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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Es war ein heit'rer Mann. – Des Winters Schnee
Fiel, doch durchkältet' er ihn nicht. Der Frohsinn
Gab seinem munter'n Kopf am Schluß des Lebens
Solch' seltsame Gebilde, wie im Sinken
Die Sonne auf den weißen Gletschern bildet,
Die starres Eis mit tausend Farben malt.

Altes Lustspiel.

Wir wollen jetzt den Grafen von Oxford im Gefolge des eigensinnigen Herzogs von Burgund auf einem Zug verlassen, welchen dieser als einen kurzen Ausflug, mehr als eine Jagdpartie, denn als einen Feldzug darstellte, der Engländer aber für ernsthafter und gefährlicher ansah. Wir kehren zu Arthur von Vere zurück, oder dem jungen Philipson, wie man ihn ebenfalls noch immer nannte. Er ward von seinem Führer getreulich und mit Glück, aber gewiß sehr langsam, auf seiner Fahrt in die Provence geleitet.

Lothringen war damals vom Heere des Herzogs von Burgund überschwemmt, und wurde zugleich von verschiedenen zerstreuten Banden beunruhigt, welche sich im offenen Felde hielten oder die Burgen, die sie umgaben, zum Vortheil des Grafen Ferrand von Vaudemont besetzten. Dieser Zustand der Dinge machte eine Reise so gefährlich, daß man oft die Hauptstraße verlassen und Umwege und Fußsteige einschlagen mußte, um der unerfreulichen Begegnung auszuweichen, welche den Reisenden sonst zugestoßen wäre.

Arthur war durch traurige Erfahrung mißtrauisch gegen fremde Führer geworden, fand sich aber doch auf dieser ereignißreichen und gefährlichen Reise veranlaßt, seinem gegenwärtigen Wegweiser, Thiebold, einem Provençalen von Geburt, mehr Vertrauen zu schenken. Derselbe erwies sich vollkommen vertraut mit den Wegen, die er betrat, und soweit sich das beurtheilen ließ, hatte er den besten Willen, sich seines Geschäfts redlich zu entledigen. Die Klugheit sowohl als die Gewohnheiten, die er sich auf Reisen zu eigen gemacht, und der Stand eines Kaufmanns, den er noch immer behauptete, hielten Arthur ab, das stolze Wesen, die hochmüthige Ueberlegenheit eines Ritters und Edelmannes gegen eine untergeordnete Person an den Tag zu legen. Er nahm mit Recht an, ein freier Verkehr mit diesem Manne, der nicht unbedeutende Fähigkeiten zu besitzen schien, werde ihn eher in den Stand setzen, über die Meinungen und Gesinnungen desselben gegen ihn zu urtheilen. Als Entschädigung für diese Herablassung erhielt er einen guten Theil Belehrung über die Provinz, von der sie jetzt nicht mehr fern waren.

Je näher sie den Gränzen der Provence kamen, desto fließender und anziehender wurden die Mittheilungen Thiebolds. Er wußte nicht blos die Namen und die Geschichte jeder romantischen Burg, an der sie auf ihrer abgelegenen und schwierigen Straße vorüber kamen, sondern ihm stand auch die Geschichte der Thaten zu Gebote, welche die edlen Barone, die jetzigen oder früheren Eigenthümer der Schlösser, verrichtet. Er konnte von ihren Zügen gegen die Sarazenen erzählen, wie sie die Angriffe derselben auf die Christenheit zurückgetrieben, und wie sie sich bemüht hatten, das heilige Grab den Händen der Heiden zu entreißen. Im Verlauf solcher Berichte kam Thiebold auf die Troubadours zu sprechen: eine Art von Dichtern provençalischen Ursprungs, die sich völlig von den Minstrels der Normandie und der angränzenden französischen Provinzen unterschieden. Die Rittergeschichten der Letzteren und die zahlreichen Uebertragungen ihrer Arbeiten in die normännisch-französische und englische Sprache waren Arthur, wie den meisten adeligen Jünglingen seines Vaterlandes, völlig bekannt. Thiebold rühmte, daß sein Großvater, zwar von niedriger Geburt, aber von ausgezeichneten Anlagen, einer aus diesen vom Himmel begünstigten Sängern gewesen sei, deren Lieder auf die Verhältnisse und Sitten ihres Zeitalters und Landes einen so großen Einfluß äußerten. Es blieb indessen zu bedauern, daß die Dichtungen der Troubadours als erste Pflicht des Lebens einen schwärmerischen Geist der Artigkeit gegen Frauen anempfahlen, welcher manchmal die vorgeschriebenen Gränzen einer platonischen Zuneigung überschritt, und daß sie ihre Kunst häufig benutzten, um das Herz zu verweichlichen und zu verführen, und die Grundsätze zu untergraben.

