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Sechzehntes Kapitel.

Am folgenden Tage hatte König René neue Festlichkeiten angeordnet, als zu seinem größten Mißbehagen Margarethe um eine ernsthafte Unterredung mit ihm bat. Gab es in der Welt einen Antrag, den René von ganzem Herzen verabscheute, so war es der, in dem das Wort Geschäft vorkam. »Was will denn das Kind von mir?« fragte er; »will sie Geld haben? Ich will ihr geben, was ich an Barem besitze, wiewohl ich gestehe, daß meine Schatzkammer etwas erschöpft ist; doch erwarte ich neue Jahreseinkünfte. Zehntausend Kronen habe ich noch. Wieviel wünscht sie davon? Die Hälfte? – ein Drittel? – das Ganze? – Alles ist zu ihren Diensten.« – »Ach, mein teurer Vater,« sagte Margaretha, »es sind nicht meine Angelegenheiten, sondern die Eurigen, worüber ich mit Euch reden will.« – »So es meine Angelegenheiten sind,« sagte René, »so kann ich sie bis zu einem andern Tage verschieben – bis auf irgend einen düstern Regentag, der zu nichts Besserm taugt.« –»Was ich mit Euch zu besprechen habe, betrifft Ehre und Rang, Leben und Lebensunterhalt!« – »Wenn Du darauf bestehst, Kind,« sagte König René, »so weißt Du, daß ich nicht nein sagen kann.« Und mit Widerwillen ließ er sich in ein inneres Gemach führen. Um jede Störung fernzuhalten, erhielten Margarethens Schreiber Mordaunt und Arthur die Weisung, im Vorgemach zu weilen und niemand einzulassen. Der arme König, der in das Regierungskabinett geführt wurde, blickte mit innerlichem Schauer auf das ebenholzene, mit Silber beschlagene Kästchen, dessen Inhalt ihm bisher stets höchst langweilige Verhandlungen beschert hatte; doch als die Papiere ihm nun vorgelegt waren, zeigte es sich, daß sie, wiewohl auf schmerzliche Weise, seine ganze Aufmerksamkeit rege machten.

Seine Tochter nannte ihm klar und mit kurzen Worten die Schuldsummen, die auf seinen Besitzungen lasteten, und erklärte, wie die letzteren in kleineren und größeren Teilen verpfändet waren. Dann zeigte sie ihm auf einem andern Blatte die Forderungen, deren Zahlung sofort geleistet werden sollte, und zu deren Deckung sich kein Bargeld vorfand. Der König kämpfte dagegen, wie andere Leute in ähnlicher trübseliger Lage tun. Bei jeder Schuldforderung von sechs, sieben oder achttausend Dukaten wiederholte er die Versicherung, daß er zehntausend Krontaler in seiner Kanzlei habe, und wollte durchaus nicht begreifen, daß diese Summe nicht zur Tilgung einer dreißigmal so großen Schuld in Anschlag gebracht werden könnte.

