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Elftes Kapitel.

Ein Weib, das von dem Orang-Utang verfolgt wurde, stürzte ihm auf einem der Waldpfade entgegen, die in den hinteren Teil des Gartens führten. Sobald das Tier Hereward mit der Streitaxt in der Faust erblickte, machte es kehrt und verschwand im Dickicht... Hereward gewann also Zeit, das Weib zu betrachten. Ihr Gesicht war infolge des erlittenen Schreckens leichenblaß, verriet aber außerordentliche Schönheit; ihre Kleidung war bunt, mit Vorherrschen der gelben Farbe; der Leib war in eine eng anschließende Tunika gehüllt; darüber fiel ein mantelartiges Oberkleid aus feinstem Tuche, dessen Kapuze infolge des raschen Laufes vom Kopfe geglitten war, einen Teil des schönen, in einfache Flechten gelegten Haares bloßlegend.

Hereward war so verdutzt ob dieser seltsamen Erscheinung, daß er kein Wort über die Lippen zu bringen vermochte, zumal sie ihn wie ein längst entschwundenes Bild aus früher Jugendzeit anmutete. Die Tracht, in der er sie sah, war weder griechisch noch italienisch oder fränkisch. Es lebten in Konstantinopel wohl mehrere sächsische Frauen, die mit den Warägern der Heimat den Rücken gekehrt hatten, und die, weil ihnen Stand und Charakter ihrer Männer eine gewisse Achtung sicherten, darauf hielten, sich in ihrer heimischen Tracht zu zeigen; aber diese Frauen waren Hereward sämtlich von Angesicht zu Angesicht bekannt. Indessen war zu Sinnen und Träumen jetzt keine Zeit; denn die Situation des Weibes war kaum minder gefahrvoll wie seine eigene. Auf alle Fälle war es geraten, das Weib an einen Platz, fern von dem begangeneren Teile des Gartens, zu bringen: es fiel ihm eine künstliche Höhle ein, die ihm gelegentlich eines früheren Besuches hier bekannt geworden war. Dorthin trug er die schöne Bürde und legte sie am Fuße einer Quelle nieder, die in der Höhle entsprang. Fast unwillkürlich bemühte er sich, das Mädchen zum Bewußtsein zurückzubringen, das ihm auf dem Wege hierher abhanden gekommen war. Es gelang schneller, als der Waräger erwartet hatte, und mit einem wirren Blicke sich umsehend, flüsterte das Mädchen: »O heilige Jungfrau! habe ich den Kelch noch immer nicht bis auf die Neige geleert? Sprich, Mann! bist Du ein Gebilde der Phantasie, oder bist Du wirklich Hereward? Ist das schreckliche Ungetüm noch immer da, oder hab' ich bloß von ihm geträumt?«

»Bertha,« antwortete Hereward, der durch den Klang dieser Stimme wieder zu sich selbst gebracht wurde, »liebe Bertha! Du lebst, um zu hören, daß es wirklich Hereward ist, den Du vor Dir siehst! Das häßliche Geschöpf hat Dich freilich verfolgt, aber es ist nicht bösartig und läßt sich mit einer Reitgerte in Räson halten. Bertha! Bertha! kennst Du mich jetzt erst?« – »Ich war zuerst im Zweifel, Hereward,« erwiderte sie, »bis mir diese Narbe vom Zahne des Ebers Gewißheit gab.« – »Sage mir, Bertha!« rief der Waräger, »daß Du auch wirklich jene Bertha bist, die Hereward Treue gelobte: und kannst Du es mit wahrem Gewissen, dann wäre es sündhaft, zu denken, die Heiligen hätten uns in diesem fernen Lande wieder zusammengeführt, um uns neuerdings zu trennen.« – »Hereward! Hereward! in der Heimat und Fremde, unter Qualen und Freuden, bei Mangel und Ueberfluß, habe ich nimmer des Gelübdes vergessen, das ich Dir am Steine Odins geleistet.« – »Höre mich, Bertha,« versetzte, ihre Hand erfassend, Hereward, »wir waren fast noch Kinder, als wir dort saßen, und es war sündig, solches Gelübde zu leisten vor einem toten Bilde, das einen blutigen Zauberer aus dem grauen Altertume darstellte. Aber wir wollen die Sünde gut machen, indem wir unser Gelübde vor dem ersten christlichen Altare erneuern, dem wir begegnen.«