Arthurs Aufmerksamkeit wurde auf diesen Punkt durch einen Gesang Thiebolds hingeleitet, worin er ziemliche Geschicklichkeit an den Tag legte, und die Geschichte eines Troubadours, Namens Wilhelm Cabestaing, vortrug. Dieser war verliebt in eine schöne und edle Dame, Margarethe, die Frau eines Freiherrn Raimund von Roussillon. Der eifersüchtige Ehemann erhielt Beweise von seiner Schande und ermordete Cabestaing meuchlings. Darauf nahm er ihm das Herz aus der Brust, ließ es wie das eines Thieres zurichten und seiner Gemahlin auftragen. Als sie das schreckliche Mahl genossen, sagte er ihr, aus was es bestanden. Die Dame erwiderte, daß keine gröbere Nahrung über ihre Lippen kommen sollte, nachdem sie so köstliche Speise zu sich genommen; sie beharrte auch auf ihrem Entschluß, und tödtete sich auf diese Art selbst durch Hunger. Der Troubadour, der diese traurige Geschichte bearbeitet, hatte dabei ziemlich viel dichterischen Geist entwickelt. Den Fehltritt der Liebenden schrieb er dem Verhängniß zu, ihr klägliches Geschick schilderte er mit besonderer Lebhaftigkeit, verwünschte zum Schluß die blinde Wuth des Gatten mit allem Feuer dichterischen Zorns, und sprach mit rachsüchtiger Lust davon, wie jeder tapfere Ritter und treue Liebende im südlichen Frankreich des Freiherrn Burg berennen half, wie sie dieselbe mit gewaffneter Hand erstürmten, keinen Stein davon auf dem andern ließen, und den Tyrannen selbst einem schimpflichen Tode übergaben. Arthur ward angezogen von der traurigen Erzählung, die ihm sogar ein paar Thränen entlockte; bei weiterem Nachdenken über den Inhalt derselben trocknete er aber seine Augen, und sagte mit einigem Ernst: – »Thiebold, sing' mir keine solchen Lieder mehr. Ich habe von meinem Vater sagen gehört, daß die leichteste Art, einen Christen zu verderben, die ist, wenn man dem Laster das Mitleid und Lob zollt, welches nur die Tugend verdient. Dein Freiherr von Roussillon ist ein Ungeheuer von Grausamkeit; aber deine unglücklichen Liebenden waren nicht weniger schuldig. Wenn man schlechten Handlungen schöne Namen gibt, so werden die, welche vor dem nackten Laster zurückbeben würden, zu Ausübung desselben unter dem Gewande der Tugend eingeleitet.«

»Ihr müßt wissen, Signore,« antwortete Thiebold, »daß dieses Lied von Cabestaing und der Dame Margarethe von Roussillon für ein Meisterstück in der fröhlichen Kunst gilt. Pfui, Herr, Ihr seid zu jung, um ein so strenger Sittenrichter zu sein. Was wollt Ihr denn thun, wenn Euer Haar grau ist, da Ihr jetzt schon so ernst seid, während es kaum braun geworden?«

»Ein Haupt, das in der Jugend auf Thorheiten horcht, wird im Alter nicht groß geehrt sein,« erwiderte Arthur.

