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Zweites Kapitel.

Brenhilda, die Gemahlin Roberts von Paris, war eine jener urkräftigen und willensstarken Frauen, die ihre Männer, was zu den Zeiten der Kreuzzüge keine Seltenheit war, nicht bloß auf ihren Heereszügen begleiteten, sondern auch in den Schlachten mitkämpften. Sie hatte von Kind auf von weiblichen Beschäftigungen nichts wissen mögen, und jeder Ritter, der sich um ihre Hand bewarb, wurde mit dem Bescheide abgewiesen, daß sie nur demjenigen ihre Hand reichen werde, der sie im Turniere zu bezwingen vermöchte. Ihr Vater lebte schon lange nicht mehr, und ihre Mutter stand vollständig unter ihrer Herrschaft. Auf ihrer Burg Aspramonte waren schon zahlreiche Ritter erschienen, die den Kampf im Turniere um ihren Besitz gewagt hatten; aber keinem war es gelungen, die von der hohen Dame gestellte Bedingung zu erfüllen; einer nach dem andern war von ihr in den Sand gestreckt worden, denn keiner hatte sich ihr gegenüber getraut, seine volle Stärke einzusetzen, sondern vielmehr in der Meinung, daß es sich mit seiner Ritterehre nicht vertrage, eine Dame aus dem Sattel zu werfen, es vorgezogen, statt den entscheidenden Lanzenstoß zu führen, seitwärts auszubiegen und ihr die Ehre des Sieges zu lassen.

Anders aber wurde es, als Graf Robert von Paris auf der Burg Aspramonte erschien. Sobald er von den Dingen, die sich hier ereignet hatten, unterrichtet worden, kündigte er sich als Ritter an, der den Kampf wagen wolle, aber nur unter der Bedingung, daß es ihm vergönnt sein müsse, im Falle er Sieger bleibe, auf den Kampfpreis zu verzichten. Dadurch fühlte Schön-Brenhilde sich aufs höchste gekränkt, nahm aber die Herausforderung des Grafen an und ritt in die Schranken mit dem festen Vorsatze, sich für diese offenbare Geringschätzung an dem Grafen von Paris zu rächen. Ob sich nun aber durch dessen kränkenden Vorbehalt ihr Nervenapparat nicht in der alten Ruhe mehr befand oder ob es ihr doch eben nicht anders erging, als es den meisten Angehörigen ihres Geschlechtes zu ergehen pflegt: daß nämlich ihr Herz sich gerade demjenigen zuwandte, der sich am wenigsten darum riß oder zu reißen schien, kurz und gut, Graf Robert unterlag ihr nicht, er warf im Gegenteil sie; als er nun aber, nachdem er die Eitelkeit und den Uebermut Brenhildens bestraft hatte, die Burg Aspramonte verlassen wollte, legte sich Brenhildens Mutter ins Mittel und wußte dadurch, daß sie dem Grafen für die Lektion von Herzen dankte, die er ihrer Tochter erteilt hatte, ihn zum längeren Bleiben zu bestimmen. Sonderlich schwer fiel es der alten Dame nicht, denn sie kam einem Herzenswunsche entgegen, dem er nur aus Herrentrotz keine Rechnung tragen mochte. Er gehörte nicht bloß zu den berühmtesten Rittern von Nordfrankreich, sondern führte auch seine Abstammung unmittelbar auf König Karl den Großen zurück. So verweilte der Graf etwa vierzehn Tage auf der Burg Aspramonte, und in der Woche darauf befand er sich mit Dame Brenhilde als ihr Verlobter Bräutigam in Begleitung eines zahlreichen Gefolges auf der Reise nach der Kapelle zu Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen, um sich daselbst kirchlich einsegnen und trauen zu lassen.