»Sind wir nicht,« sagte Rene, »König von Neapel, Aragon, beiden Sizilien und Jerusalem? Und warum soll der Monarch so schöner Königreiche einem bankerotten Landedelmann gleich um ein Paar lumpiger Krontaler willen in die Enge getrieben werden?« – »Ihr seid freilich König dieser Reiche,« entgegnete Margarethe, »allein es ist notwendig, Eure Majestät daran zu erinnern, daß Ihr es so seid, wie ich Königin von England bin, von einem Lande, wo kein Ackerstück mein ist, und aus welchem ich nicht eines Hellers Wert an Einkünften ziehen kann. Ihr habt keine Besitzungen, die Euch etwas einbrächten, außer diesen, die Ihr auf dieser Rolle verzeichnet seht, und deren Einkünfte hier genau berechnet sind. Diese Einkünfte reichen bei weitem nicht aus, Euren Aufwand zu bestreiten, geschweige denn die großen Summen längst fälliger Schulden zu bezahlen.« – »Es ist grausam, mich so zu drängen,« sagte der König, »Was kann ich tun? Bin ich arm, so kann ich nicht dafür. Ich möchte recht gern die Schulden tilgen, von denen Du schwatzest, wenn ich nur wüßte, wie.« – »Königlicher Vater, das will ich Euch zeigen. – Entsagt Eurer unnützen Würde, die nur dazu dient, Eure Armut lächerlich zu machen. Entsagt Euren Rechten als Monarch, und das Einkommen, das zu den nichtigen Vergeudungen eines bettelhaften Hofstaates nicht auszureichen vermag, wird Euch in den Stand setzen, in Ruhe und Ueberfluß und als Privatedelmann alle die Vergnügungen zu genießen, für die Ihr so eingenommen seid.« – »Margarethe, Du sprichst wie eine Törin,« antwortete Rene etwas finster. »Ein König und sein Volk sind durch Bande aneinandergeknüpft, die niemand, ohne sich strafbar zu machen, zerreißen darf. Meine Untertanen sind meine Herde, ich bin ihr Hirt. Der Himmel hat sie meiner Leitung anvertraut, und ich darf mich der Pflicht nicht entheben, sie zu schützen.« – »Wärt Ihr dazu imstande,« antwortete die Königin, »so würde Margarethe Euch beschwören, bis zum Tode dafür zu fechten. Doch legt nur einmal Euren längst nicht mehr gebrauchten Harnisch an – besteigt Euer Kriegsroß – ruft: »René für die Provence!« und seht zu, ob sich auch nur hundert um Eure Fahnen sammeln. Eure Festen sind in fremden Händen, ein Heer besitzt Ihr nicht; Eure Vasallen mögen guten Willen haben, doch entbehren sie alles Kriegsgeschickes und aller Kriegserfahrung. Ihr steht da, wie der Schatten eines Monarchen, den Frankreich oder Burgund, wer von beiden nur zuerst die Waffen erheben will, verscheuchen und verschwinden lassen kann.«

Tränen flossen reichlich über die Wangen des alten Königs, als er sich eingestehen mußte, daß es ihm gänzlich an Macht gebrach, sich und seine Staaten zu verteidigen, als er einräumen mußte, daß er es oft selbst für notwendig erachtete, sich wegen seiner Entsagung mit einem seiner machtbegabten Nachbarn ins Vernehmen zu setzen. – »Nur die Rücksicht auf Dich, Margarete,« setzte er hinzu, »hielt mich bisher davon ab.« – »Die Rücksicht auf mich fordert jedoch gerade die Entsagung,« antwortete Margarethe. »Ja, sie ist vielleicht der einzige Wunsch, den mein Busen hegt.« – »Genug, mein Kind, gib mir die Abdankungsschrift, daß ich sie unterzeichne. Wir müssen Weh erleiden, doch ist's nicht nötig, deswegen Trübsal zu blasen.« – »Fragt Ihr nicht,« sagte Margarethe, überrascht von des Vaters Bereitwilligkeit, – »wem Ihr Eure Staaten abtretet?« – »Was nützt es,« antwortete der König, »da sie nicht mehr die unsrigen bleiben sollen? Muß es doch entweder Karl von Burgund oder mein Neffe Ludwig sein – beide sind machtbegabte, staatskluge Fürsten, Gott füge es, daß mein armes Volk nicht Ursache habe, mich alten Mann zurückzuwünschen, dessen einziges Vergnügen es war, seine Untertanen fröhlich und glücklich zu sehen.«

»Burgund ist's, dem Ihr die Provence abtretet,« sagte Margarethe. – »Karl ist auch mir lieber als Ludwig,« entgegnete René; »er ist wild, aber nicht boshaft. Noch ein Wort, sind meiner Untertanen Rechte und Freiheiten vollkommen gesichert?« – »Vollkommen,« versetzte die Königin, »und für all Eure Bedürfnisse ist auf das ehrenvollste gesorgt.« – »Ich frage nicht um meinetwillen. René, der Troubadour, wird eben so glücklich sein wie René, der König, es jemals war.«

Als er dies gesagt hatte, pfiff er in praktischer Lebensweisheit leise die Melodie eines jüngst gesetzten Liedchens und unterzeichnete, ohne nur den Handschuh auszuziehen oder das Papier durchzulesen, die Absagungsurkunde, mit der er seine königlichen Besitzungen weggab.

