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Zwanzigstes Kapitel.

Macbeth.
Nun, ihr Töchter der Nacht, geheimnißvolle schwarze Hexen, was macht ihr da?
Die drei Hexen.
Etwas, das keinen Namen hat.

Macbeth.

Wir haben am Schlusse des letzten Kapitels gesagt, daß der Kaufmann Philipson nach einem Tage voll Mühen und außerordentlicher Aufregung erwartet habe, so viele sonderbare Vorfälle in der tiefen Ruhe vergessen zu können, welche die Folge und das Heilmittel der äußersten Erschöpfung ist. Kaum hatte er sich aber auf sein bescheidenes Lager hingestreckt, als er merkte, daß sein übermüder Körper nicht dazu gestimmt war, sich den Annehmlichkeiten des Schlafs zu überlassen. Die Spannung des Geistes war allzu stark gewesen, und der Körper fieberte zu heftig, um der nöthigen Ruhe genießen zu können. Seine Unruhe über die Sicherheit seines Sohnes, seine Vermuthungen über den Erfolg seiner Sendung an den Herzog von Burgund, tausend andere Gedanken, welche ihm die Ereignisse der Vergangenheit vor Augen führten, oder diejenigen malten, welche die Zukunft im Schoße trug, strichen über seine Seele hin, wie die Wogen eines aufgeregten Meeres, und verhinderten allen Schlaf.

Eine Stunde ungefähr mochte er im Bette sein, und kein Schlaf hatte noch seine Augen berührt, als er gewahr wurde, daß er mitsammt seinem Bette abwärts stieg, er konnte nicht sagen wohin. Er vernahm ein undeutliches Geräusch von Stricken und Rollen, obgleich man alle Vorsicht angewandt hatte, um solches zu verhindern, und als er um sich fühlte, erkannte er, daß er und das Bett, auf dem er lag, auf einer großen Fallthüre gestanden hatte, welche man in die Gewölbe oder Gemächer hinablassen konnte, die unten sich befanden.

Philipson blieb nicht frei von Furcht, unter Umständen, die so geeignet waren, solche einzuflößen; denn wie konnte er auf glückliche Beendigung eines Abenteuers hoffen, das einen so seltsamen Anfang nahm. Aber seine Besorgnisse waren die eines festen, besonnenen Mannes, der selbst in der äußersten Gefahr, die ihn umfing, die Geistesgegenwart nicht verlor.

Es schien, man ließe ihn langsam und vorsichtig hinunter, und er hielt sich darauf gefaßt, sich auf die Füße zu stellen und sich zu vertheidigen, sobald er sich einmal auf festem Grund befände. Wenn schon von etwas vorgerückten Jahren, besaß er doch noch alle seine Stärke und Beweglichkeit, und wenn man ihn nicht mit allzu ungleichen Kräften angriff, wie er das eben jetzt zu fürchten allen Grund hatte, so war er im Stande, einen furchtbaren Widerstand zu leisten. Man war indessen seinem Vertheidigungsplan zuvorgekommen. Kaum hatte er den Boden des Gewölbes erreicht, in welches man ihn hinuntergelassen, als ihn zwei Männer, die hier warteten, bis das Geschäft vorüber war, von beiden Seiten ergriffen. Sie hinderten ihn mit Gewalt am Aufspringen, wie er es vorgehabt, warfen ihm eine Schlinge über die Arme und machten ihn eben so gut zum Gefangenen, wie wenn er noch in den Verließen von La Ferrette gewesen wäre. Er war daher gezwungen, sich ruhig zu verhalten und das Ende des furchtbaren Abenteuers abzuwarten. Geknebelt, wie er war, vermochte er blos den Kopf von einer Seite zur andern zu wenden, und mit Freuden sah er zuletzt Lichter erglänzen, die sich aber in weiter Entfernung von ihm zeigten.

Die zerstreuten Lichter kamen in unregelmäßiger Art und Weise heran, sie hielten bald eine gerade Linie ein, bald vermischten und kreuzten sie sich, und daraus konnte er abnehmen, daß das unterirdische Gewölbe, in welchem sie sich sehen ließen, eine sehr beträchtliche Ausdehnung hatte. Auch ihre Anzahl mehrte sich nach und nach, und als sie sich mehr sammelten, konnte Philipson unterscheiden, daß es Fackeln waren, und daß sie von Männern getragen wurden, welche sich in schwarze Mäntel gehüllt hatten, wie die Leidtragenden bei einem Leichenbegängniß oder die schwarzen Brüder vom Orden des heiligen Franz. Ihre Kaputzen trugen sie über die Köpfe hergezogen, um ihre Gesichtszüge zu verdecken. Die Männer schienen eifrig mit sorgfältiger Ausmessung eines Theils des Gemaches beschäftigt, und während sie diese Arbeit verrichteten, sangen sie Verse in altdeutscher Sprache, welche Philipson kaum verstand, von denen aber die hierstehenden für eine Nachahmung gelten mögen.

Die ihr Gut und Böses meßt nach eurem Schwur,
Bringet Richtscheit, Winkelmaß herbei und Schnur.
Den Altar errichtet, zieht den Graben gut,
Netzet beide, Graben und Altar, mit Blut.
Ellen sechs von End' zu Ende sei der Bann,
Den der Richter grause Schreckensbank umspann',
Sechs der Ellen auch von Seit' zu Seiten
Sollen Richter und Beklagten scheiden.
Gegen Morgen sei's Gericht mit seinen Gliedern,
Gegen Abend soll der Angeklagte zittern.
Redet, Brüder, All' und Einer, saget frei,
Ob nach Brauch und Recht verfahren worden sei.

