Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Nach wenigen Schritten gelangten sie zu dem Vorbau eines mächtigen Palastes. Ehe aber Achilles Tatius den Fuß weitersetzte, erging er sich wieder in allerhand Zeremonien, die der unerfahrene Waräger, der erst vor kurzem in den Garnisonsdienst getreten war, steif und linkisch nachäffte, und die auf der Eigentümlichkeit der Griechen fußten, nicht bloß der Person ihres Kaisers, sondern auch allen Dingen, die mit ihm in Zusammenhang standen, eine bis ins kleinste geregelte Ehrfurcht zu bezeigen. Als er sich dieser in seinen Augen frommen Pflicht erledigt hatte, schlug Achilles Tatius dreimal wider die Tür in gemessener, aber vernehmlicher Weise, wobei er seinem Begleiter zuflüsterte: »Wir treten ein! Nun tu, bei Deinem Leben, was Du mich tun siehst!« Nun machte er, einen Satz rückwärts und blieb, mit vorgeneigtem Kopfe und die Hand vor die Augen haltend, wie wenn er eines plötzlichen Lichtstroms gewärtig sei, stehen und harrte der Antwort auf sein Klopfen. Nach einer Weile öffnete sich die Pforte, aber statt eines den Harrenden die Augen blendenden, Lichtstromes erschienen, mit hochgehaltenen Streitäxten, gleich als wollten sie die Eindringlinge ob solches freventlichen Eingriffes in ihre Ruhe auf der Stelle niederschmettern, vier Waräger. Der Kommandant sprach als Parole das Wort: »Akoluthos«, und die Waräger murmelten, die Waffen senkend, die Erwiderung der Parole: »Tatius und Akoluthos«.

Wahrend Achilles den stattlichen Helmbusch als Zeichen seiner Würde emporhob daß jeglicher Waräger ihn sehen konnte, verhielt sich Hereward zur Verwunderung seines Vorgesetzten, der Szene gegenüber äußerst gleichmütig; aber einen andern Grund dafür zu finden als brutale Empfindungslosigkeit, war dem Schranzenverstande des Kommandanten nicht möglich. Die Wache trat zu Seiten des Tores ab, und Achilles trat mit seinem Begleiter auf das über den Stadtgraben führende Laufbrett. »Die Brücke der Gefahren ist's,« flüsterte Achilles, »über die Du den Fuß setzest; es geht die Rede, daß nicht jeder heil hinüber gelangt, sondern so mancher, der zu der geheiligten Person kaiserlicher Majestät in Beziehungen gestanden, als Leiche im Goldenen Horn, dem Hafen der Kaiserstadt, wohin der Graben sich ergießt, gefunden worden sei.« – »Ich hätte nicht für möglich gehalten,« erwiderte der Sohn der nordischen Inseln, »daß Alexius Komnenos ...« – »Still, Verwegener!« rief Achilles, »wer das Echo dieses Gewölbes weckt, verfällt immer schwerer Strafe; der Tod aber winkt dem, der solches tut durch verletzende Reden gegen die geheiligte Person kaiserlicher Majestät. Es ist ein Unglück für mich, daß ich einen Menschen in diese geheiligten Räume führen muß, der von attischem Salze nur so viel besitzt, wie nötig ist, den Leib vor Fäulnis zu bewahren. Was ist Dein Verdienst, Hereward, anders, als daß Du im heiligen Kriege des hohen Herrschers ein paar Ungläubigen das Licht ausgeblasen hast? Und nun widerfährt Dir die unermeßliche Ehre, nicht bloß Zutritt zu erhalten zu dem unverletzlichen Bereiche des Blachernä-Palastes mit seinem Echo, sondern – der Himmel steh' uns bei! – sogar zu kaiserlicher Majestät geheiligtem Ohre selbst!«