Dort lagerten, gemäß dem in dieser Kapelle traditionellen Marienkult, ein paar Ritter, der Gegner harrend, mit denen sie, zu Ehren Unserer lieben Frau, in die Schranken treten wollten, und fühlten sich, als sie das nahende Brautpaar erblickten, lebhaft enttäuscht, weil sie nun fürchteten, noch länger warten zu müssen. Ihr Verdruß wandelte sich aber in große Freude, als ihnen von dem ritterlichen Brautpaare das Erbieten, mit ihnen in die Schranken zu reiten, gestellt wurde. Graf Robert sowohl als Dame Brenhilde betrachteten es als eine günstige Fügung des Schicksals, ihren Ehestand auf eine solche Weise zu eröffnen, denn sie entsprach ja doch völlig ihren Anschauungen und Grundsätzen. Der eine der beiden Ritter, die mit ihnen in die Schranken einritten, wurde mit zerschlagenem Arm, der andere mit verrenktem Schlüsselbein aus der Arena getragen; denn wie immer trug Graf Robert den Sieg davon, desgleichen Dame Brenhilde, die auch keinem andern Gegner als ihrem Gemahl im Turnier unterlegen war.

Die Vermählung änderte in der Lebensweise des Grafen Robert nicht das geringste. Seine Gemahlin war von der gleichen Ruhmbegierde erfüllt wie er, und so entschlossen sie sich, zusammen das Kreuz zu nehmen. Brenhilde stand damals in ihrem sechsundzwanzigsten Lebensjahre und war die schönste Amazone, die man sich vorstellen konnte: ihre Gestalt wies das vollkommenste Ebenmaß auf, ihr edel geformtes Gesicht war zwar durch ihren langen Aufenthalt unter freiem Himmel infolge der vielen Kriegs- und Turnierzüge, die sie mit ihrem Gemahl machte, leicht gebräunt, hatte aber dadurch wohl mehr gewonnen, als verloren.

Sobald Kaiser Alexius Befehl zur Rückkehr nach der Hauptstadt gegeben hatte, berief er seinen Akoluthen Achilles Tatius an seine Seite. Nach einer kurzen, in leisem Tone geführten Unterhaltung verließ derselbe das Gefolge des Kaisers und ließ auf der Heerstraße halten.

Graf Robert hatte sich mit seinen Rossen und seinem Gefolge, ausgenommen einen alten Knecht und eine Dienerin, zu Schiff begeben, weil ihm das Gewühl auf der Straße unausstehlich ward, und ließ sich zu einer Landungsstelle hinfahren, von wo aus er eine Straße gewinnen konnte, die zwar einen großen Umweg machte, dafür aber weit leichter zu passieren war, weil sie so gut wie menschenleer war.

Als sie einige Zeit auf ihr entlang geritten waren, stießen sie auf einen hochbejahrten Greis, der nicht bloß groß von Gestalt, sondern auch wohlbeleibt war und in seiner Hand eine Papyrusrolle trug. Er schien in tiefes Sinnen versunken und sah aus, wie jemand, der es unternommen hat, geistige Spreu aus geistigem Weizen zu sichten.

Es war kein anderer als Agelastes, der das reitende Paar, sobald er seiner ansichtig wurde, freundlich fragte, ob es etwa den Weg verfehlt habe, ob er ihm als Führer dienen oder ihm sonst welche Gefälligkeit erweisen könne, – »Weiser Vater,« erwiderte Graf Robert, »wir kommen aus fremden Landen und gehören dem Kreuzfahrerheere an, das auf dem Zuge nach den heiligen Landen ist, um es aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Graf Robert von Paris und seine Gemahlin Brenhilde sind indessen nicht gewohnt, durch ein Land zu ziehen, ohne dafür zu sorgen, daß es von ihrem Ruhme widerhallt; ihr Sehnen geht danach, ein rühmliches Leben zu führen, und müßten sie es auch um den Preis ihres irdischen Daseins erkaufen!«

»O, da seid Ihr vielleicht gar auf der Suche nach einem Manne, wie ich es bin? Trage ich doch eine Aegis bei mir zum Schutze gegen das, was ich ohne sie fürchten müßte: aber Greisenalter mit all seinen Schwächen verdient eben auch Berücksichtigung und Entschuldigung. Ihr werdet mich glücklich machen, wolltet Ihr mich in die Lage setzen, Euch zu dienen in der Weise, wie ich es jedem wackeren Ritter gegenüber für meine Pflicht erachte.«

