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Ich muß gestehn, in frühern goldnen Tagen
War ich des schönen Albion Königin;
Doch Unglück trat mir meinen Titel nieder
Und warf mich in den Staub mit Schmach und Schande;
Da sitz' ich nun beim Schicksal an dem Boden
Und füge mich ergeben in mein Loos.
Heinrich IV.
Das Gasthaus zum fliegenden Hirsch in Straßburg wurde, wie jede Herberge im Reich, zu dieser Zeit mit eben so wenig Höflichkeit und Aufmerksamkeit auf Bedürfnisse und Bequemlichkeit der Gäste geführt, als das des Johann Mengs. Aber die Jugend und das gute Aussehen Arthur Philipsons, welche nie oder selten einigen Eindruck auf das schöne Geschlecht zu machen verfehlten, vermochten über eine kurze, plumpe, blauäugige Jungfrau mit Grübchen im Kinn und weißer Haut, die Tochter des Wirths vom fliegenden Hirsch, der selber ein fetter, alter Mann und an den eichenen Sorgenstuhl in der Stube gebannt war, so viel, daß sie dem jungen Engländer gegenüber sich mit einer Herablassung betrug, welche fast als eine Entwürdigung für die bevorrechtete Kaste gelten konnte, der sie angehörte. Sie setzte nicht blos ihre leichten Halbstiefel und ihre hübschen Knöchel in Gefahr, beschmutzt zu werden, als sie über den Hof trippelte, um einen leeren Stall zu zeigen, sondern auf Arthurs Frage nach seinem Vater geruhte sie sogar sich zu erinnern, daß ein Gast, wie der beschriebene, im Hause die vorige Nacht zugebracht und gesagt hätte, er erwarte hier einen jungen Mann, seinen Reisegefährten, zu treffen.
»Ich will ihn zu Euch herunterschicken, schöner Herr,« sagte die kleine Jungfer mit einem Lächeln, welches für unbezahlbar gehalten werden mußte, wenn man Dinge dieser Art nach der Seltenheit ihres Vorkommens schätzt.
Sie hielt Wort. In wenigen Augenblicken trat der ältere Philipson in den Stall und schloß seinen Sohn in die Arme.
»Mein Sohn, mein lieber Sohn!« sagte der Engländer, dessen Stoicismus dem natürlichen Gefühl und der väterlichen Zärtlichkeit wich, »du bist mir immer willkommen – willkommen in einer Zeit der Unruhe und Gefahr – und am meisten willkommen in einem Augenblick, der eine Entscheidung unseres Geschicks herbeiführt. In wenigen Stunden werde ich erfahren, was wir von dem Herzog von Burgund zu hoffen haben. Hast du das Zeichen?«
Arthurs Hand suchte zuerst das, was seinem Herzen in buchstäblichem und bildlichem Sinne am nächsten lag, nämlich das kleine Päckchen, welches ihm Anna beim Scheiden gegeben. Aber er fand alsbald seine Geistesgegenwart wieder, und überreichte seinem Vater das Kästchen, welches dieser in La Ferrette auf so sonderbare Weise verloren und wieder erlangt hatte.
»Es ist in Gefahr gewesen,« bemerkte er gegen seinen Vater, »seit Ihr es nicht gesehen, und ich auch. Ich genoß letzte Nacht Gastfreundschaft auf einem Schlosse, und am Morgen begann ein Haufen Lanzknechte in der Nachbarschaft sich wegen ihres Soldes zu empören. Die Einwohner des Schlosses entflohen, um ihren Gewaltthätigkeiten zu entgehen, und als wir bei Morgengrauen an ihrem Lager vorbeikamen, erschoß mir ein betrunkener Bärenhäuter mein armes Pferd. Ich bin gezwungen gewesen, es auszutauschen und mir diese schwere, flandrische Mähre mit ihrem Stahlsattel und ihrer schlechten Schabracke gefallen zu lassen.«
»Unser Weg ist mit Gefahren besäet. Ich habe auch mein Theil gehabt und bin in großer Gefahr gewesen,« sagte sein Vater, ohne näher auf die Sache einzugehen, »in einem Wirthshause, wo ich die letzte Nacht verbrachte. Aber ich verließ es am Morgen und kam glücklich hieher. Ich habe endlich ein Geleite erlangt, um mich in des Herzogs Zimmer bei Dijon zu führen, und hoffe noch diesen Abend mit ihm zu sprechen. Wenn unsere letzte Hoffnung fehlschlägt, suchen wir den Seehafen Marseille auf, schiffen uns nach Candia oder Rhodus ein, und verbringen unser Leben bei der Vertheidigung des Christenthums, da wir nicht mehr für England kämpfen können.«
Arthur hörte diese unglückbedeutenden Worte ohne Erwiderung an; aber sie fielen ihm eben so schwer auf's Herz, als dem Verbrecher das Urtheil des Richters, welches ihn von der Gesellschaft und all' ihren Freuden ausschließt und zu ewigem Gefängniß verdammt. Die Glocken auf dem Münster fingen in diesem Augenblick an zu läuten, und erinnerten den alten Philipson an die Pflicht, eine Messe zu hören. Diese wurde zu jeder Stunde in der einen oder anderen der Kapellen gelesen, welche dieses prächtige Gebäude umschließt. Er kündigte dem Sohn seine Absicht an, und Arthur folgte ihm.
