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Trepp ab, trepp auf, trippelte Anneli Veilchen, als die Seele von allem, was in dem einzigen bewohnbaren Winkel der weitläufigen Arnheimer Feste vorging. Sie taugte zu jeglichem Dienste und steckte deswegen ihr Köpfchen in den Stall, um sich zu überzeugen, ob Willibald gehörig für Arthurs Pferd sorgte, guckte in die Küche, um nachzusehen, ob Märten, der alte Koch, die Rebhühner zu gehöriger Zeit würde geschmort haben (eine Einmischung, für die sie wenig Dank erntete), holte etliche Krüge Rheinwein von dem großen Faß im Keller und lugte endlich in das Vorgemach, um nachzuschauen, wie es um Arthur stünde. Da hatte sie denn die Freude zu sehen, daß dieser seine Person auf das beste herausstaffiert hatte, und so versicherte sie ihm, er solle ihre Gebieterin bald erblicken, die zwar unpaß wäre, sich's jedoch nicht versagen könnte, herabzukommen, um einen so werten Bekannten zu begrüßen.
Arthur errötete, als das Mädchen so sprach, und erschien dabei der Zofe so hübsch, daß sie unterwegs, als sie wieder hinaufsprang in das Gemach ihrer Gebieterin, zu sich selbst sprach: »Wenn treue Liebe trotz aller Hindernisse es nicht dahin bringen kann, dieses Pärchen zusammenzuführen, so will ich nimmermehr glauben, daß es überhaupt ein Ding wie wahre Liebe auf der Welt gibt, mag Martin Springer auch sagen, was er will, und mag er es noch so hoch und teuer auf das Evangelium beschwören.«
Als sie das Gemach des jungen Fräuleins erreicht hatte, fand sie, daß Anna, statt alles anzutun, was sie an Schmuck besaß, das einfache Gewand angezogen hatte, das sie an dem Tage trug, wo Arthur zum erstenmale auf Geierstein zu Tische saß. Betroffen und zweifelhaft sah die Zofe anfänglich ihre Gebieterin an; dann aber erkannte sie das feine Gefühl, das sie bewog, dieses Kleid zu wählen, und rief aus: »Ihr habt recht! – Ihr habt recht – am besten ist es, Ihr tretet ihm als das freiherzige Schweizermädchen entgegen!«
Auch Anna lächelte und erwiderte: »Doch muß ich in den Mauern von Arnheim zu gleicher Zeit auch gewissermaßen als die Tochter meines Vaters erscheinen. Hier, Mädchen, hilf mir diesen Edelstein auf das Band heften, das in mein Haar geflochten ist.«
Es war ein Kopfputz, der aus zwei von einem Opal zusammengehaltenen Geierfedern bestand, diese Edelsteine funkelten in so reichen Farben, daß die Schweizerdirne, die in ihrem Leben dergleichen Dinge noch nicht gesehen hatte, den Schmuck entzückt bewunderte. – »Traun, gnädiges Fräulein Anna,« sprach sie, »wenn das hübsche Ding wirklich als ein Zeichen Eures Standes getragen wird, so ist es an all Eurer Würde das einzige, wonach mich gelüsten könnte; denn es schimmert und schillert gar wunderlieblich.« – »Ach, Anneli,« sagte die Freiin, indem sie mit der Hand über die Augen fuhr, »von allem Geschmeide, das die Ahnfrauen meines Hauses ihr eigen nannten, ist dieser Stein seinen Besitzerinnen vielleicht der verhängnisvollste gewesen.«
»Und warum tragt Ihr ihn dann?« fragte Anneli; »warum vor allen andern Tagen im Jahre gerade heute?«