»Ich dürste, wie schon gesagt, weiser Alter, nach Ruhm und, um ihn zu gewinnen, nach dem einzigen Mittel, das dazu hilft, nach Abenteuern. Hätte mein großer Ahne Karl die kargen Saale-Ufer nie verlassen, so wäre er jetzt ohne Frage ganz ebenso unbekannt, wie der erste beste Winzer, der in seinem Lande die Erde geschaufelt hat. Aber er vollführte Großes in der Welt, so daß sein Name nie sterben wird.« – »Junger Mann,« antwortete Agelastes, »ich meine wohl, der Mann zu sein, der Euch in dieser Hinsicht wird dienen können; ich habe mich so angelegentlich mit der Natur befaßt, daß sich eine andere Welt meinen Blicken erschlossen hat, eine Welt, die außerhalb der Natur liegt. Was ich von merkwürdigen Schätzen in meinem langen Leben gesammelt habe, eignet sich nicht für jedermann und soll auch keinem zugute kommen, der sich über den Alltagsschlendrian nicht erhoben hat. Mir hat das Leben soviel gebracht, wie sich kein Dichter Eures romantischen Lebens, und hätte er die ausgesuchteste Phantasie, auszuklügeln vermöchte.«

»Nun, so dürfte uns ja ein günstiges Geschick zusammengeführt haben,« erwiderte der französische Graf, »wenigstens will ich mit meiner Gemahlin gern so lange verziehen, bis Ihr uns einiges von den Abenteuern erzählt habt, die Ihr in Eurem Leben gehabt oder kennen gelernt habt. Es ist ja doch fahrender Ritter Sache, danach auf der Suche zu sein!« Mit diesen Worten setzte er sich neben dem Greise nieder, und Brenhilde folgte mit einer Ehrerbietigkeit seinem Beispiele, die fast etwas Possierliches hatte. »Liebes Ehgemahl! wir sind unter ein kleinliches Geschlecht geraten, das vor seinem Kaiser in der allerunterwürfigsten Weise auf allen Vieren kriecht, trotzdem er, wenn man die Dinge in richtigem Lichte betrachtete, kaum mehr noch ist als ein Scheinherrscher. Es könnte einem wirklich leid darum tun, daß man das Kreuz genommen hat – möge mir unser Herrgott solchen sündigen Gedanken verzeihen! – und daß wir in eben dem Augenblicke, wo wir eben noch meinten, verzweifeln zu sollen, das Glück haben, einem jener wackeren Männer zu begegnen, die sich bei so vielen unserer Vorfahren als Führer bewährt haben, darf wohl mit dem bisherigen Geschick aussöhnen. Wir wollen den Mann sich ruhig besinnen lassen, Brenhilde! es wird unser Schade ganz sicher nicht sein.«

Nach einigen Augenblicken beiderseitigen Schweigens hub der Greis zu erzählen an, wie folgt:

»Das Abenteuer, mit welchem ich beginne, hat sich in unserm berühmten Archipelagus zugetragen, ziemlich weit von hier, nach den Begriffen, die bei uns von Entfernungen bestehen, auf dem trotz seinem Reichtum an Naturschätzen nur spärlich bewohnten Eilande Zulichium, das, im Grunde genommen, wenn es scheinbar auch aus einer Masse von aneinander gehäuften Bergen besteht, doch nur ein einziger Riesenberg ist, auf dessen höchstem Gipfel, mit Moos dicht überwachsen, die Ruinen eines uralten Schlosses sich erheben. Hier liegt die letzte Herrin seit langem in einem Zauberschlafe. Sie zu befreien, tat ein auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem befindlicher Ritter ein strenges Gelübde. Zwei von den ältesten Inselbewohnern ließen sich bereit finden, ihn bis auf Bogenschußweite zu dem Haupttore der alten Burg zu begleiten, waren aber zu weiterer Begleitung nicht zu bewegen. Der kühne Franke drang also mutterseelenallein weiter vor. Zu seinem gewaltigen Erstaunen entpuppten sich die Trümmer, als er an das Haupttor mit seinem Schwertknaufe klopfte, als eine der herrlichsten und auch größten Burgen, die das sterbliche Auge des Ritters je im Leben erblickt hatte. Die ehernen Tore flogen, wie von selbst, weit auf, und um die alten Türme erklang es wie von Geisterstimmen, dem Befreier, der sich jetzt nahte, zum Willkommensgruße. Was sich dem Ritter, vom alten Burghofe ab, an altertümlicher Pracht nunmehr zeigte, überstieg seine Begriffe so vollständig, daß er eine geraume Zeit brauchte, sich zu sammeln. Auf den Wällen standen in morgenländischen Rüstungen zahlreiche Wächter umher, aber sämtlich stumm und starr, und der klirrenden Tritte des fränkischen Ritters nicht achtend. Aber obgleich sie jeder Lebensäußerung unfähig waren, waren sie dem Leben doch nicht abgestorben, sondern lebten! Die Sage ging von ihnen, daß sie in solchem Zustande nun schon über vierhundert Jahre sich befänden, und daß, wie eine Jahreszeit sie verlieh, die andere sie übernahm und der ihr folgenden weitergab. Ein Magier und Jünger Zoroasters war einst an den fürstlichen Hof der Schloßherrin gekommen und von ihr mit der höchsten Aufmerksamkeit aufgenommen worden, die sie einem fremden Manne erweisen durfte. Dadurch hatte der Magier sich verleiten lassen, das reife Alter, in welchem er bereits stand, zu vergessen und jugendliche Träume zu hegen, Doch war er bei all seiner Weisheit außerstande, dem gewöhnlichen Laufe der Natur zu trotzen, und wenn er mit der jungen Fürstin auf einem der zahlreichen Abendfeste, die auf der Burg gefeiert wurden, zum Tanze antrat, konnte er nicht hindern, daß die jüngere Welt sich darüber lustig machte, daß seine Beine doch nicht mehr gleichen Schritt halten wollten mit seiner Phantasie.

Die Fürstin wurde durch den ewigen Spott, der ihr zu Ohren kam, mit der Zeit zur Nachahmung gereizt, und es kam bald eine Zeit, wo sie es den bejahrten Verehrer merken ließ, daß sie ihn eigentlich bloß zum Narren hielt. Das Schlimmste auf Erden aber ist Haß, der aus verschmähter oder verhöhnter Liebe erwächst. Weder durch ein Wort noch einen Blick ließ der Magier sich merken, wie schmerzlich er die bittere Täuschung empfand, und wie schwer es ihm wurde, sich an die Möglichkeit einer solchen zu gewöhnen; mit der Zeit lagerte sich aber ein Zug so tiefer Schwermut auf seine Stirn, daß sich die junge Fürstin einer gewissen Beklommenheit nicht mehr erwehren konnte: sie hatte die Empfindung, wie wenn ein schweres Gewitter im Anzuge sei. Nach einem fröhlichen Feste, das eine große Zahl fremder Ritter auf die stolze Burg geführt hatte, trat die Fürstin, die von Herzen gutmütig, nur ein wenig leichten Sinnes war und sich nicht recht in den Ernst des Lebens zu finden verstand, zu dem Magier und suchte ihn für mancherlei Vernachlässigung während des Festes dadurch zu entschädigen, daß sie ihm freundlich eine recht gute Nacht wünschte. »Eine freundliche Rede, mein liebes Kind,« erwiderte darauf der Magier, »aber für wen von den vielen, die heute in Deiner Burg versammelt waren, wird auf die gute Nacht auch ein guter Morgen folgen?«

Die Rede war von vielen gehört worden und wurde von noch mehr der Anwesenden lebhaft kommentiert; denn über die Sinnesart des Magiers bestand kaum bei einem einzigen der Anwesenden Zweifel, und nicht wenige Gäste brachen noch in der Festnacht vom Schlosse nach ihrer Heimat auf. Durch sie allein kam Kunde von dem Schicksal, das Burg und Burgherrin und alle bei ihr zurückgebliebenen Gäste, wie alle Dienerschaft und Knappenschaft noch in der Festesnacht heimsuchte. Alles, was in der Burg lebte, wurde von einem todesähnlichen Schlafe befallen, der nicht mehr von ihnen wich. Der Magier war am andern Morgen verschwunden, und man erzählte sich auf dem Eiland, er sei mit den Worten von demselben im Kahne abgestoßen, daß so lange Tod über allem Lebenden auf Eiland und Schluß gebreitet bleiben solle, bis ein Ritter nahen würde, der den Mut besäße, den Fuß in die verzauberte Stätte zu setzen.