Bei der Annäherung an das prächtige Münster fanden die Reisenden den Zugang zu demselben, wie solches in katholischen Ländern gebräuchlich ist, durch eine Menge von Bettlern aus beiden Geschlechtern gesperrt, welche den Eingang umlagerten, um den Andächtigen Gelegenheit zu Almosen zu geben, die von ihrer Kirche als eine Hauptobliegenheit eingeschärft werden. Die Engländer entzogen sich ihrer Zudringlichkeit, indem sie, wie bei solchen Gelegenheiten gebräuchlich ist, einige kleine Münzen unter die vertheilten, welche am meisten Mitleid zu bedürfen und zu verdienen schienen. Eine große Frau stand auf der Treppe ganz an der Thüre, und streckte ihre Hand gegen den älteren Philipson aus, der ihr, über ihr Aeußeres betroffen, ein Silberstück statt des Kupfergeldes gab, welches er den anderen gereicht.
»Welch' Wunder!« rief sie auf englisch, aber so leise, daß blos Philipson sie hören konnte, obgleich auch sein Sohn verstand, was sie sagte. – »Ei, ein Wunder! – Ein Engländer besitzt noch eine Silbermünze, und ist im Stande, sie den Armen zu geben!«
Arthur bemerkte, daß sein Vater bei der Stimme oder den Worten etwas zitterte. Und auch er selbst fand in dem Gesagten Etwas, was über eine gewöhnliche Bettlerin hinausging. Aber nach einem Blick auf das Weib, welches ihn so angeredet, ging Philipson weiter in die Kirche, und widmete bald seine ganze Aufmerksamkeit der feierlichen Messe, welche ein Priester am Altar einer Kapelle las. Dieselbe war in einem Flügel des Gebäudes und, wie sich aus dem Bilde über dem Altar abnehmen ließ, dem heiligen Georg geweiht. Dieses kriegerischen Heiligen wirkliche Geschichte ist sehr dunkel, obgleich die Volkssage ihn zu einem Gegenstand besonderer Verehrung in den Zeiten des Lehenwesens machte. Die Ceremonie begann und endigte in gewöhnlicher Weise. Der dienstthuende Priester entfernte sich mit seinen Begleitern, und obgleich einige der Gläubigen, welche der Feierlichkeit beigewohnt, noch damit beschäftigt blieben, ihren Rosenkranz zu beten oder besondere Bitten an den Himmel zu richten, so verließen doch die meisten Leute die Kapelle, sei es, um in eine andere zu treten, sei es, um wieder an ihre Geschäfte zu gehen.
Aber Arthur bemerkte, daß, obgleich Eins nach dem Andern fortging, die große Frau, welche von seinem Vater ein Almosen empfangen, noch immer am Altar kniete. Noch mehr ward er überrascht, als er sah, daß sein Vater selbst auf den Knieen liegen blieb; denn er wußte, daß derselbe triftige Gründe hatte, der Andacht nicht mehr Zeit zu widmen, als die Vorschriften der Religion eben nöthig machten. Die Augen desselben hafteten auf der Gestalt der verhüllten Bettlerin, als ob seine eigenen Bewegungen sich nach den ihrigen richteten. Es kam Arthur nichts zu Sinne, was ihn hätte in Stand setzen können, die geringste Vermuthung über die Beweggründe seines Vaters zu einem solchen Betragen aufzufinden. Er wußte blos, daß er in ein bedenkliches und gefährliches Geschäft verwickelt war, auf welches von verschiedenen Seiten her eingewirkt, und welches auch unterbrochen werden konnte; es war ihm auch nicht unbekannt, daß das politische Mißtrauen in Frankreich, Italien und Flandern so thätig war, daß die wichtigsten Unterhändler sich fast genöthigt sahen, sich in die undurchdringlichsten Verkleidungen zu hüllen, um sich ohne Verdacht in die Länder zu schleichen, wo ihre Dienste nöthig waren. Ludwig XI. besonders schien durch seine sonderbare Politik dem Zeitalter, in welchem er lebte, eine besondere Eigenthümlichkeit zu verleihen, und man wußte von ihm, daß er seine vorzüglichsten Gesandten unter den Trachten von Bettelmönchen, Minnesängern, Zigeunern und anderen bevorrechteten Wanderern vom niedrigsten Stande versteckt hatte.
Arthur schloß also, das Weib sei wahrscheinlich, wie sie selbst, etwas mehr, als ihre Kleidung verrieth; und er beschloß, auf das Benehmen seines Vaters genau Acht zu geben und nach demselben sein eigenes einzurichten. Endlich verkündigte eine Glocke, daß am Hochaltar ein feierliches Amt gehalten werden würde, und dieser Ton bewirkte, daß Alles, was noch da war, die Kapelle des heiligen Georg verließ, außer Vater und Sohn und der weiblichen Büßerin, die ihnen gegenüber kniete. Als der Letzte der Andächtigen sich entfernt hatte, erhob sich die Frau und trat gegen den älteren Philipson hin, welcher die Arme auf der Brust kreuzte und das Haupt neigte. Dabei nahm er eine so demüthige und ehrerbietige Stellung an, wie es sein Sohn noch nie an ihm wahrgenommen, und schien eher auf das zu warten, was sie etwa zu sagen hätte, als sie anreden zu wollen.
