleichen Dingen, womit der besagte Postmeister Handel trieb. Ueberdies existirte dort eine, noch nicht völlig abgekommene, Gewohnheit, einen Brief von einer Stadt zur andern, vielleicht bis zur Entfernung von fünfzehn Stunden, einen Umkreis von hundert Stunden machen zu lassen, ehe er am Orte seiner Bestimmung anlangte; daraus entsprang der mehrfache Vortheil, daß der Brief durchaus wohl ausgelüftet wurde, der Einnahme des Postamts noch einige Pence zufielen und daß die Geduld der Correspondenten geübt wurde. Brown blieb, Dank jenen Umständen, so manchen Tag in Allonby ohne irgend eine Antwort, und sein Geldvorrath, obwohl mit äußerster Sparsamkeit verwaltet, begann sehr schwach zu werden, als er durch die Hände eines jungen Fischers folgenden Brief empfing: –
»Du hast mit der grausamsten Unvorsichtigkeit gehandelt; du hast bewiesen, wie wenig ich deinen Versicherungen trauen kann, daß mein Friede und mein Glück dir theuer wären; und deine Voreiligkeit hat beinahe den Tod eines jungen höchst ehrenwerthen Mannes veranlaßt. Muß ich noch mehr sagen? – muß ich hinzufügen, daß ich selbst in Folge deiner Heftigkeit und deren Wirkungen krank geworden bin? Und, ach! hab' ich erst noch nöthig zu sagen, daß ich ängstlich besorgt an die Folgen dachte, die jener Vorfall leicht für dich haben konnte, obwohl du mir wenig Ursache zu solcher Theilnahme gegeben hast? Der O. ist auf mehrere Tage verreist; Mr. H. ist fast ganz hergestellt; und ich habe Grund, zu glauben, daß der Tadel auf Jemand anders gefallen ist, als Jenen, der ihn verdient. Denke aber nicht daran, hieher zu kommen. Unser Geschick hat Ereignisse von einem Charakter zwischen uns geworfen, welcher zu heftig und schrecklich ist, als daß ich an die Erneuerung eines Einverständnisses denken könnte, welches uns so oft mit einer furchtbaren Katastrophe bedrohte. Lebewohl, und glaube, daß Niemand dein Glück aufrichtiger wünschen kann, als
»J. M.«
Dieser Brief enthielt jene Gattung von Rathschlägen, die oft nur in der Absicht ertheilt wird, um zu dem ganz entgegengesetzten Schritte, statt des anempfohlenen, zu veranlassen. Zum wenigsten glaubte dies Brown, der alsbald den jungen Fischer fragte, ob er von Portanferry käme.
»Ja,« sagte der Bursche; »ich bin der Sohn des alten Willie Johnstone, und den Brief hat mir meine Schwester gegeben, die in Woodbourne dient.«
»Mein guter Freund, wann fahrt Ihr wieder ab?«
»Heut Abend zur Fluthzeit.«
»Ich will mit Euch zurückkehren; da ich aber nicht nach Portanferry zu kommen wünsche, so wär' es mir lieb, wenn Ihr mich sonst irgendwo an der Küste aussetzen könntet.«
»Das läßt sich leicht thun,« antwortete der Fischer.
Obwohl der Preis für alle Lebensbedürfnisse damals sehr mäßig war, so machte dennoch die Zahlung für seine Wohnung, die Kosten für seinen sonstigen Unterhalt und für einen neuen Anzug, welcher der Sicherheit so wie des Anstandes wegen, nothwendig war, die Ebbe in Browns Börse fast vollständig. Er ließ beim Postamt Anweisung zurück, daß seine Briefe nach Kippletringan befördert werden möchten, wohin er gehen wollte, um den Schatz in Anspruch zu nehmen, den er den Händen der Mrs. Mac-Candlish anvertraut hatte. Er fühlte auch, es werde seine Pflicht sein, gleich nach Empfang der nöthigen Zeugnisse seinen wahren Stand zu entdecken, und, als Offizier in des Königs Dienst, jede Erklärung zu geben und zu empfangen, welche zwischen ihm und Hazlewood nöthig sein sollte. Wenn er nicht ein sehr querköpfiger Mensch ist, dachte er, so muß er zugeben, daß meine Handlungsweise nur die nothwendige Folge seines hochfahrenden Benehmens gewesen ist.