»Was ist das?« sagte er, indem er auf ein anderes zweites Pergament von weit kürzerem Inhalte blickte. »Muß mein Vetter Karl von Burgund auch beide Sizilien, Catalonien, Neapel und Jerusalem, außer den armseligen Resten der Provence haben? Mich dünkt, man hätte, des äußeren Auslandes wegen, zu solcher Abtretung ein größeres Pergamentblatt wählen sollen.«

– »Diese Urkunde,« sagte Margarethe, »erklärt nur, daß Ihr Ferrand de Vaudemont bei seinem vorschnellen Angriff auf Lothringen alle Unterstützung verweigert und Euch seinetwegen mit Karl von Burgund nicht verfeinden wollt!«

Aber hier hatte Margarethe ihre Gewalt über den Vater zu hoch geschätzt, René stutzte, verfärbte sich und stammelte leidenschaftlich, indem er die Tochter unterbrach: »Meinen Großsohn, den Sohn meiner teuren Jolanda, soll ich aufgeben – seine gerechten Ansprüche auf das Erbteil seiner Mutter nicht unterstützen? Margarethe, ich schäme mich in tiefster Seele! Verlassen, verleugnen soll ich mein eigen Fleisch und Blut, weil der Jüngling ein kühner, gewappneter Ritter ist, der sich zum Kampfe für sein Recht anschickt? – ich verdiente, daß Harfe und Jägerhorn Schmach über mich erklingen ließen, wenn ich Dir Gehör gäbe!«

Ehe Margarethe noch zu antworten vermochte, wurden Stimmen im Vorgemache laut, ein bewaffneter Ritter riß die Tür auf und trat mit allen Zeichen einer eben beendeten weiten Reise herein. – »Hier bin ich,« sprach er, »Vater meiner Mutter, – seht Euren Enkel, Ferrand de Vaudemont. Der Sohn Eurer verlorenen Jolanda kniet zu Euren Füßen und fleht um Euren Segen für sich und seine Unternehmung.« – »Du hast ihn,« versetzte René, »und möge es Dir glücken, tapferer Jüngling, Ebenbild Deiner in Gott ruhenden Mutter, mein Segen, meine Gebete, meine Hoffnungen ziehen mit Dir!« – »Und Ihr, schöne Muhme von England,« sagte der Ritter, »die Ihr selber durch Verrat länderlos gemacht wurdet, wollt Ihr nicht die Sache eines Verwandten anerkennen, der für sein Erbe kämpft?« »Ich wünsche Euch persönlich alles Gute, lieber Neffe,« antwortete die Königin von England, »obwohl Eure Gesichtszüge mir fremd sind. Doch es wäre gottlose Raserei, wollte ich diesem Greise anraten, sich an Eurer Sache zu beteiligen, die in den Augen aller klugen Leute für ganz hoffnungslos gilt.«

»So spricht meine Muhme Margarethe, deren Geistesstärke das Haus Lancaster so lange Zeit noch aufrecht erhielt, als der Mut der Krieger dieses Hauses durch erlittene Niederlagen schon gebrochen war?« versetzte Ferrand. »Was würdet Ihr gesagt haben, wenn meine Mutter Jolanda Eurem Vater geraten hätte, Euren eigenen Sohn Eduard zu verleugnen, so Gott es ihm gewählt hätte, wohlbehalten die Provence zu erreichen?« – »Für Eduards Sache,« erwiderte Margarethe in Tränen, »legten mächtige Fürsten und Reichsedle die Lanzen ein. An Deiner Sache aber nehmen nur deutsche Raubritter, die aufsässigen Bürger der Rheinstädte und die elenden bäurischen Eidgenossen der Kantone teil.«

»Aber der Himmel hat meine Sache gesegnet,« versetzte der ritterliche Jüngling. »Wißt, stolze Frau, daß ich gekommen bin, Eure verräterischen Ränke zu vereiteln, nicht als elender Abenteurer, der auf Schleichwegen Krieg führt, sondern als Sieger, der den Hochmut des Tyrannen gezüchtigt hat.« – »Das ist unwahr!« sagte die Königin erstarrend – »ich glaube es nicht!« – »Es ist wahr,« entgegnete Vaudemont. »Es ist so gewiß, wie der Himmel über uns ist. Vier Tage ist es her, seit ich das Gefilde bei Granson verließ, das mit burgundischen Söldnern bedeckt war – Karls Reichtümer, seine Juwelen, sein Silbergerät, sein prachtvoller Schmuck, alles fiel den armen Schweizern zur Beute, die kaum den Wert all dieser Dinge zu schätzen wissen. Kennt Ihr dies, Königin Margarethe?« fuhr der junge Krieger fort, indem er den wohlbekannten Diamant zeigte, der des Herzogs Orden vom Goldenen Vließ schmückte – »meint Ihr nicht auch, daß der Löwe scharf gejagt werden mußte, wenn er Siegeszeichen solcher Art zurücklassen sollte?«

Margarethe blickte mit erblindenden Augen und wirren Gedanken auf ein Zeichen, das die Niederlage Burgunds und das Erlöschen ihrer letzten Hoffnung bestätigte. Ihr Vater hingegen fühlte sich von dem Heldenmut des jungen Kriegers hingerissen und zog seinen Großsohn an die Brust.