»Weil er am besten mich an die Pflicht erinnert, die ich gegen meinen Vater und meinen Stamm zu erfüllen habe. Und jetzt, Mädchen, sage ich Dir, daß Du hübsch mit uns bei Tische sitzest und keinen Augenblick das Gemach verläßt, daß Du mir nicht geschäftig hin und her rennst, um dies oder das herbeizuschaffen, sondern ruhig auf Deinem Sessel bleibst und alles durch Willibald besorgen läßt! Ich weiß nicht, ob ich recht oder unrecht tue, wenn ich diesen jungen Mann sehe, wäre es auch das letzte Mal! Wenn mein Vater käme? Wenn Itel Schreckenwald heimkehrte?« –»Euer Vater ist zu sehr vertieft in irgend eines seiner düstern, geheimnisvollen Geschäfte,« sagte die plappernde Schweizerdirne, »und reitet vielleicht nach dem Blocksberge, wo die Hexen Sabbat halten, oder macht mit dem wilden Jäger einen Jagdzug.« – »Pfui, Anneli, wie kannst Du so von meinem Vater sprechen?« – »Nun, weil ich eigentlich wenig von ihm weiß,« sprach die Zofe, »und Ihr selbst wißt nicht viel mehr von ihm. Und wie sollte das unwahr sein, was alle Welt für wahr erklärt?« – »Was, Du Törin, erklärt alle Welt für wahr?«
»Ei, daß der Freiherr ein Hexenmeister ist, daß Eure Großmutter ein Irrwisch war, und daß Itel Schreckenwald ein eingefleischter Teufel ist.« – »Wo ist Itel?« – »Hinabgegangen, die Nacht im Dorfe zuzubringen, die Mannschaft des Rheingrafen zu quartieren, und sie, womöglich, ein wenig in Ordnung zu halten; denn die Kriegsmänner sind unzufrieden, weil sie den versprochenen Lohn nicht erhalten haben.« – »So laß uns gehen, Mädchen, vielleicht ist für viele Jahre diese Nacht die letzte, die wir in Freiheit verbringen.«
Wer möchte die Verlegenheit schildern, mit der Arthur Philippson und Anna von Geierstein einander begegneten; als sie sich begrüßten, erhoben sie weder ihre Blicke, noch sprachen sie vernehmbar, und das Mädchen konnte nicht höher erröten als ihr bescheidener Liebhaber; während die frohgelaunte Schweizerdirne, deren Ansichten über Liebe weit freier und ungezwungener waren, die Augenbrauen ein wenig in die Höhe zog und ziemlich geringschätzend auf ein Liebespaar blickte, das nach ihrer Meinung sich so unnatürlich und förmlich benahm. Tief war die Verbeugung und hoch das Erröten, womit Arthur dem jungen Fräulein die Hand bot, und sie erwiderte diese Höflichkeit mit ebensolcher Verschämtheit. Arthur führte, wie es die Sitte der Zeit und der Wohlanständigkeit mit sich brachte, die Dame in das Nebengemach, wo der Tisch zum Abendessen gedeckt war; und Anneli, die mit seltener Aufmerksamkeit alles, was vorging, beobachtete, erstaunte über alle die Zeremonien, deren ihre Herrin sich befleißigte, seit sie den höheren Ständen angehörte.
Allem Anscheine nach sahen sich die jungen Leute durch die Verhältnisse, in denen sie sich hier befanden, veranlaßt, die Sitten eines höheren Standes zu beobachten, an die sie beiderseits in früheren Jahren gewöhnt gewesen waren; und während die Freiin es für nötig hielt, den strengsten Anstand zu wahren, um den Empfang Arthurs in den innersten Gemächern ihrer Burg zu rechtfertigen, so war er dagegen bemüht, durch die tiefste Ehrerbietung zu zeigen, daß er unfähig wäre, die Güte zu mißbrauchen, mit der er stets von Anna behandelt worden. Sie setzten sich zu Tische, indem sie gewissenhaft die Entfernung innehielten, die die Sitte zwischen einem tugendhaften Jüngling und einem sittenreinen Mädchen forderten. Der Bursch Willibald wartete mit Höflichkeit und Hurtigkeit auf, gleich einem, der an dergleichen gewöhnt ist, und Anneli, die zwischen den Liebenden saß, verhielt sich so artig, wie man es von der Zofe eines gnädigen Fräuleins erwarten konnte. Dennoch machte sie dabei manche Schnitzer. Ihr Benehmen im allgemeinen glich etwa dem eines Windspiels an der Leine, das jeden Augenblick bereit ist, durchzugehen.