»Es wird mir schwer, Hauptmann, den Schall meiner Rede zu dämpfen. Ich will darum lieber mich so lange still verhalten, bis Ihr mir ein Zeichen zum Reden gebt.« – »Recht so, Hereward!« erwiderte der Kommandant; »es gibt Leute hier, sogar welche, die im Purpur geboren, die mit dem Senkblei ihres feinen Urteils Deinen seichten Barbarenverstand erforschen wollen. Begegnest Du anmutigem Lächeln, so erwidere es nicht mit Gewieher, als befändest Du Dich in Gesellschaft von Tisch- oder Zechkameraden!« – Unwirsch erwiderte der Waräger: »Wollt Ihr mir nicht glauben, daß ich mich still verhalten werde, bis Ihr mir ein Zeichen gebt, so will ich lieber Kehrt und der Sache ein rasches Ende machen.« – Achilles aber mochte fühlen, daß er dem Waräger nicht allzu scharf zusetzen dürfe, und so gab er ihm auf seine derbe Rede eine auffällig milde Antwort; aber Hereward hatte, was Kraft und Heldenmut anlangt, selbst unter den Warägern seinesgleichen nicht, und diese Eigenschaften überwogen in den Augen auch dieses Kommandanten alle Vorzüge, die einem höfischer besaiteten Soldaten hätten zu eigen sein können. Ueber ein paar Höfe hinweg, die zu dem ausgedehnten Blachernä-Palaste gehörten, führte der hier wohlbekannte Kommandant den Waräger durch eine Seitenpforte in die eigentliche Wachtstube, wo sich Herewards Kameraden mit Brett- und Würfelspiel die Zeit vertrieben und durch einen kräftigen Trunk aus großen Krügen die Kräfte auffrischten. So gern' auch Hereward, der sich in der Gesellschaft seines Kommandanten nichts weniger als behaglich fühlte, sich zu ihnen gesetzt hätte, um über sein Abenteuer mit dem Griechen mit ihnen zu schwatzen und an der amüsanteren Beschäftigung, die ihnen vergönnt war, sich zu beteiligen, so saß ihm doch die militärische Disziplin zu fest im Blute, als daß er sich auch nur einen Moment mit etwas anderm als der Person seines Führers hätte befassen sollen.

Der Weg führte noch durch eine Reihe von Gängen und Gemächern, in die der Kommandant den Fuß nicht anders setzte, als mit der gleichen Ehrfurcht, die ihn bislang erfüllt hatte. Hier aber erblickte der Waräger nicht mehr Kameraden, sondern jene fast durchwegs schwarzen Sklaven, die am griechischen Kaiserhofe, als Nachäffung eines bei orientalischen Despoten herrschenden Brauches, Eingang gefunden hatten und die bald als Wachen auf Gängen und an Türen postiert waren, bald auf Teppichen, allerhand Spiel treibend, herumlagen. Der Kommandant würdigte sie keines Wortes. Ein Blick seines Auges genügte, ihm überall den Weg frei zu machen. Endlich setzten sie den Fuß in eine geräumige Halle, deren Wände aus schwarzem Marmor bestanden. Mach allen Himmelsrichtungen führten von ihr aus Seitengänge; aber von den Oel- und Harzlampen, die sie erhellten, war sie mit einem so dichten Dunst erfüllt, daß sich ihre Gestalt oder Bauart nicht unterscheiden ließ.

»Hier verweile,« flüsterte der Kommandant dem Waräger zu, »bis ich zurückkehre. Laß Dir aber nicht beikommen, den Fuß vom Platze zu setzen!« Hierauf verschwand er durch eines der seitlichen Portale, das sich vor ihm öffnete und hinter ihm schloß. Der Waräger vertrieb sich in dem ihm angewiesenen Raume die Zeit, so gut es ging, und schritt nach dem unteren Ende der Halle zu, wo der von den Lampen verbreitete Dunst weniger stark war als in der Mitte. Er erblickte dort eine kleine, niedrige Eisenpforte, mit einem griechischen Bronzekreuz darüber, und verschiedenerlei Zierat aus dem gleichen Metall in Form von Ketten und dergleichen. Die Tür stand halb offen, und Hereward, da ihm solche Befriedigung menschlicher Neugier nicht verboten worden, steckte den Kopf hindurch und sah hinein. An der Mauer einer schmalen Wendeltreppe, die zu den Tiefen der Hölle zu führen schien, hing ein trübes, rotes Licht, das aber kaum Anspruch auf diesen Namen erheben konnte, da es einem Funken ähnlicher war als einem Lichte. Dem Waräger, mochte auch der ihm geistig überlegene Grieche von seinem Denkvermögen nur eine sehr bescheidene Meinung hegen, wurde es auf der Stelle klar, daß solch finstere Treppe mit solch düster ornamentiertem Eingang nirgends anders hinführen könne, als zu den Kerkern des kaiserlichen Palastes, die sowohl ihrer Menge als ihrer Beschaffenheit nach nicht die geringste Merkwürdigkeit desselben bildeten. Als er die Ohren spitzte, meinte er sogar, Töne wie Seufzer und Stöhnen aus dem Abgrunde herauf dringen zu hören. »Oho!« meinte er bei sich, »Bekanntschaft mit solch unterirdischen Behausungen zu machen, dürfte ich schwerlich verdient haben. Hauptmann Achilles mag ja im Grunde nicht viel besser sein als ein Esel, aber für so untreu, mich unter solch blödem Vorwande in einen Kerker zu locken, möchte ich ihn nicht halten. Sollte es der Fall sein, so will ich ihm doch erst Bekanntschaft mit einer englischen Streitaxt verschaffen. Sehen wir uns vorderhand mal auch das obere Ende der Halle an. Vielleicht hat's eine freundlichere Bedeutung!«