Wir kehren zu Arthur zurück, der mit Mordaunt, dem Geheimschreiber der Königin von England, nicht wenig überrascht war, als der Graf Ferrand de Vaudemont, der sich Herzog von Lothringen nannte, in das Vorgemach drang, ein langer Schweizer mit der Hellebarde auf der Schulter hinter ihm drein. Da der Fürst seinen Namen selber nannte, so wehrte Arthur ihm den Zutritt nicht. Doch wie erstaunte er, als in dem derben Hellebardier Sigismund Biedermann erkannte, der mit einem wilden Freudengeschrei auf den jungen Engländer losstürzte. Zu keiner Zeit war es Sigismund ein leichtes, seine Gedanken zu ordnen, und jetzt waren diese vollends verwirrt, durch die triumphierende Freude über den von seinen Landsleuten jüngst errungenen Sieg, und mit Verwunderung vernahm Arthur seine unbeholfene, jedoch treue Erzählung.

»Siehst Du, König Arthur, der Herzog war mit seinem gewaltigen Heer bis Granson gekommen, das nahe am Neuenburger See liegt. Am Platze standen fünf- oder sechshundert Eidgenossen, die den Ort so lange hielten, bis sie keine Lebensmittel mehr hatten und ihn dann, wie Du weißt, überantworteten. Der Metzger Karl ließ sie alle, rund um den Platz her, an den Bäumen aufhängen. Mittlerweile war alles geschäftig auf unsern Bergen, und jeder Mann, der eine Lanze oder ein Schwert hatte, wappnete sich damit. Wir trafen bei Neuenburg zusammen, und zu uns stieß deutsches Volk mit dem edlen Herzoge von Lothringen. Ei, König Arthur, das ist Dir ein Heerführer. Wir alle halten ihn hoch wie den Rudolf von Donnersberg – Du sahst ihn eben jetzt – er war's, der dort hineinging – Du sahst ihn auch schon früher – war er doch der blaue Ritter von Basel; wir aber nannten ihn damals Lorenz; denn Rudolf sagte, seine Anwesenheit unter uns müßte unserm Vater unbekannt bleiben, und ich selber wußte zu jener Zeit nicht recht, wer er war. Nun, wir langten zu Neuenburg an, fünfzehntausend derbe Eidgenossen und fünftausend Mann an deutschem und lothringischem Volk. Wir hörten, daß die Burgunder ihrer sechstausend im Feld ständen; allein zu gleicher Zeit hörten wir auch, daß Karl unsere Brüder wie Hunde aufgeknüpft hätte. Da fragte keiner nach der Zahl. Wir dachten nur an unsere Rache. Mein Vater selbst, der wie Du weißt, sehr für den Frieden eingenommen ist, gab jetzt das erste Zeichen zur Schlacht. So in der Morgendämmerung zogen wir hinab gegen Granson, entschlossen zu Tod oder Rache. Wir kamen an eine Art von Engpaß, zwischen Vauxmoreux und dem See; da waren Gäule auf der Ebene zu sehen zwischen dem Berg und dem Wasser, und eine große Schar Fußvolk lagerte am Abhänge der Höhe. Der Herzog von Lothringen griff mit den Seinigen die Reiter an, während wir den Berg hinan auf das Fußvolk losgingen. Wir waren rasch mit ihnen fertig; denn sie hatten sich eines Ueberfalls nicht versehen. Als nun die Reiter, gedrängt schon von den Lothringern, uns sahen, wie wir nun seitwärts auf sie eindrangen, flohen sie so hurtig, wie ihre Gäule nur zu laufen vermochten. Dann sammelten wir uns auf der Ebene. Doch kaum war dies geschehen, als wir ein solch Getöse von Instrumenten, solch ein Getrappel schwerer Rosse, solch ein Geschrei und Hallohrufen vernahmen, als ob alle Kriegsmänner und alle Spielleute von Frankreich und Deutschland miteinander wetteiferten, wer von ihnen den meisten Lärm machen könnte. Dann erschien in der Ferne eine ungeheure Staubwolke und