Das geschah nach Verlauf von vielen Jahren. Artavan von Hautlieu hieß der Kühne, der den Versuch wagte, den Bann von Eiland und Burg und allem darin schlummernden Leben zu lösen. Zwei Wächter waren die ersten, die sein Auge erblickte. Mit gezücktem Schwerte standen sie am Eingänge zu dem Tore, das zum Frauenhause, der Kemenate, führte. Artavan ließ sich aber durch sie nicht schrecken, sondern näherte sich dem Portale, das sich, gleich dem Burgtore, selbsttätig vor ihm öffnete. Durch eine Art Wachtstube, die von Knappen wimmelte, ohne daß Artavan unterscheiden konnte, ob sie lebten oder nicht, gelangte er in ein Gemach, in welchem schöne Sklavinnen umhersaßen oder umher lagen. Aber Artavan lieh sich durch diesen Anblick nicht betören, sondern drang unentwegt weiter vor durch eine kleine, elfenbeinerne Pforte, die ihn zu dem Schlafzimmer der Fürstin selbst führte. Von mattem Dämmerlicht übergossen, ruhte die liebliche Gestalt der durch ihre Schönheit weit und breit im Lände gefeierten Fürstin von Zulichium auf einem schlohweißen Lager.«

»Frommer Vater,« mischte hier Dame Brenhilde sich ein, »von der Schilderung eines schlafenden Frauenzimmers können wir wohl Abstand nehmen; ich meine, sie möchte sich ebenso wenig für meine Ohren wie für Euren Mund schicken,«

»Ich bin Eurem Befehle gern gehorsam,« erwiderte der Philosoph, »wenngleich ich sagen muß, daß ich den schönsten Teil meiner Erzählung zum Opfer bringe, der immer mit dem größten Beifall aufgenommen wurde.«

»Ich sollte doch meinen,« bemerkte Graf Robert, »es käme auf ein paar Worte mehr oder weniger nicht so sehr an als auf die Wahrung des Zusammenhanges.« – »Wie Du willst,« sagte Brenhilde, »aber mir scheint sich die Erzählung doch zu sehr in die Länge zu ziehen, um interessant zu bleiben,« – »Und mir scheint, Brenhilde, als wenn Du zum ersten Male eine weibliche Schwäche durchblicken ließest?« – »Und mir, lieber Robert,« antwortete die Gattin, »als wenn ich meinen Ehgemahl auf einer gewissen Unbeständigkeit seines ehelichen Empfindens ertappte!«

»O, ihr Götter!« rief da Agelastes, »kann es wohl je einen Zwist gegeben haben ohne einen tatsächlichen Grund? Wie kann Eure Gemahlin Eifersucht fühlen gegen eine Person, die sie vermutlich niemals sehen, geschweige kennen lernen wird? Denn daß die Fürstin von Zulichium je wieder in die Gegenwart treten sollte, ist meiner Auffassung nach vollständig ausgeschlossen; der Vorhang, der ihr Grab deckt, wird nie wieder zerrissen werden!«

»Erzählt weiter, Vater,« rief Robert, »und wenn Artavan von Hautlieu die Fürstin nicht befreien konnte, so gelobe ich bei Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen...« – »Ich denke, mein Gemahl,« schalt hier Brenhilde ein, »daß Du mit dem Gelübde, das heilige Grab gewinnen zu helfen, vorerst übergenug auf Dich genommen hättest?« – »Schön, schön, liebes Ehgemahl,« versetzte Graf Robert, offenbar nicht frei von Verdruß über diesen Einspruch; »in ein Abenteuer, das der Verpflichtung gegen das heilige Grab zuwiderliefe oder vorginge, werde ich mich selbstverständlich nicht einlassen.« Der Philosoph entnahm aus diesem kleinen Wortwechsel zwischen dem Ritter und seiner Gemahlin, daß es doch vielleicht schwieriger sein möchte, den Sinn des Grafen zu lenken, als er angenommen hatte, wenigstens so lange, wie sich seine Gattin bei ihm befände; er stimmte deshalb den Ton seiner Rede ein wenig herab und vermied es hinfort, Dinge einzuflechten, die das Ohr der Dame nicht hören mochte. »Ritter Artavan von Hautlieu,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »stand nun vor dem Lager ,der lieblichen Jungfrau, unschlüssig, wie er sich weiter verhalten solle. Da kam ihm der Gedanke, daß ein Kuß am Ende das rechte Mittel sein möge, den Zauber zu lösen,«