Hier schmückte ein kleiner Altar, an die in den heidnischen Göttertempeln erinnernd, das gleich große – oder vielmehr kleine – Portal, das hier in den anstoßenden Raum führte. Weihrauch wallte in leichten Kräuselwölkchen zu dem Plafond hinauf, sich von da durch die ganze Halle verbreitend und ein seltsames Sinnbild in seinen Qualm hüllend, dessen Zweck und Natur der Waräger nicht begreifen konnte: es stellte zwei menschliche Arme dar, die aus der Wand herauszureichen schienen; die Hände waren ausgespreizt, wie wenn sie den zum Altar tretenden Betern ein Geschenk verabreichen wollten. »Wären die Fauste geballt,« dachte Hereward bei sich, »so ließe sich das Ding wohl noch kapieren. Man könnte meinen, in einer dem Pankration geweihten Boxerhalle zu stecken! Da aber dies dumme Griechenpack die Hände nicht gebraucht, solange die Finger nicht geschlossen sind, so kann ich, beim heiligen Georg, den Sinn des Dinges da nicht fassen!«

Da trat Achilles Tatius wieder in die Halle. »Folge mir, Hereward! Jetzt gilt's, das Schwerste zu überwinden! Nimm allen Mut zusammen, über den Du verfügst; denn Ehre und Name stehen für Dich auf dem Spiele.« – »Ich fürchte, weder für das eine noch für das andere,« erwiderte Hereward. – »Schrei nicht so!« verwarnte ihn sein Führer; »ich habe Dir doch oft genug gesagt, Du mögest den Schall Deiner Stimme dämpfen. Es wäre auch besser am Platze gewesen, Deine Streitaxt draußen zu lassen.« – »Mit Verlaub, Hauptmann,« erwiderte Hereward, »mein Werkzeug geb' ich nicht aus der Hand. Die Streitaxt ist ein Stück meiner selbst, und ich gehöre nun einmal zu den unbeholfenen Tolpatschen, die immer was in der Hand halten müssen, um nicht aus dem Texte zu kommen.« – »So behalte sie! Aber schwinge sie nicht, und schreie auch nicht wie auf einem Schlachtfelde, sondern denke, daß Du Dich an einem geheiligten Orte befindest, wo jeder Verstoß gegen die gute Sitte zur Lästerung wird!« Durch eine dritte Seitenpforte traten sie in den Vorsaal, und von ihm aus durch ein paar Flügeltüren in eines dem Anschein nach der vornehmsten Gemächer des Palastes, worin sich dem rauhen Waräger ein ebenso neuer wie überraschender Anblick bot. Auf einer schmalen Bank oder einer Art Sofa, – denn dem schönen Geschlecht war es hier durch die Etikette verboten, sich nach der Weise der Damen in Westrom mit dem Rücken anzulehnen – vor sich einen Tisch voll Büchern, Pflanzen, Kräutern und Zeichnungen, saß die geliebte Tochter des Kaisers Alexius, die Prinzessin Anna Komnena, bekannt als Geschichtsschreiberin der Regierung ihres Vaters, saß hier als die Königin eines literarischen Kreises, wie ihn eben nur eine im Purpur geborene Kaiserstochter um sich zu versammeln vermag. Unmittelbar neben ihr, auf einem dem ihrigen völlig gleichen Sitze, nur niedriger, aber ihr so nahe, daß sie keinen Blick von ihm verlieren konnte, hatte ihr schöner Gemahl Nikephoros Briennios seinen Platz, von dem die Rede ging, er ersterbe in Respekt vor der Gelehrsamkeit und Weisheit seiner Ehegemahlin, sei aber nicht ungehalten, wenn er auch mal einen Abend fern von dem Zirkel derselben zubringen könne; und die Begründung für diesen Argwohn wurde in der Meinung gesucht, daß die Prinzessin schwerlich etwas eingebüßt hätte, wenn sie minder gelehrt gewesen wäre.