kam näher heran, und wir begannen einzusehen, daß es nun um Leben und Tod gehen müsse; denn schau! das war Karl und sein gesamtes Heer, das herankam, den Vortrab zu unterstützen. Da waren Dir Tausende von Rossen in glatten Reihen und Hunderte von Rittern mit goldenen und silbernen Kronen auf den Helmkappen, und die Massen Fußvolks und auch Schießmörser, wie sie sie nennen. Ich wußte noch nicht, was für Dinger das waren, die so schwerfällig von Jochochsen gezogen wurden; allein ich sollte sie wohl kennen lernen, ehe noch der Morgen ins Land gekommen war. Nun, wir stellten uns denn in Schlachtordnung, wie man es uns bei den Uebungen lehrt, und ehe wir dann vordrangen, ward uns geheißen, niederzuknien und Gott und die heilige Mutter und die lieben Heiligen anzurufen; und hinterdrein erfuhren wir, daß Karl in seinem Uebermute wähnte, wir bäten um Gnade – Hahaha! ein lustiger Spaß. Er schrie jedoch: »Feuert mein Geschütz ab auf die feigen Knechte, das sei alle Gnade, die sie von mir zu erwarten haben!« und bum – bum – bum! – los gingen die Dinger, diese Mörser, los wie Donner und Blitz, taten uns aber nicht viel, da wir knieten, und sonder Zweifel wiesen die Heiligen den ungeheuren Kugeln den Weg über die Häupter all derer hin, die Gnade von ihnen, jedoch nicht von sterblichen Kreaturen erflehten. So hatten wir denn das Zeichen zum Aufstehen und Angreifen, und ich versichere Dir, wir waren keine Schlafhauben. Jeder Mann fühlte seine Kraft zehnfach. An stürmten wir, als plötzlich die Schießmörser verstummten und die Erde erbebte von einem andern unaufhörlichen Gestampf, gleich als donnerte es unter dem Boden. Das waren die Reiter, die auf uns herzukamen. Halt, halt, hieß es, erstes Glied kniet, fest gestanden im zweiten, Schulter an Schulter wie Brüder, alle Speere vorgestreckt, und wie eine eiserne Mauer sie empfangen! Und heran stürmten sie, und da gab's ein Lanzenbrechen, daß die alten Weiber in Unterwalden Splitter zum Holzfeuer auf ein rundes Jahr hätten auflesen mögen. Nieder mußten die reisigen Reiter – und von allen, die herab mußten vom Gaule, kam kein Mann mit dem Leben davon. Die übrigen trabten querfeldein, um sich in einiger Entfernung neu aufzustellen, als der edle Herzog Ferrand und seine Berittenen ihnen in den Weg fielen. Nun drangen auch wir vor, um ihm beizustehen. So hieben wir sie zusammen, und das Fußvolk vermochte uns nicht mehr stand zu halten, als es sah, wie es seiner Reiterei erging. Da hättest Du nun den Staub schauen sollen, der da aufstieg, die Streiche hören sollen, die da fielen! Hunderte ließen sich, ohne Widerstand zu leisten, erschlagen, und das gesamte Heer ergriff planlos die Flucht!« »Mein Vater, mein Vater!« rief Arthur. »Was ist aus ihm geworden?« – »Er entkam glücklich,« sagte der Schweizer, »er entfloh mit Karl.«

Sie wurden durch Mordaunt unterbrochen. »Still, still!« rief dieser. »Der König und die Königin treten herein!« – König René kam, Arm in Arm mit seinem Großsohne, aus dem Kabinett, und Margarethe, mit Vergnügen und Verdruß auf der Stirn, folgte ihnen. Als sie an Arthur vorüberging, winkte sie ihm und flüsterte ihm zu: »Laß Dir ausführlich berichten und erzähle mir dann alles! Mordaunt wird Dich bei Ferrand vorstellen!« – Dann warf sie einen Blick auf den jungen Schweizer und erwiderte höflich dessen linkische Verbeugung. Die königliche Familie verließ das Gemach.