Es entstand eine Pause. Vier brennende Lampen vor dem Bildniß des Heiligen warfen eine schwache Helle auf seinen Renner und seine Rüstung, denn er war dargestellt, wie er den Drachen durchbohrt. Die ausgespannten Flügel und der aufgetriebene Hals desselben wurden kaum sichtbar. Das wenige Licht, welches im übrigen Theil der Kapelle herrschte, rührte von der Herbstsonne her, und sie vermochte kaum, durch die gemalten Scheiben des langen und schmalen Fensters zu dringen, welches die einzige Oeffnung nach außen bildete. Das dunkle und ungewisse Licht fiel gemischt mit den verschiedenen Farben der Scheiben auf die stattliche, aber etwas gedrückte und zusammengesunkene Gestalt der Frau, auf die traurigen und ängstlichen Züge Philipsons, und auf seinen Sohn, der mit dem eifrigen Antheil der Jugend außerordentliche Folgen aus einer so sonderbaren Zusammenkunft ableitete.
Endlich näherte sich die Frau derselben Seite der Kapelle, auf der Arthur und sein Vater standen, wie um sich besser verständlich zu machen, ohne doch gezwungen zu sein, die Stimme mehr zu erheben, als zu dem leisen, feierlichen Tone, in welchem sie früher gesprochen.
»Verehret Ihr hier,« fragte sie, »den heiligen Georg von Burgund oder den heiligen Georg vom lustigen England, die Blüthe der Ritterschaft?«
Philipson hielt immer noch die Hände demüthig über die Brust gekreuzt und erwiderte: »Ich verehre den Heiligen, welchem diese Kapelle geweiht ist, und die Gottheit, bei welcher ich auf seine Vermittelung hoffe, sei es nun hier oder in meinem Heimathlande.«
»Ja – auch Ihr,« fuhr die Frau fort, »auch Ihr könnt vergessen – Ihr selbst, Ihr, der einst zum Spiegel der Ritterschaft gehört – könnt vergessen, was Ihr in der königlichen Kapelle zu Windsor verehrt – daß Ihr dort ein mit dem Hosenband umgürtetes Knie gebeugt, wo Könige und Prinzen um Euch knieten. – Ihr könnt das vergessen und Eure Gebete in einer fremden Kapelle sprechen, ohne daß Euer Herz durch Gedanken daran gestört wird, was Ihr gewesen seid; Ihr könnt beten, wie ein elender Bauer um das Brod für den Tag, der eben dahin geht.«
»Gnädige Frau,« versetzte Philipson, »in meinen stolzesten Stunden war ich vor dem Wesen, dem ich meine Gebete darbrachte, nichts als ein Wurm im Staub – in Seinen Augen bin ich jetzt weder mehr noch weniger, wie entwürdigt ich in den Augen derer sein mag, die mit mir herumkriechen.«
»Wie kannst du das denken?« sprach die Verhüllte. »Und doch ist es gut für dich, daß du es kannst. Aber was sind deine Verluste im Vergleich mit den meinen?«
Sie legte die Hand an die Stirne, und schien einen Augenblick überwältigt von niederdrückenden Erinnerungen.
Arthur drängte sich an seines Vaters Seite und fragte im Tone einer Theilnahme, die er nicht zurückzuhalten vermochte: »Vater, wer ist diese Frau? – Ist es meine Mutter?«
»Nein, mein Sohn,« antwortete Philipson; – um alles Dessen willen, was dir theuer und heilig ist, schweig'!«
Die sonderbare Frau hatte indessen Frage und Antwort, wenn gleich flüsternd ausgesprochen, gehört.
»Ja,« sagte sie, »junger Mann – ich bin – ich sollte sagen, ich war – Eure Mutter; die Mutter, die Beschützerin alles Dessen, was edel war in England – ich bin Margarethe von Anjou.«
Arthur sank auf die Kniee vor der furchtlosen Wittwe Heinrichs VI., die so lange und unter so verzweifelten Umständen durch entschlossenen Muth und tiefe Staatsklugheit die sinkende Sache ihres schwachen Gemahls aufrecht gehalten, und wenn sie dann und wann den Sieg durch Grausamkeit und Rachgier mißbrauchte, dieß durch die unerschütterliche Standhaftigkeit gut gemacht hatte, mit der sie die härtesten Schläge des Unglücks ertrug. Arthur war in eifriger Anhänglichkeit an die nun entthronte Linie der Lancaster erzogen worden, denn sein Vater war einer der ausgezeichnetsten Anhänger derselben gewesen, und seine frühesten Waffenthaten waren, obgleich nicht mit Glück, doch nicht ohne Auszeichnung für ihre Sache verrichtet worden. Mit der seinem Alter und seiner Erziehung angehörigen Begeisterung warf er in selbem Augenblick sein Barett auf das Pflaster und kniete zu den Füßen seiner unglücklichen Fürstin nieder.
Margarethe zog den Schleier zurück, welcher ihre majestätischen und edlen Züge verdeckte. Noch jetzt zeigten sich Spuren von der Schönheit, welche einst nicht ihres Gleichen gehabt in Europa, obgleich Sorge, Verdruß, häuslicher Kummer und gedemüthigter Stolz das Feuer ihres Auges verlöscht und die Würde ihrer Stirne zerstört hatte. Die Fühllosigkeit, welche eine Reihe von Unfällen und vereitelten Hoffnungen im Herzen der Fürstin hatte entstehen machen, wurde für einen Augenblick verdrängt durch den Anblick von der Begeisterung des schönen Jünglings. Sie überließ ihm eine Hand und er bedeckte sie mit Thränen und Küssen; mit der andern streichelte sie ihm, zärtlich wie eine Mutter, die Locken seines Haares und suchte ihn aufzuheben. Unterdessen schloß sein Vater die Thüre der Kapelle, lehnte sich mit dem Rücken daran, und entfernte sich so von der Gruppe, um zu verhindern, daß ein Fremder während eines so außerordentlichen Auftritts einträte.