Andere Punkte der feinen Sitte wurden nach dem Essen verletzt, als der Aufwärter Willibald sich zurückgezogen hatte. Da fiel es der Zofe ein, ohne alle Umstände sich in das Gespräch zu mischen, ihre Gebieterin bei ihrem Taufnamen Anna zu nennen, ja sogar Philippson mit dem traulichen »Du« anzureden, was damals ein grober Verstoß gegen die Etiquette war. Anna und Arthur machten die Torheiten der Zofe zum willkommenen Anlaß, darüber zu scherzen und ein Lächeln gegeneinander auszutauschen. Es währte nicht lange, so bemerkte Anneli dies, und indem sie geschickt die Gekränkte spielte, sprach das Mädchen mit vielem Scharfsinn: »Ihr seid fürwahr recht lustig auf meine Kosten, und das bloß, weil ich lieber aufgestanden wäre und das Erforderliche selbst geholt hätte, statt daß ich wartete, bis der arme Willibald, der zwischen Tafel und Kredenztisch umhertraben mußte, Zeit fand, es mir zu bringen. Jetzt lacht Ihr mich aus, weil ich Euch bei den Namen nenne, die Euch bei der Taufe im Gotteshause beigelegt wurden, und weil ich Du und Dir und Dich zu Euch sage und den gnädigen Junker und das gnädige Fräulein so anrede, als ob ich auf meinen Knien mit Gott im Himmel spräche. Doch trotz all Euerm geschnörkelten Wesen kann ich sagen, daß Ihr nichts als ein paar Kinder seid, die ihr eigenes Gemüt nicht erkennen und die kurze Mußezeit hinwegspötteln, die ihnen gelassen ist, für ihr eigenes Glück zu sorgen. Nun, runzelt die Stirn nicht, gnädiges Fräulein, ich habe zu oft zum Pilatusberge aufgeblickt, als daß ich mich vor einer düstern Stirn fürchten möchte.« – »Still, Anneli,« sagte ihre Gebieterin, »oder ich gehe hinaus.«– »Hätte ich Euch nicht ebenso lieb wie mich selbst,« sagte die kecke, unerschrockene Dirne, »so würde ich das Gemach und die Burg obendrein verlassen und Euch allein hier wirtschaften lassen, mit Eurem liebenswürdigem Vogt, dem Itel Schreckenwald.« – »Wenn nicht aus Liebe zu mir, so schweige aus Scham und aus Mitleid; oder geh hinaus.« – »Nun,« sprach Anneli, »mein Riegel ist schon vorgeschoben, und ich habe nur auf das angespielt, was alle zusammen auf dem Rasen zu Geierstein an jenem Abend sagten, wo der Buttisholzer Bogen gespannt ward. Ihr wißt, was die alte Sage spricht? Diese meine gnädige Herrin, mein Herr Arthur, bedürfte wohl einer Zofe, die aus Herbstflocken gewoben und mit dem Atem eines Luftgeistes beseelt ist. Könnt Ihr's glauben? Viele meinen ganz ernstlich, sie gehöre zu einem Geschlechte von Elementargeistern.«
Anna von Geierstein schien geneigt zu sein, die Unterhaltung von dem Gegenstand, auf den das Mädchen sie gebracht, abzulenken und von gleichgültigeren Dingen zu reden. Zuvor jedoch sagte sie: »Herr Arthur denkt vielleicht, es läge wirklich Grund zu einem seltsamen Argwohn vor, den einige Toren in Deutschland wie in der Schweiz verbreitet haben. Gesteht es, Arthur, Ihr dachtet sonderbar von mir, als ich an der Brücke zu Grafenlust, wo Ihr Wache standet, an Euch vorüberschritt?«
