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Siebzehntes Kapitel.

Arthur verlor keine Zeit, in der Person Thibaults einen Eilboten an seinen Vater mit einem Schreiben abgehen zu lassen, durch das er dem älteren Philippson in Kürze alles mitteilte, was seit seiner Ankunft in Aix vorgefallen war, hauptsächlich aber Kunde gab von dem Hinscheiden der Königin und deren letztwilligen Verfügungen, durch die ihr Vermögen unter ihre Anhänger verteilt wurde, insbesondere aber das Halsgeschmeide den Philippsons zufiel. Schließlich bat er um Anweisung zu fernerem Tun und Lassen, da der notwendige Aufenthalt bei der Bestattungsfeier einer Person so hohen Ranges ihn solange in Aix zurückhalten würde, bis er Antwort haben könnte.

Der alte König René verwand den Schrecken über den plötzlichen Tod seiner Tochter mit solcher Leichtigkeit, daß er am zweiten Tage nach dem Trauerfalle schon beschäftigt war, eine prächtige Prozession zum Leichenbegängnisse anzuordnen und ein Grablied zu verfassen, das nach einer ebenfalls von ihm komponierten Weise zu Ehren der hingeschiedenen Königin gesungen werden sollte. Als der erste Ausbruch des Schmerzes vorüber war, konnte der alte König René sich nicht des Gefühles erwehren, daß Margarethens Tod einen politischen Knoten durchschnitten habe, der sonst schwer hätte gelöst werden mögen. Er selbst war nun in der Lage, es öffentlich mit seinem Enkel zu halten und ihm einen bedeutenden Anteil an dem Geldschatz der Provence zu gewähren, der sich freilich nur auf zehntausend Krontaler belief. Nachdem Ferrand den Segen seines Großvaters empfangen hatte, kehrte er zu den Verwegenen zurück, die er befehligte, und mit ihm zog nach liebevollem Abschiede von Arthur der derbe, obwohl einfältige junge Schweizer, Sigismund Biedermann.

Der kleine Hof zu Aix war seiner Trauer hingegeben. König René, für den Gepränge, gleichviel ob fröhlicher oder trauriger Natur, jederzeit eine Sache von Wichtigkeit war, hätte gern dazu beigetragen, die Totenfeier seiner Tochter Margarethe mittels seines letzten Geldes noch feierlicher zu gestalten, allein, er sah sich daran teils durch die Vorstellungen seiner Räte, teils durch die Einwendungen des jungen Engländers verhindert, der streng nach dem Willen der Erblasserin verfuhr und gegen jeglichen phantastischen Aufputz des Leichenbegängnisses, der der Königin bei ihren Lebzeiten zuwider gewesen wäre, Einspruch erhob. Nachdem mehrere Tage unter öffentlichen Gebeten und andern gottesdienstlichen Handlungen verflossen waren, wurde die Totenfeier mit all der düstern Pracht gehalten, die dem Range der Verstorbenen zukam, und durch die die römische Kirche es wohl versteht, Auge, Ohr und Gemüt zu gleicher Zeit für sich einzunehmen.

Unter den verschiedenen Edlen, die der Feierlichkeit beiwohnten, befand sich einer, der eben angelangt war, als die großen Turmglocken der St. Sauveur-Kirche ankündigten, daß der Leichenzug sich schon auf dem Wege nach der Kathedrale befand. Der Fremde hatte seine Reisekleider schnell gegen einen Traueranzug vertauscht, und so angetan, erschien er in der Kirche, wo die edle Gestalt des Fremden den übrigen solche Ehrfurcht einflößte, daß man ihm gestattete, neben die Bahre zu treten. Am Kopfkissen der toten Königin, für die er so lange Zeit gestrebt und soviel erlitten hatte, wechselte nun der Graf von Oxford einen traurigen Blick mit seinem Sohne. Die Leidtragenden, besonders die englische Dienerschaft Margarethens, betrachtete beide mit Ehrfurcht und Verwunderung, und der ältere Kavalier besonders schien ihnen kein unwürdiger Stellvertreter der treuen Untertanen in England zu sein, um deren letzte Pflicht am Grabe der Frau zu üben, die so lange hindurch, wenn auch nicht auf fehlerfreie Weise, doch jederzeit mit kühner, entschlossener Hand den Zepter über jene Insel geführt hatte.

Der letzte Ton der feierlichen Trauerlieder war verklungen, und fast alle Teilnehmer an der Leichenfeier hatten sich enfernt, als Vater und Sohn noch in düsterem Schweigen neben der Gruft ihrer entseelten Monarchin weilten.