Thiebold hatte nicht Lust, den Streit weiter fortzusetzen.

»Es steht mir nicht an, mit Euer Ehren zu rechten. Ich denke blos mit jedem ächten Sohn des ächten Ritterthums und Gesangs, daß ein Ritter ohne Geliebte einem sternlosen Himmel gleicht.«

»Weiß ich das vielleicht nicht?« versetzte Arthur; »aber doch ist es besser, in Dunkelheit zu bleiben, als von solch' falschen Lichtern geführt zu werden, die uns in Laster und Sünden stürzen.«

»Es mag sein, daß Ihr recht habt, Herr,« erwiderte der Führer. »Gewiß ist, daß wir selbst in der Provence viel von unserem scharfen Urtheil über Sachen der Liebe, über ihre Schwierigkeiten, Verwicklungen und Irrthümer verloren haben, seit die Troubadours nicht mehr im alten Ansehen stehen, und der hohe und edle Minnehof seine Sitzungen zu halten aufgehört hat. Aber in neueren Zeiten,« fuhr der Provençale fort, »sind Könige, Herzoge und Fürsten nicht mehr die ersten und getreuesten Vasallen des Minnehofs, sondern Sklaven der Selbst- und Gewinnsucht. Statt die Herzen dadurch zu gewinnen, daß sie in den Schranken Lanzen brechen, brechen sie die Herzen ihrer durch die grausamsten Erpressungen verarmten Lehensleute. Statt daß sie suchen, das Lächeln und die Gunst ihrer Geliebten zu verdienen, denken sie darüber nach, wie sie Burgen, Städte und Provinzen ihren Nachbarn abnehmen können. Aber lang lebe der gute und verehrungswürdige König René! So lange man ihm eine Hufe Landes läßt, wird sein Aufenthalt der Sammelplatz aller tapferen Ritter sein, die blos nach Waffenruhm streben. Alle treuen Liebenden, die vom Schicksal verfolgt sind, alle berühmten Harfenspieler, die Treue und Tapferkeit zu verherrlichen wissen, werden bei ihm einen Zufluchtsort finden.«

Arthur lag daran, Näheres über diesen Fürsten zu erfahren, als er durch den allgemeinen Ruf bereits von ihm wußte, und er brachte den gesprächigen Provençalen leicht dazu, sich über die Eigenschaften seines alten Fürsten weiter auszulassen. Er schilderte ihn als gerecht, fröhlich, fromm, als einen Freund der edelsten Leibesübungen, der Jagd und des Turniers, und noch mehr der lustigen Dichtkunst und Musik; er verschenke, sagte Thiebold, mehr als er einnehme, an irrende Ritter und wandernde Musikanten, sein kleiner Hof wimmele von solchen Leuten, und dieser sei einer der wenigen, an welchen noch die alte Gastfreiheit beobachtet werde.

Das war das Gemälde, welches der Führer von dem letzten König der Minstrels entwarf; und obgleich die Lobeserhebungen übertrieben wurden, waren es doch vielleicht die Thatsachen nicht.