Die Erinnerung an diese Erscheinung, die ihn damals so gewaltig ergriffen hatte, ergriff noch jetzt unsern Arthur so tief, daß er nur mit Mühe sich beherrschen konnte, um eine Antwort zu finden, und was er erwiderte, war abgebrochen und unzusammenhängend. »Ich hörte – ich muß gestehen – Rudolf von Donnersberg erzählte – doch daß ich etwa glaubte, Ihr wärt, schönes Fräulein, etwas anderes als ein christliches Mädchen.–« – »Nun, wenn Rudolf der Erzähler war,« nahm Anneli das Wort, »so ist es gewiß, daß Ihr nur das Schlimmste über meine Gebieterin und deren Verwandtschaft hörtet. Sicherlich erzählte er Euch ein hübsches Gespenstermärchen, nicht wahr, von meines Fräuleins Großmutter? und fürwahr, die Umstände trafen damals so zusammen, daß Ihr das Märchen so ziemlich für wahr halten konntet.« – »Nicht so, Anneli,« versetzte Arthur; »was auch von Deinem Fräulein Seltsames und Wunderliches gesagt werden mochte, es fiel als unglaubwürdig zu Boden.« »Herr Arthur Philippson,« ergriff Anna das Wort: »wahr ist es, mein Großvater mütterlicher Seite, der Freiherr von Arnheim, war ein Mann von großen Kenntnissen in dunklen und geheimnisreichen Wissenschaften. Auch war er Oberrichter eines geheimen Tribunals, von dem Ihr gehört haben müßt, und das die heilige Feme heißt. Eines Nachts kam ein Fremder, der von jenem geheimen Gericht verfolgt wurde, in die Burg und flehte meinen Ahnherrn um Schutz und Gastfreundschaft an. Mein Großvater, der den Fremden als großen Alchimisten kannte, verlieh ihm Schutz, und sie studierten zusammen ein Jahr und einen Tag lang und drangen in die Geheimnisse der Natur soweit ein, wie es dem Menschen überhaupt vergönnt ist. Als der Tag näher kam, an dem der dem Fremden gewährte Aufschub verflossen war und er von seinem Wirte scheiden mußte, bat er um die Erlaubnis, seine Tochter in die Burg kommen zu lassen, um ihr das letzte Lebewohl zu sagen. Dem Mädchen, dessen Vater einem ungewissen Schicksal entgegenging, gewährte der Freiherr von Arnheim eine Zuflucht in der Feste, wobei er vielleicht hoffte, auch durch sie seine Kenntnisse in den morgenländischen Sprachen und Wissenschaften zu bereichern. Danischmende, ihr Vater, verließ diese Burg, um sich zu Fulda dem Femgerichte zu überliefern. Welchen Ausgang das Verfahren nahm, blieb unbekannt. Vielleicht wurde Danischmende durch das Zeugnis des Freiherrn gerettet, vielleicht wurde er dem Dolch und dem Strange überliefert. Wer wagt es, solche Gegenstände zu besprechen? Die schöne Perserin wurde die Gattin ihres Hüters und Beschützers. Neben vielen Vorzügen besaß sie besonderen Hang zur Unvorsichtigkeit. Sie benützte ihre ausländische Kleidung, ihre fremdartigen Sitten, ihre Schönheit, die wundersam gewesen sein soll, und ihre fast unglaubliche Beweglichkeit, die unwissenden deutschen Weiber in Erstaunen und Schrecken zu setzen, so daß letztere, da sie überdies die Freifrau von Arnheim Persisch und Arabisch sprechen hörten, sie wohl für eine, mit gottlosen Künsten vertraute Frau hielten. Hermione, meine Großmutter, war exzentrisch und phantastisch und fand daran Vergnügen. Sie förderte sogar diesen lächerlichen Argwohn. Der Geschichten, die über sie verbreitet wurden, war keine Ende. Ihr erstes Erscheinen in der Burg soll höchst malerisch gewesen