Zwei andere Ehrensitze waren für das Kaiserpaar bestimmt, das es liebte, den Studien der Tochter anzuwohnen. Dann weidete Kaiserin Irene sich an dem Anblicke einer so vollkommenen Tochter, während Kaiser Alexius mit Behagen der schwülstigen Sprache lauschte, in welcher sie seine Taten pries, oder den philosophischen Gesprächen, die sie mit dem Patriarchen Zosimus und andern gelahrten Herren der Kaiserstadt führte. Während das Kaiserpaar heute den Abend durch seine Anwesenheit verherrlichte, war der Sitz des Prinzessinnen-Gemahls heute leer, und in diesem Mangel an Aufmerksamkeit hatte vielleicht der finstere Zug seinen Grund, der sich auf der Stirn seiner schönen Gemahlin wahrnehmen ließ.

Rechts und links von ihr knieten auf weißen Kissen zwei Hoffräulein, die man für lebendige Bücherpulte hätte ansehen können, denn sie hielten, ohne ein Glied zu rühren, die aufgerollten Pergamente, aus denen die Prinzessin fremde Weisheit schöpfte oder in die sie eigene Weisheit eintrug. Das eine dieser beiden Mädchen, Astarte mit Namen, war eine hervorragende Schönschreiberin, dabei so zahlreicher Sprachen und Alphabete mächtig, daß wenig fehlte, so wäre sie, als es dem Kaiser darum zu tun war, mit dem Khalifen, der weder lesen noch schreiben konnte, Frieden zu schließen, diesem zum Präsent gemacht worden. Die andere Dienerin oder – richtiger gesagt – Sklavin der Prinzessin war Violanta oder, wie sie gemeinhin genannt wurde, Musa, eine Virtuosin der Vokal- und Instrumentalmusik und tatsächlich an Robert Guiscard, den Herzog von Apulien und ewigen Ränkeschmied gegen Ostrom, um ihn dem kaiserlichen Hofe wohlwollend zu stimmen, gesandt, von diesem aber, da er bereits stocktaub und dem Methusalemsalter nahe war, mit dem Bemerken abgewiesen worden, er wisse beim besten Willen mit dem erst zehn Jahre alten Mädchen nichts Gescheites mehr anzufangen, und bitte statt solches ewig plärrenden und klimpernden Wesens um etwas Markigeres, oder besser noch, heller Klingendes, womit er den echten Normannen dokumentierte.

Auf weiteren Sitzen saßen oder ruhten die anderen Personen, welche Zutritt zu dem Hofzirkel gefunden hatten, darunter der greise Patriarch Zosimus, etwa ein halbes Dutzend an Alter und Kleidung verschiedener Hofleute, die um eine Zimmerfontäne herum gruppiert waren, zum Teil standen, um sich in dem erfrischenden Staubregen abzukühlen, zum Teil unterwürfiger knieten; unter den letzteren ein fetter und nach Zynikerart in Lumpen gekleideter Greis, Michael Argelastes, sich dabei aber trotz seiner philosophischen Tracht und Richtung, die ihn anderes hätten lehren müssen, als der peinlichste Beobachter höfischen Zeremoniells erweisend. Aber niemand hielt sich darüber auf, denn an diesem überzeremoniösen Hofe war jedes satirische oder witzige Wort aufs strengste verpönt.

Achilles Tatius trat mit höfischer Geschmeidigkeit in das Gemach, nicht ohne Stolz, einen Mann hier einzuführen, der als der schönste Krieger des kaiserlichen Heeres gelten durfte. Hereward aber stutzte beim Eintritt und zupfte, als er sich in solch edler Gesellschaft sah, an sich herum; sein Kommandant suchte ihn durch ein kaum merkliches Achselzucken zu entschuldigen, gab aber gleichzeitig Hereward einen Wink, den Helm vom Haupte zu nehmen und sich auf die Erde zu werfen; der breithüftige Angelsachse jedoch, dieser Winke nicht achtend, trat einfach vor den Kaiser hin und salutierte, das Knie beugend, an den Helm fassend, die Streitaxt schulternd; worauf er sich gleich einer Schildwache vor dem kaiserlichen Sessel aufpflanzte.