Von königlichen Eltern und mit hohen Ansprüchen geboren, hatte René es zu keiner Zeit seines Lebens verstanden, sein Glück mit seinem Recht in's Gleichgewicht zu bringen. Von den Reichen, deren Besitz er fordern konnte, blieb ihm nichts als die Grafschaft Provence. Diese hübsche und freundliche Herrschaft wurde aber durch die vielen Ansprüche vermindert, welche Frankreich durch Geldvorschüsse für den Aufwand René's auf Theile derselben erworben hatte. Andere Theile des Ländchens hielt der Herzog von Burgund, dessen Gefangener der König gewesen war, als Pfand für sein Lösegeld besetzt. In seiner Jugend hatte sich René in mehr als eine kriegerische Unternehmung mit der Hoffnung eingelassen, er würde einen Theil des Gebiets erlangen, dessen Fürst er hieß. Man sprach ihm auch den Muth nicht ab, aber das Glück lächelte seinen Thaten im Felde nicht, und es schien, er habe zuletzt eingesehen, daß das Vermögen, kriegerische Verdienste zu bewundern und zu verherrlichen, etwas von dem Besitz dieser Eigenschaft völlig Verschiedenes ist. René war in der That ein Fürst von sehr beschränkten Fähigkeiten, begabt mit einer Liebe für die schönen Künste, die in's Uebertriebene ging, und mit so vieler guter Laune, daß sie ihm nicht verstattete, über das Schicksal zu murren, sondern ihn beglückte, während ein Fürst von lebhafterem Wesen vor Verzweiflung zu Grunde gegangen wäre. Diese sorglose, leicht gestimmte, fröhliche und gedankenlose Gemüthsart erhielt René frei von allen Leidenschaften, die das Leben verbittern und oft abkürzen, und verschaffte ihm ein frisches und heiteres Alter. Selbst häusliche Verluste, die so oft Menschen niederwerfen, welche allen Schlägen des Geschicks Stand gehalten haben, machten keinen Eindruck auf den alten, muntern Fürsten. Die meisten seiner Kinder waren jung gestorben; René nahm es nicht zu Herzen. Die Heirath seiner Tochter Margarethe mit dem mächtigen Heinrich von England hielt man für eine Verbindung, welche die Glücksumstände des Königs der Troubadours weit überstieg. Aber am Ende wurde René, statt Vortheil aus der Ehe zu ziehen, in das Unglück seiner Tochter verwickelt, und sah sich wiederholt genöthigt, sich selbst zu entblößen, um sie loszukaufen. Vielleicht fiel dem alten König der erlittene Schaden nicht so schwer, als die Nothwendigkeit, Margarethe an seinen Hof und in seine Familie aufzunehmen. Erbittert durch den Gedanken an die erfahrenen Verluste, betrübt über gefallene Freunde und verlorene Königreiche, paßte die stolzeste und leidenschaftlichste aller Fürstinnen wenig zu dem lustigsten und aufgeräumtesten der Herrscher. Sie verachtete sein Treiben, sie konnte ihm den glücklichen Leichtsinn seines Wesens nicht verzeihen, und nicht begreifen, wie er an solchen Kindereien Geschmack finden konnte. Der Zwang, der mit ihrer Gegenwart sich verband, und rachsüchtige Erinnerungen brachten den muntern alten Mann in Verlegenheit, obgleich sie seinen Gleichmuth nicht zu stören vermochten.

Ein anderer Kummer drückte ihn schwerer. – Jolanthe, die Tochter seiner ersten Frau, Isabella, war ihm in seinen Rechten auf das Herzogthum Lothringen gefolgt, und hatte sie auf ihren Sohn, Ferrand, Grafen von Vaudemont, übertragen, einen jungen Mann von Muth und Geist, der zu dieser Zeit in das anscheinend verzweifelte Unternehmen verwickelt war, sein Recht gegen den Herzog von Burgund geltend zu machen. Dieser hatte sich des reichen Herzogthums mit geringem Recht, aber großer Gewalt unter dem Vorgeben bemächtigt, es sei als ein Mannslehen an ihn heimgefallen. Während der bejahrte König einerseits seine entthronte Tochter in hoffnungsloser Verzweiflung, und auf der andern den seines Erbes beraubten Enkel mit dem eitlen Versuch auf Wiedereroberung eines Theils seiner Besitzungen beschäftigt sah, mußte er überdieß noch unglücklicherweise erfahren, daß sein Neffe, Ludwig von Frankreich, und sein Vetter, der Herzog von Burgund, insgeheim mit einander im Streit lägen, wer ihm in dem Theil der Provence nachfolgen sollte, den er noch besaß, und daß blos ihre gegenseitige Eifersucht sie abhielte, ihm den letzten Rest seines Gebietes zu rauben. Doch hielt René mitten in all' dieser Noth Schmausereien, empfing Gäste, tanzte, sang, machte Verse, handhabte Pinsel oder Bleistift mit ungewöhnlicher Geschicklichkeit, entwarf Pläne zu Festlichkeiten und feierlichen Aufzügen, und leitete sie selbst. Dabei strebte er, die Lust und gute Laune so weit als möglich auch auf seine Unterthanen zu verbreiten, wenn er auch ihr äußeres Glück nicht auf die Dauer zu vermehren im Stande war. Sie nannten ihn dafür auch nie anders als den guten König René, eine Auszeichnung, die ihm bis auf den heutigen Tag geblieben ist, und die er gewiß durch die Eigenschaften seines Herzens, wenn auch nicht durch die des Kopfes, verdient hat.