sein und an das Wunderbare gegrenzt haben. Da sie von Standesvorurteilen ganz frei war, geriet sie mit einigen Verwandten über Rang und Vorrang in Zwist; und dies kostete sie das Leben; denn am Morgen des Tauftages meiner armen Mutter starb die Freiin Hermione von Arnheim plötzlich, eben als eine zahlreiche Gesellschaft in der Burg zur Feier versammelt war. Man glaubt, sie sei an Gift gestorben, das die Freifrau von Steinfeld ihr beizubringen wußte, weil sie mit dieser wegen einer Freundin und Gefährtin, der Gräfin Waldstetten, in einen erbitterten Zank geraten war.«
»Und der Opal? und warum wurde er mit Weihwasser besprengt?« fragte Arthur. – »Aha, ich merke, Ihr wollt,« versetzte die junge Freiin, »die volle Wahrheit von meiner Familiengeschichte hören, von der Ihr nur die romantische Sage vernommen habt. – Sie mit Wasser zu besprengen, war wohl nötig; denn sie war in Ohnmacht gefallen. Was den Opal anbelangt, so habe ich freilich auch gehört, daß sein Feuer dabei erloschen wäre; doch kam dies, wie Sachkundige behaupten, nur daher, weil die Natur dieses Edelsteins es mit sich bringt, blind zu werden, sobald man ihn mit giftigen Stoffen in Berührung bringt. Alle diese Dinge wurden durch die Volkssage anders gestaltet und in ein Feenmärchen verwandelt.«
»Aber Ihr sagt mir nichts,« fiel Arthur Philippson ein, »über – über –« – »Ueber was?« fragte seine Wirtin. – »Ueber Euer Erscheinen in jener Nacht.«
»Ist es möglich,« versetzte Anna, »daß ein Mann von Verstande sich das nicht selbst klar machen kann? Mein Vater ist ein vielbeschäftigter Mann in einem unruhigen Lande gewesen und hat sich den Groll mancher machtbegabten Personen zugezogen. Er sieht sich deswegen genötigt, oft im geheimen zu handeln und lästigen Beobachtungen auszuweichen. Ueberdies wollte er vermeiden, mit seinem Bruder, dem Landammann, zusammenzutreffen. Bei meinem Eintritt in Deutschland wurde mir also Kunde, eines Zeichens zu harren, durch das mir mitgeteilt würde, wann und wo ich meinen Vater finden sollte. Dies Zeichen war ein kleines metallenes Kruzifix, das meiner guten Mutter gehört hatte. In meinem Gemach zu Grafenlust fand ich dieses Zeichen mit der Weisung meines Vaters. Er beschrieb mir eine geheime Pforte, durch die ich die Jagdfeste verlassen könnte, und so gelangte ich zu dem Tor, über die Brücke und in den Wald, wo ich an einem bestimmten Platz meinen Vater traf.«
»Ein wildes und gefahrvolles Abenteuer,« sagte Arthur. – »Ich war nie so sehr betroffen,« fuhr Anna fort, »wie in dem Augenblicke, wo ich seine Weisung erhielt. Er zwang mich dadurch, mich von meinem gütigen, liebreichen Ohm wegzustehlen, ohne daß ich wußte, was aus mir werden würde. Doch Gehorsam war unerläßliche Pflicht. Der Ort der Zusammenkunft war genau bestimmt. Ein mitternächtlicher Gang, wo Schutz mir nahe war, konnte für mich nicht viel auf sich haben; aber die Vorsicht, daß Schildwachen an die Tore gestellt worden waren, hätte meinem Vorhaben hinderlich werden können, wenn ich nicht einigen meiner älteren Vettern, den Biedermanns, mich anvertraut hätte, die gern bereit waren, mich ungehindert gehen und