Werfen wir, während das Paar sich in die Zeit der Jugend zurückträumt, einen Blick in ihre Heimat. Zu der Zeit, als die angelsächsischen Edlen unter dem Joche der normannischen Eroberer als Geächtete in den Gefilden von Devonshire oder in den Wäldern von Hampshire hausten, gehörten Waltheoff, Herewards, und Engelied, Berthas Vater, zu den gefürchtetsten ihrer Sippe, als die kühnsten jener letzten Mannen, die unter dem Fürsten Ederich die Unabhängigkeit des sächsischen Volkes aufrechtzuerhalten versuchten. In ihrer Einteilung in Sippen oder Stämme den alten Germanen ähnlich, hingen sie auch an dem alten Un- oder Aberglauben derselben fest, obwohl sie ihn längst abgeschworen hatten. Nach dem zu Zeiten Odins eingeführten Brauche hatten Hereward und Bertha sich verlobt: indem sie sich über den Stein hinweg, den sie Odin geweiht hielten, die Hand zum ewigen Bunde reichten. Jahrelang hatten sie – denn es war bei dem angelsächsischen Volke Sitte, sich schon am Ausgange des Kindesalters zu versprechen, – in ungetrübtem Glück ihre Jugend genossen: da sollte aber eine Zeit kommen, wo sie auch das Unglück kennen lernten. Hereward zählte die Wochen, die ihn nur noch von seiner Braut getrennt halten sollten, da schmiedete Wilhelm der Rote den teuflischen Plan, die unruhigen angelsächsischen Edlen, die durch ihren Haß gegen alles Fremde die Ruhe im Reiche so oft störten und die sich an kein Waldgesetz zu kehren willens waren, gänzlich auszurotten. Er rief seine Normannen zusammen und bot all diejenigen Sachsen zur Heerfolge auf, die sich seinem Zepter unterworfen hatten. So zog er mit gewaltiger Uebermacht gegen die zusammengeschmolzenen Scharen König Ederichs. Waltheoff und Engelred, die als die vorgeschobensten der alten Sachsenstamme den ersten Ansturm auszuhalten hatten, erachteten es für das zweckmäßigste, die Weiber und Kinder und Greise in dem Kloster des heiligen Augustin unterzubringen, dessen Prior Kenelm blutsverwandt mit ihnen war. Die beiden Häuptlinge fielen in dem erbitterten Kampfe, und wenig fehlte, so hätte auch Hereward mit seinem einzigen Bruder ihr Schicksal geteilt; aber ihre Leiber wurden von einigen treuen Knappen, die sich nach der Schlacht auf das schon von den Raben in Beschlag genommene Schlachtfeld wagten, aufgehoben, weil noch nicht alles Leben aus ihnen gewichen war, und getreulich gepflegt. Als Hereward wieder so weit genesen war, daß er sein Lager verlassen konnte, war es sein Erstes, sich nach dem Schicksal der Seinigen zu erkundigen: es waren schreckliche Nachrichten, die seiner warteten: der Vater erschlagen, die Mutter und die Braut in Gefangenschaft geschleppt, der Vater der Braut gleichfalls erschlagen, die Mutter derselben gleichfalls in Gefangenschaft; die alten Knappen, die ihn gerettet, schwebten in ständiger Gefahr, entdeckt und mit schwerer Strafe heimgesucht zu werden, weil es von dem normannischen Könige streng verboten worden war, sich eines der aufrührerischen Sachsenfürsten oder ihrer Nachkommen anzunehmen.

Da war ein alter Pilger im Sachsenlande aufgetaucht, der Herewards Vater gut gekannt zu haben vorgab; aber er war weder ein Angelsachse von Geburt, noch hatte er je dort jemand gekannt, sondern er war ein Waräger, ein Werber des Kaisers von Ostrom, der mit Geld reichlich versehen war und über ein großes Maß von Gewandtheit und Klugheit gebot. Er überredete Hereward, in die Schar der Waräger zu treten und die Heimat gegen Konstantinopel zu vertauschen. Mit Hereward verpflichtete sich auch sein Bruder zu dem neuen Dienst, und außer den Brüdern noch eine ganze Reihe von Angelsachsen, denen der Aufenthalt in dem von Fremden geknechteten Vaterlande zum Ueberdruß geworden war.