Sie waren kaum hinaus, so bemerkte Sigismund: »Und das ist also ein König und eine Königin? Pest! Der König sieht dem alten Jakob, dem Geiger, ähnlich, der auf der Fiedel zu kratzen pflegte, wenn er auf seiner Rundwanderung nach Geierstein kam. Aber die Königin ist eine stattliche Kreatur. Wie keck Du mit ihr sprachst, Arthur, ich hätte es nicht mit solchem Anstande tun können. – Wo hast Du denn so schnell die höfischen Sitten gelernt?« – »Laß das für jetzt, ehrlicher Sigismund,« antwortete Arthur, »und erzähle mir mehr von jener Schlacht.«

»Nun – wo blieb ich – ja, wo wir das Fußvolk niederschlugen – nun, sie kamen nimmer wieder auf die Beine und gerieten bei jedem Schritt nur in noch größere Verwirrung – wir hätten die Hälfte der Fliehenden noch erschlagen können. hätten wir nicht innegehalten, um Karls Lagerzelte zu beschauen. Gott helf uns Arthur, was war da zu sehen! jedes Zelt voll reicher Zeuge, prächtiger Waffen, großer Schüsseln und Humpen, die, wie einige sagten, von Silber wären. Da gab es einen Troß von Lakaien, Edelknaben, Schildträgern, und Tausende von hübschen Dirnen obendrein. Aber ich sage Dir, mein Vater verfuhr streng gegen jeden, der das Kriegsrecht verletzte. Das war Dir eine reiche Beute, denn die Deutschen und Franzmänner, die bei uns waren, rafften alles weg, und manche der unsrigen folgten dem Beispiel. Doch ich ging in Karls Zelt, wo Rudolf und etliche der Seinigen sich bemühten, einen jeden fernzuhalten, wahrscheinlich, damit alles, was drinnen war, ihnen selber bleiben möchte; mich aber ließen sie ein, und ich sah, wie sie die Zinnteller, die so hell wie Silber glänzten, in Kisten und Kasten packten. Ich trat an Karls Feldbett. – Nun, ich will ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen – es war das einzige harte Bett im ganzen Kriegslager – und da lagen Dir gar schöne glänzende Steine zwischen Handschuhen, Stiefeln und Wämsern umher, – Da dachte ich an Deinen Vater und an Dich, und schaute nach etwas für Euch aus, und siehe da! da fand ich einen alten Freund wieder, den ich, wie Du weißt, dem Scharfrichter von La Ferette einst abnahm.«

Bei diesen Worten zog er das Halsgeschmeide der Königin Margarethe unter dem Wamse hervor.

»Diese Steine,« sagte Arthur, »sind von unschätzbarem Werte und gehören weder meinem Vater noch mir, sondern der Königin, die Du eben gesehen hast. Doch was ist aus dem Herzog geworden?«

»Karl hat sich nach Burgund zurückgezogen, gleich einem Eber, der einen Speerstich erhielt, und mehr in Wut gebracht als verwundet worden ist; allein er soll traurig und mürrisch sein. Andere sagen aus, er habe seine zerstreute Streitmacht gesammelt, neue Heeresmacht dazu gezogen und seine Untertanen geschraubt, ihm Geld zu geben, so daß wir einen zweiten Angriff zu erwarten haben. Doch nach einem solchen Siege wird die ganze Schweiz mit uns ziehen.« – »Und mein Vater ist beim Herzog?« fragte Arthur. – »Ei freilich, und hat auf recht gottgefällige Weise versucht, einen Frieden mit meinem Vater zu schließen. Aber es wird ihm schwerlich glücken, Karl ist so toll wie immer. Und unser Volk ist gar stolz auf seinen Sieg! darum wird's weitergehen.« – »Und was bringt Dich und Deinen Feldherrn, den Prinzen Ferrand von Nancy, hierher?« – »Ei, Du selbst bist die Ursache unserer Herreise. – Es heißt, Du und die Königin Margarethe, Ihr ginget damit um, diesen alten Fidelkönig René dahin zu bringen, daß er seine Länder an Karl abtrete und Ferrand dessen Anrechte auf Lothringen verleugnet. Und der Herzog von Lothringen schickte einen Mann, den Du gar wohl kennst, das heißt, Du kennst ihn nicht, sondern Du kennst jemanden von seiner Familie. Der sollte einen Strich durch Eure Rechnung machen und es verhindern, daß Karl die Provence erhielte und Ferrand in seinen natürlichen Rechten auf Lothringen gekränkt oder übervorteilt würde. Dieser Gesandte war mein Ohm, der Graf Albert von Geierstein, meines Vaters Bruder.« – »Anna von Geiersteins Vater?« wiederholte Arthur. – »Freilich! Dieser, mein Ohm, hat ein paar Zauberbücher aus der Burg Arnheim bei sich, und man sagt, er kann mit mehr als menschlicher Eile von einem Ort zum andern kommen; ja es sollten ihm in seinem Treiben mächtigere Ratgeber als bloße Menschen beistehen. Bei alledem sollen, wie hoch und gewaltig seine Gaben auch sein mögen, sie ihm doch nicht sonderlich gedeihen, sie mögen nun aus gottesfürchtiger oder aus gottloser Quelle stammen. Er ist ewig in Streit und Gefahr verwickelt.«