kommen zu lassen. Nur Sigismund durfte ich nichts davon sagen, und da sie immer ihren Spaß mit dem schlichten Burschen zu treiben pflegen, so verlangten sie, ich sollte so an ihm vorüberschreiten, daß er mich für eine Geistererscheinung halten müsse. Ueber seine Furcht vor Gespenstern gedachten sie sich dann weidlich lustig zu machen. Ich mußte Ihnen wohl oder übel zu Willen sein, da ich ohne ihre Mithilfe gar nicht hätte gehen können. Doch groß war mein Erstaunen, als ich ganz gegen meine Erwartung an Sigismunds Stelle Euch auf der Brücke fand. Ich will gar nicht erst wissen, was Ihr darüber gedacht habt.«
»Meine Gedanken waren die eines Toren,« sagte Arthur, »eines doppelten Toren. Wäre ich etwas Besseres gewesen, so würde ich Euch meine Begleitung angeboten haben. Mein Schwert – «– »Ich hätte Euer Anerbieten nicht annehmen können,« versetzte Anna gelassen. »Mein Gang mußte in jeder Hinsicht geheim bleiben. Ich traf meinen Vater – er war von Rudolf von Donnersberg behindert worden, seinen Vorsatz auszuführen und mich noch in eben der Nacht mitzunehmen. Doch gelangte ich am frühen Morgen wieder zu ihm, indem Anneli eine Zeitlang meine Rolle bei den Schweizern spielte. Mein Vater wollte nicht wissen lassen, wann und mit wem ich meinen Oheim und dessen Gefolge verließ. Ich brauche Euch kaum zu sagen, daß ich Euch im Kerker sah.«
»Ihr wart die Erhalterin meines Lebens,« sagte der Jüngling – »die Wiederherstellerin meiner Freiheit –« – »Fragt mich nicht danach, warum ich mich in Schweigen hüllte. Ich mußte ganz nach Vorschrift handeln. Ihr wurdet nur zu dem Zweck befreit, eine Verbindung zwischen den Bürgern innerhalb der Feste und den Schweizern außerhalb zustandezubringen. Nach der Bestürmung von La Ferette erfuhr ich von Sigismund Biedermann, daß eine Rotte Buschklepper Euch und Euren Vater verfolgte, um Euch zu plündern. Mein Vater hatte mich mit den Mitteln versehen, das Schweizermädchen Anna von Geierstein in ein deutsches Edelfräulein umzugestalten. Ich setzte mich sofort zu Pferde, und es freut mich, Euch einen Wink gegeben zu haben, der Euch wohl der Gefahr entrissen haben wird.«
»Aber mein Vater?« fragte Arthur. – »Ich habe alle Ursache, zu hoffen, daß er sich gesund und wohl befindet,« antwortete das Fräulein. »Und nun, mein Freund, nachdem diese Rätsel aufgeklärt sind, ist es Zeit zu scheiden, und zwar für immer.« – »Scheiden! Und für immer!« wiederholte der Jüngling mit einer Stimme, die einem verhallenden Echo glich. – »Unser Geschick will es,« sagte das Mädchen, »Ich fordere Euch auf, Euch zu prüfen, ob es nicht Eure Pflicht ist, wie es die meinige ist. Ihr werdet mit Anbruch des Tages nach Straßburg gehen und – nimmer sehen wir uns wieder.«
Mit einer Glut der Leidenschaft, die er nicht unterdrücken konnte, warf Arthur sich zu den Füßen des Mädchens, deren zitternde Stimme deutlich zu erkennen gab, was sie bei diesen Worten empfand. Sie sah sich nach der Zofe um, allein Anneli war in diesem bedenklichen Augenblicke verschwunden, und nach ein paar Sekunden war die Gebieterin vielleicht nicht mehr ungehalten über die Abwesenheit ihrer Zofe.