Während Arthur von seinem Führer einen umständlichen Bericht über Alles erhielt, was den König René betraf, gelangten sie auf die Besitzungen dieses fröhlichen Monarchen. Es war spät im Herbst und um die Zeit, da die südöstlichen Gegenden von Frankreich sich weniger vortheilhaft ausnahmen. Die Blätter des Olivenbaumes sind dann abgestorben und welk, und da dieser in der Landschaft am häufigsten vorkommt und dem ausgedörrten Boden gleichsieht, so bekommt das Ganze dadurch einen aschenhaften und dürren Anstrich. Indessen gab es in den bergigen und von Hirten bewohnten Landestheilen Ansichten, bei denen die Menge von Immergrün das Auge selbst in dieser todten Jahreszeit erfrischte.

Das Aussehen des Landes im Allgemeinen hatte viel Besonderes an sich.

Die Reisenden bemerkten bei jeder Wendung Zeichen von dem eigenthümlichen Wesen des Königs. Die Provence, als derjenige Theil von Gallien, in welchem zuerst römische Gesittung heimisch wurde, und welcher noch länger der Wohnort der griechischen Colonisten war, die Marseille gründeten, enthält noch mehr von den prächtigen Ueberresten alter Baukunst, als irgend ein anderes Land in Europa, Italien und Griechenland ausgenommen. Der gute Geschmack König René's hatte einige Versuche zu Säuberung und Herstellung dieser Denkmäler des Alterthums machen lassen. Fand sich irgendwo ein Triumphbogen oder ein alter Tempel, so wurden die Hütten und Schuppen in der Nähe desselben weggeschafft und wenigstens dafür gesorgt, daß der drohende Einsturz verzögert wurde. Gab es einen marmornen Brunnen, welchen der Aberglaube einer einsamen Wassernymphe weihte, so wurden Oliven-, Mandel- und Orangenbäume um ihn her gepflanzt, der Wasserbehälter ward hergestellt und auf's Neue dazu angehalten, seine krystallnen Schätze zu bewahren. Die ungeheuren Amphitheater und riesigen Säulenhallen erfuhren dieselbe Sorgfalt, und bewiesen, daß die erhabensten Muster der schönen Künste selbst im Verlauf der sogenannten finsteren und rohen Zeiten an König René einen Bewunderer und Erhalter gefunden hatten.