Ein dumpfer Chor schien auf diese Frage Antwort zu geben. Viele Stimmen vereinigten sich darin, sowohl von Leuten, die bereits in den unterirdischen Gewölben waren, als von Anderen, die noch außen in den verschiedenen, mit denselben in Verbindung stehenden Gängen sich aufhielten. Philipson konnte daher jetzt auf eine sehr beträchtliche Anzahl von Menschen schließen. Die Antwort wurde ebenfalls abgesungen, und lautete ungefähr wie folgt:

Bei Leib und Seele, bei Blut und Gebeinen,
Einer für Alle und Alle für Einen,
Wir bezeugen, daß Alles im Reinen.

Die ersten Stimmen ließen sich jetzt wieder hören:

Wie steht die Nacht, blickt Morgenschein
In frühen Strahlen auf dem Rhein?
Und welcher Ton schwimmt auf ihm her,
Ist es der muntern Vögel Heer,
Das auf den trägen Morgen schmäht?
Ihr Brüder, gehet hin und seht
Von Bergeshöh'n euch um und sagt
Mir treu, wie weit es in der Nacht?

Eine Antwort erfolgte, aber weniger laut, als das erste Mal, und es schien, als ob die, welche sie gaben, weiter entfernt waren, denn zuvor, doch konnte man die Worte deutlich unterscheiden:

Die Nacht ist alt, des breiten Rheines Brust
Erglänzt von Sternen, die noch immer Lust
Zu schlummern haben, und mit trunk'nem Gähnen
In seinem Bett sich stets von Neuem dehnen.
Kein Strahl des Lichts läßt sich vom Morgen schauen,
Auf Höhen selbst beginnt's noch nicht zu grauen.
Doch eine Stimme schwebt auf dieser Fluth,
Der ernste stille Ruf nach Blut um Blut;
Jetzt harren wir auf deines Mund's Befehle,
Daß sich dem Wort die ernste That vermähle.

Der Chor erwiderte, vermehrt mit vielen neuen Stimmen:

Zum Gericht dann auf, ihr Brüder!
Schließt der Tag die Augenlider,
Gilt's zu wachen immerdar.
Schlaf und Rache will nicht taugen,
Offen sind der Rache Augen,
Nacht und Rache sind ein Paar.

Die Beschaffenheit der Verse führte Philipson bald zu der Ueberzeugung, daß er vor den Eingeweihten oder Wissenden stand, wie man die berühmten Richter des geheimen Gerichts benannte, welches zu dieser Zeit in Schwaben, Franken und anderen Gegenden des östlichen Deutschlands noch fortbestand. Man hieß diese Länder, vielleicht wegen der furchtbaren und häufigen Hinrichtungen, die auf Befehl der unsichtbaren Richter darin vorkamen, die rothe Erde. Philipson hatte oft gehört, daß der Sitz eines Freigrafen oder Oberhauptes des geheimen Gerichts insgeheim sogar auf dem linken Rheinufer aufgerichtet wäre, und daß sich dasselbe sogar im Elsaß mit der gewöhnlichen Hartnäckigkeit solcher geheimen Gesellschaften erhielte, obgleich Herzog Karl von Burgund den Wunsch ausgesprochen hatte, den Aufenthalt der Freirichter zu entdecken, und ihren Einfluß, so weit möglich, zu vernichten, ohne sich doch den tausend Dolchen auszusetzen, die das geheimnißvolle Tribunal gegen sein Leben in Bewegung zu setzen vermochte. Dieses furchtbare Vertheidigungsmittel machte es lange Zeit für die deutschen Fürsten, ja für den Kaiser selbst äußerst mißlich, die sonderbaren Verbindungen mit einem Gewaltstreich zu unterdrücken.

Sobald diese Erklärung Philipson durch den Kopf gegangen war, hatte er auch Aufschluß über Stand und Rang des schwarzen Priesters an der St. Paulskirche gefunden. Wenn er annahm, daß er ein Vorsteher oder erster Beamter der geheimen Gesellschaft war, so lag nichts Wunderbares mehr darin, daß er so sehr auf die Unverletzbarkeit seines Amtes vertraute, und es unternahm, die Hinrichtung Hagenbachs zu rechtfertigen; daß seine Gegenwart Bartholomä überraschte, den er vermöge seiner Gewalt auf der Stelle verurtheilen und hinrichten lassen konnte; und daß sein bloßes Auftreten bei dem Nachtessen vom verwichenen Abend die Gäste erblassen gemacht hatte. Denn wenn gleich Alles, was sich auf dieses Gericht, auf seine Handlungen und Diener bezog, in so viele Dunkelheit gehüllt wurde, als man jetzt bei der Freimaurerei anwendet, so war das Geheimniß doch nicht durchaus so wohl verwahrt, daß man nicht gewisse Personen in der Stille als Eingeweihte bezeichnet hätte, als betraut mit hoher Gewalt bei dem Vehmgericht. Wenn sich eine solche Vermuthung an einen Mann knüpfte, so machte ihn seine geheime Gewalt und gemuthmaßte Bekanntschaft mit allen, wenn schon geheimen Verbrechen, die innerhalb der Gerichtsbarkeit der Gesellschaft, deren Mitglied er war, verübt wurden, von Jedem, der ihn sah, zugleich gefürchtet und gehaßt. Er genoß eines hohen Grades von persönlicher Achtung, wie man sie einem mächtigen Zauberer oder gefürchteten Geist gezollt haben würde. Im Gespräch mit einem solchen Mann war es besonders nöthig, daß man sich aller, auch entfernten Fragen in Bezug auf das Amt enthielt, das er bei dem geheimen Gericht bekleidete. Die geringste Neugier, die man über einen so feierlichen und geheimnißvollen Gegenstand an den Tag legte, verursachte dem Frager gewiß immer Unglück.