»Steht auf,« sagte sie, »Arthur – steht auf. Ihr müßt keinen Empfindungen Raum geben, die Euch und mir verderblich werden können.« – »Hört mich, Fräulein, bevor ich Euch Lebewohl sage für immer – einem Missetäter selbst wird das Wort vergönnt, auch wenn er die schlimmste Sache verteidigen möchte. Ich bin ein schwertumgürteter Ritter, Sohn und Erbe eines Grafen, dessen Name in England, Frankreich und überall bekannt ist, wo Tapferkeit ihren Lohn findet –« – »Ach,« seufzte Anna, »ich habe nur zu lange schon geahnt, was Ihr mir jetzt sagt. – Steht auf, ich bitte Euch, steht auf!« – »Nicht eher, als bis Ihr mich hörtet,« sagte der Jüngling, indem er eine ihrer Hände ergriff, die in der seinigen zitterte, doch ohne sich ihr zu entziehen. – »Hört mich,« sprach er mit aller Schwärmerei der ersten Liebe, sobald diese die Hindernisse der Verschämtheit überwunden hat; »mein Vater und ich, ich gestehe es, haben einen gefährlichen Auftrag übernommen. Ihr werdet bald hören, ob das Geschäft gut oder böse abläuft. Glückt es, so werdet Ihr bald von mir unter meinem wahren Namen hören; gehe ich zu Grunde, so möchte ich, daß Anna von Geierstein mir eine Träne nachweine!«
»Steht auf, steht auf,« wiederholte das Mädchen, deren Tränen heftig zu fließen begannen und, als sie versuchte, ihren Geliebten vom Boden zu erheben, ihm auf Stirn und Angesicht fielen. »Ich habe,« setzte sie hinzu, »genug gehört; noch mehr zu hören, wäre Wahnsinn für Euch und mich.« – »Nur noch das eine Wort,« sagte der Jüngling: »solange Arthur ein Herz hat, schlägt es für Euch – so lange Arthur eine Waffe schwingen kann, geschieht es für Euch und um Euretwillen.« – Anneli stürzte in das Gemach. – »Fort! Fort!« rief sie, »Schreckenwald ist aus dem Dorfe mit einigen scheußlichen Nachrichten heimgekehrt, und ich fürchte, er wird hierherkommen.«
Arthur hatte sich sofort vom Boden erhoben. – »So Deiner Gebieterin Gefahr nahe ist, Anneli,« sprach der Engländer, »so ist mindestens ein treuer Freund ihr zur Seite.« – Anneli blickte ängstlich auf ihre Gebieterin. »Aber Schreckenwald,« sprach sie – »Schreckenwald, Eures Vaters Vogt – sein Vertrauter, – Erwägt das! Ich kann Arthur irgendwo verbergen.« –
Die edelherzige Anna von Geierstein hatte all ihre Fassung wiedererlangt und versetzte mit Würde: »Ich habe nichts getan, was meinen Vater beleidigen könnte. Ist Schreckenwald meines Vaters Vogt, so ist er auch mein Untertan. Um seinetwillen verstecke ich keinen Gast. Setzt Euch,« fuhr sie zu Arthur gewendet fort, »und laßt uns diesen Mann empfangen. Führe ihn sofort herein, Anneli, und laß uns hören, was er zu melden hat. – Auch gib ihm zu bedenken, daß, wenn er zu mir spricht, es seine Herrin ist, mit der er redet.«
Arthur nahm seinen Sitz wieder ein und war noch stolzer auf seine Wahl, als er edlen und furchtlosen Mut in einem Mädchen wahrnahm, das vor kurzem sich so empfänglich für die zartesten Empfindungen des weiblichen Geschlechtes gezeigt hatte.