Er schiffte sich nun noch einmal ein auf den nämlichen Meerbusen, Solway Frith genannt. Der Wind war entgegen, begleitet von Regenschauern, und sie mußten, ohne von der Fluth sehr unterstützt zu werden, dagegen kämpfen. Das Boot war schwer mit Gütern beladen (zum Theil wahrscheinlich Schmuggelgüter) und ging ziemlich tief. Brown, der als Seemann erzogen war, lieh seinen kräftigen und wirksamen Beistand beim Rudern und Steuern, und ertheilte seinen Rath hinsichtlich der Lenkung des Fahrzeugs, welche um so schwieriger wurde, da sich der Wind mehr und mehr erhob, und da die wilden Wogen dieser Küste, gegen die man kämpfen mußte, die Reise gefährlich machten. Endlich, nachdem man die ganze Nacht auf der See zugebracht hatte, erblickte man am Morgen eine schöne Bucht an der schottischen Küste. Das Wetter war jetzt freundlicher. Der Schnee, der schon seit einiger Zeit schmolz, war von dem Thauwinde der letzten Nacht völlig verschwunden. Die fernern Hügel hatten allerdings ihren Schneemantel noch, aber die offene Gegend war gänzlich davon gesäubert, außer da, wo einzelne weiße Stellen andeuteten, daß er ungewöhnlich tief gelegen hatte. Selbst in ihrer winterlichen Einkleidung bot diese Küste einen höchst interessanten Anblick. Das Gestade, mit seinen Einschnitten, Einzahnungen und Buchten, entschwand zu beiden Seiten dem Blicke in manchfaltigen, anmuthigen Wellenlinien, welchen das Auge so gerne folgt. Und eben so manchfaltig stellte sich das Gestade in seinen Erhöhungen dar und in den vielfachen Gestaltungen der Küste; an einigen Stellen war die Bucht durch steile Klippen begränzt, an andern stieg das sandige Gestade sanft zu schwellenden Hügeln empor. Gebäude verschiedener Art waren von den winterlichen Sonnenstrahlen eines Decembermorgens beglänzt, und die Wälder, obwohl jetzt laublos, hoben die Landschaft und gaben ihr Manchfaltigkeit. Brown empfand jenes lebhafte und anregende Interesse, welches Geschmack und Gemüth an den Schönheiten der Natur gewinnen, wenn sich die letztern plötzlich nach dem Dunkel und dem Grauen einer nächtlichen Reise dem Auge eröffnen. Vielleicht – denn wer ist im Stande, das räthselhafte Gefühl zu erklären, welches den in Berggegenden Gebornen an die heimathlichen Hügel fesselt? – vielleicht mischten sich schlummernde Erinnerungen, deren Nachwirkung noch blieb, nachdem die erste Ursache längst vergessen, in die wonnigen Empfindungen, womit er jene Landschaft betrachtete.
»Und wie,« sagte Brown zu dem Bootführer, »wie ist der Name des schönen Vorgebirgs, welches sich mit seinen steilen Wänden und waldigen Klippen dort in die See erstreckt und die rechte Seite der Bucht bildet?«
»Warrochspitze,« sagte der Fischer.