Es verfloß einige Zeit, bis der Kaiser, der in einem Zustande von Halbschlummer oder doch Zerstreutheit durch die Lektüre seiner Tochter über eine Periode aus der Zeit seiner Kämpfe mit Robert Guiscard dem Apulier versetzt worden war, den Waräger bemerkte. Sein Blick glitt von ihm zu Achilles Tatius hinüber. »Ei, unser getreuer Akoluth?« rief er; »sprecht! was soll dieser Mann von der Leibgarde zur Nachtzeit allhier?« – Dies war für die versammelte Gesellschaft von Höflingen der richtige Augenblick, sein Gesicht zu studieren, um das Verhalten danach zu regeln. Aber ehe der Patriarch sich eine Meinung hatte bilden können, die wieder für die übrigen maßgebend gewesen wäre, hatte Achilles durch ein paar Worte Majestät in die Erinnerung gerufen, daß der Waräger zufolge kaiserlichen Sonderbefehles hier erschienen sei. – »Ganz recht! ganz recht!« antwortete gnädig der Kaiser, dessen Stirn sich sogleich aufheiterte, »die Staatsgeschäfte hatten uns den Fall aus dem Sinne gebracht.« Dann wandte er sich mit einem größern Anstrich von Herzlichkeit, als er den Höflingen gegenüber zeigte – denn Monarchen haben zu Leibgardisten immer mehr Zuneigung als zu jenen – zu Hereward, und fragte zum Erstaunen aller: »Ei, wackerer Waräger, wie geht's uns denn?« – Und Hereward erwiderte treuherzig und kräftig, in seiner sächsischen Mundart: »Waes hael, Kaisar mirrig und machtigh!« was so viel hieß wie: »Heil Dir, großer und mächtiger Kaiser! – Waren die anwesenden Höflinge darüber noch mehr in Staunen geraten, so wußten sie sich kaum zu fassen, als der Kaiser zu diesen Worten nicht allein lächelte, sondern in der Sprache seiner Leibwächter mit dem bekannten Gegengruße: »Drink hael!« antwortete.

Ein Page brachte einen silbernen Becher mit Wein. Der Kaiser berührte ihn mit den Lippen, ohne indes davon zu kosten; dann ließ er ihn dem Waräger reichen und befahl ihm, zu trinken. Der ließ sich das nicht zweimal sagen und leerte den Becher bis auf die Nagelprobe. Ein Lächeln durchflog den Kreis ob dieser Heldentat; der Kaiser aber fragte seinen Leibgardisten, ob er den Wein schon kenne. – »O ja,« erwiderte dieser, ohne die Farbe zu ändern, »hab' ich ihn doch bei Laodikaia gekostet!«

Achilles Tatius verfärbte sich ob dieser Antwort des Warägers und bemühte sich umsonst, ihn durch Zeichen zum Schweigen zu bringen; der Waräger aber, dessen Aufmerksamkeit ganz seinem Kaiser gehörte, bemerkte nicht das mindeste, obgleich sich zuletzt auch Zosimus und Nikanor über die Winke des Akoluthen zu amüsieren anfingen. Die Unterhaltung zwischen Kaiser und Waräger nahm infolgedessen ihren Fortgang. »Ei, welcher Schluck hat Dir besser gemundet?« fragte Alexius, »der hier, oder der dort?« – »Hier, o Kaiser, ist die Gesellschaft schmucker und angenehmer als damals die der arabischen Bogner,« erwiderte Hereward, sich mit angeborener Höflichkeit verneigend, »aber es fehlt hier an der Würze, die dem Trunke dort Sonnenbrand und Schlachtenstaub und achtstündiger Kampf verliehen!« – »Auch dürfte wohl,« bemerkte der dicke Agelastes, »der Becher hier kleiner sein als der von Laodikaia war?« – »Fürwahr, das stimmt!« pflichtete der Leibwächter bei, »dort trank ich aus dem Helm!« – »Zeige uns die beiden Becher, Freund,« sagte Agelastes, den Scherz weitertreibend, »denn mir war's fast, als wolltest Du den jetzigen mit hinunterschlucken?« – »Nicht alles schlucke ich hinunter,« erwiderte der Waräger, »doch kommt's drauf an, was von einem Greise herrührt, und was von einem Jungen!»«

