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Graf Robert und Dame Brenhilde erhielten ihr Quartier im Blachernä-Palaste in zwei aneinander stoßenden Zimmern angewiesen, die aber durch Absperren der zwischen ihnen befindlichen Tür für die Nacht außer Verbindung gesetzt wurden. Das Ehepaar verwunderte sich zwar darüber, daß dies geschah; indessen meinten sie das sonderbare Verhalten entschuldigen zu sollen mit dem in diese Nacht fallenden heiligen Adventsfeste. Daß einem von ihnen Böses drohen oder gar widerfahren könne, davor fürchteten sie sich nicht. Marzian verrichtete bei dem Grafen, Agathe bei der Gräfin ihren Nachtdienst und begaben sich dann nach den ihnen unter ihresgleichen angewiesenen Lagerstätten.
Mochte es nun von dem Weingenuß herrühren – Graf Robert hatte zwar nur ein einziges Mal, aber doch einen recht tüchtigen Schluck davon genommen – oder von der Unruhe des verwichenen Tages kommen, – kurz, er erwachte zu einer Zeit, da es noch stockfinster in dem Raume war, während ihm doch zumute war, als müsse der Tag längst angebrochen sein. Er guckte sich um, konnte aber zunächst weiter nichts sehen als ein Paar glühende Punkte an der entgegengesetzten Wand, die ihm aber ganz so vorkamen wie ein Paar Augen einer wilden Bestie, die ihre Beute anglotzt. Er sprang vom Bette, in der Absicht, nach seiner Waffe zu greifen, aber im selben Augenblicke kam von der Wand ein dumpfes Gebrüll herüber, begleitet von einem Kettengerassel, wie wenn die Bestie zum Sprunge angesetzt hätte, aber durch Ketten, daran verhindert würde. Das Gebrüll setzte nun nicht wieder aus, und es war so fürchterlich, daß es im ganzen Palaste gehört werden mußte.
Die Bestie mußte dem Grafen unbedingt auch schon näher gekommen sein, denn es war ihm hin und wieder ganz so, als ob ihn ein heißer Atem ins Gesicht träfe. Wohl war der Graf einer der tapfersten Männer seines kriegerischen Zeitalters, aber doch auch ein Mensch, und darum braucht es ihm nicht zur Unehre angerechnet zu werden, daß sein Herz im eisten Augenblicke nicht frei von Unruhe, wenn auch nicht Bangen, war. Aber er war fest entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Unangenehm war ihm vor allen Dingen, daß es ihm beschert sein sollte, unter den Klauen einer Bestie zu verenden. Dann fiel ihm ein, das Ganze könne vielleicht bloß ein Trick des Philosophen oder auch des Kaisers sein, seinen Mut auf die Probe zu stellen, und dieser Gedanke brachte ihm eine gewisse Beunruhigung. Aber das Gefühl, daß ihm der Tod nahe, konnte er nicht bezwingen; es kam immer und immer wieder, trotzdem er sich mit dem Gesichte nach der Wand zukehrte, da fiel ihm sein Weib ein: ob sie schliefe? Aber wie sollte das möglich sein bei dem gräßlichen Gebrüll der Bestie? Ihre beiden Zimmer stießen aneinander. Er rief sie, um sie zu warnen, aber seine Stimme hatte nur matten Klang; denn die Furcht, seiner Ehgemahlin könnte noch Schlimmeres bevorstehen als ihm, beschlich ihn mit einem Male, ohne daß er eine Erklärung dafür finden konnte, woher ihm nun auch solch schwarzer Gedanke noch käme. »Brenhilde!« rief er wieder, »wir sind in schlimmer Gefahr, erwache und sprich zu mir! Erwache, aber erhebe Dich nicht von Deinem Lager!« Keine Antwort! »Was geht denn mit mir vor?« sprach er da bei sich selbst; »weshalb rufe ich nach Brenhilden, als wäre ich ein Kind, das Sehnsucht fühlt nach seiner Amme? Fürchte ich mich schon vor einer Katze, die sich in meine Stube verlaufen hat? Ha, schäme Dich, Graf von Paris! Mein Wappen soll man mir zerschlagen, die Sporen soll man mir von den Füßen hauen, wenn ich länger verweile wie ein feiger Wicht. Heda!« rief er mit Donnerstimme, »was bist Du für ein Wesen? gib Antwort!« und wieder ertönte jenes dumpfe Geknurr, das ihm zu künden schien, es gebe hienieden für ihn keine Hoffnung mehr.