Ueber die Wangen der schönen Dame Brenhilde huschte ein flüchtiges Rot, aber sie gab den Empfindungen, die sie erfüllten, keinen Ausdruck. Agelastes fuhr daraufhin fort: »Aber nie mag wohl solche harmlose Handlung eine grausigere Wirkung hervorgebracht haben als auf jener verzauberten Burg! Aus dem lieblichen Abendrot, das den Himmel gefärbt hatte, wurde ein häßliches Schmutzgrün, und erstickender Schwefeldunst erfüllte das Zimmer. Die reichen Behänge und Gardinen, die kostbaren Gold- und Silbergeräte wandelten sich zu Stein, die Mauern überzogen sich mit garstigem Moder, und die schönen Lippen, die der Ritter eben noch geküßt hatte, wandelten sich zu den Lefzen eines scheußlichen Drachens, der aus dem lieblichen Körper des fürstlichen Fräuleins entstanden war. Es war das Mißgeschick des Ritters Artavan, daß er es bei einem Kusse hatte bewenden lassen: hätte er die süßen Lippen dreimal hintereinander geküßt, so wäre der Zauber gebrochen gewesen; aber die Gelegenheit war vorüber, und die Folgen dieser Unterlassungssünde mußten getragen werden: von dem fürstlichen Fräulein, indem es weiter in dem Zauber befangen blieb, und von dem Ritter, indem er auf den Besitz der schonen Huldin verzichten mußte. Der scheußliche Drache, in den sich der Leib des Freifräuleins verwandelt hatte, sauste ein paarmal in dem Gemache umher und entflog dann durch ein Seitenfenster ins Freie, während laute Wehklagen ob der, getäuschten Hoffnung die ganze Burg erfüllten.«

Agelastes endigte hier seine Erzählung, setzte jedoch aus eigenem Wissen noch kurz hinzu, daß im Morgenlande noch immer die Meinung herrsche, die schöne Fürstentochter läge verzaubert im Schlosse des Eilandes Zulichium. Es habe wohl manch anderer Ritter noch den Versuch gewagt, den Bann zu lösen; es sei aber bislang noch keinem geglückt. »Aber,« bemerkte er noch, »ich weiß den Weg, der nach Zulichium führt, und Ihr braucht bloß ein Wort zu sagen, so könnt Ihr Euch morgen auf dem Wege dorthin befinden,«

Gräfin Brenhilde vernahm die letzten Worte mit großer Angst; da sie jedoch wußte, daß ihr Gemahl sich am ehesten bewogen fühlen möchte, das gefahrvolle Unternehmen zu wagen, sobald sie dagegen eiferte, überließ sie ihm, das weitere Verhalten allein zu bestimmen. Nicht lange, so erfaßte er ihre Hand und sagte: »Brenhilde, Deinem Gemahl sind Ruhm und Ehre die höchsten Lebensgüter. Freilich hast Du für mich getan, was keine andere Frau unseres Standes hätte tun mögen; darum muß ich Dir schon eine Stimme zugestehen bei dem Entschlüsse, vor dem ich stehe. Laß jedoch bei diesem Greise nicht die Meinung aufkommen, Dein Herz sei aus dem gleichen Stoffe gebildet, wie das der anderen Weiber!« Wohl versuchte Brenhilde, die Haltung einer Heldin anzunehmen, aber sie unterlag doch ihren Empfindungen und fiel dem geliebten Gemahl unter Tränen um den Hals. Graf Robert war im ersten Augenblicke enttäuscht darüber, daß seine Voraussehung sich in so geringem Maße bestätigte, fühlte sich aber schließlich ergriffen durch diesen Ausbruch von Zärtlichkeit und ließ den Blick voll stolzer Bewunderung auf seinem Ehgemahl haften. . »Meine Holde,« sprach er, »so laß den Greis an meiner Statt wissen, daß aus dem Abenteuer nichts werden könne, da Du mich daran verhindertest. Ich will es so um Deinet- und nicht um meinetwillen.«