All' das stellte sich dem Geiste des Engländers zur gleichen Zeit dar. Er fühlte, daß er in die Hände eines Gerichts gefallen war, das Niemand verschonte, und dessen Gewalt alle die, welche sich im Umkreis seiner Gerichtsbarkeit befanden, in solcher Furcht erhielt, daß einem schutzlosen Fremden, wie sicher er sich auch seiner Unschuld bewußt sein mochte, nur wenig Aussicht blieb, er werde Gerechtigkeit erlangen. Während Philipson sich diesen traurigen Gedanken hingab, entschloß er sich doch, seine Sache nicht aufzugeben, und sich bestmöglichst zu vertheidigen. Er wußte, daß die furchtbaren und Niemand verantwortlichen Richter doch durch gewisse Grundsätze von Recht und Unrecht geleitet wurden, welche ihrem außerordentlichen Gesetzbuch einen Zaum anlegten.

Er beschäftigte sich also mit Aufsuchung der besten Mittel, um der gegenwärtigen Gefahr zu begegnen, während die Leute, die er in der Entfernung wahrnahm, seinen Augen weniger wie deutliche und einzelne Gestalten erschienen, denn wie die Erzeugnisse eines Fiebers oder die Schattengebilde, mit welchen, nach der Erfahrung, Krankheiten der Sehnerven das Zimmer der Leidenden bevölkern. Endlich versammelten sie sich im Mittelpunkt des Gemaches, wo sie zuerst sich gezeigt, und schienen sich gehörig zu ordnen. Eine große Menge schwarzer Fackeln wurden nach und nach angezündet, und der ganze Schauplatz ward jetzt deutlich sichtbar. In der Mitte des Gemachs konnte Philipson nunmehr einen der Altäre bemerken, wie man sie manchmal in alten unterirdischen Kapellen vorfindet. Wir müssen uns aber hier etwas aufhalten, um kürzlich nicht den Auftritt allein, sondern die Beschaffenheit und Einrichtung dieses furchtbaren Gerichtshofes zu beschreiben.

Hinter dem Altar, dem Mittelpunkt, auf den sich aller Augen richteten, waren in gleicher Linie zwei schwarz ausgeschlagene Bänke gestellt. Jede nahm eine gewisse Anzahl Männer auf, welchen ohne Zweifel die Geschäfte der Richter oblagen. Auf der vordersten Bank saßen weniger Leute, aber es sah aus, als wären sie von höherem Rang, als die, welche die vom Altar entfernteren Sitze einnahmen. Die ersten schienen lauter Leute von Bedeutung, Priester von hohem Rang in ihrem Orden, Ritter oder Edle; und trotz eines Anscheins von Gleichheit, der durch diese sonderbare Anstalt durchgeht, ward doch am meisten Gewicht auf ihre Ansichten und Zeugnisse gelegt. Man nannte sie Freiritter, Grafen, oder wie es eben ihre Ansprüche mit sich brachten; die untere Klasse der Richter hieß freie und würdige Bürger. Obgleich ihre Gewalt sich auf ein ausgedehntes Spionirsystem und die tyrannische Anwendung von Gewalt gründete, so ist doch zu bemerken, daß man die Einführung der Vehme (des gewöhnlichen Namens) so betrachtete, als verleihe sie dem Lande, in welchem sie aufgenommen würde, ein Vorrecht. So seltsame Begriffe über die Verstärkung der öffentlichen Gesetze waren damals gang und gäbe. Und doch standen nur freie Leute unter ihrem Einfluß. So konnten auch Leibeigene und Bauern keinen Platz unter den Freirichtern, ihren Beisitzern oder Beiständen einnehmen. Denn es lag in der Vereinigung etwas von der Vorstellung, den Schuldigen nur durch seines Gleichen zu richten.

Außer den Würdenträgern, welche auf den Bänken saßen, gab es noch Andere, die umherstanden und die verschiedenen Eingänge zu dem Gerichtssaale bewachten, oder hinter den Sitzen ihrer Oberen zur Ausführung ihrer Befehle bereit standen. Es waren die Glieder des Ordens, aber nicht vom höchsten Rang. Man gab ihnen allgemein den Namen Schöppen, welches Boten oder Diener des Vehmgerichts bedeutet. Sie schwuren, was man auch davon halten mag, die Urtheile desselben zum Vollzug zu bringen, und zwar gegen ihre nächsten Verwandten und besten Freunde, wie wenn es sich von gewöhnlichen Uebelthätern handelte.