»Und das alte Schloß, mein Freund, mit dem modernen Hause, welches daneben steht? Es scheint aus der Ferne ein sehr großes Gebäude zu sein.«
»Das ist das alte Herrenhaus, Sir; und jenes ist das neue, welches in der Tiefe liegt. Dort wollen wir Euch an's Land setzen, wenn es Euch recht ist.«
»Gewiß ist es mir recht. Ich muß jene Ruine besuchen, eh' ich meine Reise fortsetze.«
»Ja, 's ist ein närrisches altes Nest,« sagte der Fischer: »und jener höchste Thurm ist ein Landzeichen auf der See schon bei Ramsay auf Man und beim Vorgebirg von Ayr. Vor langer Zeit gab es da ein großes Gefecht.«
Brown hätte sich gern noch über manche Einzelheiten unterrichten lassen, aber ein Fischer ist selten ein Antiquar. Des Bootsführers Ortskenntniß beschränkte sich auf die bereits ertheilte Nachricht: »daß es ein großes Landzeichen sei, und daß da vor langer Zeit ein großes Gefecht gewesen wäre.«
»Ich werde mehr davon hören,« sagte Brown zu sich selbst, »wenn ich an's Land gehe.« – Das Boot setzte seinen Lauf unter der Felsenklippe fort, auf welcher das Schloß stand; letzteres blickte finster von seinem erhabenen felsigen Standpunkte auf die noch immer unruhigen Wogen der Bucht unten. »Ich glaube,« sagte der Steuermann, »Ihr werdet hier ganz bequem landen können. Es ist ein Ort, wo sie vor langer Zeit ihre Fahrzeuge anzulegen pflegten; aber das geschieht jetzt nicht mehr, denn auf den schmalen Stufen oder über die Klippen lassen sich die Güter nicht gut transportiren. Aber in mancher Mondnacht hab' ich dennoch auch Güter dort gelandet.«
Während er so sprach, steuerte das Boot um eine Felsspitze und lenkte nach einem kleinen Hafen, zum Theil von der Natur gebildet, zum Theil durch die unermüdliche Anstrengung der ehemaligen Schloßbewohner, die, wie der Fischer bemerkte, dies für sehr nöthig zum Schutz ihrer Boote gehalten hätten, obwohl der Ort keine bedeutenden Fahrzeuge aufnehmen konnte. Die beiden Felsenspitzen, welche den Eingang bilden, traten einander so nahe, daß nur ein Boot auf einmal einlaufen konnte. An jeder Seite befanden sich noch zwei ungeheure eiserne Ringe, welche fest in den soliden Felsen gekittet waren. Durch diese ward, der Sage nach, bei Nacht eine gewaltige Kette gezogen, durch ein ungeheures Schloß gesichert, um den Hafen und die darin liegenden Fahrzeuge zu schützen. Aus einem vorspringenden Felsen war, mit Hilfe des Meisels und der Spitzhacke, eine Art Quay gebildet worden. Der Fels war von außerordentlicher Härte und das Werk so schwierig, daß, nach der Versicherung des Fischers, ein dabei beschäftigter Arbeiter Abends in seiner Mütze all die Steinchen hätte nach Hause tragen können, die er im Laufe des Tages von der Masse losgearbeitet hatte. Dieser kleine Strandweg stand in Verbindung mit einer roh gearbeiteten Treppe, welche vom alten Schlosse herabführte. Zwischen dem Strandweg und der Bucht war auch ein Verbindungsweg vorhanden, welcher ziemlich unbequem über die Klippen ging.
»Hier werdet Ihr am besten landen können,« sagte der Bursche, »denn am Shellicoatstein geht die Brandung allzuhoch und Ihr würdet da keinen trocknen Weg finden – Nein, nein!« (fuhr er fort, indem er ein kleines Geldgeschenk ablehnte) »Ihr habt für Eure Ueberfahrt gearbeitet, und noch dazu besser gearbeitet, als Einer von uns. Guten Tag, ich wünsch' Euch glückliche Reise.«
So sagend, stieß er vom Lande, um seine Ladung an der gegenüberliegenden Seite der Bucht zu landen; und Brown, mit einem kleinen Bündel in der Hand, welches die wenigen nöthigen Effekten enthielt, die er in Allonby hatte kaufen müssen, blieb zurück auf dem Felsen unterhalb der Ruine.
Und so näherte er sich, unkundig und als ein Wildfremder; in Umständen, die, wenn auch nicht hilflos, doch für den Augenblick sehr bedrängt waren; ohne das Gesicht eines Freundes in einem Umkreise von mehr als fünfzig Meilen zu wissen, eines schweren Verbrechens beschuldigt und, was das allerschlimmste war, fast ganz ohne Geld, – so näherte er sich, ein fremder Wandrer, zum erstenmale nach vielen Jahren den Ueberresten des Schlosses, wo seine Ahnen einst fast unumschränkte Herrscher gewesen waren.