»Ich weiß Näheres von seinem Lebenslauf,« sagte Arthur, »doch ich habe gehört, daß er die Schweiz verließ, um zum Kaiser zu gehen.«

»Wahr,« antwortete der junge Schweizer, »und dann heiratete er die junge Freiin von Arnheim. – Allein späterhin zog er sich des Kaisers Ungnade zu, und so hielt mein Ohm es für geratener, über den Rhein zu gehen und sich an des Burgunders Hof zu begeben. Er wurde huldvoll aufgenommen; allein nach Jahr und Tag war es auch mit dieser Freundschaft aus. Ohm Albert bekam viel Gewalt in heimlichen Verbindungen, die Karl mißbilligte, und er setzte deshalb meinem Ohm dermaßen zu, daß dieser ein Mönchskleid antat und sich das Haupt scheren ließ, um nicht den ganzen Kopf hergeben zu müssen. Obwohl der Herzog ihn laufen ließ, fand er ihn doch so oft in seinem Wege, daß alle Welt meinte, er warte nur auf die Gelegenheit, ihn zu greifen und ums Leben zu bringen. Mein Ohm aber behauptet fortwährend, daß er den Burgunderherzog nicht fürchte, wohl aber dieser weit mehr ihn zu fürchten habe. Und Du hast ja auch gesehen, wie keck er seine Rolle zu La Ferette spielte.«

»Beim St. Georg zu Windsor!« rief Arthur. – »Der schwarze Priester zu St. Paul!« – »Oho! verstehst Du mich jetzt? Nun, er nahm es auf sich, daß Karl es nicht wagen würde, ihn für seinen Anteil am Tode des Hagenbachers zu strafen; und ruhig saß Ohm Albert unter den Ständen Burgunds und wiegelte sie auf, daß sie dem Herzoge das verlangte Geld verweigern sollten. Allein, als der Schweizerkrieg ausgebrochen war, erkannte Albert, daß er als Geistlicher nicht mehr sicher sein würde, und so erschien er plötzlich in Ferrands Lager zu Neuenburg und sandte Botschaft an Karl, worin er ihm den Dienst aufkündigte und ihm Trotz bot. Er erzählte dem Herzog Ferrand, daß Du hier wärst, und erbot sich herzugehen und nähere Kunde einzuziehen. Obschon er das Schweizer Feldlager erst vor fünf oder sechs Tagen vor der Schlacht verließ und die Entfernung von Arles und Neuenburg wohl achtzig Meilen betragen mag, begegneten wir ihm doch schon auf der Rückreise, als Herzog Ferrand mit mir vom Schlachtfelde hierher eilte.« – »Ihr seid ihm begegnet!« sagte Arthur. »Dem schwarzen Priester von St. Paul?« – »Nun ja doch,« versetzte Sigismund, »aber er war als Karmelitermönch verkleidet.« – »Als Karmeliter!« rief Arthur. »Und ich war so blind, seine Dienste der Königin anzubieten. Und doch ist's vielleicht gut, daß die Unterhandlung sich zerschlug. Nach dieser entsetzlichen Niederlage hätte doch alles rückgängig gemacht werden müssen.«

Soweit war ihr Gespräch gediehen, als Mordaunt erschien und den Engländer aufforderte, ihm in das Gemach seiner Gebieterin zu folgen.