Die Schöppen oder Scabini, wie sie auf Lateinisch heißen, hatten noch eine andere furchtbare Pflicht zu erfüllen, die nämlich, Alles dem Gericht anzugeben, was zu ihrer Kenntniß kam, und was man als ein Verbrechen betrachten konnte, das in ihre Gerichtsbarkeit gehörte, oder in ihrer Sprache, ein vehmwürdiges Verbrechen. Diese Obliegenheit erstreckte sich über die Richter so gut, als über die Beisitzer, und mußte ohne Ansehen der Person geübt werden, so daß die Kenntniß und freiwillige Verheimlichung des Verbrechens einer Mutter oder eines Bruders, den ungetreuen Diener denselben Strafen unterwarf, wie wenn er selbst die Missethat begangen hätte. Eine solche Einrichtung konnte nur in einer Zeit bestehen, in welcher der gewöhnliche Gang der Gerechtigkeit durch die Gewalt gehemmt wurde; in welcher es, um dem Vergehen die gehörige Strafe folgen zu lassen, des Einflusses und des Ansehens einer solchen Genossenschaft bedurfte. Und nur in einem Lande, welches allen Arten der Lehenstyrannei ausgesetzt war, und welchem alle gewöhnlichen Mittel zur Erlangung von Gerechtigkeit und Genugthuung fehlten, hatte ein solches System Wurzel fassen und sich fortpflanzen können.

Wir müssen jetzt zu dem wackeren Engländer zurückkehren, der zwar alle Gefahr erkannte, die ihm von einem so furchtbaren Gericht drohte, aber dessenungeachtet all' seine Kaltblütigkeit und eine würdige Miene bewahrte.

Als die Versammlung bei einander war, wurde ein Bündel Stricke und ein bloßes Schwert, die wohlbekannten Zeichen und Sinnbilder der Gewalt der Vehme, auf den Altar niedergelegt. Das Schwert mit seiner geraden Klinge und dem Kreuzgriff stellte das heilige Sinnbild der Erlösung der Christen vor, und der Strick zeigte das Recht der Kriminalgerichtsbarkeit und der Todesstrafe an. Der Präsident der Versammlung, der den Mittelsitz auf der vordersten Bahn einnahm, erhob sich, legte die Hand auf die Sinnbilder und sprach laut die Formel, welche die Pflichten des Gerichts in sich faßte. Und hinter ihm wiederholten dieselbe alle untergeordneten Richter und Beisitzer in dumpfem und ergreifendem Murmeln.

»Ich schwöre bei der heiligen Dreieinigkeit, ohne Unterlaß zu helfen und mitzuwirken bei Allem, was die heilige Vehme betrifft, ihre Satzungen und Einrichtungen gegen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Weiber und Kinder zu verfechten, gegen Feuer, Wasser, Erde und Luft, gegen Alles, was die Sonne anscheint, gegen Alles, was der Thau benetzt, gegen alle Geschöpfe Himmels und der Erde, oder des Wassers unter der Erde; und ich schwöre, diesem heiligen Gerichtshof anzuzeigen, alles Wahre, was ich weiß oder durch glaubwürdige Zeugen erfahre, und was nach den Gesetzen der heiligen Vehme Tadel oder Strafe verdient. Was so zu meiner Kunde gelangt, will ich weder verdecken, noch verbergen oder verheimlichen, weder um der Liebe, der Freundschaft oder Familienneigungen willen, weder für Gold, Silber noch köstliche Steine. Ich will auch keine Gemeinschaft halten mit solchen, die von dem heiligen Gericht verurtheilt sind, keinem Schuldigen seine Gefahr zu wissen thun, Keinem zur Flucht rathen oder ihm mit Anweisung, Hülfe oder Mitteln zur Bewerkstelligung derselben an die Hand gehen. Einen solchen Schuldigen will ich weder mit Feuer, Kleidern, Nahrung oder Obdach unterstützen, und wenn mein Vater in der Hitze eines Sommernachmittags mich um einen Trunk Wasser bäte, oder mein Bruder in der bittersten Kälte einer Winternacht an meinem Feuer zu sitzen begehrte. Ich gelobe und verspreche ferner, diese heilige Verbindung zu ehren, ihre Befehle hurtig, treulich und entschlossen, und vor denen eines jeden andern Gerichts zu vollziehen. – Dafür nehme ich zu Zeugen Gott und sein heiliges Evangelium.«

Als dieser Amtseid abgelegt war, wandte sich der Oberrichter an die Versammlung, bestehend aus Männern, die im Verborgenen richten und im Verborgenen strafen, wie die Gottheit, und forderte sie auf zu sagen, warum dieses Strickkind So nannte man den Angeklagten, der vor dem Vehmgericht stand. D. V. vor ihnen liege, gebunden und hülflos. Da erhob sich ein Mann auf der entfernteren Bank, und erklärte mit veränderter und erregter Stimme, welche Philipson aber doch zu erkennen glaubte, er halte sich durch seinen Eid verpflichtet, das Strickkind oder den Gefangenen, welcher vor ihnen liege, anzuklagen.