»Du bist also,« sagte Margarethe mit einer Stimme, in welcher die weibliche Zärtlichkeit in seltsamem Streit lag mit dem angebornen Stolz auf ihren Rang und mit der Ruhe, der stoischen Gleichgültigkeit, welche ihr anhaltendes und großes Unglück erzeugt hatte; »du also, schöner Jüngling, bist der letzte Sprosse aus dem edeln Stamm, aus dem so viele Zweige für unsere unglückliche Sache gefallen sind. Ach! ach! was kann ich für dich thun? Margarethe hat nicht einmal einen Segen zu ertheilen. So elend ist ihr Loos, daß ihre Segenswünsche Flüche werden; sie kann dich blos betrachten und dir wünschen, du mögest bald und völlig zu Grunde gehen. Ich, ich bin der unheilvolle Giftbaum gewesen, dessen Einfluß all' die schönen Pflanzen zerstört hat, welche neben und um mich wuchsen. Ich habe Tod über Jedermann gebracht, und kann ihn selber nicht finden.«
»Edle, königliche Herrin!« antwortete der alte Engländer; »laßt Euern fürstlichen Muth, mit dem Ihr so Ungeheures ertragen, nicht jetzt ermatten, da Alles vorüber ist und wir wenigstens Hoffnung haben, daß glücklichere Zeiten für Euch und England herankommen.«
»Für England, für mich, edler Oxford!« sagte die trostlose, verwittwete Königin – »wenn mich die Sonne morgen wieder auf dem Throne von England sehen könnte, wer wollte mir zurückgeben, was ich verloren? Ich spreche nicht von Reichthum oder Macht – sie gelten nichts in der Wage – ich spreche nicht von der Menge edler Freunde, die bei meiner und der Meinigen Vertheidigung gefallen sind – von den Somerset, Percy, Stafford, Clifford – sie haben einen rühmlichen Platz in den Jahrbüchern ihres Vaterlandes gefunden – ich spreche nicht von meinem Gemahl, er ist aus einem leidenden Heiligen auf Erden ein Heiliger im Himmel geworden – aber, o Oxford! mein Sohn, mein Eduard! – Ist es mir möglich, auf diesen Jüngling zu blicken, ohne mich zu erinnern, daß deine Gräfin und ich in der nämlichen Nacht zwei schönen Knaben das Leben gaben? Wie oft suchten wir ihr künftiges Geschick vorher zu bestimmen und uns zu überreden, daß dieselbe Constellation, welche bei ihrer Geburt gewaltet, einen günstigen und wohlthätigen Einfluß auf ihr ganzes Leben haben würde, bis sie im Stande wären, eine reiche Ernte von Ehre und Glück einzusammeln! Dein Arthur lebt, aber ach, mein Eduard, der unter denselben Zeichen geboren wurde, ruht in einem blutigen Grabe!«
Sie hüllte den Kopf in ihren Mantel, wie um die Klagen und Seufzer zu ersticken, welche diese grausamen Erinnerungen ihrer mütterlichen Brust erpreßten. Philipson oder der verbannte Graf von Oxford, wie wir ihn jetzt nennen können, hatte sich in diesen wechselvollen Zeiten durch die Standhaftigkeit ausgezeichnet, mit der er seine Treue der Linie Lancaster bewahrte; er sah jetzt, daß es unklug wäre, wenn er zugäbe, daß sich seine Fürstin dieser Schwäche überließe.
»Königliche Herrin,« sprach er, »das Leben ist wie ein kurzer Wintertag; und ob wir aus der Dauer desselben Nutzen ziehen oder nicht, es erreicht nichtsdestoweniger sein Ende. Meine Fürstin ist, wie ich hoffe, zu sehr Herrin über sich selbst, um zuzugeben, daß der Kummer über die Vergangenheit sie verhinderte, die Gegenwart zu ihrem Vortheil auszubeuten. Ich bin hier, um Euern Befehlen zu gehorchen; ich soll in Kurzem mit dem Herzog von Burgund zusammenkommen; wenn ich ihn dem Plane geneigt finde, den ich ihm vorlegen werde, so können Ereignisse eintreffen, die unsere Trauer in Freude verwandeln. Aber wir müssen die Gelegenheit eben so schnell als eifrig erfassen. Erkläret mir also, gnädige Frau, warum Ihr verkleidet hieher gekommen seid und Euch mehr als einer Gefahr aussetzet. Gewiß geschah es nicht blos, um über diesen jungen Mann zu weinen, daß die hochherzige Königin Margarethe in dieser ärmlichen Tracht den sichern Hof ihres Vaters verließ, und in ein Land reiste, wo sie wenigstens nicht sicher ist, wenn ihr auch keine wirkliche Gefahr droht.«