Da klang ihm eine dumpfe Stimme in die Ohren, wie aus einem tiefen Grabe herauf: »Tor Du! wie kannst Du auf Antwort rechnen aus dem lebendigen Grabe, in das Du gestoßen worden?« – »Ich bin ein christlicher Ritter,« erwiderte der Graf, »der gestern noch an der Spitze von fünfhundert tapferen Mannen stand, und liege jetzt hier in einem finsteren Loche, das mich nicht einmal den Winkel sehen läßt, worin der Tiger liegt, der mich zu zerfleischen droht!« – »Du bist ein Exempel mehr für die Wandelbarkeit des Glückes,« antwortete die Stimme, »wirst aber noch bei weitem nicht das letzte sein! Ich leide hier schon über drei Jahre, und war doch jener mächtige Ursel, der sich neben Alexius Komnenos um die Krone des Reiches Ostrom bewarb. Aber ich wurde verraten von denen, die sich mir verbündet hatten, wurde des kostbarsten Gutes beraubt, das der Mensch besitzt, des Augenlichtes, und in dieses finstere Gewölbe gestoßen, wo ich nur wilde Bestien zu Gefährten habe, deren freudiges Gebrüll über unglückliche Opfer, die ihrer Wut preisgegeben worden, mich oft schon aus meinem nächtlichen Schlummer aufgerüttelt hat.«
Da wurde der Raum wie durch einen jähen Zauber von einem dunkelroten Lichtschein erhellt. Die Sache ging jedoch durchaus natürlich zu: dem Grafen war eingefallen, daß er ein Feuerzeug bei sich trug, und hatte es angesteckt, um damit die Bettvorhänge in Brand zu setzen. Von dem grellen Schein erschreckt, sprang der Tiger soweit zurück, wie ihm die Kette Terrain freigab; Graf Robert aber packte den schweren Holzschemel, der neben seinem Bette stand, und schleuderte ihn mit furchtbarer Gewalt dem Tiger gegen den Schädel. Als er sah, daß die Bestie betäubt auf die Erde schlug, sprang er zu ihr hin und erstach sie mit dem Dolche, den seine Verfolger ihm gelassen hatten; nun erst ward er gewahr, daß er sich überhaupt nicht mehr in jenem Zimmer befand, wo man ihm sein Nachtquartier angewiesen hatte; rasch löschte er das Feuer wieder und untersuchte beim Lichtschein seines Feuerzeuges den Raum und die Tür, zu der er hereingekommen zu sein wähnte. Von einer Verbindung mit dem Zimmer, das seiner Gemahlin angewiesen worden war, ließ sich nirgends etwas wahrnehmen: es wurde ihm mit einem Male klar, daß sie bloß deshalb in den beiden voneinander getrennten Zimmern untergebracht worden waren, damit man sie desto leichter überfallen und bezwingen konnte. Grauen befiel ihn, als er des Schicksals gedachte, das seinem Ehgemahl drohen mochte oder vielleicht schon über dasselbe gekommen war. Jetzt gedachte er der Warnungen, die ihm Bohemund erteilte; jetzt wußte er, daß in dem Weine, den er getrunken hatte, irgend ein Betäubungsmittel enthalten gewesen sein mußte. Wer konnte wissen, wie lange er unter der Einwirkung desselben gestanden hatte? Da erklang wieder, doch von einer ändern Seite her, jene unheimliche Grabesstimme: »Fremdling, wo weilst Du? Bist Du noch am Leben oder hat Dich der Tiger zerrissen? Sprich! denn ich kann nicht sehen!«
»Ich lebe noch,« versetzte der Graf, »und das Ungetüm liegt krepiert am Erdboden. Auch die Tür hab' ich gefunden; sie liegt auf der Seite, woher Deine Stimme zu mir dringt; aber ich kann sie nicht öffnen.«
»Ich will Dich lehren, wie es sich mit ihr verhält,« antwortete die Stimme; »hebe sie so hoch, wie Du kannst, und die Riegel werden sich von selbst zur Seite schieben. Sodann stoße mit aller Macht dagegen, und sie wird weichen. O, könnte ich Dich doch sehen! Es muß ja eine Freude sein für menschliche Augen, solch tapferen und kühnen Mann zu sehen!«