»Bringt den Gefangenen vorwärts,« sagte der Oberrichter, »gehörig bewacht, wie es unsere geheimen Gesetze vorschreiben; aber nicht mit solcher Strenge, daß dadurch seine Aufmerksamkeit auf das Verfahren des Gerichts unterbrochen, oder er verhindert werde, zu hören und zu antworten.«

Sechs von den Dienern zogen alsbald das Lager und das Brettergestell, auf welchem Philipson lag, vorwärts, und näherten es dem Fuße des Altars. Darauf entblößte Jeder den Dolch; zwei von ihnen lösten die Stricke, welche die Hände des Kaufmanns zusammenhielten, und flüsterten ihm zu, daß der entfernteste Versuch zu Widerstand oder Flucht das Zeichen sein würde, ihn niederzustoßen.

»Steh' auf!« sagte der Freigraf; »horche auf die Anklage, die gegen dich vorgebracht werden wird, und glaube, du wirst in uns eben so gerechte als unbiegsame Richter finden.«

Philipson vermied sorgfältig jede Geberde, welche den Wunsch einer Flucht hätte andeuten können, rutschte an den unteren Theil seines Bettes, und blieb hier im Unterleibchen und Unterhosen sitzen, so daß er dem vermummten Freigrafen gerade gegenüber sich befand. Selbst in diesen furchtbaren Umständen verlor der unerschrockene Engländer seine Ruhe nicht, seine Augenlider zitterten nicht und sein Herz schlug nicht stärker, obgleich er nach dem Ausdruck der heiligen Schrift ein Pilgrim war im Thale der Schatten des Todes, umringt von Fallstricken und versunken in völlige Finsterniß, während er für seine Sicherheit das Licht gerade am nöthigsten gebraucht hätte.

Der Freigraf fragte nach seinem Namen, Vaterland und Beschäftigung.

»Johann Philipson,« war die Antwort; »von Geburt ein Engländer und ein Kaufmann dem Gewerbe nach.«

»Hast du nie einen anderen Namen und ein anderes Gewerbe gehabt?« fragte der Richter.

»Ich bin ein Soldat gewesen und trug damals, wie die meisten anderen, einen Namen, unter dem ich im Kriege bekannt war.«

»Was war das für ein Name?«

»Ich habe ihn abgelegt, da ich meinem Schwert entsagte, und wünsche nicht nochmals unter ihm bekannt zu werden. Uebrigens habe ich ihn nie da getragen, wo Eure Einrichtungen Gericht und Gewalt haben;« antwortete der Engländer.

»Weißt du, vor wem du stehst?« fuhr der Richter fort.

»Ich kann es wenigstens errathen,« versetzte der Kaufmann.

»Was vermuthest du?« fragte der Richter weiter. »Sag' an, wer wir sind und warum du vor uns stehst?«

»Ich glaube, ich stehe vor den Unbekannten oder dem geheimen Gericht, das man die Vehme nennt.«

»Dann weißt du,« antwortete der Richter, »daß du sicherer sein würdest, wenn du an den Haaren über dem Rheinfall bei Schaffhausen hingest, oder wenn dein Kopf unter einem Beil läge, das durch einen einzigen Seidenfaden zurückgehalten wird. Was hast du gethan, um ein solches Geschick zu verdienen?«

»Darauf lasset die Antwort geben, die mich in solches gebracht haben,« erwiderte Philipson mit derselben Ruhe wie zuvor.

»Sprich, Ankläger!« sagte der Freigraf, »vor den vier Wänden des Himmels! – vor den Ohren der Freirichter und den getreuen Vollstreckern ihrer Befehle! – Und im Angesicht dieses Strickkindes, welches sein Verbrechen läugnet oder versteckt, beweise die Wahrheit deiner Anklage!«

»Furchtbarster,« redete der Ankläger den Freigrafen an, »dieser Mann ist in das heilige Gebiet eingetreten, welches man die rothe Erde nennt – ein Fremder, unter Angabe eines fremden Namens und Gewerbes. Als er noch auf der östlichen Seite der Alpen, in Turin, der Lombardei und sonst sich aufhielt, hat er zu verschiedenen Malen von dem heiligen Gericht in Ausdrücken des Hasses und der Verachtung gesprochen und erklärt, daß er, wenn er Herzog von Burgund wäre, eine Ausbreitung desselben von Westphalen oder Schwaben in sein Gebiet nicht zugeben würde. Auch klage ich ihn an, daß er, der jetzt vor Euch als Strickkind steht, und solche böswillige Absichten gegen das heilige Gericht nährt, den Vorsatz angedeutet hat, sich an den Hof des Herzogs von Burgund zu begeben und den Einfluß, dessen er sich auf diesen rühmt, dahin zu benutzen, um ihn zu vermögen, daß er die Versammlungen der heiligen Vehme verhindere, und ihre Diener und die Vollstrecker ihrer Befehle gleich Räubern und Mördern bestrafe.«

»Das ist eine schwere Beschuldigung, Bruder!« sagte der Freigraf, als der Ankläger zu sprechen aufhörte. »Wie willst du sie erweisen?«

»Nach dem Inhalt der geheimen Satzungen, welche zu lesen blos den Eingeweihten verstattet ist,« antwortete der Ankläger.