»Ihr spottet meiner, Oxford,« erwiderte die unglückliche Königin, »oder Ihr täuscht Euch selbst, wenn Ihr noch die Margarethe vor Euch zu sehen glaubt, die nie ein Wort sprach ohne Ursache, und deren geringste Handlungen einen Grund hatten. Ach! ich bin nicht mehr dasselbe entschlossene und verständige Wesen. Das Fieber des Kummers macht, daß ich jeden Ort hasse, wo ich mich befinde, und eine unwiderstehliche Ungeduld treibt mich von einem Fleck zum andern. Ihr sagt, ich sei in Sicherheit am Hofe meines Vaters; kann es aber ein Geist, wie der meinige, dort aushalten? Kann eine Frau, der man das schönste und reichste Königreich in Europa geraubt – die Schaaren edler Freunde verloren hat – kann eine Frau ohne Gatten, eine kinderlose Mutter – auf welche der Himmel die Schale seines Zorns bis auf die Neige ausgegossen, – kann ich mich zur Gesellschafterin eines schwachen Greises erniedrigen, welcher in Liedern und Musik, in Mummereien und Tollheiten, bei Harfenspiel und Versen Trost für Alles findet, nicht nur was die Armuth Erniedrigendes hat, sondern – und das ist noch schlimmer – auch für alles Lächerliche und Verächtliche?«
»Mit Eurer Erlaubniß, gnädige Frau,« entgegnete ihr Rath, »tadelt den guten König René nicht, wenn er, verfolgt vom Unglück, sich bescheidenere Quellen des Trostes zu eröffnen gewußt hat, die Euer stolzes Gemüth verschmäht. Ein Kampf seiner Minnesänger hat für ihn so viel Reiz als ein Turnier; und eine Krone von Blumen, die seine Troubadours gewunden und in Sonnetten besungen haben, scheint ihm hinreichender Ersatz für die Kronen von Jerusalem, Neapel und beider Sicilien, von denen er blos die leeren Titel besitzt.«
»Sprecht mir nicht von diesem mitleidswürdigen Greise,« sagte Margarethe, »er ist unter dem Haß seiner tödtlichsten Feinde heruntergesunken, und sie haben ihn blos ihrer Verachtung werth geachtet. Ich sage dir, edler Oxford, mein Aufenthalt zu Aix, in der elenden Umgebung, die er seinen Hof nennt, hat mich beinahe um den Verstand gebracht. Meine Ohren sind jetzt blos für Laute des Grams gestimmt, aber das ewige Klingeln der Harfen, das Quieken der Geigen und Klappern der Castagnetten ermüdet mir doch nicht so sehr die Ohren, – die bettelhafte Nachäffung der Hofgebräuche, welche nur dann Achtung einflößen, wenn sie Reichthum und Macht ankündigen, ist für meine Augen nicht so abgeschmackt, als mich der erbärmliche Ehrgeiz anwidert, der an Flittern, Troddeln und andern Lumpereien Freude findet, wenn alles Große und Erhabene entschwunden ist. Nein, Oxford, wenn ich bestimmt bin, auch den letzten Wurf noch zu verlieren, so ziehe ich mich in das verborgenste Kloster in den Pyrenäen zurück, um wenigstens die verrückte Lustigkeit meines Vaters nicht mit ansehen zu müssen. – Möge er aus unserem Gedächtniß verschwinden wie aus den Blättern der Geschichte, auf denen sein Name nie genannt werden wird. Ich habe viel Wichtigeres zu sagen und zu hören. – Und nun, mein Oxford, was Neues aus Italien? Wird der Herzog von Mailand uns mit seinem Rath oder mit seinen Schätzen unterstützen?«
»Mit seinem Rathe gerne, gnädige Frau; aber ich weiß nicht, ob er Euch gefällt, denn er empfiehlt uns Ergebung in unser unglückliches Geschick und Unterwerfung unter den Willen der Vorsehung.«
»Der hinterlistige Italiener! Galeazzo will also nichts von den Schätzen vorschießen, die er aufgehäuft, keiner Freundin beistehen, der er seinerseits so oft Treue geschworen?«
»Nicht einmal die Diamanten, die ich in seine Hände niederlegen wollte,« antwortete der Graf, »konnten ihn bestimmen, seinen Schatz zu öffnen und uns seine Dukaten zu unserer Unternehmung zu liefern. Indessen hat er mir gesagt, wenn Karl von Burgund ernstlich an eine Unternehmung zu unseren Gunsten denke, so habe er so viel Antheil an Eurem Unglück, gnädige Frau, daß er dann sehen wolle, was der Zustand seiner, obwohl erschöpften Finanzen und die Lage seiner, wenn schon durch Abgaben und Auflagen verarmten Unterthanen für Euch zu thun gestatte.«
»Der doppelzüngige Heuchler!« sagte Margarethe; »also wenn die Hülfe des fürstlichen Burgund uns die Aussicht verschaffte, unser Eigenthum wieder zu erringen, dann will er uns ein paar elende Kronen leihen, damit unser auflebendes Glück die Gleichgültigkeit vergesse, mit welcher er unser Unglück behandelt! – Aber sprechen wir von Burgund! Ich habe mich hieher gewagt, um Euch zu sagen, was ich erfahren, und den Bericht über den Erfolg Eurer Schritte zu hören. Vertraute Leute sorgen dafür, daß unsere Zusammenkunft geheim bleibt. Meine Ungeduld, Euch zu sehen, hat mich unter dieser Verkleidung hieher geführt; mein kleines Gefolge ist in einem Kloster eine Meile von der Stadt; ich habe Eure Ankunft durch den getreuen Lambert erspähen lassen, und jetzt laßt mich Eure Hoffnungen oder Befürchtungen kennen lernen, und mich Euch von den meinigen sprechen.«