Auch eine Veränderung in den Sitten ließ sich wahrnehmen, wenn man von Burgund und Lothringen, wo die deutsche Derbheit sich in der Gesellschaft aussprach, in das Hirtenland der Provence eintrat, wo der Einfluß eines milden Himmels und einer klangvollen Sprache in Verbindung mit den Bemühungen des romantischen, alten Monarchen, und dem allgemein verbreiteten Sinn für Musik und Dichtkunst eine Gesittung in das Betragen eingeführt hatte, welche an's Gezierte streifte. Der Schäfer, welcher des Morgens auszog, blies seiner Heerde beim Gang auf die Weide, buchstäblich genommen, ein Liebeslied, das Werk irgend eines verliebten Troubadours; und seine wolligen Pfleglinge schienen wirklich nicht gleichgültig gegen seine Musik; sie waren nicht so ungeschlacht und unempfindlich gegen seine Melodie, wie es in kälteren Gegenden der Fall ist. Arthur nahm auch wahr, daß die provençalischen Schafe, statt vor dem Schäfer hergetrieben zu werden, ihm ordentlich folgten und nicht auseinander liefen, um zu fressen, bis der Hirt sich umkehrte, stehen blieb, Variationen über das gespielte Lied ausführte, und sie zu erinnern schien, daß es jetzt am Platz sei, dem Futter nachzugehen. So lange der Hirte weiter ging, folgte ein ungeheurer Hund von einer Art, die zum Kampf mit Wölfen abgerichtet und von den Schafen als ihr Beschützer geachtet, nicht aber als ihr Tyrann gefürchtet ist, seinem Herrn. Er spitzte, als wäre er der erste und hauptsächlichste Richter über die Ausführung des Stücks, bei gewissen Tönen die Ohren, und unterließ selten, seine Unzufriedenheit darüber zu erkennen zu geben. Die Heerde zog, wie die meisten Menschen, die etwas hören, mit einstimmigem aber schweigendem Beifall hinterdrein. Um die Mittagsstunde vermehrte sich die Zuhörerschaft des Schäfers manchmal mit einer anständigen alten Frau oder einem blühenden Mädchen, mit der er an einer Quelle, wie die oben beschriebene, seine Zusammenkunft hielt, und welche der Schalmei des Gatten oder Geliebten horchte, oder ihre Stimme mit der seinigen zu einem Doppelgesang verband, von welchem die Lieder der Troubadours so viele Beispiele hinterlassen hatten. In der Kühle des Abends gab der Tanz auf dem Dorfrasen oder ein Tonspiel vor der Thüre der Hütte, das kleine Mahl aus Früchten, Käse und Brod, zu dem man den Reisenden bereitwillig einlud, der Täuschung neuen Reiz, und schien im Ernst die Provence als das französische Arkadien zu erweisen.

Die größte Sonderbarkeit war es aber in den Augen Arthurs, daß er in diesem friedlichen Lande gar keine bewaffneten Männer oder Soldaten bemerkte. In England ging Niemand aus ohne seinen langen Bogen, sein Schwert und seinen Schild. In Frankreich trug der Knecht die Rüstung selbst dann, wenn er hinter dem Pflug herschritt. In Deutschland war keine halbe Stunde Weg zu finden, wo das Auge nicht Staubwolken begegnete, durch welche hindurch man hie und da wallende Federn und blitzende Waffen erblickte. Selbst in der Schweiz machte sich der Bauer, wenn er eine Reise von nur einer halben oder ganzen Stunde abzuthun hatte, gewiß nicht ohne seine Hellebarde und das zweihändige Schwert auf den Weg. Aber in der Provence schien Alles ruhig und friedlich, wie wenn die Musik des Landes alle grimmigen Leidenschaften in Schlaf gelullt hätte. Dann und wann kam ein Reitersmann an ihnen vorüber, den die am Sattelbogen befestigte oder von einem Diener getragene Harfe als Troubadour kenntlich machte. Denn auf diesen Titel machten Männer aus allen Ständen Anspruch, und dann bildete ein kurzes Schwert, das am linken Schenkel herunterhing, und mehr zur Schau, als für den Gebrauch getragen wurde, einen nothwendigen und unerläßlichen Theil der Ausrüstung.

»Der Friede,« sagte Arthur mit einem Blick um sich her, »ist ein unschätzbares Juwel; aber er geht bald verloren für die, welche nicht mit Herz und Hand zu seiner Vertheidigung bereit sind.«

Der Anblick der alten und merkwürdigen Stadt Aix, wo König René seinen Hof hielt, verdrängte diese allgemeinen Betrachtungen, und rief dem jungen Engländer die besondere Sendung in's Gedächtniß zurück, die ihm oblag.