Graf Robert legte seine Rüstung an, von der er außer seinem getreuen Schwerte Tranchefer kein Stück vermißte, und versuchte dann, nach der ihm von dem Gefangenen gegebenen Weisung, die Tür zu öffnen. Es gelang ihm aber erst, nachdem er all seine Kraft aufgeboten hatte. Die Riegel liefen, sobald sie aus ihren Haken gelöst waren, und ohne daß es eines Schlüssels bedurfte, tat sich eine kleine Pforte auf. Wieder ertönte die Stimme: »Ich höre Dich, Fremdling! Du stehst jetzt in meinem Kerker. Drei Jahre lang habe ich daran gearbeitet, die Rinnen in den Stein zu graben, worin die eisernen Riegel laufen. Mehr denn zwanzig Riegel gilt es wegzuschaffen, ehe ich freie Luft atmen kann. Wie soll mir Kraft bleiben, solches Werk zu vollbringen? Aber es gewährt mir, glaube mir, eine ungeheure Freude, daß es mir vergönnt gewesen, auf diese Weise zu Deiner Erlösung beizutragen; denn sollte uns auch die weitere Befreiung nicht gelingen, so werden wir einander doch trösten können, solange der schlimme Tyrann uns das Leben vergönnt.«
Graf Robert blickte sich in dem neuen Räume, wohin er gelangt war, schaudernd um. In solcher Totengruft hatte ein menschliches Wesen drei Jahre lang gelebt? Kaum zwölf Fuß im Quadrat maß der grausige Kerker, und außer einem hölzernen Schragen, einem hölzernen Schemel und einem winzigen Tische war nichts darin enthalten, was einem Menschen das Leben hätte bequem machen können. Über dem Schragen standen in einen großen Mauerstein die schrecklichen Worte gemeißelt: »Hier wurde Zedekiah Ursel an den Iden des März eingesperrt und wurde hier begraben am ...« Eine leere Stelle dahinter war zur Aufnahme des Todestages bestimmt. Den Lebendigbegrabenen zu erkennen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit für jeden gewesen, der ihn einst gekannt hatte; er sah entsetzlich verwildert aus, sein Bart war ihm bis auf den Bauch hinunter gewachsen und sein Kopfhaar hatte sich zu einem scheußlichen Weichselzopfe verwandelt...
Dem Grafen drohte das Blut zu erstarren. »Hast Du diese Rinnen, in die die Riegel laufen, aus diesem Steine gehauen?« – »Mußte ich mir nicht Arbeit suchen, um bei Verstand zu bleiben?« versetzte der Unglückliche; »freilich ist's ein schweres Stück Arbeit gewesen und hat über drei Jahre gedauert. Drei Jahre lang habe ich Stein gegen Stein gerieben. Woher ich weiß, daß drei Jahre darüber verstrichen sind? Eine ferne Glocke hat mir mit ihren Schlägen die fliehenden Stunden zugezählt: und als endlich die Tür aus ihren Fugen wich, da sah ich, daß ich mir den Weg bloß zu einem anderen, noch festeren Kerker gebahnt hatte. Und doch hat die mühevolle Arbeit nun ihren Segen gebracht! Denn ohne sie hätten wir ja niemals den Weg zu einander gefunden!«
»Denke an Besseres!« erwiderte Graf Robert, »sinne auf Freiheit und Rache! Wie kann es der Himmel zulassen, daß solch schmählicher Verrat ein gutes Ende fände? Er müßte ja noch ungerechter sein, als Pfaffenmund zu künden vermöchte. Aber auf welche Weise wird Dir die Nahrung in Dein Kerkerloch gebracht?« – »Ein Wärter bringt mir einen Tag um den andern Brot und Wasser; er scheint kein Griechisch zu verstehen, denn er hat mir weder je geantwortet, noch je mich angesprochen. Ihr werdet gut tun, Euch auf kurze Zeit in den andern Kerker zu begeben, denn es möchte nicht gut sein, wenn uns der Mann, der bald kommen muß, erkennen würde.« – »Meinetwegen,« versetzte der Graf, »Wenn ich auch nicht einzusehen vermag, wie der Kerl in meinen Kerker gelangen könnte, ohne den Eurigen zu passieren. Soviel aber sage ich Euch: er soll noch eine Nuß zu knacken bekommen, ehe er sein heutiges Tagewerk vollendet.«
Hierauf rückte er die Tür wieder an ihren Platz, nachdem er in sein Kerkerloch zurückgekrochen war; von Ursels mühevollem Werk war nicht das mindeste mehr zu sehen.