»Königliche Frau!« erwiderte der Graf, »ich habe den Herzog nicht gesehen. Ihr kennt sein Wesen; er ist eigensinnig, heftig, stolz und zu nichts zu bereden. Wenn er die ruhige und geduldige Politik sich zu eigen machen könnte, welche die Zeit erfordert, so zweifle ich nicht, er werde volle Genugthuung von Ludwig, seinem geschworenen Feind, und selbst von Eduard, seinem ehrgeizigen Schwager, erhalten. Fährt er aber fort, sich mit oder ohne Veranlassung seinem ausschweifenden Zorn zu überlassen, so wird er sich wahrscheinlich in einen Streit mit den armen, aber unerschrockenen Schweizern verwickeln; er wird dann in einen gefährlichen Kampf gerathen, in welchem er nichts zu gewinnen hoffen kann und sich den ernsthaftesten Verlusten aussetzt.«
»Gewiß,« versetzte die Königin, »wird er sich nicht dem Thronräuber Eduard in dem Augenblick anvertrauen, in welchem dieser den deutlichsten Beweis seiner Verrätherei liefert.«
»Wie so, gnädige Frau?« fragte Oxford. »Die Nachrichten, auf die Ihr anspielet, haben mich nicht erreicht.«
»Wie, mein Herr? Bin ich die Erste, die Euch sagt, daß Eduard von York das Meer mit einem Heere überschritten hat, wie es der berühmte Heinrich V., mein Schwiegervater, kaum je aus Frankreich nach Italien überführte?«
»Ich hatte gehört,« sagte Oxford, »daß man solches erwartete, und sah voraus, daß der Erfolg davon unserer Sache ungünstig sein würde.«
»Eduard ist angekommen,« erwiderte Margarethe, »und der Verräther und Thronräuber hat Ludwig von Frankreich eine Ausforderung geschickt, und die Krone dieses Landes als ihm rechtlich zugehörend verlangt, – eine Krone, die auf dem Haupte meines unglücklichen Gemahls saß, da er noch ein Kind war in der Wiege.«
»Es ist also entschieden – die Engländer sind in Frankreich!« antworte Oxford im Tone der lebhaftesten Unruhe. – »Und wen bringt Eduard mit zu diesem Zug?«
»Alle, alle die bittersten Feinde unseres Hauses und unserer Sache – den falschen, verrätherischen, ehrlosen Georg, den er Herzog von Clarence heißt, – den Blutsäufer Richard – den ausschweifenden Hastings – Howard – Stanley – mit einem Wort, die Ersten unter den Verräthern, die ich nicht nennen möchte, als wenn meine Flüche sie von der Erde vertilgen könnten.«
»Und – ich zittere, das zu fragen,« fuhr der Graf fort – »rüstet sich der Herzog von Burgund, gemeinschaftliche Sache mit den Yorkischen gegen König Ludwig von Frankreich zu machen?«
»Meinen Nachrichten zufolge,« versetzte die Königin, »und sie sind eben so geheim als sicher, und werden noch überdieß durch das allgemeine Gerücht bestätigt – nein, mein guter Oxford, nein!«
»Dafür seien die Heiligen gepriesen!« erwiderte Oxford. »Eduard von York – ich lasse auch einem Feind Gerechtigkeit widerfahren – ist ein kühner und unerschrockener Feldherr – aber er ist weder Eduard der dritte, noch der heldenmüthige schwarze Prinz – noch der fünfte Heinrich von Lancaster, unter dem ich meine Sporen errang, und dessen Hause mich schon der Gedanke an seinen Ruhm treu erhalten hätte, wenn mir auch schon der geschworene Eid erlaubt haben würde, an einen Abfall zu denken. Lasset Eduard mit Ludwig Krieg führen ohne Burgunds Hülfe, auf die er gezählt hat. Ludwig ist gewiß kein Held, aber ein vorsichtiger und geschickter General, und in diesem staatsklugen Jahrhundert vielleicht furchtbarer als Karl der Große, wenn er, umgeben von Roland und allen seinen Rittern, noch einmal die Oriflamme wehen lassen könnte. Ludwig wird keine Schlachten wagen, wie die bei Crecy, Poitiers oder Agincourt. Mit tausend Lanzen aus dem Hennegau und zwanzigtausend Thalern von Burgund können wir Eduard IV. England abgewinnen, während er in einen langwierigen Krieg zur Wiedereroberung der Provinzen Normandie und Guienne verwickelt ist. Aber was macht der Herzog von Burgund gegenwärtig?«
»Er bedroht Deutschland, und seine Truppen durchziehen Lothringen, dessen erste Städte und Vesten er besetzt hält,« antwortete Margarethe.