Er bat hierauf den Provençalen Thiebold, ihm zu sagen, wohin er ihn zu führen beauftragt wäre, da sie jetzt glücklich das Ziel ihrer Reise erreicht hätten.

»Ich habe Befehl,« antwortete Thiebold, »in Aix zu bleiben, so lang es für Euer Ehren nöthig sein wird, hier zu verweilen, Euch alle Dienste als Führer oder Diener zu leisten, die Ihr verlanget, und die Leute da bereit zu halten, wenn Ihr etwa einen Boten oder eine Wache brauchet. Mit Eurem Genehmhalten will ich dafür sorgen, daß sie in passenden Herbergen untergebracht werden, und dann meine ferneren Anweisungen an dem Ort in Empfang nehmen, den Ihr mir hiefür bestimmt. Ich schlage diese Trennung vor, weil ich begreife, daß Ihr jetzt allein sein wollet.«

»Ich muß an den Hof,« erwiderte Arthur, »und das ohne Verzug. Warte auf mich in einer halben Stunde bei dem Brunnen in der Straße, der eine so prächtige Wassersäule in die Luft sendet, daß man schwören möchte, sie sei von einem dampfartigen Dunst umgeben, und dieser diene dem Wasserstrahl, den er einhüllt, als Decke.«

»Der Springbrunnen ist so eingehüllt,« versetzte der Provençale, »weil er von einer heißen Quelle seine Nahrung empfängt, die aus den Eingeweiden der Erde hervorsprudelt. Der Frostanflug dieses Herbstmorgens macht den Dunst mehr in die Augen fallend, als gewöhnlich. Aber wenn Ihr den guten König René suchet, so werdet Ihr ihn jetzt auf einem Spaziergang in seinem Kamin antreffen. Fürchtet Euch nicht, ihm zu nahen, denn nie war ein Monarch so leicht zugänglich, besonders für gut aussehende Fremde, wie Ihr, mein Herr.«

»Aber seine Diener,« sagte Arthur, »werden mich nicht in seine Halle lassen.«

»Seine Halle!« wiederholte Thiebold, »was für eine Halle?«

»Nun, die des Königs René meine ich. Wenn er in einem Kamin spazieren geht, so kann es blos in dem an seiner Halle stattfinden, und ein hübscher Kamin muß es sein, wenn er Platz zu einer solchen Bewegung darin findet.«

»Ihr versteht mich nicht recht,« versetzte der Führer lachend. »Was wir König René's Kamin nennen, ist jene schmale Brustwehr; sie läuft zwischen diesen zwei Thürmen hin, ist nach der südlichen Seite hin offen und in jeder andern Richtung geschlossen. Nun ist es sein Vergnügen, da herumzulaufen und sich an kühlen Morgen, wie der heutige, von der Sonne bescheinen zu lassen. Das nährt, wie er sagt, seine poetische Ader. Wenn Ihr Euch seinem Spaziergang nähert, so wird er gleich mit Euch reden, wenn er nicht gerade mit Versemachen beschäftigt ist.«

Arthur konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, wenn er sich einen achtzigjährigen König dachte, der vom Mißgeschick gebeugt und von Gefahren umringt war, sich aber doch damit belustigte, auf einer offenen Brustwehr spazieren zu gehen, und im Beisein aller seiner ergebenen Unterthanen, die Lust zum Zusehen hatten, Reime schmiedete.

»Wenn Ihr auf diesem Weg ein paar Schritte weiter geht,« sagte Thiebold, »so könnt Ihr den guten König René sehen und beurtheilen, ob Ihr ihn jetzt anreden könnet oder nicht. Ich will die Leute unterbringen und Eurer Befehle bei der Quelle auf dem Corso warten.«

Arthur fand nichts gegen den Vorschlag seines Führers einzuwenden. Auch war es ihm nicht unlieb, daß er Gelegenheit hatte, etwas von dem guten König René zu sehen, ehe er ihm vorgestellt würde.



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