»Das ist also ihr Ende,« sprach der Graf endlich. »Hier, königliche Frau, zerschellt alles, was wir für Dich versuchten und wagten! Das innere Leben des Entschlusses, das Haupt des Entwurfes ist dahin, und was nützt es, daß die Glieder der Unternehmung noch Bewegungs- und Lebenskraft haben? Ach, Margarethe von Anjou! möge der Himmel Deine Tugenden belohnen und Dich entsühnen von Deinen Irrtümern! Deine Tugenden, wie Deine Irrtümer gehörten Deinem Stande an, und spanntest Du zur Zeit des Glückes Deine Segel zu hoch, so lebte nimmer eine Fürstin, die stolzer den Stürmen des Mißgeschicks Trotz bot. Mit diesem Trauerfall geht ein Drama zu Ende, und unsere Rollen, mein Sohn, sind ausgespielt.« – »So tragen wir denn die Waffen gegen die Ungläubigen, mein Vater,« sagte Arthur mit einem Seufzer, der jedoch kaum hörbar war.– »Nein,« versetzte der Graf, »nicht eher, als bis ich höre, daß Heinrich von Richmond, der Erbe des Hauses Lancaster, meiner Dienste nicht mehr bedarf. In jenen Juwelen, von denen Du mir schriebst, die so seltsamer Weise verloren gingen und wiedererlangt wurden, möchte ich ihm Hilfsmittel reichen, die ihm nötiger sein dürften als unsere beiderseitigen Dienstleistungen. Doch in das Feldlager des Burgunders kehre ich nicht zurück. Denn dort ist keine Hilfe zu hoffen.« – »Kann es möglich sein, daß die Gewalt eines so großen Herrschers durch eine einzige unglückliche Schlacht zunichte gemacht wurde?« fragte Arthur. – »Keineswegs,« erwiderte der Vater. »Der Verlust zu Granson war sehr groß, doch für die Stärke Burgunds ist und bleibt er nichts weiter als eine Schramme auf der Schulter eines Giganten. Karl aber ist verstimmt, und da ich mich von Anfang an weigerte, die Waffen gegen unsere einstigen Reisegefährten zu ziehen, so fing er an, mir zu mißtrauen. In meinem Beisein sprach er von lauwarmen Freunden, von kaltblütigen, gleichgültigen Seelen – von denen, die wenn sie nicht für ihn wären, gegen ihn sein müßten. Ich sage Dir, Arthur de Vere, der Herzog hat so ehrverletzend geredet, daß nichts als die Befehle der Königin Margarethe und die Angelegenheiten des Hauses Lancaster mich vermochten, ferner in seinem Kriegslager zu weilen. Das ist nun vorbei. Meine königliche Herrin bedarf meiner geringen Dienste nicht mehr – der Herzog kann unserer Sache keine Hilfe verleihen – und wir können seine Absichten auf die Provence nicht mehr unterstützen. Da habe ich denn beschlossen, am Hofe des Königs René so lange zu weilen, bis ich Nachrichten von dem Grafen von Richmond, wie wir ihn noch nennen müssen, erhalten habe. Mich dünkt, daß Verbannte zwar selten am Hofe eines auswärtigen Fürsten willkommen sind; allein ich bin der treue Anhänger der Tochter des Königs René gewesen. Ich werde um nichts weiter ersuchen, als unerkannt hier zu weilen, und begehre weder Rücksicht noch Unterstützung. König René wird es uns nicht weigern, daß wir die Luft in seinem Lande so lange atmen, bis ich erfahre, wohin mich Geschick oder Pflicht rufen werden.«

Dem guten König wäre ein heitrerer Gast als der ernste Graf Oxford lieber gewesen, doch gewährte er ihm freundliche Aufnahme, und der ältere Philippson fand Gelegenheit, seinen Dank dafür abzustatten. Es wurde nämlich ein höchst wichtiger Vertrag zwischen René und dessen Neffen Ludwig XI. von Frankreich geschlossen, in dem René sein Fürstentum an diesen schlauen Monarchen abtrat, weil er durchaus kein anderes Mittel mehr hatte, Ordnung in seine Angelegenheiten zu bringen. Der Gedanke aber, Karl von Burgund dabei zu begünstigen, war nach dem Tode der Königin Margarethe völlig erloschen. Die Staatseinsicht und die Weisheit des Grafen von Oxford, dem fast allein die ganze Abschließung dieses geheimen Vertrages anvertraut wurde, erwirkten dem guten König René besondere Vorteile, so daß er von Geldverlegenheiten befreit und in den Stand gesetzt war, bis an sein Lebensende zu pfeifen und Harfe zu spielen.

Mittlerweile wüteten die Kriege des Herzogs von Burgund mit den Schweizer Kantonen und dem Grafen Ferrand von Lothringen fort.

Zum Beginn des Sommers 1476 hatte Karl eine neues Heer von mindestens sechzigtausend Mann zusammengebracht, das von einhundertfünfzig Geschützen unterstützt wurde und bestimmt war, in die Schweiz einzudringen, wo die kriegslustigen Bergbewohner leicht eine Heeresmacht von dreißigtausend Schweizern stellten, die jetzt fast als unüberwindlich angesehen wurden, und ihre Verbündeten, die freien Städte am Rhein, aufforderten, mit einer mächtigen Reiterschar zu ihnen zu stoßen. Die ersten Angriffe Karls verliefen günstig. Er stürmte in das Waadtland und eroberte die meisten der Plätze wieder, die er nach der Niederlage bei Granson verloren hatte. Allein statt nun einen annehmbaren Frieden mit seinen furchtbaren Grenznachbarn zu schließen, faßte dieser hartnäckigste aller Fürsten den Vorsatz, in die Schluchten der Alpen zu dringen, und die Bergbewohner im Innern ihrer natürlichen Festen zu züchtigen, obwohl die Erfahrung ihn hätte lehren sollen, daß ein solcher Versuch ein verhängnisvolles Ende nehmen müßte. Als Oxford und dessen Sohn im Sommer an den Hof des Königs René zurückkehrten, erfuhren sie, daß der Herzog Karl bis Murten, das am See gleichen Namens liegt und den Eingang in die Schweiz bildet, vorgerückt wäre. Es hieß ferner, daß Hadrian von Bubenberg, ein kriegserfahrener Berner Ritter, daselbst befehligte und den hartnäckigsten Widerstand in der Hoffnung leistete, bald von seinen herbeieilenden Landsleuten entsetzt zu werden. –

In der letzten Woche des Monats Juni lief denn auch in Aix die Kunde von einer zweiten furchtbaren Niederlage des Burgunders ein.


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