»Wo ist Ferrand von Vaudemont – ein muthiger und unternehmender Jüngling, wie man sagt, der rechtliche Ansprüche auf Lothringen macht und sie von seiner Mutter, Jolantha von Anjou, Euer Gnaden Schwester, herleitet?«
»Entflohen,« versetzte die Königin, »nach Deutschland oder Italien.«
»Burgund kann sich vor ihm in Acht nehmen,« sagte der erfahrene Graf; »wenn der seines Erbes beraubte, junge Mann in Deutschland Genossen findet oder Verbündete unter den kühnen Schweizern, so dürfte Karl von Burgund in ihm einen furchtbareren Feind finden, als er erwartet. Wir sind für den Augenblick blos durch den Herzog stark, und wenn er seine Kräfte in eiteln und unnützen Anstrengungen erschöpft, ach, dann verschwinden unsere Hoffnungen mit seiner Macht, wenn er auch den entschiedenen Willen hätte, uns beizustehen. Meine Freunde in England sind entschlossen, ohne Leute und Geld von Burgund sich nicht zu rühren.«
»Das ist ein Grund zur Furcht, aber nicht der dringendste,« erwiderte Margarethe. »Ich fürchte weit mehr die Staatsklugheit Ludwigs. Er hat, sofern mich meine Spione nicht gröblich getäuscht haben, Eduard schon heimlich den Frieden, einen Waffenstillstand für sieben Jahre und eine beträchtliche Summe angeboten, um England dem Hause York zu sichern.«
»Es kann nicht sein!« rief Oxford. »Jeder Engländer an der Spitze einer Armee, wie sie Eduard jetzt befehligt, würde sich schämen, aus Frankreich abzuziehen, ohne einen männlichen Versuch zur Wiedergewinnung der verlorenen Provinzen zu machen.«
»So würde ein rechtmäßiger Fürst denken,« antwortete Margarethe, »der ein treues und gehorsames Reich hinter sich läßt. Aber nicht so Eduard, mit dem Beinamen Plantagenet, dessen Geist vielleicht eben so niedrig ist als sein Blut. Denn man sagt, sein Vater sei ein gewisser Blackburn, ein Bogenschütze aus Middleham – er ist wenigstens ein Thronräuber, wenn auch kein Bastard – er kann nicht so denken. Jeder Wind von England her wird ihm die Furcht einjagen, er bringe Nachricht vom Abfall der Unterthanen, über die er sich Gewalt anmaßt. Er wird nie ruhig schlafen, bis er mit den Gurgelabschneidern nach England heimkehrt, denen er die Vertheidigung seiner gestohlenen Krone überläßt. Er wird sich in keinen Krieg mit Ludwig einlassen, denn dieser wird nicht zögern, sich vor ihm zu demüthigen, seinem Stolze zu schmeicheln, seine Habgier zu befriedigen und ihm Gold zur Sättigung seiner verschwenderischen Wollust zu liefern. Ich fürchte, wir werden bald vernehmen, daß sich das englische Heer mit dem leeren Ruhm aus Frankreich zurückzieht, daß seine Fahnen wieder einmal ein paar Wochen in den Provinzen geweht haben, die vormals sein Eigenthum gewesen.«
»Desto schneller müssen wir Burgund zur Entscheidung bringen,« erwiderte Oxford; »und zu dem Ende eile ich nach Dijon. Eine Armee, wie die Eduards, braucht mehrere Wochen, um über die Meerenge zu kommen, und es ist wahrscheinlich, daß sie in Frankreich überwintern muß, wenn auch ein Vertrag mit König Ludwig abgeschlossen wäre. Mit tausend Hennegauer Lanzen aus dem östlichen Theil von Flandern kann ich bald im Norden sein, wo wir viele Freunde haben; und auch von Schottland ist uns Hülfe zugesichert. Der treue Westen wird sich beim ersten Zeichen erheben – ein Clifford läßt sich finden, obgleich ihn die Bergnebel vor Richards Nachforschungen versteckt halten – die Walliser werden sich sammeln, wenn der Name Tudor ertönt – die rothe Rose hebt nochmals ihr Haupt – und dann, Gott erhalte König Heinrich!«
»Ach!« rief die Königin – »aber kein Gemahl – keiner meiner Freunde, blos der Sohn meiner Schwiegermutter und eines Walliserhäuptlings – kalt, sagen sie, und listig – aber sei es so – laßt mich nur Lancaster triumphiren sehen, Rache nehmen an York, und ich werde zufrieden sterben.«
»Es ist also Euer Wille, daß ich dem Herzog die Anträge stelle, die in Eurer Gnaden früherer Vollmacht enthalten sind, um ihn für unsere Sache in Bewegung zu setzen? Wenn er erfährt, daß ein Vertrag zwischen Frankreich und England im Werke ist, so wird das der schärfste Stachel für ihn sein.«
»Versprecht Alles,« sprach die Königin. »Ich kenne seine innerste Seele – er strebt nach nichts, als nach Ausdehnung seiner Besitzungen nach jeder Richtung. Darum hat er sich Gelderns bemächtigt – darum hält er jetzt Lothringen besetzt – darum beneidet er meinen Vater um die elenden Reste der Provence, die dieser noch sein eigen nennt. Mit so vermehrtem Gebiet hat er im Sinn, sein Herzogs-Diadem gegen die Krone eines unabhängigen Herrschers auszutauschen. Sagt dem Herzog, Margarethe könne seine Absichten unterstützen – sagt ihm, daß mein Vater die Einsprache, die er gegen des Herzogs Besitzergreifung von Lothringen erhoben, zurücknehmen – daß er noch mehr thun – daß er Karl zu seinem Erben in der Provence einsetzen werde, und das mit meiner vollen Einwilligung. Sagt ihm, der alte Mann werde ihm sein Ländchen in dem Augenblick abtreten, da seine Hennegauer sich nach England einschifften, wenn man ihm so viel zusicherte, als zum Unterhalt einer Bande Musiker und einer Truppe Tänzer nöthig wäre. Das sind die einzigen Bedürfnisse René's auf dieser Welt. Der meinen sind noch weniger – Rache an York und ein frühes Grab! – Für das elende Gold, was wir brauchen, hast du Juwelen zu verpfänden – in Bezug auf die anderen Bedingungen Sicherheit anzubieten, wenn es verlangt wird.«