Wieder durchflog ein Lächeln den höfischen Kreis, aber es galt nicht dem Waräger, dessen kurze Antwort ihn in Respekt gesetzt hatte, sondern dem Zyniker, der trotz seines Witzes dem andern unterlegen war. Obendrein nahm der Kaiser zu des Warägers Gunsten das Wort: »Nicht zu dem Zwecke bist Du gerufen worden, wackerer Sohn, eitlen Spöttern die Zielscheibe abzugeben!« – Der dicke Agelastes fuhr zurück wie ein betrippter Pudel, und nun mischte auch die Prinzessin, deren Gesicht schon eine Zeitlang Ungeduld gezeigt hatte, sich in das Gespräch. »Beliebt es meinem geliebtesten kaiserlichen Vater,« sprach sie, »den glücklichen Menschen, die Zutritt zu diesem Musenhaine gefunden, die Gründe zu nennen, die Euch veranlaßt haben, diesem Kriegsmanne heute abend einen Platz, weit über seinen Stand erhaben, hier anzuweisen? Erlaubt mir die Bemerkung, daß es sich für uns wohl nicht schicken mag, diese Zeit mit eitlen Späßen zu vertreiben, denn wie jeder Augenblick Eurer Muße, soll auch sie der Wohlfahrt des Reiches geweiht sein.«

»Erlaubet auch mir, mein edler Gemahl, gleich unserer durch Weisheit ausgezeichneten Tochter,« sprach nun Kaiserin Irene, die gleich allen Müttern, die nicht selbst mit Gütern des Geistes gesegnet sind, für fremdes Talent kein Auge hatte, aber dasjenige ihres Lieblingskindes bei jeglichem Anlasse ausposaunte. »Euch vorzuhalten, daß in diesem den Studien Eurer Tochter geweihten Musensitze solch ein Kasernenton, wie er soeben hier laut wurde, um so weniger heute am Platze ist, als uns Euer Ruhm, o Gemahl, aus dem zarten Munde unseres Kindes verkündet wurde, verewigt in einer geschichtlichen Abhandlung, die erhalten bleiben wird bis ans Ende der Welt!«

Dem Kaiser Alexius mochte es bei dieser kleinen Gardinenpredigt seiner erlauchten Gemahlin, die sich gern einmal gegen seine Oberherrlichkeit auflehnte, obwohl sie es sonst bei keinem Sterblichen litt, ein wenig schwül ums Herz geworben sein, denn er antwortete, nachdem er sich durch einen tiefen Seufzer einigermaßen Erleichterung geschaffen hatte, etwas kleinmütig: »Liebes Ehgemahl und sehr edle, purpurgeborene Tochter! Verzeiht die Erinnerung, daß Ihr gestern abend den Wunsch nach einer genauen Beschreibung der Schlacht von Laodikaia aussprachet, und daß zufolgedessen Wir Unsern getreuen Akoluthen beauftragten, denjenigen Waräger aus der seinem Kommando unterstellten Garde auszuwählen und herzuführen, der am befähigtsten sei, über dieses denkwürdige und blutige Ereignis genauen Bericht zu erstatten. Wir vermuteten nun, diesen Waräger vor Uns zu sehen.«

Hier ergriff Achilles Tatius das Wort: »Mit Verlaub, Kaiserliche Hoheit! Die Blume der Waräger, der Barbar der Barbaren steht hier, seiner Abkunft und Bildung nach freilich nicht würdig dazu, aber ein Mann, so tapfer und treu, so ergeben und eifrig, daß ...« – »Laß genug sein, wackerer Akoluth,« sprach der Kaiser, »wenn ich nur weiß, daß er im Kampfe seinen Mann steht, so hat er uns allen nicht wenig voraus, denn wenn wir der Wahrheit treu bleiben wollen, so hat sich das nicht immer von meinem Kommandanten, und wohl auch von mir nicht, sagen lassen. Sprich also kurz, Achilles Tatius, was Du in dieser Hinsicht von Deinem Schützling zu sagen weißt, denn unser teures Ehgespons und purpurgeborene Tochter fangen, wie Du wohl selbst siehst, ungeduldig zu werden an.«