Aber es wurde ihr nicht leicht, dem Gemahl zu willfahren, nach diesem Beispiele dafür, daß die Natur allewig ihre Rechte behauptet, und wenn sie jetzt auch die Arme von dem Halse des geliebten Mannes löste, so behielt sie doch noch immer seine Hand in der ihrigen und hielt den Blick in inniger Liebe auf ihm geheftet. »Meine schöne Frau,« nahm da Agelastes, bestrebt, ihr die Situation zu erleichtern, wieder das Wort, »was Ihr mir sagen wollt, ist weit entfernt von allem Bösen. Schlimmer als bisher befindet sich jene verzauberte Fürstin jetzt auch nicht, und daß der Ritter, der sie erlösen wird, nicht mehr fern ist, unterliegt wohl kaum einem Zweifel –«

Schwermütig lächelnd, fiel ihm Dame Brenhilde ins Wort: »Es ist mir schmerzlich genug, das unglückliche Fürstenkind einer so mächtigen Hilfe zu berauben, wie mein Gemahl für sie gewesen wäre; aber so sehr ich die Kleinlichkeit meiner Eifersucht zugebe, und so gern ich meinen Gemahl bei solchem Unternehmen unterstützen würde,« – hier heftete sie einen unruhigen Blick auf den Grafen – »Nicht doch, Brenhilde,« erwiderte Graf Robert, »das ginge doch in keinem Falle an!« – »Und ich allein könnte das Abenteuer nicht wagen?« fragte Brenhilde, die keine Ursache hatte, die Reize der Fürstentochter zu fürchten, und sich, kräftig genug dünkte, einen Kampf wider den Drachen zu bestehen.

»Edle Frau,« versetzte Agelastes, »das verzauberte Fürstenkind ist nur durch Liebeskuß zu erlösen, nicht aber durch Freundschaftskuß.« – Die Gräfin erwiderte mit stolzem Lächeln« »Das sollte doch wohl Grund genug für eine Dame sein, die Erlaubnis zu solchem Wagnis zu weigern.« – »Nun denn,« nahm Graf Robert das Wort, »so empfanget für die heitere Stunde, die Ihr uns bereitet, wackerer Greis, einen kleinen Lohn. Es ist bedauerlich, daß sich Euer Vorschlag nicht in Ausführung setzen läßt; aber ich muß mich der von meiner Gemahlin gefällten Entscheidung fügen, nachdem ich sie ihr anheimgestellt habe. Nehmt mir nicht übel, daß ich nur weniges biete; wir fränkischen Ritter sind leider keine Krösusse.«

Da zog Brenhilde einen kostbaren Ring vom Finger. »Erlaubt, frommer Vater, daß ich der Gabe meines Gemahls dieses Kleinod hinzufüge. – »Ich will es nehmen,« erwiderte der Philosoph, »doch unter einer Bedingung: an dem schönsten Wege, der zur Stadt führt, in einem kleinen Kiosk, meinem Tempel der Freundschaft, wie ich ihn mit Vorliebe nenne, treffe ich heute abend ein paar Personen, die zu den angesehensten Männern des oströmischen Reiches gehören. Ich möchte das gräfliche Paar um die Ehre bitten, heute abend dort unter meinen Gästen zu erscheinen.« – »Ich halte es für eine Pflicht, den frommen Vater dafür zu entschädigen, daß ich mich seinem ersten Vorschlage abhold verhalten muß, und wäre dafür, mein Gemahl, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.« – »Es wird spät werden,« meinte Graf Robert, »aber ...« – Agelastes fiel ihm ins Wort: »Ich kann Euer Aber am schicklichsten ergänzen durch den Beisatz, daß es nur ein kurzes Stück Weg dorthin ist, daß aber, wenn die edle Gräfin lieber den Weg zu Pferde zurücklegen will.« – »Ich brauche kein Pferd,« erwiderte Brenhilde, »es reist wohl selten ein Ritter mit so geringem Gepäck wie mein Gemahl.«

Agelastes ging durch ein Gehölz voran, und das gräfliche Paar folgte ihm.


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