Die Geschichte seiner Braut Bertha läßt sich kürzer fassen. Als das Kloster zum heiligen Augustin von den Normannen geplündert wurde, hatte sich ein alter Normanne Bertha als Beute erkoren, um sie der von ihm über alles geliebten Tochter als Dienerin beizugesellen. Des Ritters Gemahlin war um vieles jünger als er, und so erklärt es sich, daß sie das Zepter auf dem Hofe desselben führte. Daraus aber, daß ihnen eine Tochter geboren wurde, die der Liebling der Eltern wurde, erklärt sich weiter, daß auf der alten Burg Aspramonte zuletzt der Ritter gar nichts mehr bedeutete, sondern Mutter und Tochter sich in die Herrschaft dort teilten.

Brenhilde – so hieß die Tochter – war von Jugend auf allen Ritterkünsten hold, und der Ritter konnte sich noch so viel Mühe geben, ihren Charakter zu mildern, es half ihm nichts: er mußte immer mehr erkennen, daß an seiner Tochter so recht im Sinne des Wortes ein Junge verdorben war... Um nun Bertha, die aus dem angelsächsischen Lande nach dem Schlosse gebrachte Sklavin, zu einer würdigen Dienerin seiner Tochter zu machen, ließ sie der alte Ritter in allerhand nützlichen Dingen unterrichten, und so eignete sich Bertha bald in der Musik wie in den damals bekannten Handarbeiten gute Kenntnisse an. Aber Brenhildes Hang zu ritterlichen Uebungen wurde dadurch nicht gemildert: sie blieb dieselbe, die sie von Jugend auf war. Als der Ritter von Aspramonte später das Zeitliche gesegnet hatte, war, wie wir schon erzählten, der Graf von Paris auf die Burg gekommen und hatte, nachdem verschiedene vor ihm mit lahmen Gliedern abgezogen waren, Brenhilde als Gattin heimgeführt, nachdem er sie im Turniere bezwungen hatte; Bertha hatte auf seinen Wunsch darein gewilligt, fortan den Namen Agathe im Dienste seiner Gemahlin zu führen; und dem ritterlichen Sinne des jungen Paares hatte es durchaus entsprochen, sich dem Heere der Kreuzfahrer anzuschließen, und so war es gekommen, daß sich dieselben in Konstantinopel befanden... und daß im Anschlusse hieran, nach so viel wunderbaren Schicksalen, sich Hereward und Bertha dort wieder zusammenfanden...

»O, Bertha! wie glücklich preise ich mich, Dich wiedergefunden zu haben! und ach! wie fluche ich dem Schicksale, das uns die Notwendigkeit einer Trennung so schnell wieder auferlegt!« – »O, Hereward! sprich nicht so! Was sollte für Ursache dazu vorliegen?« – »Es geht nicht anders, Bertha!« erwiderte Hereward, indem er liebkosend über ihre Hand strich, »wir müssen uns abermals trennen; doch nur auf kurze, kurze Zeit!« – »Ach, Hereward! so willst Du mir also nicht helfen, meine arme, unglückliche Herrin zu befreien?« – »Deine Herrin?« wiederholte Hereward, »wie kannst Du einem Wesen, gleich Dir, solch häßliche Bezeichnung geben?« – »Aber, Hereward, sie ist doch meine Herrin!« erwiderte das Mädchen; »sie ist's durch viele Bande, die nimmer gelöst werden können, solange noch Dankbarkeit im menschlichen Herzen wohnt.« – »Und in welcher Gefahr befindet sie sich?« fragte Hereward. – »Ihre Ehre und ihr Leben sind zugleich gefährdet,« sagte Bertha, »sie will sich dem Cäsar im Zweikampfe stellen: einem so bösen Menschen, der doch Mittel über Mittel aufbieten wird, meine arme Herrin zu Falle zu bringen.« – »Aber glaube doch das nicht!« erwiderte Hereward, »Deine Dame hat der Zweikämpfe so viel bestanden, daß sie wohl den Cäsar, nicht aber der Cäsar sie zu Falle bringen wird!« »Ach! ach!« klagte Bertha; »ich kannte einst den Sohn des Waltheoff als tapfer, hilfreich, kühn und edelmütig, und jetzt finde ich ihn wieder als einen bedächtigen, kalten, selbstischen Soldaten.«