»Gut,« sagte der Freigraf; »aber ich frage dich noch einmal, welches sind die Beweismittel? – Du sprichst vor heiligen und eingeweihten Ohren.«

»Ich werde meine Anklage beweisen,« entgegnete der Ankläger, »durch das Geständniß des Angeklagten selbst und durch meinen eigenen Schwur auf die heiligen Zeichen des geheimen Gerichts – Schwert und Strick.«

»Der angebotene Beweis ist gesetzlich,« sagte eines der Mitglieder auf der Ehrenbank in der Versammlung; »und es ist für Erhaltung des Systems, an das wir durch so feierliche Eide gebunden sind, wichtig, daß solche Verbrechen nicht unbestraft bleiben. Die Vehme hat bis auf unsere Tage fortbestanden, und ist durch den sehr christlichen und heiligen römischen Kaiser, Karl den Großen, zur Bekehrung der Sarazenen und Bestrafung derjenigen unter ihnen eingeführt worden, welche zu ihren heidnischen Gebräuchen zurückkehrten. Dieser Herzog Karl von Burgund hat in seinem Heer schon eine Menge Fremder, welche er leicht gegen dies heilige Gericht verwenden kann; besonders aber Engländer, ein übermüthig Inselvolk, die hartnäckig an ihren Gebräuchen hängen und die jede andere Nation hassen. Es ist uns nicht unbekannt, daß der Herzog dem Widerstand gegen die Diener des Gerichtes schon an mehreren Orten seiner deutschen Besitzungen Vorschub geleistet hat. In Folge davon hat es Strickkinder gegeben, die, statt sich mit Ehrfurcht und Ergebung zu unterwerfen, kühn genug waren, um die Vollstrecker der Befehle der Vehme zu schlagen, zu verwunden und selbst die zu erschlagen, welche den Auftrag hatten, sie zum Tode zu bringen. Diesem Geist des Aufruhrs muß ein Ende gemacht werden, und wenn es sich erweist, daß der Angeklagte einer von denen ist, welche solche Grundsätze hegen und verbreiten, so sage ich, lasset Schwert und Strick ihr Werk an ihm verrichten.«

Ein allgemeines Murmeln schien zu billigen, was der Sprecher gesagt; denn Alle wußten, daß die Gewalt des Gerichts viel mehr von der Meinung abhing, die man darüber hatte, ob das System tief und fest gewurzelt wäre, denn von irgend einer Rücksicht oder Achtung für eine Einrichtung, deren Strenge Jedermann fühlte. Daraus folgte, daß diejenigen Mitglieder, welche ihren Einfluß dem Rang verdankten, den sie in der Vehme bekleideten, die Nothwendigkeit begriffen, den Schrecken derselben dadurch aufrecht zu halten, daß sie von Zeit zu Zeit strenge Strafbeispiele aufstellten, und kein Opfer konnte man leichter schlachten, als einen fremden und unbekannten Reisenden. Alle diese Gedanken gingen Philipson durch den Kopf, hielten ihn aber nicht ab, eine feste Antwort auf die Anklage zu geben.

»Ihr Herren,« sprach er, »gute Bürger, oder welches der Name ist, den ihr euch beigelegt zu sehen wünscht, wißt, ich bin in früheren Tagen in eben so großer Gefahr gewesen, als jetzt, und habe nie den Rücken gewendet, mein Leben zu retten. Stricke und Dolche können diejenigen nicht schrecken, welche Schwerter und Lanzen gesehen haben. Meine Antwort auf die Anklage ist, daß ich ein Engländer bin, von einer Nation, die gewohnt ist, offenes und unparteiisches Recht zu üben und zu empfangen am hellen Tag. Ich bin jedoch ein Reisender und weiß, daß ich kein Recht habe, mich gegen die Ordnung und Gesetze anderer Völker aufzulehnen, weil sie denen meines Geburtslandes nicht gleichen. Aber diese Behutsamkeit kann man nur in Ländern verlangen, in denen das System, von dem wir sprechen, in voller Kraft und Wirksamkeit ist. Wenn wir von den Einrichtungen Deutschlands reden, und dabei in Frankreich oder Spanien sind, so können wir das ohne Beleidigung für das Land thun, in welchem sich solche vorfinden, wie Studenten auf einer Universität einen Satz aus der Logik abhandeln. Der Ankläger wirft mir vor, ich habe zu Turin oder sonstwo im Norden von Italien meinen Tadel über die Einrichtung ausgesprochen, nach welcher ich jetzt gerichtet werde. Ich will nicht läugnen, daß ich mich an etwas der Art erinnere; aber es geschah in Folge einer Frage, welche ich, gewissermaßen gezwungen, zweien Gästen beantwortete, mit denen ich zu Tische saß. Man drang lange und ernstlich in mich, ehe ich meine Ansicht Preis gab.«

»Und war diese Ansicht dem heiligen und geheimen Vehmgericht günstig oder nicht?« fragte der vorsitzende Richter. »Laß die Wahrheit deine Zunge regieren – bedenk', das Leben ist kurz, das Gericht ewig.«

»Ich möchte mein Leben nicht um eine Lüge erkaufen. Meine Meinung war ungünstig und ich drückte mich so aus: Kein Gesetz, kein Gerichtsverfahren kann gerecht oder empfehlenswerth sein, wenn es blos mittelst einer geheimen Verbindung besteht und geübt wird. Ich sagte, die Gerechtigkeit könne blos im Freien leben und bestehen, und wenn sie aufhöre, öffentlich zu sein, so arte sie in Rache und Haß aus. Ich erklärte ein System, von welchem eure eigenen Rechtsgelehrten gesagt haben:

Non frater a fratre, non hospes ab hospite tutus,Sicher ist nicht der Gast vor'm Wirth, nicht Bruder vor Bruder. D. U.

laufe den Vorschriften der Natur zu sehr zuwider, um mit denen der Religion in Einklang gebracht oder von ihnen geregelt zu werden.«

Kaum waren diese Worte gesprochen, als sich unter den Richtern ein dem Gefangenen höchst ungünstiges Murmeln vernehmen ließ. – »Er lästert die heilige Vehme – man muß ihm für immer den Mund schließen.«

»Höret mich,« versetzte der Engländer, »wie ihr eines Tages wünschen werdet, daß man euch höre! Ich sage, solches waren meine Gedanken und so sprach ich sie aus – ich sage euch, ich hatte ein Recht, diese Ansicht, sei sie nun richtig oder irrig, in einem neutralen Lande auszusprechen, wo dieses Tribunal eine Gerichtsbarkeit weder ansprechen konnte, noch ansprach. Meine Meinung ist noch dieselbe und ich würde mich noch zu ihr bekennen, wenn dieses Schwert auf meiner Brust oder dieser Strick mir um den Hals läge. Aber ich läugne, daß ich jemals gegen die Einrichtungen eurer Vehme in einem Lande gesprochen, wo sie als nationale Form der Gerechtigkeit eingeführt ist. Noch ausdrücklicher, wo möglich, läugne ich die abgeschmackte Verläumdung, die mich, einen fremden Reisenden, so darstellt, als hätte ich den Auftrag, mit dem Herzog von Burgund so wichtige Gegenstände zu verhandeln oder eine Verschwörung zur Vernichtung eines Systems anzuzetteln, an welchem Viele so eifrig hängen. Nie habe ich so etwas gesagt, nie auch nur gedacht.«

»Ankläger,« sagte der vorsitzende Richter, »du hast den Angeklagten gehört. – Was erwiderst du darauf?«

»Den ersten Theil der Anklage,« erwiderte der Gefragte, »hat er in Gegenwart dieses hohen Gerichts zugestanden; er hat zugegeben, daß er mit seiner gottlosen Zunge unsere heiligsten Geheimnisse gelästert, und verdient, daß sie ihm dafür aus dem Halse gerissen wird. Was den übrigen Theil der Anklage betrifft, den nämlich, welcher ihn beschuldigt, er habe sich in Anschläge zur Vernichtung der Vehme eingelassen, so will ich selbst mit meinem Amtseid nach Brauch und Gesetz erhärten, daß derselbe eben so wahr ist, als der, welchen er selbst zu gestehen nicht umhin gekonnt hat.«

»Wenn eine Anklage,« sagte der Engländer, »nicht durch zureichende Beweise unterstützt wird, so sollte nach gutem Recht der Eid dem Angeklagten zugeschoben werden, statt daß man dem Ankläger erlaubt, sich desselben als eines Mittels zu bedienen, um das Mangelhafte in seiner Anklage zu verdecken.«

»Fremdling,« entgegnete der Freigraf, »wir haben deiner Unkenntniß eine längere und weitläufigere Vertheidigung gestattet, als sich mit unserem gewöhnlichen Brauch verträgt. Wisse, daß das Recht, unter diesen ehrwürdigen Richtern zu sitzen, dem, welcher desselben genießt, etwas Heiliges verleiht, worauf gewöhnliche Menschen keine Ansprüche haben. Der Eid eines Eingeweihten gilt mehr als der feierlichste Schwur eines Menschen, der nicht mit unseren heiligen Geheimnissen vertraut ist. Beim Vehmgericht muß Alles vehmisch sein. Eine Erklärung des Kaisers, der nicht eingeweiht wäre, hätte in unserem Rath weniger Gewicht als die des letzten dieser Diener. Die Versicherung des Klägers kann blos in Folge des Eides eines Mitgliedes desselben Gerichts von höherem Rang verworfen werden.«

»Dann sei mir Gott gnädig,« sagte der Engländer in feierlichem Tone, »denn nur vom Himmel habe ich noch Hülfe zu hoffen! Doch will ich das Aeußerste nicht unversucht lassen: Dich rufe ich an, finsterer Geist, der du diese furchtbare Versammlung leitest; dich fordere ich auf, bei Treue und Ehre kund zu thun, ob du mich dessen für fähig hältst, was jener schändliche Verläumder keckerweise behauptet, ich fordere dich dazu auf, bei deiner Heiligkeit und Würde, bei deinem Namen –«

»Halt!« rief der vorsitzende Richter, »der Name, unter welchem wir unter freiem Himmel bekannt sind, darf an diesem unterirdischen Gerichtssitz nicht ausgesprochen werden.«