»Ach, armer Arthur,« redete sie ihn an, »Dein Leben beginnt da, wo Deines Vaters Leben zu enden droht, in vergeblicher Arbeit zur Rettung eines sinkenden Schiffes. Der Herzog von Burgund, der bisher siegreich in allen seinen kühnen Unternehmungen war, braucht nur den flüchtigen Gedanken zu hegen, dem Hause Lancaster Beistand zu leisten, und siehe! sein Schwert zerbricht an dem Dreschflegel eines Bauers! und seine wohlgeregelten Heerscharen, die für die rüstigsten der Welt galten, zerstieben wie Staub im Winde! Wo ist Dein Vater?« – »Bei dem Herzoge, edle Frau, wie ich erfuhr,« versetzte Arthur. – »Eile zu ihm, und sage, ich befehle ihm, auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein, und für meine Angelegenheit nicht mehr zu sorgen. Dieser letzte Streich hat mich zu Boden geschmettert. – Ich bin ohne Bundesgenossen, ohne Freund, ohne Geldmittel.« – »Nicht so, Königin,« erwiderte Arthur, »Ein Teil Eurer Habe ist Eurer Hoheit durch gutes Glück zurückgebracht worden.« – Damit holte er den kostbaren Halsschmuck hervor und erzählte, wie derselbe gerettet wurde,

»Ich freue mich über den glücklichen Zufall, der uns diese Diamanten zurückgibt,« sagte die Königin, »ich bin nun wenigstens imstande, meinen Dank abzustatten. Bringe diese Edelsteine Deinem Vater, sag' ihm, meine Pläne wären zu Ende – sag' ihm, mein Herz wäre endlich gebrochen. Sag' ihm, der Schmuck gehöre ihm, und zu seinem eigenen Nutzen möge er ihn verwenden. Aermlich nur wird er ihn für die edle Grafschaft Oxford entschädigen, die er in meinen Diensten verlor.« – »Königliche Frau,« sagte der Jüngling, »seid versichert, mein Vater würde lieber als einfacher Reitersmann dienen, als Euer Mißgeschick noch erschweren.« – »Nie hat er Gehorsam verweigert,« sagte Margarethe, »und dies ist der letzte Wille, den ich ihm äußere. So er selber zu reich oder zu stolz ist, um aus einer Königin Geheiß Vorteil zu ziehen, so wird er arme Leute meines Anhanges genug finden, die weniger Mittel besitzen oder weniger Bedenken hegen. Doch ich höre den törichten, alten Mann zurückkehren, der alle ergebnisreichen Vorfälle dieses Tages schon wieder vergessen hat. Im Heraufkommen pfeift er sich ein Lied. Nun, wir werden bald von einander scheiden, und meine Entfernung wird eine Erlösung für ihn sein. Du, aber, Arthur, kehre morgen früh zu Deinem Vater zurück!«

So aus der Königin Gegenwart entlassen, gab Arthur Thibault die Weisung, alles zur Abreise bereit zu halten. Dann widmete er sich der Lustbarkeit des Abends. Doch fand er wenig Freude an den geselligen Veranstaltungen, zumal er sich plötzlich durch den Herzog Ferrand, den siegreich vom Schlachtfelde hergekommenen Krieger, und durch Sigismund, den riesigen Schweizer, den Ferrand überall als Grafen von Geierstein vorstellte, ganz in den Schatten gestellt sah. Kein Mensch kümmerte sich um den jungen Engländer; ja, man begegnete ihm, dem Parteimann der Margarethe, deren Sache ganz verloren war, und die mit ihrem melancholischen Wesen an dem lustigen Hofe schon manches Vergnügen gestört hatte, mit unverhohlenem Mißbehagen. All das verdroß ihn heftig.

Er vermied es eine Zeitlang, Margarethe anzusehen; denn es widerstrebte ihm, den Anschein zu erregen, als wollte er sich um Schutz an sie wenden. Schließlich aber lenkte er doch den Blick auf den Platz, wo sie saß. Margarethens Haupt lehnte an dem Kopfpolster ihres Armstuhles, ihre Augen waren halb geschlossen, ihre Gesichtszüge scharf, ihre Hände krampfhaft geballt. Die englische Gesellschaftsdame, die hinter ihr stand, war alt, taub und kurzsichtig und hatte nicht das mindeste von der auffallenden Haltung ihrer Gebieterin wahrgenommen, einer Haltung, wie sie die Königin nie anzunehmen pflegte, wenn sie bei den Festlichkeiten am provençalischen Hofe körperlich zugegen und geistig abwesend war. Während Arthur, heftig erschrocken, hinter sie trat, um die Ehrendame zur Aufmerksamkeit auf ihre Gebieterin anzumahnen, rief die Alte: »Mutter des Himmels! die Königin ist tot!«

Und so war es.

Es schien, als hätte die letzte Lebensfiber dieser stolzen, ehrsüchtigen Frau, wie sie selber es voraussagte, in dem nämlichen Augenblicke brechen müssen, in welchem ihr der letzte Strahl irdischen Hoffens schwand.


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