»O, nicht so hastig, Mädchen!« rief der Waräger, »warte mit Deinem Urteile, bis Du den Mann wieder kennen wirst! Die Gräfin von Paris laß ruhig in die Schranken reiten; erschallt die Trompete zum dritten Male, soll eine andere ihr antworten, die ihres Gemahls, der an ihrer Statt den Kampf ausfechten wird; und sollte er daran verhindert sein, dann ... nun, dann werde ich die Liebe ihr vergelten, die sie Dir erwiesen, und den Kampf ausfechten.«

»O, dann bist Du wieder der echte Sohn Waltheoffs!« rief das Mädchen begeistert, »o, laß mich fort, daß ich die Herrin tröste! Hat Gott den Ausgang eines Kampfes jemals gelenkt, dann wird er es hier tun! Aber Du ließest aus Deinen Reden erkennen, daß der Graf noch hier weilt? Sag' mir, wo! Sein Ehgemahl wird mich mit Fragen bestürmen!« – »So sage ihr, daß er sich bei Freunden befindet, und daß sie sich hieran genügen lassen müsse! Nun aber, Du Langentbehrte, Langersehnte! leb wohl!« Aber er konnte nicht weiter sprechen, denn Bertha lag in seinen Armen und erstickte seine Worte mit Küssen. Und nun schieden sie: Bertha, um zu der Herrin zurückzukehren, die sie in Angst und Sorgen wußte; Hereward, um durch das Gartentor den Weg zur Warägerkaserne zurückzunehmen. An dem Glückwunsch, den ihm die Negerin an der Pforte ausbrachte, ward er gewahr, daß sie seine Zusammenkunft mit Bertha belauscht hatte; aber er drückte ihr ein Goldstück in die Hand: das wirksamste Mittel, ein menschliches Wesen, vornehmlich eins vom weiblichen Geschlecht, zum Schweigen zu bringen.

Hier wurde er von dem Grafen, den es nach den vielen Strapazen arg nach Speise und Trank gelüstete, ziemlich ungnädig begrüßt; aber der Waräger kehrte sich nicht an diese üble Laune, sondern sorgte für die nötigen Herzstärkungen; und als sie beide ihren Appetit gestillt hatten, der Waräger freilich mit weit größeren Portionen – zum Abscheu des Grafen – als dieser sie je zu sich genommen hatte, brachte der Graf die Rede auf die unglückliche Brenhilde.

»Nachrichten bringe ich,« erwiderte der Waräger, »muß es aber Euch überlassen, zu prüfen, ob sie guter oder schlimmer Art sind.« – »Laß mich alles wissen!« – »Nun, die Gräfin hat sich bereit erklärt, unter den schärfsten Bedingungen den Zweikampf mit dem Cäsar zu bestehen; unterliegt sie, so gehört sie ihm mit Leib und Seele!« – Das wolle der Himmel verhüten!« rief der Graf; »wollte Gott solchem Verrate zum Triumphe verhelfen, müßte man ja zweifeln, daß es einen Gott gäbe!« – »Es wird sich indessen als nötig erweisen,« fuhr der Waräger fort, »daß wir beide am Turniertage uns gewappnet halten, und daß, wenn die Trompeten zum Beginne schmettern, wir beide mit in die Schranken reiten. Sieg oder Niederlage hängen vom Schicksale ab; aber schändliche Hinterlist beim Kampfe zu vereiteln, daran soll uns niemand hindern!«

»Unter dieser Bedingung will ich mich nicht weigern, mit in die Schranken zu reiten; aber,« rief der Graf mit edlem Stolze, »nicht die schwerste Gefahr meiner Dame, solange sie in Ehren über sie kommt, soll mich bestimmen, dem Kampfe Einhalt zu tun! Nun noch eins, Waräger! Du darfst sie nicht wissen lassen, daß ihr Ehgemahl zugegen ist! Ich werde Dir nicht erst zu sagen brauchen, daß es gar oft die Nähe eines geliebten Wesens ist, was uns den Blick und den Arm lähmt!«

»Wir werden sehen,« versetzte der Waräger, »wie sich alles machen läßt;' wenn's angeht, will ich alles nach Eurem Wunsche halten; aber das muß ich sagen, eine Affäre, verwickelt und verheddert wie die Eure, ist mir mein Lebtag noch nicht passiert!«


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