»Hereward,« erklärte Tatius, »ist in der Schlacht ruhiger und gesammelter als mancher andere beim festlichen Reigen; er wiegt ohne Frage vier Eurer besten übrigen Diener, mit Ausnahme Eurer Waräger auf.«

Der Kaiser, runzelte die Stirn. »Akoluth,« sprach er, »durch derartige Ruhmrednerei erhitzest Du die Phantasie dieser Fremdlinge, so daß sie Lust gewinnen, sich über das Gesetz hinwegzusetzen und Händel mit den anderen Söldnern meines Heeres zu suchen.« – »Kaiserliche Majestät gestatten mir hierauf zu erwidern, daß ich es zu keiner Zeit an Ermahnungen zur Festhaltung strammer Disziplin fehlen lasse meinem Warägerkorps gegenüber, und ich darf wohl annehmen, daß der hier anwesende Waräger Verstand und Wahrheitsliebe genug besitzt, mir das zu bezeugen.« Er lenkte den Blick auf Hereward, der durch ein kräftiges Nicken die Rede seines Hauptmanns bekräftigte, worauf dieser, wieder zuversichtlicher als vordem, fortfuhr: »Freilich hätte ich besser gesagt, unser Waräger nehme es mit einem halben Dutzend der schlimmsten und wehrhaftesten Feinde kaiserlicher Majestät auf.« – »Wohl, das klingt auch besser zu Ohren,« erwiderte der Kaiser, »und für Unsere geliebte Tochter, die all Unsere zum Wohle des Reiches vollführten Taten getreulich registriert, wollen Wir hierbei nicht unterlassen, zu bemerken, daß Uns daran liegt, erwähnt zu sehen, daß, wenn auch Unser Schwert in der Scheide nicht rostete, Unser Sinn doch nie nach Blutvergießen gestanden hat.«

»Ich hoffe, das weder vergessen zu haben, noch je zu vergessen, mein edler Vater,« sagte Anna Komnena, wandte sich dann an die Zuhörer und nahm aus den Händen der Dienerin eine Pergamentrolle. Nachdem sie eine Weile darin gelesen, würdigte sie Hereward der folgenden Worte: »Tapferer Barbar! Wie Du aus dem Munde meines kaiserlichen Vaters bereits vernommen, weilst Du hier zu dem Zwecke, Bericht zu erstatten über den Verlauf der blutigen Schlacht bei Laodikaia. Du wirst aus meinem Munde vernehmen, was ich bereits auf grund der Mitteilungen, die mir mein kaiserlicher Vater einerseits, und seine Offiziere, der Befehlshaber der kaiserlichen Armee, Nikanor, und der Kommandant der Waräger, Achilles Tatius, anderseits darüber gemacht hat, niedergeschrieben habe. Da Du im Handgemenge mitgefochten hast, wirst Du Wichtiges zu erzählen wissen über den Verlauf der Ereignisse zur Zeit, als sich die Schlacht zugunsten der kaiserlichen Armee wandte, sowie über die Irrtümer und Mißgriffe, die auf unserer Seite begangen worden sind.«

»Meine Gnädigste,« antwortete ihr der Waräger, »ich werde aufmerksam zuhören; aber es wird mir nie beikommen, Kritik an dem Schriftwerke einer purpurgeborenen Prinzessin oder an dem Verhalten der mir vorgesetzten Heerführer zu üben. Ich könnte höchstens hinsichtlich des unüberwindlichen Protospatharius sagen, daß ich ihn, meines Wissens im Einklänge mit der Pflicht eines Heerführers, nie anders als auf Speerwurfsweite von jedem gefahrdrohenden Platze gesehen habe.«

Des Warägers kühne Rede blieb nicht ohne Eindruck auf die Anwesenden; der Kaiser sowohl wie Achilles Tatius waren sichtlich erfreut, so gut einer gefürchteten Schlappe entgangen zu sein; der Protospatharius tat sein möglichstes, seinen Groll zu verbergen; Agelastes flüsterte dem neben ihm sitzenden Patriarchen zu, daß es dieser nordischen Streitaxt weder an Wucht noch an Schärfe gebreche; der Patriarch aber winkte ihm, zu schweigen, und sagte; »Die Prinzessin will sprechen.«


 << zurück weiter >>