»Für diese, gnädige Frau, kann ich mein Ritterwort nebst Eurer königlichen Ehre verpfänden, und wenn sie noch mehr fordern, so kann mein Sohn als Geisel bei Burgund bleiben.«
»Oh, nein, nein!« rief die entthronte Königin, ergriffen vielleicht von dem einzigen zärtlichen Gefühl, welches wiederholtes und außerordentliches Unglück nicht ertödtet hatte, – »setzt nicht das Leben des edlen Jünglings auf's Spiel – er ist der Letzte aus dem treuen Hause de Vere – er hätte der Waffenbruder meines geliebten Eduards werden sollen – und wäre ihm fast in sein blutiges und frühes Grab gefolgt! Verwickelt das arme Kind nicht in dieses unglückliche Treiben, welches seiner Familie so viel Unglück gebracht hat. Laßt ihn mit mir gehen. Ihn wenigstens werde ich vor Gefahr schützen, so lange ich lebe, und für ihn sorgen, wenn ich nicht mehr bin.«
»Verzeiht, gnädige Frau,« antwortete Oxford mit der Festigkeit, die ihn auszeichnete. »Mein Sohn ist, wie Ihr Euch zu erinnern geruht, ein de Vere, und vielleicht bestimmt, der Letzte seines Namens zu sein. Er kann untergehen, aber es soll nicht ohne Ehre geschehen. Zu welchen Gefahren ihn seine Pflicht und sein Schwur beruft, ob er durch Schwert oder Lanze, durch Beil oder Galgen fällt, er muß ihnen kühn entgegengehen, wenn er dadurch seine Treue erweisen kann. Seine Vorfahren haben ihm gezeigt, welchen Weg er einzuschlagen hat.«
»Das ist wahr!« rief die unglückliche Königin, indem sie mit den Armen wild emporfuhr. – »Alles muß untergehen – Alles, was dem Hause Lancaster gedient – Alle, welche Margarethe geliebt hat, Alle, von denen sie geliebt worden ist! Die Zerstörung muß allgemein sein, der Junge muß mit dem Alten fallen – nicht ein Lamm von der zerstreuten Heerde soll entkommen!«
»Um Gottes willen, gnädige Frau,« sagte Oxford, »beruhigt Euch! Ich höre an der Thüre der Kapelle klopfen.«
»Das ist das Zeichen der Trennung,« sprach die verbannte Königin, sich sammelnd; »ich fürchte nichts, edler Oxford, ich bin nicht oft so; denn wie selten sehe ich Freunde, deren Gesichter und Stimmen die Ruhe meiner Verzweiflung zu stören vermögen! Laß mich diese Reliquie dir um den Hals binden, guter Jüngling, und fürchte keinen schlimmen Einfluß von ihr, obgleich du sie aus einer unheilvollen Hand empfängst. Sie gehörte meinem Gemahl, ist durch viele Gebete geweiht und durch manche Thräne geheiligt, meine unglücklichen Hände können sie nicht ihres Segens berauben. Ich hätte sie meinem Eduard an dem schrecklichen Morgen der Schlacht bei Tewkesbury auf die Brust geheftet, aber er waffnete sich zu früh – zog in den Kampf ohne von mir Abschied zu nehmen, und ich konnte meine Absicht nicht ausführen.«
Sie knüpfte bei diesen Worten Arthur eine goldene Kette um den Hals, an welcher ein kleines goldenes Crucifix von reicher aber roher Arbeit hing. Es hatte, nach der Ueberlieferung, Eduard dem Bekenner gehört. Das Klopfen an der Thüre wiederholte sich.
»Wir dürfen nicht länger zaudern,« sagte Margarethe; »sondern wollen uns hier trennen – Ihr geht nach Dijon, ich nach Aix, meinem ruhelosen Aufenthalt in der Provence. Lebt wohl – vielleicht sehen wir uns in besseren Zeiten wieder – doch wie kann ich das hoffen? So habe ich auch am Morgen vor der Schlacht von St. Albans gesagt – bei dem trüben Grauen des Morgens von Towton – auf dem noch blutigeren Feld von Tewkesbury – und was ist darauf gefolgt? Aber Hoffnung ist eine Pflanze, die aus einer edlen Brust nicht ausgerottet werden kann, bis die letzte Faser am Herzen reißt.«
Damit trat sie durch die Thüre der Kapelle, und verlor sich in der Menge der Leute aus allen Ständen, die hier beteten oder der Neugier nachhingen, oder ihre müssigen Stunden in den Gängen des Münsters verbrachten.
Philipson und sein Sohn, auf welche die seltsame Zusammenkunft, die eben stattgefunden, einen tiefen Eindruck gemacht hatte, kehrten in ihre Herberge zurück, und fanden daselbst einen Wappenherold mit den Zeichen und Farben des Herzogs von Burgund. Er erklärte ihnen, wenn sie die englischen Kaufleute wären, die Waaren von Werth an den Hof des Herzogs brächten, so hätte er den Auftrag sie dahin zu führen, und sie unter den Schutz seiner Bedeckung und Unverletzlichkeit zu nehmen. Mit ihm verließen sie Straßburg; aber es herrschte eine solche Ungewißheit in den Bewegungen des Herzogs, und sie stießen auf so viele Hindernisse, die sie auf ihrem Wege aufhielten, das Land wurde durch das beständige Hin- und Herziehen der Truppen und die Kriegsrüstungen so sehr beunruhigt, daß sie erst am Abend des zweiten Tages die Ebene bei Dijon erreichten, wo sich die ganze oder ein großer Theil der burgundischen Kriegsmacht gelagert hatte.