Hierauf fügte er gegen den Gefangenen und die Versammlung gewendet hinzu: »Ich bin zum Zeugniß aufgefordert und erkläre, daß die gegen dich vorgebrachte Klage richtig ist, so weit du das selbst anerkannt hast, nämlich so weit sie besagt, du habest unbedachtsamerweise in Ländern außerhalb der rothen Erde Die Theile von Deutschland, welche der Gerichtsbarkeit der Vehme unterworfen waren, hießen die rothe Erde, sei es nun wegen des Blutes, welches darauf vergossen wurde, oder aus irgend einem anderen Grunde; Herr Palgrave vermuthet wegen der Grundfarbe des alten Banners der Gegend. Westphalen, nach den Grenzen, welche das Land im Mittelalter hatte, und welche von den heutigen völlig verschieden sind, war der Hauptschauplatz der Vehme. D. Verf. leichtsinnig von diesem heiligen Gerichtshof gesprochen. Aber ich glaube bei meiner Seele und bezeuge bei meiner Ehre, daß der Rest der Klage unglaublich und falsch ist. Und das schwöre ich und lege meine Hand auf Dolch und Strick Ich verweise hierbei auf das 5. Heft im 3. Band des deutschen Familienbuchs von 1845 (Karlsruhe, Müller), worin mein verehrter Freund, H. Kurz, die Vehme und Walter Scott's Angaben über dieselbe bespricht. D. Uebers.. Was urtheilt ihr, meine Brüder, über den Fall, den ihr untersucht habt?«

Einer der Richter auf der Vorderbank, also aus der höchsten Klasse, und der wie alle Anderen vermummt war, dessen Stimme und gekrümmter Rücken aber ankündigten, daß er bejahrter wäre als die, welche zuvor gesprochen, erhob sich mit Mühe und sprach mit zitternder Stimme, – »das Strickkind vor uns ist überwiesen der Thorheit und Unbesonnenheit, mit der es in beleidigenden Ausdrücken von unserer heiligen Vehme gesprochen. Aber er hat solch' thörichtes Zeug vor Ohren geredet, die nie etwas von unseren heiligen Gesetzen gehört hatten. Auf der anderen Seite ist er durch ein unumstößliches Zeugniß für unschuldig erklärt worden, unmächtige Anschläge zur Untergrabung unserer Gewalt gemacht zu haben. Nach demselben Zeugniß hat er auch die Fürsten nicht gegen unsere heilige Verbindung aufzuhetzen gesucht. Er hat also eine Thorheit begangen, aber kein Verbrechen. Und da die heiligen Gesetze der Vehme keine andere Strafe kennen als den Tod, so schlage ich vor, daß dieses Strickkind der Gesellschaft und der Oberwelt zurückgegeben werde, ohne daß ihm ein Leid geschieht; daß man ihn aber zuvor wegen seines Fehlers gehörig verwarne.«

»Strickkind,« sagte der vorsitzende Richter, »du hast so eben das Urtheil vernommen, das dich freispricht. Wenn du aber in einem unblutigen Grabe zu schlafen wünschest, so merke dir wohl, was ich dir sage. Betrachte Alles, was diese Nacht geschehen ist, als ein Geheimniß, das weder dem Vater noch der Mutter, weder der Gattin noch dem Sohn oder der Tochter mitgetheilt werden darf. Es darf weder laut noch leise besprochen, und weder mündlich noch schriftlich, noch durch Malerei oder Bildhauerei, kurz auf keine Weise ausgebreitet werden, sei es nun geradezu oder durch Bilder und Zeichen oder Gleichnisse. Gehorche diesem Befehl und dein Leben ist sicher. Dein Herz gebe sich der Freude hin, aber mit Zittern. Laß dich durch deine Eitelkeit nicht zu dem Glauben verführen, daß du vor den Dienern und Richtern der heiligen Vehme in Sicherheit seiest. Wenn tausend Meilen zwischen dir und der rothen Erde lägen, wenn du in einem Lande davon sprächst, in welchem unsere Gewalt unbekannt ist, wenn du unter dem Schutze deiner Insel ständest und von dem sie umfluthenden Meere geschützt wärest, so ermahne ich dich, jedesmal das Zeichen des Kreuzes zu machen, so oft du nur an dieses heilige und unsichtbare Gericht denkst, und deine Gedanken über solches in der eigenen Brust verschlossen zu halten. Denn der Kaiser könnte neben dir stehen, und du könntest in deiner Thorheit umkommen. Geh' von dannen, sei klug, und laß die Furcht vor der heiligen Vehme dir beständig vor Augen sein.«

Bei diesen Worten erloschen alle Lichter zumal mit Zischen. Philipson sah sich von Neuem in den Händen der Diener der Vehme und setzte ihnen keinen Widerstand entgegen. Sie brachten ihn sachte auf sein Bett, und zogen es weiter bis auf den Ort zurück, an dem er herabgestiegen war. Sodann vernahm er das Geräusch der Stricke und Rollen, und fühlte, daß er mit seinem Lager aufwärts stieg. Nach ein paar Augenblicken zeigte ihm ein leichter Stoß, daß er sich wieder in gleicher Höhe mit dem Boden des Zimmers befand, in welches ihn Mengs verwichenen Abend oder vielmehr in der ersten Stunde des heutigen Tages geführt hatte. Er dachte über Alles nach, was sich ereignet, und brachte dem Himmel den schuldigen Dank für seine Befreiung aus so großer Noth. Zuletzt trug die Müdigkeit über die Aufregung den Sieg davon, und er verfiel in einen tiefen und gesunden Schlaf, aus welchem er erst durch das wiederkehrende Licht erweckt wurde. Er beschloß, augenblicklich von einem so gefährlichen Ort abzureisen, sah Niemand mehr im Hause als den alten Hausknecht, setzte seine Fahrt nach Straßburg fort, und erreichte diese Stadt ohne weiteres Abenteuer.



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